Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.04.2011Karl Valentin: Zwei neue Bücher über den Komiker
Zeitlebens ein Eigenbrötler
Josef Memminger liefert einen kompakten Überblick über das Leben des Münchner Künstlers
Von Sabine Reithmaier
München – „Ich weiß nicht mehr, war das gestern oder war’s im vierten Stock oben . . .“ – mit dem sehr bekannten Zitat beginnt Josef Memmingers neue Karl-Valentin-Biografie. Auch im weiteren Buch ist nichts wirklich Neues über den Komiker zu erfahren. Doch wer sich schnell und unterhaltsam über den Filmpionier, Objektkünstler und Dramatiker informieren möchte, weil er bislang von ihm noch wenig wusste, greift gern zu dem kleinen, kompakten und leicht zu lesenden Band.
Auf gut 160 Seiten stellt der Regensburger Germanist und Historiker das Leben des „grantigen Clowns“ vor und begibt sich auf die Spuren Valentins. Das ist ganz wörtlich zu nehmen, denn das Buch beginnt mit einem Spaziergang. Zum einen um zu erkunden, wo der Vorzeige-Münchner in der Stadt noch anzutreffen ist, zum anderen um den Wegen nachzuspüren, die Valentin selbst oft gegangen sein muss. Memminger nähert sich der historischen Person nüchtern-sachlich, weist auch immer wieder auf die grundlegenden Arbeiten der Valentin-Forscher Michael Schulte, Alfons Schweiggert, Monika Dimpfl oder Klaus Gronenborn hin. Klug verzichtet er auf die Anekdoten, die in anderen Valentin-Büchern oft im Übermaß vorhanden sind. Er berichtet von der Jugend in der Au, der schrecklichen Schulzeit, skizziert die ersten mühsamen Jahren als Musik-Clown und Volkssänger, erläutert aber auch Valentins grandiose und bis heute oft unterschätzte Leistung in der Filmarbeit.
Er spart auch die Haltung des Komikers während der nationalsozialistischen Zeit nicht aus und zitiert aus einem der zahllosen Beschwerdebriefe, die Valentin an offizielle Stellen sandte. Meminger möchte damit belegen, dass der Komiker vor Denunziationen von Kollegen gelegentlich nicht zurückschreckte. Aber da er sich mit den hintergründigen, oft doppeldeutigen Texten Valentins, die in diesen Jahren entstehen, kaum auseinandersetzt, gerät ihm die Darstellung der komplizierten, subversiv-hintergründigen Persönlichkeit zu negativ, zu einseitig in Richtung Mitläufer, auch wenn er den Abscheu, den Valentin den Nazis gegenüber empfand, durchaus erwähnt.
Aufgelockert werden die Kapitel durch alte Fotos und Info-Kästen, die, was Zeitgeschichte und Zeitgenossen betrifft, informativ sind, teils aber auch etwas gezwungen wirken. So gerät die Aufzählung aller künstlerischen Formen, die Valentin nutzt, allzu banal. Eine Szene ist demnach ein einfacher, linearer Handlungsablauf mit nur wenig Regieanweisungen, während unter dem Stichwort „Artikel“ erklärt wird, dass Valentin auch kurze Texte in Zeitungen und Zeitschriften veröffentlichte. Amüsanter zu lesen ist die Liste mit den Ängsten, Komplexen und Ticks des Komikers, der sich zeitlebens mit Taxi-Chauffeuren stritt, die dem ängstlichen Sonderling immer viel zu schnell fuhren.
Josef Memminger, Karl Valentin. Der grantige Clown, Pustet-Verlag, 160 Seiten, 12,90 Euro
Klug verzichtet der Autor
auf allzu viele
Anekdoten.
