-68%12)

Bettina Flitner
Gebundenes Buch
Meine Schwester (Mängelexemplar)
Nicht lieferbar
Gebundener Preis: 22,00 € **
Als Mängelexemplar:
Als Mängelexemplar:
**Frühere Preisbindung aufgehoben
Weitere Ausgaben:
Ungelesenes Mängelexemplar
Minimale äußerliche Macken und Stempel, einwandfreies Innenleben. Schnell sein! Nur begrenzt verfügbar.
Kann ein Buch einen Lebensschmerz überwinden? Ja.Als die Fotografin Bettina Flitner vor einigen Jahren vom Suizid ihrer geliebten Schwester erfuhr, waren die ersten Reaktionen Schock, Lähmung und Verzweiflung. Doch dann entschied sie sich zum Erzählen. Das Ergebnis ist ein tief bewegender, meisterhafter Text, ein Buch der Befreiung.Mit einem an der Fotografie geschulten, unbestechlichen Blick, voller Hingabe, Witz und Traurigkeit erzählt Bettina Flitner die Geschichte einer innigen Geschwisterbeziehung: eine Kindheit der 70er Jahre, die Jahre auf der Waldorfschule, die Erinnerung an die ch...
Kann ein Buch einen Lebensschmerz überwinden? Ja.
Als die Fotografin Bettina Flitner vor einigen Jahren vom Suizid ihrer geliebten Schwester erfuhr, waren die ersten Reaktionen Schock, Lähmung und Verzweiflung. Doch dann entschied sie sich zum Erzählen. Das Ergebnis ist ein tief bewegender, meisterhafter Text, ein Buch der Befreiung.
Mit einem an der Fotografie geschulten, unbestechlichen Blick, voller Hingabe, Witz und Traurigkeit erzählt Bettina Flitner die Geschichte einer innigen Geschwisterbeziehung: eine Kindheit der 70er Jahre, die Jahre auf der Waldorfschule, die Erinnerung an die charismatischen Großeltern, darunter ein berühmter Reformpädagoge, der Vater ein Kulturmanager und Exponent des links-liberalen Bildungsbürgertums der alten BRD, ein Jahr in New York, die Ferien auf Capri, die ersten Liebesabenteuer in der Pubertät. Und dann die Risse: die Überforderung der Kinder durch das Leben der Eltern im Zeichen sexueller Libertinage, die Flucht der Mutter in die Depression, die unerfüllbaren Berufserwartungen der Eltern an die Töchter. Bettina Flitners Buch ist ein bewundernswert mutiger Schritt, sich den Gespenstern der gemeinsamen Vergangenheit zu stellen, sich von diesen zu befreien und so den Tod geliebter Menschen verarbeiten zu können. Ein Buch über ein Thema, das für viele Menschen immer noch von Tabus und Schweigen besetzt ist.
Als die Fotografin Bettina Flitner vor einigen Jahren vom Suizid ihrer geliebten Schwester erfuhr, waren die ersten Reaktionen Schock, Lähmung und Verzweiflung. Doch dann entschied sie sich zum Erzählen. Das Ergebnis ist ein tief bewegender, meisterhafter Text, ein Buch der Befreiung.
Mit einem an der Fotografie geschulten, unbestechlichen Blick, voller Hingabe, Witz und Traurigkeit erzählt Bettina Flitner die Geschichte einer innigen Geschwisterbeziehung: eine Kindheit der 70er Jahre, die Jahre auf der Waldorfschule, die Erinnerung an die charismatischen Großeltern, darunter ein berühmter Reformpädagoge, der Vater ein Kulturmanager und Exponent des links-liberalen Bildungsbürgertums der alten BRD, ein Jahr in New York, die Ferien auf Capri, die ersten Liebesabenteuer in der Pubertät. Und dann die Risse: die Überforderung der Kinder durch das Leben der Eltern im Zeichen sexueller Libertinage, die Flucht der Mutter in die Depression, die unerfüllbaren Berufserwartungen der Eltern an die Töchter. Bettina Flitners Buch ist ein bewundernswert mutiger Schritt, sich den Gespenstern der gemeinsamen Vergangenheit zu stellen, sich von diesen zu befreien und so den Tod geliebter Menschen verarbeiten zu können. Ein Buch über ein Thema, das für viele Menschen immer noch von Tabus und Schweigen besetzt ist.
