In his tale entitled "Geschichte eines jüdischen Soldaten (The History of a Jewish Soldier)," written during World War I, Simon Dubnow effectively created the collective biography of Russian Judaism. Representing 35 years of repression, persecution and humiliation as well as the struggles and hopes of a whole generation of Russian Jews, the life of this nameless Jewish soldier is told with gripping words. The author concentrates the story on the years between 1881, which marks the beginning of the pogroms, and 1915, during the war. This work is available here for the first time in German and is complemented by an extensive commentary and previously unavailable documents.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.08.2013Gröbste Formen von Hass
Geschichte aus einem vergessenen Kriegsinferno: Simon Dubnows ergreifende Erzählung über einen russisch-jüdischen Soldaten im Ersten Weltkrieg.
Für die osteuropäischen Juden war der Erste Weltkrieg eine Zeit schlimmster Verfolgungen. Als Zivilisten gerieten sie in Russland, den polnischen Gebieten und in der Bukowina zwischen die Fronten, und als Soldaten mussten sie häufig hilflos die Untaten mit ansehen, die von Angehörigen der antijüdischen zaristischen Armee an ihren Volksbrüdern begangen wurden. Auch waren sie gezwungen, ihre Waffen gegen jüdische Glaubensbrüder, die in feindlichen Armeen dienten, zu richten. Noch weniger als die historischen Details über das Kriegsinferno im Osten ist hierzulande dessen literarische Verarbeitung durch jüdische Autoren bekannt. Dazu gehört Simon Dubnows Erzählung "Geschichte eines jüdischen Soldaten", die jetzt erfreulicherweise in deutscher und wissenschaftlich hervorragend edierter Übersetzung vorliegt.
Der russisch-jüdische Historiker Simon Dubnow (1860 bis 1941), einer der Begründer der modernen jüdischen Geschichtsschreibung, hatte sich schon lange vor dem Schicksalsjahr 1914 mit der Verfolgungsgeschichte der Juden in Russland und Polen befasst. Für ihn war der Erste Weltkrieg eine Fortsetzung des "dreißigjährigen Krieges", den das Zarenregime bis dahin gegen die Juden führte. Bis Anfang 1916 - Dubnow lebte damals in Sankt Petersburg - hatte der Historiker so viele Berichte über die schlimmen Kriegserlebnisse russisch-jüdischer Zivilisten und Militärangehöriger gesichtet, dass er sich entschloss, diese in Erzählform aus der Perspektive eines jüdischen Soldaten niederzulegen. Nur sechs Wochen später erschien der Text, in stark zensierter Fassung, in der russisch-jüdischen Zeitschrift "Evrejskaja Nedelja". Die vollständige Version durfte erst im Frühsommer 1917 gedruckt werden. Da war die Zarenherrschaft schon seit der Februarrevolution zu Ende.
Dubnow stützte sich bei der Gestaltung seines Protagonisten auf die Biographien jüdischer Kriegsteilnehmer und auf eigene Erfahrungen. Sein Held A. N. Goldenstejn, Jahrgang 1881, wächst in einem aufgeklärten jüdischen Umfeld unweit von Kiew auf. Schon als Säugling muss er während eines Pogroms versteckt werden. Als Kind kommt er in Kiew in Haft, weil die Goldenstejns den für Juden erlaubten Ansiedlungsrayon unerlaubt verlassen haben. Ein späterer Versuch, sich in Moskau niederzulassen, scheitert 1891 wegen einer Massenvertreibung der Juden aus der Stadt. Nach einer Odyssee mit mehreren Gefängnisaufenthalten - der Vater ist an den Strapazen eines langen Fußmarsches gestorben - findet die Mutter mit Sohn und Tochter Zuflucht im moldauischen Kischinew. Wie den meisten jüdischen Schülern bleibt dem Jungen dort der Eintritt ins Gymnasium verwehrt. Das Reifezeugnis erlangt er erst in Odessa, wo er nur unter großen Schwierigkeiten einen Studienplatz findet.
