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Griechenland zur Zeit der deutschen Besatzung: Der Vater ist im Krieg in Albanien verschollen, die Mutter bleibt mit drei Kindern zurück, die sie kaum vor dem Hungertod retten kann. Bis sie eines Tages mit einem italienischen Offizier ein Verhältnis beginnt, damit er ihr Geld und Essen gibt. Daß sie deswegen als "Besatzerhure" beschimpft und öffentlich gedemütigt wird, läßt sie verstummen, so daß nun die Tochter ihre Geschichte erzählt: das Schicksal zweier Frauen in unerhörte Bilder und Szenen gefaßt.

Produktbeschreibung
Griechenland zur Zeit der deutschen Besatzung: Der Vater ist im Krieg in Albanien verschollen, die Mutter bleibt mit drei Kindern zurück, die sie kaum vor dem Hungertod retten kann. Bis sie eines Tages mit einem italienischen Offizier ein Verhältnis beginnt, damit er ihr Geld und Essen gibt. Daß sie deswegen als "Besatzerhure" beschimpft und öffentlich gedemütigt wird, läßt sie verstummen, so daß nun die Tochter ihre Geschichte erzählt: das Schicksal zweier Frauen in unerhörte Bilder und Szenen gefaßt.
Autorenporträt
Birgit Hildebrand, 1944 geboren, studierte in München und Tübingen Philologie, lehrte an der Universität Thessaloniki und lebt jetzt als freie Übersetzerin in Berlin. 2001 erhielt sie den griechisch-deutschen Übersetzerpreis.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.10.2001

Die Heimat verbirgt ihr Gesicht
Ein Fleckchen Erde, ein Häufchen Elend: Der mitleidlose Blick des Pavlos Matessis · Von Ruthard Stäblein

"Fremd bin ich eingezogen, fremd kehr' ich wieder heim", heißt es in der Winterreise. Die Heimat verblüht, sie verkümmert als trockene Blume zu einem Ort der Sehnsucht, der den traurigen Tonfall in den Liedern Schuberts weiter verdunkelt. Als Fremde beginnt auch Rubini ihren Weg im Roman von Pavlos Matessis, so wie sie ihn als Fremde beendet. Sie läßt sich aber nicht durch diese Fremdheit beeindrucken. Denn sie bastelt sich ihre Welt zurecht.

Die Protagonistin wird in der Provinzstadt Epálxis in der Nähe von Athen geboren und wächst dort als Halbwaise während der deutschen Besatzungszeit auf. Ihr Vater ist verschollen im Krieg gegen Italien. Die Mutter bleibt allein zurück mit drei Kindern, in einer Hütte neben der Kirche. Der Boden wird gestampft; es regnet durchs Dach, der Boden muß ständig gezupft werden, weil das Unkraut nachwächst. Die kleine Rubini bekommt ein Huhn geschenkt - es stirbt des Hungers.

Rubinis eigener Hunger vergeht auch nicht einmal beim Stehlen von Kräutern und Obst über Minenfeldern auf dem Land. Da erbarmt sich die Mutter und nimmt sich einen Italiener, der von nun ab für die Ernährung der Familie sorgt. Der ältere Sohn haut ab, wegen der Schande. Der jüngere wird beim Stehlen einer Kartoffel von einem deutschen Soldaten erwischt, der ihm die Hand verstümmelt. Rubini erhält ihren Beinamen und der Roman seinen Titel: "Die Tochter der Hündin". Der Fluch indessen tangiert sie nicht. Sie lernt nichts und macht auch keine Erfahrungen, aus denen sie klüger wird. Rubini weiß nur, daß sie nichts ändern kann; ihr einziger Trost ist die Erinnerung an das Huhn und die Hoffnung, bei einer Schauspielertruppe als Komparsin unterzukommen.

Nach Kriegsende wird die Mutter als Geliebte des Feindes geschoren, öffentlich zur Schau gestellt und gedemütigt. Die beiden Frauen ertragen die Schmach nicht; die Mutter verstummt, die Tochter wird fast wahnsinnig. Beide gehen fort aus Epálxis, nach Athen, in einen Bunker, den sie zusammen mit einem Krüppel bewohnen müssen. "Nie wieder dahin zurück", will die Mutter und meint damit die Heimatstadt Epálxis, nicht einmal begraben, vor allem nicht begraben, will sie dort sein.