Bettina Flitner ist 1961 in Köln geboren, wo sie auch heute wieder lebt. Sie startete als Filmemacherin, arbeitet aber nach ihrem Studium an der Film- und Fernsehakademie in Berlin als Fotografin. Oft kombiniert sie in ihren Arbeiten, die in vielen Galerie- und Museumsausstellungen gezeigt wurden, Fotografie und Text. Sie arbeitet u.a. für Zeitschriften (Stern, Emma, Cicero) und veröffentlichte zahlreiche Bücher. Zuletzt erschien im Elisabeth Sandmann Verlag ihr Bild-Textband 'Väter & Töchter'.
Produktbeschreibung
- Verlag: Kiepenheuer & Witsch
- 1. Auflage
- Seitenzahl: 315
- Erscheinungstermin: 10. Februar 2022
- Deutsch
- Abmessung: 195mm x 123mm x 30mm
- Gewicht: 381g
- ISBN-13: 9783462002379
- ISBN-10: 3462002376
- Artikelnr.: 16007445
Herstellerkennzeichnung
Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Rezensentin Elke Heidenreich zeigt sich erschüttert und begeistert zugleich von Bettina Flitners "Erinnerungsbuch". Wie die Autorin, ausgehend vom Selbstmord ihrer Schwester, die eigene Familiengeschichte, Kindheit und Jugend rekonstruiert, um die feinen Risse zu erkennen, wo das vordergründige Familien-Glück transparent wird auf die Abgründe und die Qual, findet sie stark. Die unsentimentale Nüchternheit der Sprache und der klare Blick der Autorin erfüllen sie mit Hochachtung vor diesem Erzählen, das wuchtig und zart zugleich daherkommt, wie die Rezensentin feststellt.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Perlentaucher-Notiz zur WELT-Rezension
Rezensentin Marlen Hobrack liest Bettina Flitners Buch als "erschütterndes Memoir" über den Selbstmord ihrer Schwester. Eindringlich schildert die Autorin laut Hobrack ihre privilegierte Kindheit mit Reformpädagogik und elitären Großeltern sowie die innerliche Zersetzung der Familie, die egozentrischen Eltern und schließlich: die Depression der Schwester. Die enge Beziehung der Schwestern und ihre gleichzeitige Aufteilung durch den Vater in "die Schöne" und "die Kluge" erkundet der Text mit viel Gespür für emotionale "Höhepunkte" wie die Trennung er Eltern und die neue Heirat der Mutter, findet Hobrack. Die berührende Geschichte eine Traumas, so die Rezensentin.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Am Tag des Todes
Bettina Flitner erzählt von einem Suizid in der Familie
Die erste Szene dieses Buchs wiederholt sich kurz vor dessen Ende. Ein später Anruf zerstört den schönen Abend, den drei Frauen in Köln miteinander verbringen. Eine von ihnen ist Alice Schwarzer, aber deren Prominenz tut nichts zur Sache. Eine ist aus Wien angereist, ihren Namen werden wir nie erfahren. Und eine ist die Autorin dieses Buchs, Bettina Flitner. Ihre Schwester ist gestorben, hat sich selbst am Vormittag erdrosselt, der Anrufer ist der Schwager. Nach seiner Mitteilung ist nichts mehr wie zuvor.
Das schreibt sich so leicht und ist in der Konsequenz doch so schwer. Bettina Flitner ist Fotografin, eine der besten, die wir
Bettina Flitner erzählt von einem Suizid in der Familie
Die erste Szene dieses Buchs wiederholt sich kurz vor dessen Ende. Ein später Anruf zerstört den schönen Abend, den drei Frauen in Köln miteinander verbringen. Eine von ihnen ist Alice Schwarzer, aber deren Prominenz tut nichts zur Sache. Eine ist aus Wien angereist, ihren Namen werden wir nie erfahren. Und eine ist die Autorin dieses Buchs, Bettina Flitner. Ihre Schwester ist gestorben, hat sich selbst am Vormittag erdrosselt, der Anrufer ist der Schwager. Nach seiner Mitteilung ist nichts mehr wie zuvor.