Die bitteren Erfahrungen als diskriminierter Außenseiter werden durch die Begegnung mit gleichaltrigen jüdischen Schicksalsgenossen, die wie Goldenstejn häufig auch Hunger leiden, kompensiert. Hier breitet sich die revolutionäre Stimmung schneller aus als anderswo im Zarenreich. Dubnow, der von 1891 bis 1903 in Odessa lebte, schickt sein literarisches Geschöpf auf Studentendemonstrationen, in deren Folge sein Held verhaftet und in die Armee zwangsrekrutiert wird, wo er auf die "gröbsten Erscheinungsformen des Judenhasses" stößt. Der für das Leid einer ganzen jüdischen Generation exemplarische Charakter der Hauptfigur wird dadurch noch gesteigert, dass Goldenstejn, aus der Armee entlassen, mit den Folgen der Pogrome von Kischinew 1903 konfrontiert wird. Dubnow lässt ihn in erregtem Ton schildern, wie nahe Verwandte Opfer von Mord und Vergewaltigung wurden. Bald muss der Reservist für das Zarenregime im Russisch-Japanischen Krieg kämpfen, wo er verwundet wird. Aufs Neue verletzt wird er als Mitglied der jüdischen Selbstwehr, die während der Revolution 1905 Juden vor antisemitischen Übergriffen zu schützen versucht. Trotz aller Repressionen hält Goldenstejn dem Vaterland die Treue. Und so zieht der jüdische Soldat mit Begeisterung in den Weltkrieg, weil er sich davon das Ende der Zarenherrschaft und eine Verbesserung der Lage der Juden verspricht. Verbitterung überkommt ihn jedoch spätestens, als er Zeuge der Strafmaßnahmen - Vertreibung, Vergewaltigungen, Raub, Mord und Hinrichtungen - wird, mit denen die Zarenarmee gegen jiddisch sprechende Zivilisten vorgeht.
Goldenstejns Wut steigt, als er wie die anderen jüdischen Soldaten gezwungen ist, den brutalen Überfällen der Kosaken auf die schutzlose jüdische Zivilbevölkerung tatenlos zuzusehen. Bei einer Massenvergewaltigung jüdischer Frauen greift er ein und erschlägt einen Angreifer. Im Zustand "vollständiger körperlicher wie seelischer Erschöpfung" wünscht er sich, dass ihn der Tod von seinem Schmerz erlöse. Bald darauf stirbt Dubnows russisch-jüdischer Soldat durch eine deutsche Kugel: Ein weiterer Beleg dafür, dass in Dubnows Kriegserzählung, die in dem Band neben der von ihm selbst gefertigten hebräischen Übersetzung auch auf Russisch abgedruckt ist, manch vergessener Aspekt deutscher Geschichte steckt.
JOSEPH CROITORU
Simon Dubnow: "Geschichte eines jüdischen Soldaten".
Hrsg. Vera Bischitzky, Stefan Schreiner. Aus dem Russischen von Vera Bischitzky. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2013. 248 S., geb., 59,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Geschichte aus einem vergessenen Kriegsinferno: Simon Dubnows ergreifende Erzählung über einen russisch-jüdischen Soldaten im Ersten Weltkrieg.
Für die osteuropäischen Juden war der Erste Weltkrieg eine Zeit schlimmster Verfolgungen. Als Zivilisten gerieten sie in Russland, den polnischen Gebieten und in der Bukowina zwischen die Fronten, und als Soldaten mussten sie häufig hilflos die Untaten mit ansehen, die von Angehörigen der antijüdischen zaristischen Armee an ihren Volksbrüdern begangen wurden. Auch waren sie gezwungen, ihre Waffen gegen jüdische Glaubensbrüder, die in feindlichen Armeen dienten, zu richten. Noch weniger als die historischen Details über das Kriegsinferno im Osten ist hierzulande dessen literarische Verarbeitung durch jüdische Autoren bekannt. Dazu gehört Simon Dubnows Erzählung "Geschichte eines jüdischen Soldaten", die jetzt erfreulicherweise in deutscher und wissenschaftlich hervorragend edierter Übersetzung vorliegt.
Der russisch-jüdische Historiker Simon Dubnow (1860 bis 1941), einer der Begründer der modernen jüdischen Geschichtsschreibung, hatte sich schon lange vor dem Schicksalsjahr 1914 mit der Verfolgungsgeschichte der Juden in Russland und Polen befasst. Für ihn war der Erste Weltkrieg eine Fortsetzung des "dreißigjährigen Krieges", den das Zarenregime bis dahin gegen die Juden führte. Bis Anfang 1916 - Dubnow lebte damals in Sankt Petersburg - hatte der Historiker so viele Berichte über die schlimmen Kriegserlebnisse russisch-jüdischer Zivilisten und Militärangehöriger gesichtet, dass er sich entschloss, diese in Erzählform aus der Perspektive eines jüdischen Soldaten niederzulegen. Nur sechs Wochen später erschien der Text, in stark zensierter Fassung, in der russisch-jüdischen Zeitschrift "Evrejskaja Nedelja". Die vollständige Version durfte erst im Frühsommer 1917 gedruckt werden. Da war die Zarenherrschaft schon seit der Februarrevolution zu Ende.
