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  • Verlag: Dike
  • ISBN-13: 9783037514993
  • Artikelnr.: 40399047
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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.04.2014

Mit einer Stimme für Europa sprechen
Zur völkerrechtlichen Selbstaufgabe sind die Mitgliedstaaten der EU nicht bereit

Europas gegenwärtige Außenbeziehungen zu nichteuropäischen Staaten und internationalen Organisationen sind vielfältig, so vielfältig, dass es, um einen verlässlichen Überblick zu behalten oder allererst zu gewinnen, einer umfassenden Gesamtdarstellung bedarf über die hier tätigen Akteure, die Fülle der Themenfelder sowie die Vielfalt verwendeter Rechts- und Handlungsformen. Diese liegt nun in Gestalt des abschließenden zehnten Bandes der "Enzyklopädie Europarecht" vor, der alle Wünsche und Erwartungen, die an eine solche Publikation mit dem Anspruch einer systematisierenden Einheitsbildung vernünftigerweise gestellt werden können, vollauf erfüllt.

Auch wenn die "europäischen Außenbeziehungen" weit über das Handeln der Europäischen Union hinausreichen, so nehmen diese und ihre Kompetenzen auf außenpolitischem Gebiet sowie deren tatsächliche Inanspruchnahme doch zu Recht den größten Raum in der Darstellung ein. Denn der europäische Integrationsprozess hat längst auch die Außenpolitik in ganz erheblichem Umfang "vergemeinschaftet", ohne dass dies allerdings der breiteren Öffentlichkeit schon hinreichend bekannt wäre. Dies dürfte im Wesentlichen auf die aus Gründen außenpolitischer Differenzen wenig einheitlich wirkende, intergouvernemental betriebene Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) zurückzuführen sein. Doch erschöpft diese noch lange nicht das weite Feld der über die Union abgewickelten europäischen Außenbeziehungen.

Was mit den Außenwirtschaftskompetenzen der Union, allem voran der Zollunion, sowie dem - vollständig exklusiven - Recht zum Abschluss von Handelsabkommen begann, führte, wie der Herausgeber von Arnauld in seinem einleitenden, sich dem Recht der Außenbeziehungen der EU systematisierend annähernden Beitrag aufzeigt, mit der allmählichen Verwirklichung und näheren Ausgestaltung des Binnenmarktes zur Annahme weiterer, ungeschriebener Außenkompetenzen der Union. Diese konzipierte der Europäische Gerichtshof "auch ohne primärrechtliche Regelung und in Überspielung des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung" in Parallelität zu den jeweils bestehenden Binnenkompetenzen, bevor die - von Anfang an als Teil des Einigungsprojekts angesehene, nach dem Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft aber jahrzehntelang zurückgestellte - Idee einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik wiederaufgenommen und ausgebaut wurde.

Die Beziehungen zu Drittstaaten wurden nach und nach geographisch wie thematisch ausgedehnt und intensiviert und gehen heute deutlich über die lange Zeit vorherrschende Politik der Beitritts- und Entwicklungsassoziierung und der Handelsabkommen sowie den erfolgten Zusammenschluss mit den Efta-Staaten zum Europäischen Wirtschaftsraum hinaus. Auch die vergemeinschaftete Einwanderungs-, Visum- und Asylpolitik weist offensichtlich eine starke außenpolitische Dimension auf. Sie betrifft nicht nur Drittstaatsangehörige, sie macht auch eine (vertragliche) Kooperation mit Drittstaaten notwendig. Nahezu alle Politikbereiche, die nach und nach intern auf die Europäische Union verlagert wurden, haben daher auch extern "Geländegewinne" für die Union mit sich gebracht, weil sie einen außenpolitischen Annex haben.

Die Außenkompetenzen der Union sind dabei teils ausschließliche, teils mit den Mitgliedstaaten geteilte. Im ersten Fall sind die Mitgliedstaaten von vorn herein daran gehindert, eine autonome Außenpolitik zu betreiben, im zweiten Fall verlieren sie ihre korrespondierende nationale Kompetenz, sobald die Union tätig wird und damit die Sache an sich zieht. Einen Sonderfall stellen die sogenannten gemischten Abkommen dar, die von der Union und den Mitgliedstaaten gemeinsam abgeschlossen werden, wenn ein völkerrechtlicher Vertrag thematisch nicht nur Zuständigkeiten der Union, sondern auch solche der Mitgliedstaaten berührt.

Die EU ist auch selbst Mitglied in vielen anderen internationalen Organisationen und dabei teilweise an die Stelle ihrer Mitgliedstaaten gerückt, teilweise neben diese. Es handelt sich dann zumeist um eine Form komplementärer Mitgliedschaft, bei der die Mitgliedschaftsrechte geteilt sind und je nach betroffenem Kompetenzbereich entweder von der Union oder von den Mitgliedstaaten wahrgenommen werden. Die komplizierte Konstruktion einer parallelen Mitgliedschaft löst indes erhebliche interne Abstimmungsbedürfnisse aus, schafft im Außenverhältnis zahlreiche praktische wie rechtliche Probleme bis hin zu der Frage, wer unter welchen Umständen die völkerrechtliche Verantwortung zu tragen hat, und dürfte daher keine überzeugende Dauerlösung sein. Der bedeutendste Anwendungsfall dieser Mitgliedschaftskategorie ist die "doppelte" Mitgliedschaft der EU und ihrer Mitgliedstaaten in der Welthandelsorganisation (WTO); in den Organen dieser internationalen Organisation übt allerdings ausschließlich die EU das Stimmrecht aus.

Hier wie andernorts ist unverkennbar, dass die Mitgliedstaaten das Heft des außenpolitischen Handelns nach wie vor nicht - jedenfalls nicht vollständig - aus der Hand geben wollen. Sie fürchten um Einfluss und beharren auf Souveränitätsrechten, "deren praktischer Nutzen in einer globalisierten Welt zunehmend zweifelhaft erscheint" (Herrmann/Streinz). In der Tat kann Europa nur als Ganzes auf internationaler Ebene hinreichendes Gewicht in die Waagschale werfen, damit etwa bei der Gestaltung der Weltwirtschaftsordnung und bei der Lösung weltweiter Probleme gemeinsame Interessen der europäischen Staaten zur Geltung gebracht werden können. Dies spricht für eine effektive Nutzung einheitlicher Außenkompetenzen der EU, damit Europa mit einer starken Stimme spricht.

Gleichwohl dürfte der Wille der europäischen Staaten zur Selbstbehauptung auf der internationalen Ebene nicht nur ein irrationaler Abwehrreflex sein. Mehr noch als die mittlerweile sehr weit reichende interne Bindung durch das Unionsrecht würde eine weitgehende Mediatisierung der Mitgliedstaaten der EU im völkerrechtlichen Außenverhältnis zu Drittstaaten und internationalen Organisationen deren Völkerrechtsunmittelbarkeit und damit auch Staatlichkeit im völkerrechtlichen Sinne in Frage stellen. Zur völkerrechtlichen Selbstaufgabe aber sind die Mitgliedstaaten - ganz unabhängig von verfassungsrechtlichen Grenzen ihrer Mitwirkung am fortgesetzten Integrationsprozess - nicht bereit. Sie verstehen die Union als Staatenverbund, aber nicht als ein überstaatliches Gebilde, das sie vollständig ersetzen könnte und sollte.

CHRISTIAN HILLGRUBER

Andreas von Arnauld (Herausgeber): Europäische Außenbeziehungen. Enzyklopädie Europarecht, Band 10. Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2014. 1011 S., 148,- [Euro].

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