das amerikanische Militär, die westdeutsche Sicherheitspolitik und die Bundeswehr. Da werden die alten Klischees alle wiederholt: die faschistischen Generale, die aggressiven Absichten, die Dominanz durch die Vereinigten Staaten. Selbst die Hetzschrift "Unternehmen Teutonenschwert" aus dem Jahre 1959, mit der die Hauptverwaltung Aufklärung damals General Dr. Hans Speidel diskreditieren wollte, wird da als seriöse Quelle zitiert - obwohl die Hamburger Zeitschrift "Der Spiegel" die verwendeten Materialien schon bei ihrer ersten Präsentation 1957 als Fälschung entlarvt hatte. Auf weite Strecken behandelt der kleine Band nicht die Geschichte der Spionage, sondern die Weltlage, so wie sie sich den damaligen Spionen darstellte. Die beschränkte Weltsicht setzt sich fort: zur Entstehung der Nato, zur Geschichte der Bundeswehr, zum Nato-Doppelbeschluss gibt es reichlich Literatur, aber die wird ganz konsequent nicht zur Kenntnis genommen. Die Fußnoten täuschen Wissenschaftlichkeit lediglich vor.
Dazwischen kommen immer wieder nur episodenhaft die einzelnen Spionage-Fälle, die großen Erfolge der HVA vor: verführte Sekretärinnen, vom Kommunismus überzeugte Amtsboten, gekaufte Informanten. Neues erfährt der Leser nicht: Wenn ein Name nicht ohnehin seit Jahren bekannt ist, steht auch hier, dass man ihn nicht verraten werde. Rainer Rupp alias "Topas" hat ein Dokument von mehreren hundert Seiten fotografiert, obwohl er es nur unter Aufsicht einsehen durfte - aber wie ihm das gelungen ist, verschweigt er. Stattdessen einzelne Namen, kurze Wirkungsgeschichten und eine Klage über unangemessen hohe Haftstrafen nach der Enttarnung. "Topas" hat auch die Unterlagen zur Nato-Übung "Able Archer" an das MfS verraten. Damit konnten die "Freunde" vom KGB in Moskau beruhigt werden, dass entgegen ihren Erwartungen die Nato die Übung nicht zur Tarnung eines nuklearen Erstschlags benutzen wollte. So hat Rupp, glaubt man seiner eigenen Darstellung, ganz allein die gefährlichste Krise des Kalten Krieges entschärft.
Anderes, was zu einer abgerundeten Geschichte der DDR-Spionage auch dazugehört hätte, fehlt dagegen. So erfährt man nichts über das Geschäft der Auswertung: Wie lange braucht es überhaupt, bis Nachrichten konspirativ nach Ost-Berlin übermittelt werden? Wie werden aus den vielen Einzelmeldungen Lagebilder? Stattdessen bietet der Band am Ende einen Exkurs über das strategische Konzept der Nato aus dem Jahr 2010 - noch einmal wird deutlich, dass es eigentlich gar nicht um die DDR und ihre Militärspionage geht, sondern darum, die Nato schlechtzuschreiben. Alles hatte das MfS unterwandert: Nato-Kommandobehörden, das Bundesverteidigungsministerium, die Bundeswehr. Was hat es aber genützt? Der Band ist getragen von der Grundannahme, das westliche Militär sei die zentrale Bedrohung der staatlichen Existenz der DDR gewesen. Das jedoch erwies sich als ein fataler Irrtum. Dass die "Gefahr" von den Bürgern der DDR selbst kam, ist den Autoren bis heute nicht klargeworden. Als lebensfähiger hat sich jenes liberale System erwiesen, das sogar verurteilten Verbrechern die Möglichkeit bietet, aus ihren Straftaten in Buchform Kapital zu schlagen.
WINFRIED HEINEMANN.
Rainer Rupp/Karl Rehbaum/Klaus Eichner: Militärspionage. Die DDR-Aufklärung in NATO und Bundeswehr. edition ost, Berlin 2011. 288 S., 14,95 [Euro].
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