Dubnow stützte sich bei der Gestaltung seines Protagonisten auf die Biographien jüdischer Kriegsteilnehmer und auf eigene Erfahrungen. Sein Held A. N. Goldenstejn, Jahrgang 1881, wächst in einem aufgeklärten jüdischen Umfeld unweit von Kiew auf. Schon als Säugling muss er während eines Pogroms versteckt werden. Als Kind kommt er in Kiew in Haft, weil die Goldenstejns den für Juden erlaubten Ansiedlungsrayon unerlaubt verlassen haben. Ein späterer Versuch, sich in Moskau niederzulassen, scheitert 1891 wegen einer Massenvertreibung der Juden aus der Stadt. Nach einer Odyssee mit mehreren Gefängnisaufenthalten - der Vater ist an den Strapazen eines langen Fußmarsches gestorben - findet die Mutter mit Sohn und Tochter Zuflucht im moldauischen Kischinew. Wie den meisten jüdischen Schülern bleibt dem Jungen dort der Eintritt ins Gymnasium verwehrt. Das Reifezeugnis erlangt er erst in Odessa, wo er nur unter großen Schwierigkeiten einen Studienplatz findet.
Die bitteren Erfahrungen als diskriminierter Außenseiter werden durch die Begegnung mit gleichaltrigen jüdischen Schicksalsgenossen, die wie Goldenstejn häufig auch Hunger leiden, kompensiert. Hier breitet sich die revolutionäre Stimmung schneller aus als anderswo im Zarenreich. Dubnow, der von 1891 bis 1903 in Odessa lebte, schickt sein literarisches Geschöpf auf Studentendemonstrationen, in deren Folge sein Held verhaftet und in die Armee zwangsrekrutiert wird, wo er auf die "gröbsten Erscheinungsformen des Judenhasses" stößt. Der für das Leid einer ganzen jüdischen Generation exemplarische Charakter der Hauptfigur wird dadurch noch gesteigert, dass Goldenstejn, aus der Armee entlassen, mit den Folgen der Pogrome von Kischinew 1903 konfrontiert wird. Dubnow lässt ihn in erregtem Ton schildern, wie nahe Verwandte Opfer von Mord und Vergewaltigung wurden. Bald muss der Reservist für das Zarenregime im Russisch-Japanischen Krieg kämpfen, wo er verwundet wird. Aufs Neue verletzt wird er als Mitglied der jüdischen Selbstwehr, die während der Revolution 1905 Juden vor antisemitischen Übergriffen zu schützen versucht. Trotz aller Repressionen hält Goldenstejn dem Vaterland die Treue. Und so zieht der jüdische Soldat mit Begeisterung in den Weltkrieg, weil er sich davon das Ende der Zarenherrschaft und eine Verbesserung der Lage der Juden verspricht. Verbitterung überkommt ihn jedoch spätestens, als er Zeuge der Strafmaßnahmen - Vertreibung, Vergewaltigungen, Raub, Mord und Hinrichtungen - wird, mit denen die Zarenarmee gegen jiddisch sprechende Zivilisten vorgeht.
Goldenstejns Wut steigt, als er wie die anderen jüdischen Soldaten gezwungen ist, den brutalen Überfällen der Kosaken auf die schutzlose jüdische Zivilbevölkerung tatenlos zuzusehen. Bei einer Massenvergewaltigung jüdischer Frauen greift er ein und erschlägt einen Angreifer. Im Zustand "vollständiger körperlicher wie seelischer Erschöpfung" wünscht er sich, dass ihn der Tod von seinem Schmerz erlöse. Bald darauf stirbt Dubnows russisch-jüdischer Soldat durch eine deutsche Kugel: Ein weiterer Beleg dafür, dass in Dubnows Kriegserzählung, die in dem Band neben der von ihm selbst gefertigten hebräischen Übersetzung auch auf Russisch abgedruckt ist, manch vergessener Aspekt deutscher Geschichte steckt.
JOSEPH CROITORU
Simon Dubnow: "Geschichte eines jüdischen Soldaten".
Hrsg. Vera Bischitzky, Stefan Schreiner. Aus dem Russischen von Vera Bischitzky. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2013. 248 S., geb., 59,99 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Längst vergessene Aspekte der deutschen Geschichte entdeckt Joseph Croitoru in dieser jetzt auf Deutsch vorliegenden, wissenschaftlich edierten Kriegserzählung von Simon Dubnow. Der Autor schildert darin anhand von Berichten jüdischer Kriegsteilnehmer und mittels eigener Erfahrungen historisch detailliert aus Sicht eines jüdischen Soldaten die Leiden osteuropäischer Juden vor dem und im Ersten Weltkrieg. Die grausamen Erlebnisse der Romanfigur und ihr Tod "durch eine deutsche Kugel" gehen dem Rezensenten sichtlich zu Herzen. Der Autor erweist sich für ihn als einer der Begründer der modernen jüdischen Geschichtsschreibung wie auch als geschickter Erzähler.
© Perlentaucher Medien GmbH
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