In der griechischen Gegenwartsliteratur lassen sich eine urbane und eine ländliche Richtung unterscheiden. Das hat auch einen soziologischen Grund: Etwa die Hälfte der Bevölkerung Griechenlands lebt inzwischen in Athen und Thessaloniki. Die Abwanderung vom Land in die Städte ist beträchtlich. Auch der Autor des Romans, 1929 in der Provinz in Divri/Elis geboren, lebt seit Jahren in Athen. Aber Matessis beschwört in seinem Frauendrama keine idyllische Vergangenheit herauf. Sie erscheint nicht einmal auf der negativen Folie der Gegenwart als Heimat oder Utopie.

Im Gegenteil, Matessis' Heldinnen verfluchen ihre Herkunft. Rubini sieht sich paradoxerweise als Royalistin, ohne eine Idee davon zu haben, was das heißen könnte. Ihren Wahlpaß gibt sie einem korrupten Provinzpolitiker aus dem nationalistischen Lager, der ihr im Gegenzug eine Rente verspricht. Aber an entscheidender Stelle hat Rubini, die tumbe Torin, eine Erleuchtung: "Griechenland ist wie die Mutter Gottes: Keiner von uns kriegt es je zu Gesicht." Weil Rubini nur ihre Rente im Kopf hat, ist sie gefeit gegen die leeren Versprechungen von Heimat und Griechentum. "Romiossíni", das Zauberwort von Jannis Ritsos für die Griechen in der Nachfolge von Ostrom, verliert in diesem Roman alle Verlockung. Rubinis Art zu leben ist weder in der Provinz noch in Athen aufgehoben. Sie lebt ortlos, ist immer unterwegs.

Angekommen nicht in der Heimat, sondern in den Elendsvierteln von Athen, müssen Mutter und Tochter betteln gehen. Rubini nutzt dies als Podium für künftige Auftritte, sie übt sich in dem Mut, den man braucht, um vor ein Publikum zu treten, die Verneigung und die Beschimpfung. Matessis schildert das Trübsal seiner Heldin ohne Mitleid. Mit pessimistischer Schärfe erfaßt er das griechische Alltagsleben in der Provinz, in den Athener Vororten, bei den Partisanen und den Kollaborateuren, bei den Armen und den Kleinbürgern in der Kriegs- und Nachkriegszeit.

"Die Tochter der Hündin" besticht vor allem durch die Kunst der auktorialen Zurückhaltung, mit der Matessis die Erzählstimme Rubini überläßt. Durch ihre sprachliche Naivität und unbekümmerte Lebenshaltung erinnert der Roman an die Glanzzeit des spanischen Picaro-Romans oder auch an Autoren wie Agota Kristof oder Camilo José Cela. Nach diesem erschütternden Buch hätte Matessis in jedem Fall auch nach dem diesjährigen Buchmesseschwerpunkt ein länger anhaltendes Interesse in Deutschland verdient.

Pavlos Matessis: "Die Tochter der Hündin". Roman. Aus dem Griechischen übersetzt von Birgit Hildebrand. Hanser Verlag, München 2001. 272 S., geb., 39,80 DM.

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Der griechische Schriftsteller Pavlos Matessis hat seinen Roman über das kärgliche Leben eines Krüppels und zweier Frauen in einer Vorortwüste bei Athen angesiedelt, in dem Städtchen Epalxis, wo viel unverarbeitete Vergangenheit aus dem Zweiten Weltkrieg und der Nachkriegszeit lagert, berichtet Hans-Peter Kunisch. Der Roman wurde in der "Quinzaine Litteraire" bereits wegen der direkten und barocken Sprache mit Filmen von Fellini und Scola verglichen. Der Streifzug des Autors durch die Tabuzonen Griechenlands ist dem Rezensenten zur interessanten Lektüre geraten. Und doch hat er zwei Schwachstellen entdeckt. In dem "modernen Nationalepos" werden die Bösen zwar beschrieben, aber nicht benannt, so dass sich niemand wirklich angesprochen fühlen müsse, kritisiert Kunisch. Der vorsichtige Umgang mit der historischen Last habe sich außerdem in der Sprache niedergeschlagen. In der Nachkriegszeit angekommen, lockere sich auf einmal Matessis Sprache, werde weniger gewichtig und debattenreich, dafür aber technisch besser. Groteske und starke Bilder kämen zum Tragen. Schenkt man der Übersetzung Glauben, dann hat sich der Autor, so Kunisch, auf einmal frei geschrieben.

© Perlentaucher Medien GmbH
Endlich: das Meisterwerk des griechischen Autors Pavlos Matessis auf Deutsch. Alexander von Bormann, Die Welt, 25.8.2001