Karl Valentin am Schminktisch in einer undatierten Aufnahme: Die Neuerscheinungen beleuchten die vielfältigen Fähigkeiten und die unterschiedlichen Rollen des Münchner Humoristen, Dramatikers und Filmemachers. Foto: dpa
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Zeitlebens ein Eigenbrötler
Josef Memminger liefert einen kompakten Überblick über das Leben des Münchner Künstlers
Von Sabine Reithmaier
München – „Ich weiß nicht mehr, war das gestern oder war’s im vierten Stock oben . . .“ – mit dem sehr bekannten Zitat beginnt Josef Memmingers neue Karl-Valentin-Biografie. Auch im weiteren Buch ist nichts wirklich Neues über den Komiker zu erfahren. Doch wer sich schnell und unterhaltsam über den Filmpionier, Objektkünstler und Dramatiker informieren möchte, weil er bislang von ihm noch wenig wusste, greift gern zu dem kleinen, kompakten und leicht zu lesenden Band.
Auf gut 160 Seiten stellt der Regensburger Germanist und Historiker das Leben des „grantigen Clowns“ vor und begibt sich auf die Spuren Valentins. Das ist ganz wörtlich zu nehmen, denn das Buch beginnt mit einem Spaziergang. Zum einen um zu erkunden, wo der Vorzeige-Münchner in der Stadt noch anzutreffen ist, zum anderen um den Wegen nachzuspüren, die Valentin selbst oft gegangen sein muss. Memminger nähert sich der historischen Person nüchtern-sachlich, weist auch immer wieder auf die grundlegenden Arbeiten der Valentin-Forscher Michael Schulte, Alfons Schweiggert, Monika Dimpfl oder Klaus Gronenborn hin. Klug verzichtet er auf die Anekdoten, die in anderen Valentin-Büchern oft im Übermaß vorhanden sind. Er berichtet von der Jugend in der Au, der schrecklichen Schulzeit, skizziert die ersten mühsamen Jahren als Musik-Clown und Volkssänger, erläutert aber auch Valentins grandiose und bis heute oft unterschätzte Leistung in der Filmarbeit.
Er spart auch die Haltung des Komikers während der nationalsozialistischen Zeit nicht aus und zitiert aus einem der zahllosen Beschwerdebriefe, die Valentin an offizielle Stellen sandte. Meminger möchte damit belegen, dass der Komiker vor Denunziationen von Kollegen gelegentlich nicht zurückschreckte. Aber da er sich mit den hintergründigen, oft doppeldeutigen Texten Valentins, die in diesen Jahren entstehen, kaum auseinandersetzt, gerät ihm die Darstellung der komplizierten, subversiv-hintergründigen Persönlichkeit zu negativ, zu einseitig in Richtung Mitläufer, auch wenn er den Abscheu, den Valentin den Nazis gegenüber empfand, durchaus erwähnt.
Aufgelockert werden die Kapitel durch alte Fotos und Info-Kästen, die, was Zeitgeschichte und Zeitgenossen betrifft, informativ sind, teils aber auch etwas gezwungen wirken. So gerät die Aufzählung aller künstlerischen Formen, die Valentin nutzt, allzu banal. Eine Szene ist demnach ein einfacher, linearer Handlungsablauf mit nur wenig Regieanweisungen, während unter dem Stichwort „Artikel“ erklärt wird, dass Valentin auch kurze Texte in Zeitungen und Zeitschriften veröffentlichte. Amüsanter zu lesen ist die Liste mit den Ängsten, Komplexen und Ticks des Komikers, der sich zeitlebens mit Taxi-Chauffeuren stritt, die dem ängstlichen Sonderling immer viel zu schnell fuhren.
Josef Memminger, Karl Valentin. Der grantige Clown, Pustet-Verlag, 160 Seiten, 12,90 Euro
Klug verzichtet der Autor
auf allzu viele
Anekdoten.
Karl Valentin am Schminktisch in einer undatierten Aufnahme: Die Neuerscheinungen beleuchten die vielfältigen Fähigkeiten und die unterschiedlichen Rollen des Münchner Humoristen, Dramatikers und Filmemachers. Foto: dpa
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.02.2012Hirn kann nur verlieren, wer eins hat
Grantig war er, aber ein Clown war er nicht: Zwei Bücher über Karl Valentins politisches Schicksal zwischen anarchischem Humor und Flüsterwitz.
