Skurril, selbstironisch, leichtfüßig: So zeigt sich Cartarescu in diesen drei Erzählungen, die er so - oder zumindest so ähnlich - erlebt hat. Mit trockenem Humor erzählt er von einem angeblichen Anthrax-Kuvert, einem Telefon-Interview mit Marilyn Monroe und von den Erlebnissen einer Reisegesellschaft, der er selbst angehört: Zwölf Schriftsteller aus Rumänien sollen während einer dreiwöchigen Tour das literarisch interessierte Frankreich erobern. Die großzügigen Gastgeber stellen ihnen dazu ein höchst ambitioniertes Programm zusammen ... Ein Porträt des Schriftstellers als junger Mann, das einen mal laut lachen lässt, dann wieder nachdenklich stimmt. Die ideale Einstiegsdroge für Cartarescu-Entdecker.
buecher-magazin.deEin schöner Brauch: Zwölf "Belles Étrangères" der dichtenden Zunft sollen alljährlich Frankreich erobern. 2004 war Rumänien an der Reihe. Mit von der Partie: Mircea Crtrescu, dessen beflügeltes, geistreiches Tournee-Protokoll die Titelgeschichte seines Erzählbandes "Die schönen Fremden" bildet. Hatte der vielfach prämierte Autor seine Leser bisher in einen halluzinatorischen Malstrom gerissen ("Nostalgia", "Travestie", die "Orbitor"-Trilogie), um den gesellschaftlichen Umbruch seiner Heimat aus der schmerzlichen Realität in metaphysische Dimensionen zu erretten, so steuert er nun durch die raue See des Literaturbetriebs: rasant, skurril, (selbst-)ironisch und unendlich belesen. En passant komprimiert er biografische und literarische Splitter seiner Reisegesellen zu bündigen Porträts, und greift dabei gern nach bewährten Bausteinen seines Setzkastens: etwa Film- oder Traumsequenzen, das lustvolle Spiel mit klischeehafter Eigen- und Fremdwahrnehmung, die Überspitzung ins Groteske und die Transzendierung. Ein vermeintlich anthraxhaltiger Brief an Crtrescu führt in einen Taumel durch eine Polizeibehörde "in Umorganisation", begleitet von medial angeheizten Phobien. So wird die Lesereise eines Jungautors durch Rumäniens Provinz zum psychedelischen Roadmovie.
© BÜCHERmagazin, Ingeborg Waldinger (wal)
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Burkhard Müller fühlt sich nach der Lektüre von Cărtărescus Erzählungen "moralisch erschöpft". Sehr lustig sei dieses Buch, das macht Müller deutlich, aber auf eine traurige Weise. Wie sich rumänische Schriftsteller aus Neid gegenseitig das Leben schwer machen und wie sie von Zentraleuropa nicht ernstgenommen und als hinterwäldlerische Exoten abgestempelt werden, davon würden "Die schönen Fremden" zeugen - wobei der Rezensent davon ausgeht, dass Erzähler und Autor hier praktisch gleichzusetzen sind. Drei Teile entdeckt Müller: Präludium und Epilog, mit Rückblenden ins heimische Rumänien, sowie den langen Mittelteil, der von Lesereisen in den Westen erzähle. Cărtărescu berichte aus seinem Autorenleben "mit einer Art von lustiger Verzweiflung", schreibt Müller, deshalb habe das Buch bei allem Witz auch allerhand Quälendes an sich.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.06.2016Lass uns ein Wunder sein
Autor bleiben, trotz allem: "Die schönen Fremden"
Es gibt mehr als genug Gründe, um einen Menschen unserer Zeit nervös zu machen, und je nach eigener Konstitution wirken diese äußeren Impulse schwächer oder stärker. Wenn, beispielsweise, eine Postsendung nicht gleich den Absender erkennen lässt, der Inhalt unkonventionell geformt ist und - wie im Herbst 2001 - überall auf der Welt gerade die Angst vor Anthrax umgeht, kann das auch robuste Gemüter aus der Bahn werfen. Der rumänische Schriftsteller, der diese Sendung erhält, schließt aus alldem auf ein Attentat, das ihm gilt, entsorgt das Päckchen in einem Mülleimer und zerrt es wieder daraus hervor, schließlich will er nicht schuld daran sein, wenn ganz Bukarest infiziert wird. Es folgen absurde Stunden bei der Polizei, am Ende stellt sich das Ganze als dreiste Aktion eines dänischen Möchtegernkünstlers heraus.
