
Wolfgang und Fritz Vilmar Dümcke
Broschiertes Buch
Kolonialisierung der DDR
Kritische Analysen und Alternativen des Einigungsprozesses
Nicht lieferbar
Produktbeschreibung
- agenda Zeitlupe
- Verlag: agenda Verlag
- 3. Aufl.
- Seitenzahl: 560
- Deutsch
- Abmessung: 205mm
- Gewicht: 434g
- ISBN-13: 9783929440676
- ISBN-10: 3929440679
- Artikelnr.: 24610146
Herstellerkennzeichnung
Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
"Suizidartige Angliederung Ostdeutschlands"
Linke Kritik an der Wiedervereinigung
Wolfgang Dümcke, Fritz Vilmar (Herausgeber): Kolonialisierung der DDR. Kritische Analysen und Alternativen des Einigungsprozesses. agenda Verlag, Münster 1995. 359 Seiten, 28,- Mark.
In der Eingangshalle des Fachbereichs Politische Wissenschaft der Freien Universität Berlin weist ein selbstgestaltetes Plakat auf das Erscheinen eines wissenschaftlichen Werkes zum deutschen Vereinigungsprozeß hin. Die Herausgeber werben mit einem Sonderpreis und dem Hinweis: "Mit einer Fülle belastenden Materials wird den Verantwortlichen der fehlgesteuerten ,Vereinigung' der Prozeß gemacht. Das Urteil ist vernichtend."
Als
Linke Kritik an der Wiedervereinigung
Wolfgang Dümcke, Fritz Vilmar (Herausgeber): Kolonialisierung der DDR. Kritische Analysen und Alternativen des Einigungsprozesses. agenda Verlag, Münster 1995. 359 Seiten, 28,- Mark.
In der Eingangshalle des Fachbereichs Politische Wissenschaft der Freien Universität Berlin weist ein selbstgestaltetes Plakat auf das Erscheinen eines wissenschaftlichen Werkes zum deutschen Vereinigungsprozeß hin. Die Herausgeber werben mit einem Sonderpreis und dem Hinweis: "Mit einer Fülle belastenden Materials wird den Verantwortlichen der fehlgesteuerten ,Vereinigung' der Prozeß gemacht. Das Urteil ist vernichtend."
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Staatsanwälte und Richter in Personalunion wirken ein Hochschullehrer des genannten FU-Fachbereichs mit dem Lehrgebiet: Gewerkschaften und Parteien (Mitte-links-Spektrum), ein wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Politikwissenschaft der Humboldt-Universität sowie nicht näher vorgestellte kritische "StudentInnen". Im Band wird wenig originell eine konservative Vereinnahmung des deutschen Vereinigungsprozesses und die Kolonialisierung der Menschen durch die Inbesitznahme der öffentlichen Meinung behauptet. Dümcke und Vilmar beglücken die Leser abschließend mit einem Dialog über die "sozialistischen Errungenschaften" der DDR.
Das Fallbeil der Kritik schlägt schon im Vorwort hart und erbarmungslos zu; die deutsche Vereinigung wird als "suizidartige Angliederung des sozialen Organismus Ostdeutschlands an die alte Bundesrepublik" bezeichnet, die demokratische Erneuerung der DDR sei erstickt worden. Die konservativen Machteliten der alten BRD haben nach Meinung des Mitte-links-Experten innovative Potentiale und Strukturen der DDR-Gesellschaft einfach ignoriert beziehungsweise zerstört und die Unterwerfung Ostdeutschlands betrieben. Als besonders verwerflicher Akt des Kolonialismus wird die Diskriminierung aller DDR-Staatsbediensteten erachtet, die Streichung von Privilegien in der Altersversorgung der herrschenden Klasse wird als "tendenziell strafrechtliche Diskriminierung von Teilen der DDR-Bevölkerung" bezeichnet.
