sie niedlich aus, wie man es mit behinderten Kindern macht, Stimmung, Konfetti, Trillerpfeife ... Ich bin genau so eine Lusche wie alle anderen. Warum sollte mich ein fremder Weg zum Luschigsein interessieren?" Wenn der schwarze Peter abends vor seinem verschmutzten Aquarium onaniert, fließen fischblütiger Zynismus, Angestelltentristesse und müdes Selbstmitleid in eine trübe Brühe; obenauf schwimmen resigniert Sprachbrösel wie "muß ja", "ist okay" oder "so schauts".
Tanja Jannsen macht es sich auch gern und oft selber, am liebsten romantisch mit Kerzen und Flaschen. Halb so alt und doppelt so rollig wie ihr Sachbearbeiter, hat sie alle Höllenkreise des sozialen Abstiegs - Heim, Alkohol, Drogen, psychische Verwahrlosung - durchschritten, ohne je mit ihrem Schicksal zu hadern. Tanja ist die Musterfrau staatlicher Sozialhilfe: Quirlig, mutig und notorisch aufgekratzt, läßt sie den Kopf nie hängen und weder Herz noch Bett kalt werden. Wenn schon bedürftig und arbeitslos, dann wenigstens notgeil und sexuell hyperaktiv. Peter ist ihr Mann, "alle meine Männer zusammen", also Durchschnitt; aber bei Eisbergen liegen die besten Achtel ja auch unter Wasser. Man kann sich die permanent erregte Verdrängungskünstlerin schwer als Luxusdampfer vorstellen, aber Titanic Tanja rammt Eisberg Peter frontal. Und sinkt, weil sie trotz aller Gier und Hitze das Eis nicht schmelzen, nicht einmal für sich erwärmen kann.
Rein sexuell hat das "Petermännchen" an seiner süßen "Puddingschnecke" nichts auszusetzen: "Sie Loch, ich Stöpsel - paßt." Tanja findet das auch; für ihren Peter geht sie sogar nachts Bier holen, und wenn er ihre Puddingschnecke bespuckt und hinterher gleich wegpennt, sträubt sich ihr kein feministisches Härchen. Die beiden "sexen wie die Kaputten". Tanja zittert wie eine Wäschetrommel und heult wie eine Sirene, kommt aber nie; und Berg kommt nur bei ihr vorbei, weil er ja muß. Wo sie von Liebe und Familie träumt und schon Babysachen hortet, will er nicht mal seine Zahnbürste abstellen. Sie hat "Die Legende von Paul und Paula" und Kindermärchen im Kopf: "Du bist mir in mein Nachthemd gefallen, vom Himmel, wie ein Goldstück." Er sagt nur "Ist okay" und schreibt seinem Freund: "Außer daß sie eine Frau ist, hat sie keine Geschlechtskrankheit." Der Sach- und seine Sackbearbeiterin werden weder zusammen kommen noch zusammenkommen.
Kirsten Fuchs, die achtundzwanzigjährige Tischlerin aus Karl-Marx-Stadt, erzählt in ihrem ersten Roman keine Liebesgeschichte in Zeiten von Hartz IV und schon gar nicht ein Sozialmelodram. "Dies ist keine Leidensgeschichte", stellt Tanja gleich im ersten Satz klar. Nichts also (oder allenfalls kryptische Andeutungen) von Demütigungen und Verzweiflung, wie sie von ihrer Familie verstoßen wurde, das Kind weggenommen bekam und sich jetzt mit kleinkriminellem Jux und promiskuitiver Tollerei durchschlägt. Was sie braucht, nimmt sie sich, ohne Jammern, verschwiemelte Phrasen oder gar Scham. Was für Peter eine haut- und nervenaufreibende Affäre ist, ist für sie Rausch und Glück, grundloser Jubel und heiter ertragener Schmerz: eine uneingestandene Tragödie.
Kirsten Fuchs, die radikalste Erotikerin der jüngeren deutschen Literatur, weiß, was Tanjas brauchen: nicht weichliche Sentimentalität, sondern harte Schwänze, keine schwesterlichen Kuschelpartys oder politisch korrekten Klagelieder, sondern herzerfrischende Direktheit. "Sex schändet nicht." Unzumutbar sind nicht die Putzjobs vom Arbeitsamt, sondern nur Sozialamtsmänner, die sie nicht hart und ausdauernd genug rannehmen. "Die Titanic und Herr Berg" ist soziale Pornographie: die Geschichte einer sehr einseitigen amour fou.
Zugegeben, der Zusammenstoß zwischen einem Wrack und einem Eisberg ist an den Haaren herbeigezogen. Selbst wenn Sozialhilfeempfängerinnen sich auf ihre Sachbearbeiter stürzen sollten: Man wirft nicht ungestraft Hunderter aus dem Fenster und betrügt den einzigen mit jeder dahergelaufenenen Lusche. Was dieses Debüt so aufregend macht, ist weniger der Plot als die Sprache: ein extravagantes Gemisch aus unverblümter Drastik, trockenem Witz und rasender Zärtlichkeit. Kirsten Fuchs, ständiger Gast auf Berliner Lesebühnen und 2003 Gewinnerin des "Open Mike", weiß, wo und wie man Leser packen muß: mit mädchenhaft verspieltem Griff unter die Gürtellinie. Jeder Satz knallt und bumst und brennt, wo man es am wenigsten erwartet, und darin liegt auch das Problem.
Was live, beim Poetry-Slam-Auftritt, erheitert und verblüfft wie ein heißer Quickie im Sozialamt, wirkt auf die lange Distanz und im Berliner Winteralltag doch erkaltend. Der schräge Blick verrutscht ins Schiefe, die sexuelle Spannkraft läßt naturgemäß nach, und so entlädt sich das oralerotische Wortspielgewitter schließlich in einem Landregen von jelinekartigen Kalauern oder ganz "dollen" Nu-kiek-mal-Berlinismen. Manchmal, etwa bei Tanjas Ausflug nach Prag, gelingen Fuchs wunderbare Passagen, in denen Sprachlosigkeit und Verständigungsprobleme zu lakonischen Bildern wunschlosen Unglücks gerinnen; aber irgendwann sinkt die Titanic unter der Überlast einsamer Dialoge und zweisamer Selbstbefriedigung.
Fuchs' Bordkapelle spielt bis zum Untergang die Choräle der sexuellen Hörigkeit, mit Pauken und Trompeten und auch mit leiseren Instrumenten. Aber die anfangs so munter frivole Musik verschwimmt mehr und mehr in einem Rauschen, durch das kein Ton mehr von außen dringt. Die beiden tagebuchartig gegeneinander montierten Stimmen unterscheiden sich nur typographisch, obwohl der schlaffe Zyniker und die allzeit bereite Tagträumerin doch außer Sex nichts gemein haben. Dennoch, trotz aller Kinderkrankheiten und einer Überdosis der "legalen Droge mit warmer Haut": Dieser Roman einer asymmetrischen folie à deux ist eines der erstaunlichsten und jedenfalls gewagtesten Debüts dieses Herbstes.
Kirsten Fuchs: "Die Titanic und Herr Berg". Roman. Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2005. 286 S., geb., 18,90 [Euro].
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