Das schreibt sich so leicht und ist in der Konsequenz doch so schwer. Bettina Flitner ist Fotografin, eine der besten, die wir
Mehr anzeigen
haben. Dass sie über ihr Handwerk und was es aussagt, tief nachdenkt, kann man ihren Bilderserien aus mittlerweile mehr als dreißig Jahren ansehen: nominell Reportagefotografie, doch de facto fotografische Psychologie. Flitner arbeitet gerne mit begleitenden Texten, die aus Äußerungen der von ihr Porträtierten während der Aufnahmesituationen bestehen. Ihr neues Buch jedoch hat nur Text - und als einzige Fotografie das Titelbild, natürlich ein eigenes Porträt, vierzig Jahre alt, eines, das über einen Spiegel den Blick auf sich selbst lenkt. Aber vor der damals einundzwanzigjährigen Flitner steht eine zweite junge Frau: die um wenige Jahre ältere Schwester. Zur Entstehungssituation liest man: "Es ist nicht sehr hell hier, und ich stütze die Kamera auf ihrer Schulter ab, damit die Aufnahme nicht verwackelt. Hier ist meine Schwester. Und dahinter bin ich. Wir spiegeln uns im Glas. Ich sehe sie an und sie mich. Das Spiegelbild der anderen. Die Kamera ist auf uns gerichtet. Ich drücke auf den Auslöser. Die Blende öffnet sich. Eine 30stel Sekunde. Eine Ewigkeit."
Keine Ewigkeit. Sondern ein verfliegender Moment, der nur durch das Foto gebannt ist. Doch für Flitner zählen Vor- und Nachgeschichten solcher Momente mehr. Eines von vielen im Buch angesprochenen Fotos, die wir nicht sehen, sah sie selbst beim ersten Besuch in jener Wohnung der Schwester, die später zu deren Todesort werden sollte: eine Aufnahme aus dem Jahr 1970, als die vierköpfige Familie Flitner für sechs Monate in New York gelebt hatte, darauf festgehalten die Mutter und die beiden Töchter. "Meine Schwester hatte das Bild in einen silbernen Rahmen getan. So als wäre es eine schöne Erinnerung. So als wäre die Vergangenheit in dem Bild und nicht die Zukunft. So als wäre die Geschichte abgeschlossen."
Das ist die Schlüsselpassage in Flitners Erinnerungs- und Betrauerungsbuch, das lapidar "Meine Schwester" heißt und keinem Genre explizit zugeordnet wird. Ausgehend vom Augenblick der Todesnachricht, wird rückblickend erzählt: vor allem von der gemeinsamen Kindheit der Schwestern und der scheiternden Ehe der Eltern. Früh ist zu erfahren, dass auch die Mutter sich umgebracht hat, schon 1984. "Natürlich gibt es da eine familiäre Vorbelastung. Das hat eine genetische Komponente", erklärt ein mit Bettina Flitner verwandter Arzt am Tag nach dem Tod der Schwester. "Und entweder man erbt dieses Gen oder nicht." Die Kälte dieser Aussage ist der hochenergetische Antrieb dessen, was das Buch erzählt. Dessen Geschichte ist offen.
Und so erzählt Flitner mit offenem Visier, rücksichtslos gegen sich selbst, von allen Herrlichkeiten und Peinlichkeiten einer Herkunft, die hinter dem für Außenstehende perfekten Bild einer wohlsituierten Familie deren Scheitern versteckte. In jeder von Flitner erlebten engen Konstellation (außer in der mit Alice Schwarzer) lauern Abgründe: das todkranke Nachbarmädchen, die in patriarchalischen Ritualen gefangenen Großelternpaare, die sich wechselseitig betrügenden Eltern, die mit der Pubertät ihre Kleinmädchenideale verratenden Freundinnen. Und selbst im zur gemeinsamen Kinderzeit symbiotischen Verhältnis mit der Schwester ist die Entfremdung unvermeidlich: als die Schwester in ihrem Verhalten der Mutter immer ähnlicher wird. Aber das erkennt Flitner erst zu spät als Warnsignal. Ständig befragt sich die Autorin dazu, was sie hätte merken müssen.
Rahmen ihres Buchs ist der Tag des Todes im März 2017, sind jene vierzehn, fünfzehn Stunden zwischen dem Suizid und dem Anruf in Köln. Fortlaufend rekapituliert Flitner ihren damaligen Tagesablauf, all die Banalitäten, aber auch Gedanken an die Schwester, die nicht ans Telefon geht. Zwischen diesen Bruchstücken eines Schicksalstages stehen die Rückblicke aufs gemeinsame Leben - alle unter dem Zeichen dessen, worauf es hinauslaufen wird. Und gegen Ende sind wir eben wieder bei der Todesnachricht angekommen.
