Immer gegen Ende des Sommers wird Papa ganz zerstreut. Dann singt er nicht mehr so oft wie sonst, sondern fängt an zu grummeln und zu streiten. Denn im September hat Oma Geburtstag, und zum Geburtstag seiner Mutter muss man gehen. Aber Papa meint: "Monster brauchen keinen Besuch." Seine Tochter findet es allerdings ziemlich spannend, eine Monsteroma zu haben und setzt alles daran, Papa zu einem Besuch zu überreden. Ob die Oma lange Krallen hat, Feuer spucken kann und heiße Schokolade mit Froschaugen serviert? Nach einigem Hin und Her stehen Vater und Tochter dann tatsächlich vor der Haustür der Großmutter - und es wird doch ganz anders als erwartet. Sind Großeltern ausschließlich die warmherzigen, liebevollen Menschen, als die sie in Kinderbüchern oft dargestellt werden? Lena Steffinger erzählt in ihrem Bilderbuchdebüt mit viel Witz von einer Beziehung, die nicht so gewohnt harmonisch ist - aber auch davon, dass Monstermütter nicht unbedingt auch Monsteromas sein müssen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.05.2022Ob meine Monsteroma Krallen hat und Feuer spucken kann?
Lena Steffinger erzählt in einem Bilderbuch sehr humorvoll von komplizierten Familienverhältnissen
Die Erzählerin in Lena Steffingers Bilderbuch "Monsteroma" hat einen ziemlich tollen Vater. Der ist meistens gut gelaunt, singt, spielt und kann Kuchen backen. Er hat seiner Tochter beigebracht, wie man gut streitet und dass man sich danach auch wieder entschuldigen sollte. Aber wie es eben so ist: Man kann auch Dinge weitergeben, an die man sich selbst nicht ganz hält. Und so hat der Vater entgegen allen Ratschlägen seit Jahren einen Streit nicht beigelegt - mit seiner Mutter. Die nennt er vor seiner Tochter "Monsteroma", und jedes Jahr, wenn der September - und damit der Geburtstag seiner Mutter - näher rückt, bekommt er schlechte Laune. Was genau an ihrer Oma so furchtbar ist, das weiß seine Tochter nicht. Eine gute Gelegenheit also, die eigene Phantasie spielen zu lassen: "Wie sie wohl aussieht, meine Monsteroma? Ob sie Krallen hat und Feuer spucken kann?"
Wie sich herausstellen soll - keins von beiden. Eigentlich ist das Monster eine ganz normale Frau, die einfach nur ein ziemlich angespanntes Verhältnis mit ihrem Sohn hat. Was ja, wie man hört, in den besten Familien vorkommen soll. Und weil die Enkeltochter kein Sohn ist, der das Gepäck einer jahrelangen komplizierten Beziehung mit sich herumträgt, findet sie die Oma gar nicht so schlimm. Und selbst der Vater muss zugeben: "Vielleicht sind Monstermütter nicht unbedingt auch Monsteromas."
Es ist eine ganz alltägliche Konstellation, von der Lena Steffinger hier erzählt - was es nicht unbedingt einfacher macht. Denn wie zeigt man einen solchen Konflikt in einem Bilderbuch, in dem man nicht lang ausholen und groß erklären kann? Zum Beispiel mit kurzen Sätzen, kleinen Spitzen: Da sitzen der Vater und die Tochter bei der Oma zum Kaffee (die Mutter ist wegen Kopfschmerzen gar nicht erst mitgekommen), und die Tochter sagt: "Den Kuchen hat Papa selbst gemacht." Die Oma erwidert schlicht: "Aha." Und fügt dann noch hinzu: "Die Kirschen könnten etwas saftiger sein." Zum Glück weiß die Illustratorin, dass dem eigentlich nichts mehr hinzuzufügen ist, weil in diesem einen Kommentar ja schon das ganze Drama steckt.
