"Durst nach Reisen und Homer und Nietzsche". Zwar empfindet man bei der Lektüre alsbald Mitgefühl mit der Leidenden und anderen geschilderten Patienten, wünscht aber schließlich, man hätte "Melancholia" lieber nicht gelesen - und das nicht etwa, weil die Darstellung von Krankheit und Verfall an sich bedrückend sein kann.
Schuld an der weitgehenden Unverträglichkeit dieses Textes sind vielmehr einige Untugenden, für welche Jungautoren wohl besonders anfällig sind: Fehlende Urteilssicherheit zum Beispiel soll durch beliebiges euphorisches Geschwätz verdeckt werden ("am salingerschen Stil bleibt man kleben, man bekommt ihn wie Pech nicht mehr von den Kleidern"); ein unterentwickelter Geschmack führt zu Attacken auf den Leser. Hinzu kommen ein zwanghaftes Suchen nach Vergleichen ("ich wärme mein Italienisch wie eine Suppe auf") und vor allem ein namedropping, das sogar in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur seinesgleichen suchen dürfte - unterhalb von "Schadewaldt und Nietzsche und Kierkegaard" beziehungsweise "Anaximander und Heraklit und Platon" plus Heidegger, Sylvia Plath, Virginia Woolf und Thomas Mann geht da nur wenig.
Am lähmendsten allerdings wirkt sich ein offenkundiger Mangel an Witz und Originalität aus, der angesichts des Alters der Autorin freilich normal sein dürfte. Das Ganze liest sich wie eine zusammengezwungene Mischung aus Karin Struck, Peter Handke und Thomas Bernhard.
Man mag einwenden, all das diene nur der indirekten Charakterisierung einer armen, lebensgierigen, sicherlich etwas neurotischen Jungleidenden, der halt die "dauernde, unablässige Konfrontation mit Krankheit" zu schaffen mache. Daß man aber aus solchen Erfahrungen gleich ein zähledernes Werk mit literarischem Anspruch zusammenschustern muß, leuchtet überhaupt nicht ein. "Es ist das Rücksichtsloseste, was ich geschrieben habe", so äußerte sich Bettina Galvagni laut Klappentext über ihr Buch. Daß sie in einem ganz anderen Sinne als dem gemeinten recht haben könnte, wird ihr vielleicht erst in ein paar Jahren aufgehen. WOLFGANG STEUHL
Bettina Galvagni: "Melancholia". Residenz Verlag, Salzburg und Wien 1997.
200 S., geb., 38,- DM.
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