Der Komiker Karl Valentin teilte mit Adolf Hitler nicht nur die Liebe zu München; der Diktator war 1937 sogar bereit, Valentin für dessen Sammlung von Fotografien und Ansichtskarten dieser Stadt eine lebenslange Leibrente von monatlich tausend Mark auszusetzen, weil er - zu Recht - befürchten musste, der Komiker würde den geforderten und auf einmal ausbezahlten Gesamtbetrag von 100 000 Mark für einen neuen Film aufwenden. Gleichzeitig sah sich Valentin durch eine Reihe von "Flüsterwitzen" über Hitler, die unter seinem Namen kursierten - "Der Hitler hat Glück ghabt, dass er nicht Adolf Kräuter ghoaßn hat, sonst hätt ma immer ,Heil Kräuter' schrein müassn" -, der Gefahr nationalsozialistischer Verfolgung ausgesetzt und ließ seine Beteiligung öffentlich mehrfach dementieren, wiewohl sein entschiedener Einspruch gegen das Regime zwischen den Zeilen seiner Bühnenauftritte ebenso oft bezeugt ist und von Hitler besuchte Vorstellungen seines zeitweiligen Lieblingskomikers in vorauseilendem Gehorsam zensuriert wurden.
Wie ist dies zu erklären? Zwei Neuerscheinungen widmen sich dem Leben von Karl Valentin in politisch bewegten Zeiten im Allgemeinen, seinem Verhältnis zur Politik im Besonderen. Der Regensburger Historiker Josef Memminger erfüllt die durch die Valentin-Biographien von Monika Dimpfl und Michael Schulte mittlerweile gut befestigten Gemeinplätze der Valentin-Biographik stilistisch durchaus ansprechend mit Leben. Die für die Reihe "kleine bayerische biografien" charakteristischen Info-Kästchen führen unter dem Titel "München im Wandel" eindringlich die geschichtlichen Hintergründe vor Augen.
Über den Titel, "Der grantige Clown", braucht man allerdings nicht zu streiten: Karl Valentin war so wenig ein "Clown" wie Groucho Marx (während Harpo sehr wohl ein Clown war), denn Clowns sind, bis auf Gefühlsäußerungen und Affektentladungen wie Seufzen, Kichern oder Weinen, stumm. Valentin ist in seiner Verzweiflung an den Tücken der Alltagssprache aber beredt und geschickter, als es der akrobatisch virtuoseste "Clown" in seinen Auseinandersetzungen mit den Tücken von Alltagsobjekten sein könnte.
Diese sprachliche Heimtücke brachte Valentin schon im Ersten Weltkrieg ein sechswöchiges Auftrittsverbot wegen der Majestätsbeleidigung von König Ludwig III. von Bayern ein, als er 1917 auf der Bühne berichtete, wie am Hauptbahnhof die Gehirnverletzten von der Front in Krankenwagen verladen und ins Spital gefahren wurden: "Die Rotkreuzautos haben gar keine Gummiradel mehr gehabt wegen der Rationierung. Grad g'scheppert und g'wackelt haben sie, diese Krankenautos - aber, es war das reinste Wunder, die Verletzten habens Hirn nicht verloren dabei. Ankommen sind's damit! Und gestern hat der König sie besucht. Mit seinem Auto. Das hat natürlich schöne Gummiradel g'habt. Der hätt aber keine Gummiradel braucht, denn der hätt ja sowieso kein Hirn verloren."
Einen vergleichbar anarchischen Humor hat in seinem Witz, die Sprache gegen sich selbst ins Feld zu führen, um die verhängnisvollen, den klaren Verstand vernebelnden Phrasen der Politik zu entlarven, nur der Valentin-Bewunderer Karl Kraus in seinem Drama "Die letzten Tage der Menschheit" gepflegt. Dieser sprachlichen Heimtücke entspringt auch das ebenso skeptische Verhältnis von Valentin zur Politik, wie der Münchner Schriftsteller Alfons Schweiggert, der schon mit verschiedenen Monographien zu Valentin hervorgetreten ist, in seinem Buch über die "Einmischung in die Nichteinmischung" dokumentiert. Erhellend ist dabei, dass Schweiggert auch Parallelschicksale von anderen Komikern im Dritten Reich wie Werner Finck (mit Berufsverbot belegt), Kurt Gerron und Fritz Grünbaum (die beide im Konzentrationslager ums Leben gekommen sind) beizieht. Valentin hat nach dem Krieg bekannt, dass er aus Angst durchaus in die NSDAP eingetreten wäre, wenn man ihn nur dazu genötigt hätte.