Trotzdem gibt es zuvor grandios komische Schilderungen, etwa die von der frühmorgendlichen Ruhestörung der Eltern, mit der diese sich am spätabends lärmenden Nachbarn rächen, von einer Begegnung mit Hannah Arendt in der New Yorker Zeit, die die neunjährige Bettina Flitner aber weniger faszinierte als eine mit Kermit dem Frosch, und vor allem vom Besuch der beiden erwachsenen Schwester in einem Pariser Kosmetikgeschäft. "Der Körper war auf die verschiedenen Regale verteilt: Es gab Regale für das Gesicht, für die Lippen, die Oberschenkel, den Po, die Zehen, die Fingernägel, die Augen, für die Hände, die Füße. Alles war Anti, alles war dagegen. Anti-rides, Anti-taches, Anti-chute, Anti-age. Gegen Falten, gegen Flecken, gegen Haarausfall, gegen Alter. Gegen trockene Haut, gegen fettige Haare, gegen raue Lippen. Nichts war für etwas. Wenn man alles auf einmal anwendet, dachte ich, ist man nicht mehr da." Und jemand, der all das anwendete, war die Schwester.
So ist das Schreckliche durchschossen vom Witzigen, und im höchstpersönlichen Einzelfall steckt auch ein Soziogramm der bundesrepublikanischen Gesellschaft der Sechziger und Siebziger. Vor allem aber ist das Buch mitreißend geschrieben, ohne aufgesetzt emotional zu sein, und gäbe es nicht einige erstaunliche chronologische Unstimmigkeiten, müsste man es ein perfektes Memoir nennen. Begonnen wurde es in der Anfangszeit der Pandemie, als Bettina Flitner die Isolation zur Neugestaltung ihrer Website nutzen wollte. "Ich klappte meinen Laptop auf, öffnete eine neue Schreibdatei und begann mit dem ersten Satz dieser Aufzeichnungen. Es war einfach der richtige Moment." Es ist auch die richtige Lektüre. ANDREAS PLATTHAUS.
Bettina Flitner: "Meine Schwester".
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2022. 315 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Keine Ewigkeit. Sondern ein verfliegender Moment, der nur durch das Foto gebannt ist. Doch für Flitner zählen Vor- und Nachgeschichten solcher Momente mehr. Eines von vielen im Buch angesprochenen Fotos, die wir nicht sehen, sah sie selbst beim ersten Besuch in jener Wohnung der Schwester, die später zu deren Todesort werden sollte: eine Aufnahme aus dem Jahr 1970, als die vierköpfige Familie Flitner für sechs Monate in New York gelebt hatte, darauf festgehalten die Mutter und die beiden Töchter. "Meine Schwester hatte das Bild in einen silbernen Rahmen getan. So als wäre es eine schöne Erinnerung. So als wäre die Vergangenheit in dem Bild und nicht die Zukunft. So als wäre die Geschichte abgeschlossen."
Das ist die Schlüsselpassage in Flitners Erinnerungs- und Betrauerungsbuch, das lapidar "Meine Schwester" heißt und keinem Genre explizit zugeordnet wird. Ausgehend vom Augenblick der Todesnachricht, wird rückblickend erzählt: vor allem von der gemeinsamen Kindheit der Schwestern und der scheiternden Ehe der Eltern. Früh ist zu erfahren, dass auch die Mutter sich umgebracht hat, schon 1984. "Natürlich gibt es da eine familiäre Vorbelastung. Das hat eine genetische Komponente", erklärt ein mit Bettina Flitner verwandter Arzt am Tag nach dem Tod der Schwester. "Und entweder man erbt dieses Gen oder nicht." Die Kälte dieser Aussage ist der hochenergetische Antrieb dessen, was das Buch erzählt. Dessen Geschichte ist offen.