Die Ausgangslage nach 45 Jahren kommunistischer Diktatur wird von Wolfgang Dümcke skizziert, für ihn gab es in der DDR-Entwicklung immer wieder vielversprechende Reformansätze. Ausgeblendet bleiben die Gründe für den ruinösen Zustand der DDR-Wirtschaft, die soziale Nivellierung der Masse der Bevölkerung bei gleichzeitiger Privilegierung der herrschenden Klasse, die umfassenden Bemühungen zur Entindividualisierung der Bevölkerung, die Militarisierung der Gesellschaft und so weiter. Die unrühmliche Rolle der in der DDR hochgezüchteten oder verbliebenen Intelligenz bei der Errichtung und Stabilisierung der SED-Diktatur wird nicht erwähnt. Dafür konstatiert der Autor ein "Spannungsverhältnis zwischen Macht und Emanzipation", welches "produktiv in der Gesellschaft gewirkt" habe.
Bis auf wenige Ausnahmen folgen die weiteren Beiträge dem von den Herausgebern vorgezeichneten Weg: den Vereinigungsprozeß als Kolonialisierung zu entlarven. Eine Autorin konstatiert ein durch "Bananen-Geschenke" korrumpiertes DDR-Volk und fragt sich, "warum Grenzsoldaten, NVA-Mitarbeiter oder Juristen heute für etwas belangt werden, was gestern noch Recht und Gesetz war". Der Runde Tisch in der Schlußphase der DDR wird idealisiert zu einer demokratischen Alternative zum Parlamentarismus.
Fritz Vilmar bleibt es vorbehalten, eine Lanze für die PDS zu brechen. Als Beleg für andere Möglichkeiten im Vereinigungsprozeß verweist Vilmar auf einen von ihm selbst im Frühjahr 1991 erarbeiteten Beitrag für die Berliner SPD. Dieser "Aktionsplan" enthält alles, was das linke Herz begehrt: Sicherung von wettbewerbsfähigen Arbeitsplätzen, Investitionsförderprogramme, Förderung freier Genossenschaften, aktive Arbeitsmarktpolitik - und alles selbstverständlich ökologie- und sozialverträglich. Bezahlt werden sollen diese Programme durch schrittweise Halbierung der Rüstungsausgaben, Abbau sozial ungerechtfertigter Subventionen, aber auch durch eine Ergänzungsabgabe für Besserverdienende und durch erhebliche Steuererhöhungen für die gesamte Bevölkerung.
Immerhin ein Autor hält den Ausdruck "Kolonialisierung" für unglücklich gewählt, schließlich habe die einheimische Bevölkerung den Vereinigungsprozeß in dieser Form gewünscht. Sein Beitrag über westdeutsche Medienpolitik in Ostdeutschland indes unterschätzt das Beharrungsvermögen und die Aktivität des Personenkreises, die in der DDR Agitation und Propaganda betrieben. Gleiches gilt für den ansonsten informativen Beitrag über die ostdeutsche Zeitungslandschaft nach der Vereinigung; die Veränderung der Besitzverhältnisse allein führt aufgrund der Kontinuität der Mitarbeiter keineswegs zu einem umfassenden politischen Richtungswechsel. Wer ostdeutsche Zeitungen in die Hand nimmt, hat jedenfalls nicht den Eindruck, das Regierungsbulletin der Kolonialherren zu lesen.
Nach der überaus anstrengenden Lektüre fragt sich auch der nicht geneigte Leser: Warum betreiben die konservativen Machteliten der alten Bundesrepublik diese teuerste Kolonialisierung der Weltgeschichte? Aber auch hier weiß der für Parteien des Mitte-links-Spektrums zuständige Politikprofessor Bescheid: "Die konservativen Machteliten haben diese Ansätze bei ihrer fast handstreichartigen Vereinnahmung der DDR liquidiert, aus Angst, bestimmte gemeinschaftsorientierte, solidarische, genossenschaftliche Ideen und Strukturen könnten von den aktiven demokratischen Initiativen beim Vereinigungsprozeß als erhaltenswert reklamiert werden, gerade wenn diese Konzepte befreit worden wären von ihren totalitär-bürokratischen Pervertierungen."