Sowohl Memminger als auch Schweiggert haben bei ihrer sorgfältig abwägenden Bestimmung von Valentins ambivalentem Verhältnis zur nationalsozialistischen Bewegung nicht die verbesserte Transkription in der zweiten, überarbeiteten Auflage von Klaus Gronenborns schönem Ausstellungskatalog über "Karl Valentin - Filmpionier und Medienhandwerker" (Deutsches Filminstitut, Frankfurt am Main 2009) berücksichtigt. Als Valentin am 9. April 1942 von der Filmprüfstelle in Berlin die Entscheidungsgründe für das Verbot der Vorführung seines Films "Der Sonderling" mitgeteilt wurden - "Der Film ist vor etwa 15 Jahren hergestellt worden. Der Inhalt ist ein solcher Unsinn, dass von einer Handlung überhaupt nicht mehr gesprochen werden kann und ist dem Zuschauer nicht mehr zuzumuten" -, notierte er sich zum Namen des Vorsitzenden von Allvörden nicht "Nazi Sauhund", sondern "Nazi Zensur".
Valentins ebenso nüchterner wie skeptischer Blick auf die politischen Institutionen des Dritten Reiches war abgeklärter, als es dieser einem Transkriptionsfehler entsprungene Mythos vom privaten Aufbrausen des heimwehkranken Münchners in der inneren Emigration suggeriert. Valentins Filmkarriere im Dritten Reich aber war damit endgültig zu Ende, ehe sie begonnen hatte, nachdem schon 1936 sein Film "Die Erbschaft" über einen arbeitslosen Lumpensammler wegen "Elendstendenz" verboten worden war.
Was folgte, waren schwer einzuordnende, meist wiederaufgelegte Beiträge aus der Vorkriegszeit in nationalsozialistischen Blättern wie dem Satiremagazin "Die Brennessel", dem "Völkischen Beobachter" und den "Münchner Neuesten Nachrichten", die Karl Valentin, weitgehend abgeschnitten von Auftrittsmöglichkeiten, in Druck gab, um zu überleben. Einerseits ließ er einen Aufruf zum diktatorischen Theaterzwang, andrerseits den Vorschlag, Kriege durch ein Seilziehen zu ersetzen, wiederveröffentlichen. Zweischneidig auch der Umstand, dass Valentin in seinem Gruselkabinett "Panoptikum", das zwei Jahre nach Hitlers Machtergreifung eröffnet wurde, neben verschiedenen Folterinstrumenten nicht nur eine detailgetreue Nachbildung der im Gefängnis Stadelheim zur Hinrichtung verwendeten Fallschwertmaschine aufstellen, sondern deren Funktionsweise dem Publikum auch vom aktiven Scharfrichtergehilfen Donderer erläutern ließ.
Die Polizeidirektion München konnte darin am 16. Februar 1935 in einer realsatirisch anmutenden Stellungnahme keinen Grund zur Beanstandung sehen: "Der unbefangene Besucher kommt bei der Besichtigung dieser Hinrichtungsszene wohl nicht auf den Gedanken, daß die Darstellung genau der Wirklichkeit entspricht, vielmehr hält er sie, wie auch die sonstigen Gegenstände des Juxmuseums für ein Erzeugnis der verschrobenen Fantasie des Ausstellers Valentin."