Bis dahin aber entfaltet Mircea Cartarescus Erzählung "Anthrax", die seinen Band "Die schönen Fremden" eröffnet, auf der Oberfläche ein Panorama, das abwechselnd von hysterischen und fatalistischen Reaktionen des Protagonisten bestimmt ist und, etwas verborgener, ein literarisches Verweissystem aufbaut. Was immer dem Schriftsteller, der den Namen seines Schöpfers trägt, widerfährt, regt ihn beim nachträglichen Berichten zu Vergleichen mit Werken oder Figuren der rumänischen Literaturgeschichte an, zu Hinweisen auf Vorgänger und Weggefährten also, die vom Übersetzer Ernest Wichner aufgeschlüsselt werden. Vor allem aber eröffnet das Buch, indem es den Lebensumständen des rumänischen Autors die des dänischen Aktionskünstlers gegenüberstellt, geschildert aus der erkennbar defizitären Perspektive des nervösen Erzählers, die Diskussion um ganz andere Fragen: die nach Artistik und Ethik beispielsweise oder nach der Verantwortung gegenüber Unbekannten, im Leben wie in der Kunst.
"Die schönen Fremden" ist als Triptychon aufgebaut, mit "Anthrax" und "Wie von Bacovia" als zwei kürzeren Flügeln von je um die fünfzig Seiten und einem viermal so langen Zentrum, das denselben Titel trägt wie der gesamte Band, versehen allerdings mit dem Untertitel "Wie ich ein Dutzendautor war". Er spielt nicht nur auf eine Reise von zwölf rumänischen Schriftstellern nach Frankfurt an, die den wesentlichen Teil der Erzählung ausmacht, sondern auch auf den ewigen Vergleich des Protagonisten mit anderen Autoren seines Landes, der alle drei Texte dieses Bandes in unterschiedlicher Weise prägt. "Die meisten meiner Bücher habe ich im Ausland geschrieben, in Amsterdam, Wien oder in Berlin", hat Cartarescu 2009 im Gespräch mit dieser Zeitung gesagt, "wo ich die innere Ruhe, die Zeit und dank verschiedener Stipendien auch die finanziellen Mittel hatte, die ich zum Schreiben brauche." Dass er außer der offensichtlichen Dankbarkeit auch einen Blick dafür hat, welchen Irrsinn ein Autor dafür gelegentlich mitmachen muss, zeigt besonders der Mittelteil des Buches - aber er zeigt auch, welchen Anteil die Autoren selbst daran haben, wenn seltsame Lesungen und Begegnungen vollends ins Verworrene gleiten.
Am schönsten ist Cartarescu das in der letzten Erzählung gelungen, die in den achtziger Jahren und zu Beginn seiner Existenz als Schriftsteller spielt. Der Protagonist ist zu einer Lesung in die rumänische Provinz eingeladen, und während er sich zu Beginn der Reise noch an den Gedanken hält, "es würde ein Triumphzug werden, alles wies darauf hin", so wird in der Folge jeder einzelne Umstand immer schäbiger - der Transport, das Essen, die Wege, das Publikum. Die gesamte Erzählung über gibt es dieses Wechselspiel von Erwartung und Enttäuschung, wobei die Ausschläge des Pendels immer geringer werden: Die Erwartungen schrumpfen, die Enttäuschungen sind entsprechend geringer, bis das Ganze völlig unerwartet einen förmlichen, literaturgeschichtlich abgesicherten Zauber erhält, wie um den jungen Mann davon abzuhalten, aus allerbesten Gründen das Literatentum sausenzulassen. Manchmal ist dazu eben ein Wunder nötig.
TILMAN SPRECKELSEN
Mircea Cartarescu:
"Die schönen Fremden".
Erzählungen.