Aus wissenschaftlicher Sicht trägt das Buch insgesamt kaum etwas zur Diskussion um den Vereinigungsprozeß bei. Weder Vorgeschichte - die Zerstörung Ostdeutschlands ohne Krieg durch die SED - noch ökonomische und soziale Folgen der eigenen Vorschläge werden bedacht. Wer von einer Kolonialisierung der DDR durch die Bundesrepublik spricht, sollte sich vergegenwärtigen, daß die DDR derzeit vor allem einen Prozeß der Entkolonialisierung durchmacht: vom sowjetischen System.
Wie die historische Erfahrung zeigt, verlaufen Entkolonialisierungsprozesse sehr widersprüchlich. Die von den ehemaligen Kolonialregimen hinterlassenen sozialen und zivilisatorischen Strukturen lösen sich nur unter Schmerzen und in einem längeren Zeitraum auf. Und nicht selten schaffen es die Begünstigten von einst, im neuen System wieder privilegierte Positionen einzunehmen. Die Ausgangsbedingungen für viele alte SED- und MfS-Kader sind unterhalb der obersten Ebene jedenfalls nicht schlecht; schließlich haben gerade sie sich bestens und umfassend vorbereitet. KLAUS SCHROEDER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Das Fallbeil der Kritik schlägt schon im Vorwort hart und erbarmungslos zu; die deutsche Vereinigung wird als "suizidartige Angliederung des sozialen Organismus Ostdeutschlands an die alte Bundesrepublik" bezeichnet, die demokratische Erneuerung der DDR sei erstickt worden. Die konservativen Machteliten der alten BRD haben nach Meinung des Mitte-links-Experten innovative Potentiale und Strukturen der DDR-Gesellschaft einfach ignoriert beziehungsweise zerstört und die Unterwerfung Ostdeutschlands betrieben. Als besonders verwerflicher Akt des Kolonialismus wird die Diskriminierung aller DDR-Staatsbediensteten erachtet, die Streichung von Privilegien in der Altersversorgung der herrschenden Klasse wird als "tendenziell strafrechtliche Diskriminierung von Teilen der DDR-Bevölkerung" bezeichnet.
Die Ausgangslage nach 45 Jahren kommunistischer Diktatur wird von Wolfgang Dümcke skizziert, für ihn gab es in der DDR-Entwicklung immer wieder vielversprechende Reformansätze. Ausgeblendet bleiben die Gründe für den ruinösen Zustand der DDR-Wirtschaft, die soziale Nivellierung der Masse der Bevölkerung bei gleichzeitiger Privilegierung der herrschenden Klasse, die umfassenden Bemühungen zur Entindividualisierung der Bevölkerung, die Militarisierung der Gesellschaft und so weiter. Die unrühmliche Rolle der in der DDR hochgezüchteten oder verbliebenen Intelligenz bei der Errichtung und Stabilisierung der SED-Diktatur wird nicht erwähnt. Dafür konstatiert der Autor ein "Spannungsverhältnis zwischen Macht und Emanzipation", welches "produktiv in der Gesellschaft gewirkt" habe.
Bis auf wenige Ausnahmen folgen die weiteren Beiträge dem von den Herausgebern vorgezeichneten Weg: den Vereinigungsprozeß als Kolonialisierung zu entlarven. Eine Autorin konstatiert ein durch "Bananen-Geschenke" korrumpiertes DDR-Volk und fragt sich, "warum Grenzsoldaten, NVA-Mitarbeiter oder Juristen heute für etwas belangt werden, was gestern noch Recht und Gesetz war". Der Runde Tisch in der Schlußphase der DDR wird idealisiert zu einer demokratischen Alternative zum Parlamentarismus.