Der Schriftsteller Eugen Roth zeigte für diesen Galgenhumor kein Verständnis, als er Valentin fragte, "ob er denn von den Untaten in Dachau und in den Schinderstätten noch nichts gehört hätte. Valentin machte nach Roths Erinnerungen "ein dummlistiges Gesicht, pfiff ein kurzes ,So!' durch die Zähne und entließ mich, enttäuscht, dass ich an seinen tolldreisten Einfällen kein Vergnügen hatte." Doch wollte Karl Valentin sich in seinem mehrfach bezeugten Sadismus tatsächlich nur am Erschrecken des Publikums berauschen oder dieses nicht doch durch das Vorführen der Guillotine gerade auf die von Roth beklagten Umstände aufmerksam machen?
Nach dem Zweiten Weltkrieg vergessen und verarmt, bestreitet der gelernte Schreinergehilfe seinen kärglichen Lebensunterhalt mit Drechslerarbeiten in seiner Heimwerkstatt in Planegg. An die erste Deutsche Ministerpräsidentenkonferenz, die vom 4. bis 8. Juni 1947 in München stattfand, erinnerte sich später Philipp Freiherr von Brand zu Neidstein, der für den Ablauf dieses Ereignisses verantwortlich war: "Endlich fehlte nur mehr die Glocke für den Vorsitzenden, die aufzutreiben sich trotz allen Suchens aber als unmöglich erwies. Als die Not am höchsten war, wies mich meine Schwester darauf hin, daß ein Nachbar in Planegg Drechsler sei und als Ersatz für die fehlende Glocke vielleicht einen Holzhammer fertigen würde; das tat dieser Nachbar dann auch bereitwilligst und dieser Nachbar war niemand anderer als der unvergessliche Karl Valentin. Mit seinem Holzhammer ist dann die erste deutsche Ministerpräsidentenkonferenz geleitet worden!"
MARTIN STINGELIN
Alfons Schweiggert: "Karl Valentin und die Politik".
Mit einem Vorwort von Gerhard Polt. Verlag Sankt Michaelsbund, München 2011. 192 S., br., 14,90 [Euro].
Josef Memminger: "Karl Valentin". Der grantige Clown.
Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 2011. 160 S., Abb., br., 12,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Grantig war er, aber ein Clown war er nicht: Zwei Bücher über Karl Valentins politisches Schicksal zwischen anarchischem Humor und Flüsterwitz.
Der Komiker Karl Valentin teilte mit Adolf Hitler nicht nur die Liebe zu München; der Diktator war 1937 sogar bereit, Valentin für dessen Sammlung von Fotografien und Ansichtskarten dieser Stadt eine lebenslange Leibrente von monatlich tausend Mark auszusetzen, weil er - zu Recht - befürchten musste, der Komiker würde den geforderten und auf einmal ausbezahlten Gesamtbetrag von 100 000 Mark für einen neuen Film aufwenden. Gleichzeitig sah sich Valentin durch eine Reihe von "Flüsterwitzen" über Hitler, die unter seinem Namen kursierten - "Der Hitler hat Glück ghabt, dass er nicht Adolf Kräuter ghoaßn hat, sonst hätt ma immer ,Heil Kräuter' schrein müassn" -, der Gefahr nationalsozialistischer Verfolgung ausgesetzt und ließ seine Beteiligung öffentlich mehrfach dementieren, wiewohl sein entschiedener Einspruch gegen das Regime zwischen den Zeilen seiner Bühnenauftritte ebenso oft bezeugt ist und von Hitler besuchte Vorstellungen seines zeitweiligen Lieblingskomikers in vorauseilendem Gehorsam zensuriert wurden.
Wie ist dies zu erklären? Zwei Neuerscheinungen widmen sich dem Leben von Karl Valentin in politisch bewegten Zeiten im Allgemeinen, seinem Verhältnis zur Politik im Besonderen. Der Regensburger Historiker Josef Memminger erfüllt die durch die Valentin-Biographien von Monika Dimpfl und Michael Schulte mittlerweile gut befestigten Gemeinplätze der Valentin-Biographik stilistisch durchaus ansprechend mit Leben. Die für die Reihe "kleine bayerische biografien" charakteristischen Info-Kästchen führen unter dem Titel "München im Wandel" eindringlich die geschichtlichen Hintergründe vor Augen.