Aus dem Rumänischen von Ernest Wichner. Zsolnay Verlag, Wien 2016. 304 S., geb., 21,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Autor bleiben, trotz allem: "Die schönen Fremden"
Es gibt mehr als genug Gründe, um einen Menschen unserer Zeit nervös zu machen, und je nach eigener Konstitution wirken diese äußeren Impulse schwächer oder stärker. Wenn, beispielsweise, eine Postsendung nicht gleich den Absender erkennen lässt, der Inhalt unkonventionell geformt ist und - wie im Herbst 2001 - überall auf der Welt gerade die Angst vor Anthrax umgeht, kann das auch robuste Gemüter aus der Bahn werfen. Der rumänische Schriftsteller, der diese Sendung erhält, schließt aus alldem auf ein Attentat, das ihm gilt, entsorgt das Päckchen in einem Mülleimer und zerrt es wieder daraus hervor, schließlich will er nicht schuld daran sein, wenn ganz Bukarest infiziert wird. Es folgen absurde Stunden bei der Polizei, am Ende stellt sich das Ganze als dreiste Aktion eines dänischen Möchtegernkünstlers heraus.
Bis dahin aber entfaltet Mircea Cartarescus Erzählung "Anthrax", die seinen Band "Die schönen Fremden" eröffnet, auf der Oberfläche ein Panorama, das abwechselnd von hysterischen und fatalistischen Reaktionen des Protagonisten bestimmt ist und, etwas verborgener, ein literarisches Verweissystem aufbaut. Was immer dem Schriftsteller, der den Namen seines Schöpfers trägt, widerfährt, regt ihn beim nachträglichen Berichten zu Vergleichen mit Werken oder Figuren der rumänischen Literaturgeschichte an, zu Hinweisen auf Vorgänger und Weggefährten also, die vom Übersetzer Ernest Wichner aufgeschlüsselt werden. Vor allem aber eröffnet das Buch, indem es den Lebensumständen des rumänischen Autors die des dänischen Aktionskünstlers gegenüberstellt, geschildert aus der erkennbar defizitären Perspektive des nervösen Erzählers, die Diskussion um ganz andere Fragen: die nach Artistik und Ethik beispielsweise oder nach der Verantwortung gegenüber Unbekannten, im Leben wie in der Kunst.
"Die schönen Fremden" ist als Triptychon aufgebaut, mit "Anthrax" und "Wie von Bacovia" als zwei kürzeren Flügeln von je um die fünfzig Seiten und einem viermal so langen Zentrum, das denselben Titel trägt wie der gesamte Band, versehen allerdings mit dem Untertitel "Wie ich ein Dutzendautor war". Er spielt nicht nur auf eine Reise von zwölf rumänischen Schriftstellern nach Frankfurt an, die den wesentlichen Teil der Erzählung ausmacht, sondern auch auf den ewigen Vergleich des Protagonisten mit anderen Autoren seines Landes, der alle drei Texte dieses Bandes in unterschiedlicher Weise prägt. "Die meisten meiner Bücher habe ich im Ausland geschrieben, in Amsterdam, Wien oder in Berlin", hat Cartarescu 2009 im Gespräch mit dieser Zeitung gesagt, "wo ich die innere Ruhe, die Zeit und dank verschiedener Stipendien auch die finanziellen Mittel hatte, die ich zum Schreiben brauche." Dass er außer der offensichtlichen Dankbarkeit auch einen Blick dafür hat, welchen Irrsinn ein Autor dafür gelegentlich mitmachen muss, zeigt besonders der Mittelteil des Buches - aber er zeigt auch, welchen Anteil die Autoren selbst daran haben, wenn seltsame Lesungen und Begegnungen vollends ins Verworrene gleiten.
Am schönsten ist Cartarescu das in der letzten Erzählung gelungen, die in den achtziger Jahren und zu Beginn seiner Existenz als Schriftsteller spielt. Der Protagonist ist zu einer Lesung in die rumänische Provinz eingeladen, und während er sich zu Beginn der Reise noch an den Gedanken hält, "es würde ein Triumphzug werden, alles wies darauf hin", so wird in der Folge jeder einzelne Umstand immer schäbiger - der Transport, das Essen, die Wege, das Publikum. Die gesamte Erzählung über gibt es dieses Wechselspiel von Erwartung und Enttäuschung, wobei die Ausschläge des Pendels immer geringer werden: Die Erwartungen schrumpfen, die Enttäuschungen sind entsprechend geringer, bis das Ganze völlig unerwartet einen förmlichen, literaturgeschichtlich abgesicherten Zauber erhält, wie um den jungen Mann davon abzuhalten, aus allerbesten Gründen das Literatentum sausenzulassen. Manchmal ist dazu eben ein Wunder nötig.