Und so erzählt Flitner mit offenem Visier, rücksichtslos gegen sich selbst, von allen Herrlichkeiten und Peinlichkeiten einer Herkunft, die hinter dem für Außenstehende perfekten Bild einer wohlsituierten Familie deren Scheitern versteckte. In jeder von Flitner erlebten engen Konstellation (außer in der mit Alice Schwarzer) lauern Abgründe: das todkranke Nachbarmädchen, die in patriarchalischen Ritualen gefangenen Großelternpaare, die sich wechselseitig betrügenden Eltern, die mit der Pubertät ihre Kleinmädchenideale verratenden Freundinnen. Und selbst im zur gemeinsamen Kinderzeit symbiotischen Verhältnis mit der Schwester ist die Entfremdung unvermeidlich: als die Schwester in ihrem Verhalten der Mutter immer ähnlicher wird. Aber das erkennt Flitner erst zu spät als Warnsignal. Ständig befragt sich die Autorin dazu, was sie hätte merken müssen.
Rahmen ihres Buchs ist der Tag des Todes im März 2017, sind jene vierzehn, fünfzehn Stunden zwischen dem Suizid und dem Anruf in Köln. Fortlaufend rekapituliert Flitner ihren damaligen Tagesablauf, all die Banalitäten, aber auch Gedanken an die Schwester, die nicht ans Telefon geht. Zwischen diesen Bruchstücken eines Schicksalstages stehen die Rückblicke aufs gemeinsame Leben - alle unter dem Zeichen dessen, worauf es hinauslaufen wird. Und gegen Ende sind wir eben wieder bei der Todesnachricht angekommen.
Trotzdem gibt es zuvor grandios komische Schilderungen, etwa die von der frühmorgendlichen Ruhestörung der Eltern, mit der diese sich am spätabends lärmenden Nachbarn rächen, von einer Begegnung mit Hannah Arendt in der New Yorker Zeit, die die neunjährige Bettina Flitner aber weniger faszinierte als eine mit Kermit dem Frosch, und vor allem vom Besuch der beiden erwachsenen Schwester in einem Pariser Kosmetikgeschäft. "Der Körper war auf die verschiedenen Regale verteilt: Es gab Regale für das Gesicht, für die Lippen, die Oberschenkel, den Po, die Zehen, die Fingernägel, die Augen, für die Hände, die Füße. Alles war Anti, alles war dagegen. Anti-rides, Anti-taches, Anti-chute, Anti-age. Gegen Falten, gegen Flecken, gegen Haarausfall, gegen Alter. Gegen trockene Haut, gegen fettige Haare, gegen raue Lippen. Nichts war für etwas. Wenn man alles auf einmal anwendet, dachte ich, ist man nicht mehr da." Und jemand, der all das anwendete, war die Schwester.
So ist das Schreckliche durchschossen vom Witzigen, und im höchstpersönlichen Einzelfall steckt auch ein Soziogramm der bundesrepublikanischen Gesellschaft der Sechziger und Siebziger. Vor allem aber ist das Buch mitreißend geschrieben, ohne aufgesetzt emotional zu sein, und gäbe es nicht einige erstaunliche chronologische Unstimmigkeiten, müsste man es ein perfektes Memoir nennen. Begonnen wurde es in der Anfangszeit der Pandemie, als Bettina Flitner die Isolation zur Neugestaltung ihrer Website nutzen wollte. "Ich klappte meinen Laptop auf, öffnete eine neue Schreibdatei und begann mit dem ersten Satz dieser Aufzeichnungen. Es war einfach der richtige Moment." Es ist auch die richtige Lektüre. ANDREAS PLATTHAUS.
Bettina Flitner: "Meine Schwester".
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2022. 315 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Schließen
»Es ist daher weit mehr als nur ein anrührendes Denkmal, das Bettina Flitner ihrer Schwester mit ihrem Buch gesetzt hat. Die Partnerin von Alice Schwarzer entlarvt auch die Lebenslügen einer ganzen Generation und ihre Folgen gerade für heranwachsende Frauen.« Oliver Pfohlmann SWR Lesenswert 20220510
»Es hört sich übertrieben an, aber: Bettina Flitners Manuskript traf mich wie ein Blitzschlag.« Helge Malchow »Meine Schwester hat Wucht und Zartheit, Emotion und Intelligenz, das Schöne, das Schreckliche, das ganze Leben fächert sich auf, und das in einer Sprache, die immer durchscheinend bleibt, schwebend, wenig Adjektive, es geht schnörkellos geradeaus, und der Leser kann nicht aufhören, einer so unsentimental und doch tief berührend erzählten Geschichte zu folgen, von Satz zu Satz...« Elke Heidenreich, Süddeutsche Zeitung
Gebundenes Buch
Bettina Flitner ist bislang vor allem als Fotografin in Erscheinung getreten, manchen ist sie vielleicht auch als Frau an der Seite von Alice Schwarzer bekannt. Nun hat Flitner ihr erstes literarisches Buch veröffentlicht, ein Memoir, in dem ihre ältere Schwester eine zentrale Rolle …
Mehr
Bettina Flitner ist bislang vor allem als Fotografin in Erscheinung getreten, manchen ist sie vielleicht auch als Frau an der Seite von Alice Schwarzer bekannt. Nun hat Flitner ihr erstes literarisches Buch veröffentlicht, ein Memoir, in dem ihre ältere Schwester eine zentrale Rolle spielt. Die Schwester, die jahrelang unter Depressionen litt und ihr Leben durch Selbstmord beendete, ebenso wie die Mutter 33 Jahre zuvor.