Über den Titel, "Der grantige Clown", braucht man allerdings nicht zu streiten: Karl Valentin war so wenig ein "Clown" wie Groucho Marx (während Harpo sehr wohl ein Clown war), denn Clowns sind, bis auf Gefühlsäußerungen und Affektentladungen wie Seufzen, Kichern oder Weinen, stumm. Valentin ist in seiner Verzweiflung an den Tücken der Alltagssprache aber beredt und geschickter, als es der akrobatisch virtuoseste "Clown" in seinen Auseinandersetzungen mit den Tücken von Alltagsobjekten sein könnte.
Diese sprachliche Heimtücke brachte Valentin schon im Ersten Weltkrieg ein sechswöchiges Auftrittsverbot wegen der Majestätsbeleidigung von König Ludwig III. von Bayern ein, als er 1917 auf der Bühne berichtete, wie am Hauptbahnhof die Gehirnverletzten von der Front in Krankenwagen verladen und ins Spital gefahren wurden: "Die Rotkreuzautos haben gar keine Gummiradel mehr gehabt wegen der Rationierung. Grad g'scheppert und g'wackelt haben sie, diese Krankenautos - aber, es war das reinste Wunder, die Verletzten habens Hirn nicht verloren dabei. Ankommen sind's damit! Und gestern hat der König sie besucht. Mit seinem Auto. Das hat natürlich schöne Gummiradel g'habt. Der hätt aber keine Gummiradel braucht, denn der hätt ja sowieso kein Hirn verloren."
Einen vergleichbar anarchischen Humor hat in seinem Witz, die Sprache gegen sich selbst ins Feld zu führen, um die verhängnisvollen, den klaren Verstand vernebelnden Phrasen der Politik zu entlarven, nur der Valentin-Bewunderer Karl Kraus in seinem Drama "Die letzten Tage der Menschheit" gepflegt. Dieser sprachlichen Heimtücke entspringt auch das ebenso skeptische Verhältnis von Valentin zur Politik, wie der Münchner Schriftsteller Alfons Schweiggert, der schon mit verschiedenen Monographien zu Valentin hervorgetreten ist, in seinem Buch über die "Einmischung in die Nichteinmischung" dokumentiert. Erhellend ist dabei, dass Schweiggert auch Parallelschicksale von anderen Komikern im Dritten Reich wie Werner Finck (mit Berufsverbot belegt), Kurt Gerron und Fritz Grünbaum (die beide im Konzentrationslager ums Leben gekommen sind) beizieht. Valentin hat nach dem Krieg bekannt, dass er aus Angst durchaus in die NSDAP eingetreten wäre, wenn man ihn nur dazu genötigt hätte.
Sowohl Memminger als auch Schweiggert haben bei ihrer sorgfältig abwägenden Bestimmung von Valentins ambivalentem Verhältnis zur nationalsozialistischen Bewegung nicht die verbesserte Transkription in der zweiten, überarbeiteten Auflage von Klaus Gronenborns schönem Ausstellungskatalog über "Karl Valentin - Filmpionier und Medienhandwerker" (Deutsches Filminstitut, Frankfurt am Main 2009) berücksichtigt. Als Valentin am 9. April 1942 von der Filmprüfstelle in Berlin die Entscheidungsgründe für das Verbot der Vorführung seines Films "Der Sonderling" mitgeteilt wurden - "Der Film ist vor etwa 15 Jahren hergestellt worden. Der Inhalt ist ein solcher Unsinn, dass von einer Handlung überhaupt nicht mehr gesprochen werden kann und ist dem Zuschauer nicht mehr zuzumuten" -, notierte er sich zum Namen des Vorsitzenden von Allvörden nicht "Nazi Sauhund", sondern "Nazi Zensur".
Valentins ebenso nüchterner wie skeptischer Blick auf die politischen Institutionen des Dritten Reiches war abgeklärter, als es dieser einem Transkriptionsfehler entsprungene Mythos vom privaten Aufbrausen des heimwehkranken Münchners in der inneren Emigration suggeriert. Valentins Filmkarriere im Dritten Reich aber war damit endgültig zu Ende, ehe sie begonnen hatte, nachdem schon 1936 sein Film "Die Erbschaft" über einen arbeitslosen Lumpensammler wegen "Elendstendenz" verboten worden war.