TILMAN SPRECKELSEN
Mircea Cartarescu:
"Die schönen Fremden".
Erzählungen.
Aus dem Rumänischen von Ernest Wichner. Zsolnay Verlag, Wien 2016. 304 S., geb., 21,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.08.2016Das flohkleine Herz des Dichters
Sehr lustig, sehr verzweifelt: Mircea Cărtărescus „Die schönen Fremden“
Rumänische Schriftsteller haben es schwer. Zu Hause in Rumänien kommen sie auf keinen grünen Zweig, und obwohl sie einander herzen und küssen, wenn sie sich begegnen, gönnt doch keiner dem anderen das Schwarze unterm Fingernagel; öffentliche Aufmerksamkeit dürfen sie nur erhoffen, wenn sie beinah einem Anthrax-Anschlag zum Opfer gefallen wären, wobei in der Anteilnahme, speziell seitens der Kollegen, ein kaum verhohlener Todeswunsch mitschwingt. Noch nie, das weiß der Erzähler mit Bestimmtheit, hat sich ein rumänischer Autor durchsetzen können, der im eigenen Land geblieben ist.
Ins Ausland lädt man sie, nachdem 1989 die alten Grenzen gefallen sind, zwar gern als Exoten ein, aber da wird ihnen leicht die Show von einem afrikanischen Slam-Poeten gestohlen: Der ist eben noch exotischer, wenn er in seinem bunten Outfit mit der Begeisterung eines Gospelsängers durchs Publikum wirbelt, eine alte Dame tanzend vom Sessel reißt und die ganze Zeit seine einzige Gedichtzeile jubelt: „Fuck the Dragonfly!“. Da kann ein osteuropäischer Intellektueller höchstens noch dezent auf seine Stammverwandtschaft mit Dracula verweisen – den immerhin kennt man; aber viel hilft das auch nicht, besonders wenn dazu noch eine jodelnde Schafhirtin aus Transsylvanien auftritt, die in ihrer aberwitzigen Tracht mit Quersack und kahngroßen Bundschuhen aussieht wie ein Waldschrat, aber gerade darum viel authentischer wirkt als eine Figur in Jeans und abgetragenem Sakko.
„Ich glaube, der Durchschnittsfranzose, der uns bei jeder unserer Begegnungen fragte, ob auch wir Mobiltelefone benutzen und ob es in Rumänien Bibliotheken gibt, stellt sich vor, wir legen an der Grenze die Trachtenblusen und die leinenen Kniebundhosen ab, vergraben unseren Beutel mit Mamaliguta und dem dazugehörigen Schafskäse im Boden und treten ihnen dann frisch rasiert entgegen, bangend, ob es uns gelingen mag, sie zu täuschen, dass wir ebensolche Menschen seien wie sie selbst und nicht Subjekte der Ethnologie und Folklore. Ach, die Armen, sie trifft überhaupt keine Schuld: So haben wir uns in den letzten hundert Jahren im Ausland präsentiert, wir hüpften im Hopsasa-Rhythmus. Wie sollten sie dann glauben, dass unsere Romane ebenso moderne Literatur sind wie ihre eigenen, dass unsere Künste ebenfalls von der Condition humaine sprechen, dass unsere Filme Filme sind und nicht Weihnachtsgeschichten?“
Mit einer Art von lustiger Verzweiflung erzählt Mircea Cărtărescu aus seinem Autorenleben (denn dass Erzähler und Autor mehr oder weniger identisch sind, daran lässt er keinen Zweifel). Kaum eine Episode wird der Leser finden, die nicht in irgendeiner Weise peinlich, erniedrigend oder mindestens missverständlich abläuft und die ihm nicht dennoch ein Schmunzeln entlockt. In Fällen, wo man nichts ändern kann, wird gewöhnlich zu ironischer Gelassenheit geraten – aber was hilft Ironie, wenn keiner sie versteht?
Zu zwölft müssen sie im Westen auf Tournee gehen, die rumänischen Schriftsteller, unter dem gemeinsamen Namen wie eine Band „Les Belles Étrangères – Die schönen Fremden“. Sie sind es auch, die dem Buch den Titel geben, wobei das Schlimmste daran in der deutschen Version gar nicht zum Ausdruck kommt: nämlich dass es sich im Französischen um die weibliche Form handelt, unter der diese zwölf Männer tingeln. Nun sei er endgültig zum Dutzendschriftsteller geworden, scherzt der Erzähler; ein trauriger Scherz, der ihn nicht mehr verlässt. Seiner Trauer leiht er manchmal Worte; seinem Zorn – nie. Flohklein, sagt er einmal, sei sein Herz.