Die beiden Schwestern müssen nicht nur mit dem Suizid der Mutter klar kommen, sondern auch damit, den Erwartungen des Vaters an ihre beruflichen Laufbahnen nie zu genügen. Überhaupt ist das familiäre Umfeld schwierig. Die Eltern sind linksliberale Bildungsbürger und haben wechselnde Liebschaften. Es war zwar die Zeit der Hippies, der sexuellen Revolution und der freien Liebe, doch so wirklich frei schienen sie nicht - Eifersucht prägte den Alltag. Zwar suchte man dies vor den Töchtern zu verbergen, in dem die Eltern Krisengespräche auf Französisch führten, aber die Kinder bekamen die Spannungen natürlich dennoch zu spüren. Auch das Verhältnis zu den Großeltern war alles andere als herzlich, waren diese doch voller althergebrachter Standesdünkel und sehr autoritär.
Bettina Flitner macht all dies - und noch vieles mehr - mit ihrem literarischen Debüt öffentlich. Vorwürfe findet man dabei erstaunlich wenige, oft nur in Andeutungen. Nein, dies ist keine Anklageschrift, sondern der Versuch der Autorin, durch möglichst nüchternes Erzählen die eigene Geschichte besser zu verstehen. Und doch ist der Text sehr bewegend, auch wenn es manch langatmige Passage gibt. Überdies beschlich mich mehr als einmal das unangenehme Gefühl, unerlaubterweise in einem fremden Tagebuch zu lesen. Vermutlich deshalb, weil Flitner nichts verfremdet oder anonymisiert, sondern alle Familienangehörigen bei vollem Namen nennt. Einzig Susanne wird von ihr fast durchgängig als "meine Schwester" benannt, ganz als ob die Autorin bei aller Offenheit doch einen Rest an Distanz wahren möchte.
Sprachlich ist der Text recht solide, die Sätze sind oft knapp, ruhig, unprätentiös. Insgesamt überzeugt mich die Form nicht ganz so wie der Inhalt. Die Erzählung wirkt auf mich, als ob Tagebücher etwas überarbeitet und für die Öffentlichkeit aufpoliert wurden. Die wenigen Metaphern sind nicht sonderlich originell, etwa die Darstellung der Depression als schwarze Raben, die die Kranke umflattern.
Aber "Meine Schwester" ist ein Buch, das mich berührt hat. Nicht zuletzt dadurch, dass sich Flitner auf die Suche nach Antworten begibt und es zugleich aushält, dass einige Fragen offen bleiben. Und darin liegt, bei aller Tragik, auch ein gewisser Trost.
Weniger
Antworten 1 von 1 finden diese Rezension hilfreich
Antworten 1 von 1 finden diese Rezension hilfreich
Gebundenes Buch
ein eindringliches und berührendes Familienporträt, das mich so schnell nicht los ließ
Dieses Porträt beschränkt sich allerdings nicht nur auf Flitners Kernfamilie (Mutter, Vater, Schwester).
Vielmehr weitet sie den Kreis auf beide Großelternpaare sowie die Ehe …
Mehr
ein eindringliches und berührendes Familienporträt, das mich so schnell nicht los ließ
Dieses Porträt beschränkt sich allerdings nicht nur auf Flitners Kernfamilie (Mutter, Vater, Schwester).
Vielmehr weitet sie den Kreis auf beide Großelternpaare sowie die Ehe ihrer Schwester aus.
