hierzulande dessen literarische Verarbeitung durch jüdische Autoren bekannt. Dazu gehört Simon Dubnows Erzählung "Geschichte eines jüdischen Soldaten", die jetzt erfreulicherweise in deutscher und wissenschaftlich hervorragend edierter Übersetzung vorliegt.
Der russisch-jüdische Historiker Simon Dubnow (1860 bis 1941), einer der Begründer der modernen jüdischen Geschichtsschreibung, hatte sich schon lange vor dem Schicksalsjahr 1914 mit der Verfolgungsgeschichte der Juden in Russland und Polen befasst. Für ihn war der Erste Weltkrieg eine Fortsetzung des "dreißigjährigen Krieges", den das Zarenregime bis dahin gegen die Juden führte. Bis Anfang 1916 - Dubnow lebte damals in Sankt Petersburg - hatte der Historiker so viele Berichte über die schlimmen Kriegserlebnisse russisch-jüdischer Zivilisten und Militärangehöriger gesichtet, dass er sich entschloss, diese in Erzählform aus der Perspektive eines jüdischen Soldaten niederzulegen. Nur sechs Wochen später erschien der Text, in stark zensierter Fassung, in der russisch-jüdischen Zeitschrift "Evrejskaja Nedelja". Die vollständige Version durfte erst im Frühsommer 1917 gedruckt werden. Da war die Zarenherrschaft schon seit der Februarrevolution zu Ende.
Dubnow stützte sich bei der Gestaltung seines Protagonisten auf die Biographien jüdischer Kriegsteilnehmer und auf eigene Erfahrungen. Sein Held A. N. Goldenstejn, Jahrgang 1881, wächst in einem aufgeklärten jüdischen Umfeld unweit von Kiew auf. Schon als Säugling muss er während eines Pogroms versteckt werden. Als Kind kommt er in Kiew in Haft, weil die Goldenstejns den für Juden erlaubten Ansiedlungsrayon unerlaubt verlassen haben. Ein späterer Versuch, sich in Moskau niederzulassen, scheitert 1891 wegen einer Massenvertreibung der Juden aus der Stadt. Nach einer Odyssee mit mehreren Gefängnisaufenthalten - der Vater ist an den Strapazen eines langen Fußmarsches gestorben - findet die Mutter mit Sohn und Tochter Zuflucht im moldauischen Kischinew. Wie den meisten jüdischen Schülern bleibt dem Jungen dort der Eintritt ins Gymnasium verwehrt. Das Reifezeugnis erlangt er erst in Odessa, wo er nur unter großen Schwierigkeiten einen Studienplatz findet.
Die bitteren Erfahrungen als diskriminierter Außenseiter werden durch die Begegnung mit gleichaltrigen jüdischen Schicksalsgenossen, die wie Goldenstejn häufig auch Hunger leiden, kompensiert. Hier breitet sich die revolutionäre Stimmung schneller aus als anderswo im Zarenreich. Dubnow, der von 1891 bis 1903 in Odessa lebte, schickt sein literarisches Geschöpf auf Studentendemonstrationen, in deren Folge sein Held verhaftet und in die Armee zwangsrekrutiert wird, wo er auf die "gröbsten Erscheinungsformen des Judenhasses" stößt. Der für das Leid einer ganzen jüdischen Generation exemplarische Charakter der Hauptfigur wird dadurch noch gesteigert, dass Goldenstejn, aus der Armee entlassen, mit den Folgen der Pogrome von Kischinew 1903 konfrontiert wird. Dubnow lässt ihn in erregtem Ton schildern, wie nahe Verwandte Opfer von Mord und Vergewaltigung wurden. Bald muss der Reservist für das Zarenregime im Russisch-Japanischen Krieg kämpfen, wo er verwundet wird. Aufs Neue verletzt wird er als Mitglied der jüdischen Selbstwehr, die während der Revolution 1905 Juden vor antisemitischen Übergriffen zu schützen versucht. Trotz aller Repressionen hält Goldenstejn dem Vaterland die Treue. Und so zieht der jüdische Soldat mit Begeisterung in den Weltkrieg, weil er sich davon das Ende der Zarenherrschaft und eine Verbesserung der Lage der Juden verspricht. Verbitterung überkommt ihn jedoch spätestens, als er Zeuge der Strafmaßnahmen - Vertreibung, Vergewaltigungen, Raub, Mord und Hinrichtungen - wird, mit denen die Zarenarmee gegen jiddisch sprechende Zivilisten vorgeht.
Goldenstejns Wut steigt, als er wie die anderen jüdischen Soldaten gezwungen ist, den brutalen Überfällen der Kosaken auf die schutzlose jüdische Zivilbevölkerung tatenlos zuzusehen. Bei einer Massenvergewaltigung jüdischer Frauen greift er ein und erschlägt einen Angreifer. Im Zustand "vollständiger körperlicher wie seelischer Erschöpfung" wünscht er sich, dass ihn der Tod von seinem Schmerz erlöse. Bald darauf stirbt Dubnows russisch-jüdischer Soldat durch eine deutsche Kugel: Ein weiterer Beleg dafür, dass in Dubnows Kriegserzählung, die in dem Band neben der von ihm selbst gefertigten hebräischen Übersetzung auch auf Russisch abgedruckt ist, manch vergessener Aspekt deutscher Geschichte steckt.
JOSEPH CROITORU
Simon Dubnow: "Geschichte eines jüdischen Soldaten".
Hrsg. Vera Bischitzky, Stefan Schreiner. Aus dem Russischen von Vera Bischitzky. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2013. 248 S., geb., 59,99 [Euro].
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