Was folgte, waren schwer einzuordnende, meist wiederaufgelegte Beiträge aus der Vorkriegszeit in nationalsozialistischen Blättern wie dem Satiremagazin "Die Brennessel", dem "Völkischen Beobachter" und den "Münchner Neuesten Nachrichten", die Karl Valentin, weitgehend abgeschnitten von Auftrittsmöglichkeiten, in Druck gab, um zu überleben. Einerseits ließ er einen Aufruf zum diktatorischen Theaterzwang, andrerseits den Vorschlag, Kriege durch ein Seilziehen zu ersetzen, wiederveröffentlichen. Zweischneidig auch der Umstand, dass Valentin in seinem Gruselkabinett "Panoptikum", das zwei Jahre nach Hitlers Machtergreifung eröffnet wurde, neben verschiedenen Folterinstrumenten nicht nur eine detailgetreue Nachbildung der im Gefängnis Stadelheim zur Hinrichtung verwendeten Fallschwertmaschine aufstellen, sondern deren Funktionsweise dem Publikum auch vom aktiven Scharfrichtergehilfen Donderer erläutern ließ.
Die Polizeidirektion München konnte darin am 16. Februar 1935 in einer realsatirisch anmutenden Stellungnahme keinen Grund zur Beanstandung sehen: "Der unbefangene Besucher kommt bei der Besichtigung dieser Hinrichtungsszene wohl nicht auf den Gedanken, daß die Darstellung genau der Wirklichkeit entspricht, vielmehr hält er sie, wie auch die sonstigen Gegenstände des Juxmuseums für ein Erzeugnis der verschrobenen Fantasie des Ausstellers Valentin."
Der Schriftsteller Eugen Roth zeigte für diesen Galgenhumor kein Verständnis, als er Valentin fragte, "ob er denn von den Untaten in Dachau und in den Schinderstätten noch nichts gehört hätte. Valentin machte nach Roths Erinnerungen "ein dummlistiges Gesicht, pfiff ein kurzes ,So!' durch die Zähne und entließ mich, enttäuscht, dass ich an seinen tolldreisten Einfällen kein Vergnügen hatte." Doch wollte Karl Valentin sich in seinem mehrfach bezeugten Sadismus tatsächlich nur am Erschrecken des Publikums berauschen oder dieses nicht doch durch das Vorführen der Guillotine gerade auf die von Roth beklagten Umstände aufmerksam machen?
Nach dem Zweiten Weltkrieg vergessen und verarmt, bestreitet der gelernte Schreinergehilfe seinen kärglichen Lebensunterhalt mit Drechslerarbeiten in seiner Heimwerkstatt in Planegg. An die erste Deutsche Ministerpräsidentenkonferenz, die vom 4. bis 8. Juni 1947 in München stattfand, erinnerte sich später Philipp Freiherr von Brand zu Neidstein, der für den Ablauf dieses Ereignisses verantwortlich war: "Endlich fehlte nur mehr die Glocke für den Vorsitzenden, die aufzutreiben sich trotz allen Suchens aber als unmöglich erwies. Als die Not am höchsten war, wies mich meine Schwester darauf hin, daß ein Nachbar in Planegg Drechsler sei und als Ersatz für die fehlende Glocke vielleicht einen Holzhammer fertigen würde; das tat dieser Nachbar dann auch bereitwilligst und dieser Nachbar war niemand anderer als der unvergessliche Karl Valentin. Mit seinem Holzhammer ist dann die erste deutsche Ministerpräsidentenkonferenz geleitet worden!"
MARTIN STINGELIN
Alfons Schweiggert: "Karl Valentin und die Politik".
Mit einem Vorwort von Gerhard Polt. Verlag Sankt Michaelsbund, München 2011. 192 S., br., 14,90 [Euro].
Josef Memminger: "Karl Valentin". Der grantige Clown.
Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 2011. 160 S., Abb., br., 12,90 [Euro].
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