In Rückblenden erzählt die Autorin von der gemeinsamen Kindheit und Jugend mit ihrer Schwester in einer Familie, die geprägt ist von elterlicher Egozentrik und Unzuverlässigkeit. Selten wirkt diese Familie wie ein geschützter Rückzugsraum, ein Nest.
Parallel dazu verläuft der Erzählfaden der letzten Monate vor dem Selbstmord der Schwester - was hätte ich wissen müssen? war ich ihr noch wirklich nah?
Beim Lesen liefen mir an manchen Stellen eiskalte Schauer über den Rücken - so bedrückend und erkennbar beschädigend empfand ich die familiären Strukturen und Rollen, sowohl bei den Großeltern als auch bei den Eltern selbst. Gleichzeitig findet sich bereits in der Familie mütterlicherseits die Krankheit Depression. Für diese gibt es, wie heute bekannt, eine familiäre Prädisposition. Damals hat man sie wohl als Launen und Verstimmungen eher hingenommen. Und fataler Weise lässt sich anhand der Familienschilderungen erkennen, wie sich daraus ergebende Verhaltensmuster in der nächsten Generation fortsetzen können. So unfassbar tragisch.
Weniger
Antworten 1 von 1 finden diese Rezension hilfreich
Antworten 1 von 1 finden diese Rezension hilfreich
Gebundenes Buch
MEINE SCHWESTER
Bettina Flitner
TW: Depression, Suizid
„Wir waren zu zweit durch diese Wüste gegangen, meine Schwester und ich. Zu zweit gewandert durch diese erschöpfende Weite. Zu Beginn war der Winkel zwischen unseren Wegen kaum sichtbar, kaum messbar gewesen. Aber er wurde …
Mehr
MEINE SCHWESTER
Bettina Flitner
TW: Depression, Suizid
„Wir waren zu zweit durch diese Wüste gegangen, meine Schwester und ich. Zu zweit gewandert durch diese erschöpfende Weite. Zu Beginn war der Winkel zwischen unseren Wegen kaum sichtbar, kaum messbar gewesen. Aber er wurde doch größer mit jedem Schritt. Mit jedem Schritt entfernten wir uns mehr voneinander. Meine Schwester wählte die Liebe, ich die Achtung“. (S. 176/177)
Abends um 20 Uhr kam der Anruf: Susanne, ihre große Schwester ist tot, sie hat sich im Badezimmer erhängt.
Wie kann das sein? Sie hatten sich doch damals, nach dem Freitod der Mutter geschworen, dem anderen Bescheid zu geben, sollte sich irgendwann auch mal einer von ihnen umbringen wollen.
Vielleicht hatte Susanne auch Bescheid gegeben? Tinas Telefon hatte ja zuvor geklingelt und sie hatte auch den Namen ihrer Schwester auf dem Display gesehen - nur angenommen hatte sie den Anruf nicht. Sie hatte keine Zeit für ihre Schwester - für ein Gespräch das wieder mindestens eine Stunde über ihre Ängste und Depressionen dauern würde.
Und jetzt war es zu spät.
In Rückblicken erfahren wir die Familiengeschichte der Autorin.
Lernen ihre Eltern kennen, die es mit der Aufsichtspflicht nicht immer so ganz genau nehmen und deren Affären wichtiger sind, als den Mädchen ein Abendessen zu kochen.
Treffen die Großeltern, die aus ihren zugewiesenen Rollen der 70er-Jahre nicht ausbrechen können und bei denen man sich entscheiden muss, ob man Liebe oder Achtung bekommen möchte. Doch die Mädchen halten zusammen und sind ein Team, bis sich irgendwas ändert.
Die autobiografische Geschichte von Bettina Flitner hat mich sehr berührt. Ich habe das Buch in 1½ Tagen gelesen und konnte es kaum zur Seite legen.
Wunderschöne Sätze haben mich durch diese traurige Geschichte getragen, den Vergleich mit den Raben während der Depressionsschübe der Mutter fand ich wunderschön.
Diverse Male hatte ich Flashbacks - zu schön sind diese kleinen Beschreibungen von Süßigkeiten, Zeitschriften und den typischen Lebenssituationen in den 70er-Jahren.
Fazit:
Ein faszinierendes Buch, das man gelesen haben muss. Traurig und wunderschön.
5/ 5
Weniger
Antworten 0 von 0 finden diese Rezension hilfreich
Antworten 0 von 0 finden diese Rezension hilfreich
Andere Kunden interessierten sich für