Lena Steffinger hat Psychologie, Illustration und grafisches Erzählen studiert - offenbar eine ziemlich gute Kombi, um kluge und anspruchsvolle Bilderbücher zu machen. Anspruchsvoll deshalb, weil wir das wirklich Wichtige nur zwischen den Zeilen erfahren und die Autorin ihren Lesern die Komplexität familiärer Beziehungen zutraut. So können wir zum Beispiel nur erahnen, dass der Vater und die Monsteroma trotz böser Streiterei durchaus noch eine Beziehung zueinander haben, weil die Erzählerin, als sie und ihr Vater vor Omas Haus in einem Garten voller Rosen stehen, schlicht sagt: "Papa liebt Rosen." Und weil wir wenig später auf den Illustrationen sehen, dass im Esszimmer der Monsteroma der Papa mit seinem Ringelshirt von der Wand grinst.
Überhaupt die wunderbaren, lustigen Illustrationen! Sie spiegeln den Text nicht, sondern ergänzen ihn und erzählen manchmal auch kleine Parallelgeschichten: Da ratschen zum Beispiel in Omas wundersamem Garten die Möhren miteinander. Es sind die Zeichnungen, die, inspiriert von der Phantasie ihrer Erzählerin, den Humor in eine Geschichte bringen, in der ja eigentlich nicht viel passiert. Während Vater und Tochter vor dem Haus stehen und darauf warten, dass Oma die Tür aufmacht, zeigen sie uns etwa, was sich drinnen verbergen könnte: vielleicht eine fröhliche Runde aus ein paar Monsteromas, die sich zum Kartenspielen getroffen hat? So charmant, wie die aussehen, können wir uns eigentlich schon denken: Ganz furchtbar können die Monster, um die es hier geht, gar nicht sein.
Was zwischen Vater und Oma vorgefallen ist, werden wir nie erfahren. Und das ist auch besser so. Ältere Leser werden sich ihre eigenen Konflikte dazudenken können. Und jüngere in dieser Geschichte vielleicht eine dieser wundersamen Situationen wiedererkennen, in denen das Verhalten der Älteren ihnen Rätsel aufgibt: Was wohl die Eltern gegen Opa, Oma, Tante haben, bei denen man selbst es doch eigentlich immer ganz nett fand?
Vom Ausflug zurück, isst die Familie den Rest des Kuchens: "Mama schlägt sich den Bauch voll. 'Die Kirschen sind wirklich köstlich', sagt sie und schnalzt mit der Zunge. Ihre Kopfschmerzen sind zum Glück schon wieder verflogen." ANNA VOLLMER
Lena Steffinger: "Monsteroma".
Kunstanstifter Verlag, Mannheim 2022. 28 S., geb., 20,- Euro. Ab 4 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Lena Steffinger erzählt in einem Bilderbuch sehr humorvoll von komplizierten Familienverhältnissen
Die Erzählerin in Lena Steffingers Bilderbuch "Monsteroma" hat einen ziemlich tollen Vater. Der ist meistens gut gelaunt, singt, spielt und kann Kuchen backen. Er hat seiner Tochter beigebracht, wie man gut streitet und dass man sich danach auch wieder entschuldigen sollte. Aber wie es eben so ist: Man kann auch Dinge weitergeben, an die man sich selbst nicht ganz hält. Und so hat der Vater entgegen allen Ratschlägen seit Jahren einen Streit nicht beigelegt - mit seiner Mutter. Die nennt er vor seiner Tochter "Monsteroma", und jedes Jahr, wenn der September - und damit der Geburtstag seiner Mutter - näher rückt, bekommt er schlechte Laune. Was genau an ihrer Oma so furchtbar ist, das weiß seine Tochter nicht. Eine gute Gelegenheit also, die eigene Phantasie spielen zu lassen: "Wie sie wohl aussieht, meine Monsteroma? Ob sie Krallen hat und Feuer spucken kann?"
Wie sich herausstellen soll - keins von beiden. Eigentlich ist das Monster eine ganz normale Frau, die einfach nur ein ziemlich angespanntes Verhältnis mit ihrem Sohn hat. Was ja, wie man hört, in den besten Familien vorkommen soll. Und weil die Enkeltochter kein Sohn ist, der das Gepäck einer jahrelangen komplizierten Beziehung mit sich herumträgt, findet sie die Oma gar nicht so schlimm. Und selbst der Vater muss zugeben: "Vielleicht sind Monstermütter nicht unbedingt auch Monsteromas."