Fritz Vilmar bleibt es vorbehalten, eine Lanze für die PDS zu brechen. Als Beleg für andere Möglichkeiten im Vereinigungsprozeß verweist Vilmar auf einen von ihm selbst im Frühjahr 1991 erarbeiteten Beitrag für die Berliner SPD. Dieser "Aktionsplan" enthält alles, was das linke Herz begehrt: Sicherung von wettbewerbsfähigen Arbeitsplätzen, Investitionsförderprogramme, Förderung freier Genossenschaften, aktive Arbeitsmarktpolitik - und alles selbstverständlich ökologie- und sozialverträglich. Bezahlt werden sollen diese Programme durch schrittweise Halbierung der Rüstungsausgaben, Abbau sozial ungerechtfertigter Subventionen, aber auch durch eine Ergänzungsabgabe für Besserverdienende und durch erhebliche Steuererhöhungen für die gesamte Bevölkerung.
Immerhin ein Autor hält den Ausdruck "Kolonialisierung" für unglücklich gewählt, schließlich habe die einheimische Bevölkerung den Vereinigungsprozeß in dieser Form gewünscht. Sein Beitrag über westdeutsche Medienpolitik in Ostdeutschland indes unterschätzt das Beharrungsvermögen und die Aktivität des Personenkreises, die in der DDR Agitation und Propaganda betrieben. Gleiches gilt für den ansonsten informativen Beitrag über die ostdeutsche Zeitungslandschaft nach der Vereinigung; die Veränderung der Besitzverhältnisse allein führt aufgrund der Kontinuität der Mitarbeiter keineswegs zu einem umfassenden politischen Richtungswechsel. Wer ostdeutsche Zeitungen in die Hand nimmt, hat jedenfalls nicht den Eindruck, das Regierungsbulletin der Kolonialherren zu lesen.
Nach der überaus anstrengenden Lektüre fragt sich auch der nicht geneigte Leser: Warum betreiben die konservativen Machteliten der alten Bundesrepublik diese teuerste Kolonialisierung der Weltgeschichte? Aber auch hier weiß der für Parteien des Mitte-links-Spektrums zuständige Politikprofessor Bescheid: "Die konservativen Machteliten haben diese Ansätze bei ihrer fast handstreichartigen Vereinnahmung der DDR liquidiert, aus Angst, bestimmte gemeinschaftsorientierte, solidarische, genossenschaftliche Ideen und Strukturen könnten von den aktiven demokratischen Initiativen beim Vereinigungsprozeß als erhaltenswert reklamiert werden, gerade wenn diese Konzepte befreit worden wären von ihren totalitär-bürokratischen Pervertierungen."
Aus wissenschaftlicher Sicht trägt das Buch insgesamt kaum etwas zur Diskussion um den Vereinigungsprozeß bei. Weder Vorgeschichte - die Zerstörung Ostdeutschlands ohne Krieg durch die SED - noch ökonomische und soziale Folgen der eigenen Vorschläge werden bedacht. Wer von einer Kolonialisierung der DDR durch die Bundesrepublik spricht, sollte sich vergegenwärtigen, daß die DDR derzeit vor allem einen Prozeß der Entkolonialisierung durchmacht: vom sowjetischen System.
Wie die historische Erfahrung zeigt, verlaufen Entkolonialisierungsprozesse sehr widersprüchlich. Die von den ehemaligen Kolonialregimen hinterlassenen sozialen und zivilisatorischen Strukturen lösen sich nur unter Schmerzen und in einem längeren Zeitraum auf. Und nicht selten schaffen es die Begünstigten von einst, im neuen System wieder privilegierte Positionen einzunehmen. Die Ausgangsbedingungen für viele alte SED- und MfS-Kader sind unterhalb der obersten Ebene jedenfalls nicht schlecht; schließlich haben gerade sie sich bestens und umfassend vorbereitet. KLAUS SCHROEDER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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