Es ist eine ganz alltägliche Konstellation, von der Lena Steffinger hier erzählt - was es nicht unbedingt einfacher macht. Denn wie zeigt man einen solchen Konflikt in einem Bilderbuch, in dem man nicht lang ausholen und groß erklären kann? Zum Beispiel mit kurzen Sätzen, kleinen Spitzen: Da sitzen der Vater und die Tochter bei der Oma zum Kaffee (die Mutter ist wegen Kopfschmerzen gar nicht erst mitgekommen), und die Tochter sagt: "Den Kuchen hat Papa selbst gemacht." Die Oma erwidert schlicht: "Aha." Und fügt dann noch hinzu: "Die Kirschen könnten etwas saftiger sein." Zum Glück weiß die Illustratorin, dass dem eigentlich nichts mehr hinzuzufügen ist, weil in diesem einen Kommentar ja schon das ganze Drama steckt.
Lena Steffinger hat Psychologie, Illustration und grafisches Erzählen studiert - offenbar eine ziemlich gute Kombi, um kluge und anspruchsvolle Bilderbücher zu machen. Anspruchsvoll deshalb, weil wir das wirklich Wichtige nur zwischen den Zeilen erfahren und die Autorin ihren Lesern die Komplexität familiärer Beziehungen zutraut. So können wir zum Beispiel nur erahnen, dass der Vater und die Monsteroma trotz böser Streiterei durchaus noch eine Beziehung zueinander haben, weil die Erzählerin, als sie und ihr Vater vor Omas Haus in einem Garten voller Rosen stehen, schlicht sagt: "Papa liebt Rosen." Und weil wir wenig später auf den Illustrationen sehen, dass im Esszimmer der Monsteroma der Papa mit seinem Ringelshirt von der Wand grinst.
Überhaupt die wunderbaren, lustigen Illustrationen! Sie spiegeln den Text nicht, sondern ergänzen ihn und erzählen manchmal auch kleine Parallelgeschichten: Da ratschen zum Beispiel in Omas wundersamem Garten die Möhren miteinander. Es sind die Zeichnungen, die, inspiriert von der Phantasie ihrer Erzählerin, den Humor in eine Geschichte bringen, in der ja eigentlich nicht viel passiert. Während Vater und Tochter vor dem Haus stehen und darauf warten, dass Oma die Tür aufmacht, zeigen sie uns etwa, was sich drinnen verbergen könnte: vielleicht eine fröhliche Runde aus ein paar Monsteromas, die sich zum Kartenspielen getroffen hat? So charmant, wie die aussehen, können wir uns eigentlich schon denken: Ganz furchtbar können die Monster, um die es hier geht, gar nicht sein.
Was zwischen Vater und Oma vorgefallen ist, werden wir nie erfahren. Und das ist auch besser so. Ältere Leser werden sich ihre eigenen Konflikte dazudenken können. Und jüngere in dieser Geschichte vielleicht eine dieser wundersamen Situationen wiedererkennen, in denen das Verhalten der Älteren ihnen Rätsel aufgibt: Was wohl die Eltern gegen Opa, Oma, Tante haben, bei denen man selbst es doch eigentlich immer ganz nett fand?
Vom Ausflug zurück, isst die Familie den Rest des Kuchens: "Mama schlägt sich den Bauch voll. 'Die Kirschen sind wirklich köstlich', sagt sie und schnalzt mit der Zunge. Ihre Kopfschmerzen sind zum Glück schon wieder verflogen." ANNA VOLLMER
Lena Steffinger: "Monsteroma".
Kunstanstifter Verlag, Mannheim 2022. 28 S., geb., 20,- Euro. Ab 4 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensentin Anna Vollmer hält Lena Steffingers Bilderbuch für eine runde Sache. Mit ebenso viel grafischem wie psychologischem Verstand erzählt Steffinger laut Vollmer von einer so typischen wie rätselhaften spannungsgeladenen Familienkonstellation: Wenn der Vater nicht mit der eigenen Mutter klarkommt, und die Tochter sich fragt, was an der Oma denn falsch ist. So ungefähr. Für Vollmer gelingt die Darstellung des Konflikts im Buch durch Auslassungen und Andeutungen. Jeder kann sich seinen Teil ganz gut zu der Geschichte dazu denken, findet Vollmer. Die lustigen Illustrationen ergänzen den Text prima, meint sie.
© Perlentaucher Medien GmbH
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