Das macht das Buch bei aller Lustigkeit zu einer so quälenden Lektüre. Der 1956 geborene Cărtărescu ist ja beileibe nicht der einzige Autor des alten Ostblocks, mit dem es dem Leser so ergeht. Sie alle, ob Bohumil Hrabal und Jan Faktor aus der Tschechoslowakei, Péter Esterházy aus Ungarn oder Zaza Burchuladze aus Georgien, sind vom totalitären Sozialismus geprägt und können das auch in der neuen Zeit nicht verleugnen. Das Beste am Totalitarismus war, dass er nur zur Hälfte funktioniert hat und zur anderen Hälfte aus dem Chaos des Mangels bestand. Dieses Chaos bot Ritzen und Nischen, die man zu seinem Vorteil nutzen konnte, wenn man sich kleinmachte; das begünstigte die Haltung des bedrückten Schelms.
Auf die Demütigungen der Repression folgen die Demütigungen der Freiheit. Der Erzähler erhält mit großem Pomp bei einer Preisverleihung auf silbernem Tablett ein Kuvert – aber als er es öffnet, langt der Betrag kaum für die Rückfahrkarte. Das literaturbegeisterte Publikum, das man ihm bei einer Lesung in einer geschlossenen Anstalt verspricht, stellt sich als eine Ansammlung schwachsinniger Totschläger heraus, deren Rezeption darin besteht, dass sie die ihnen überreichten Bücher mit ihrem Sabber aufweichen. Und so weiter, und so fort; nach 300 Seiten fühlt man sich, es lässt sich kaum anders sagen, moralisch erschöpft.
Die Ausweglosigkeit, von der dieses allzu lustige Buch handelt, spiegelt sich in seiner symmetrischen Anlage: Den langen Mittelteil, der in „Europa“ spielt, klammern, als Präludium und Epilog, Ereignisse im heimischen Rumänien ein. Am Anfang darf man der Polizei des nunmehr demokratischen Staats bei der Arbeit zuschauen (der angebliche Anthrax-Fall), und siehe da, sie ist immer noch so dumm, träge und schikanös wie unter Ceaușescu.
Und der Schluss enthält als Rückblende ein Jugenderlebnis des Erzählers in den Achtzigern, die missglückte Dichterlesung in einer verwahrlosten Provinzstadt, wo er, während ihn seine aufgekratzten und halb wahnsinnigen Dichterkumpel herumlotsen, 48 Stunden lang nichts zu essen bekommt. Die Architektur dieses Triptychons signalisiert unmissverständlich: Revolte hätte niemals einen Sinn.
BURKHARD MÜLLER
Mircea Cărtărescu: Die
schönen Fremden. Erzählungen. Aus dem Rumänischen von Ernest Wichner. Zsolnay Verlag, Wien 2016. 304 Seiten, 21,90 Euro. E-Book 16,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Sehr lustig, sehr verzweifelt: Mircea Cărtărescus „Die schönen Fremden“
Rumänische Schriftsteller haben es schwer. Zu Hause in Rumänien kommen sie auf keinen grünen Zweig, und obwohl sie einander herzen und küssen, wenn sie sich begegnen, gönnt doch keiner dem anderen das Schwarze unterm Fingernagel; öffentliche Aufmerksamkeit dürfen sie nur erhoffen, wenn sie beinah einem Anthrax-Anschlag zum Opfer gefallen wären, wobei in der Anteilnahme, speziell seitens der Kollegen, ein kaum verhohlener Todeswunsch mitschwingt. Noch nie, das weiß der Erzähler mit Bestimmtheit, hat sich ein rumänischer Autor durchsetzen können, der im eigenen Land geblieben ist.
Ins Ausland lädt man sie, nachdem 1989 die alten Grenzen gefallen sind, zwar gern als Exoten ein, aber da wird ihnen leicht die Show von einem afrikanischen Slam-Poeten gestohlen: Der ist eben noch exotischer, wenn er in seinem bunten Outfit mit der Begeisterung eines Gospelsängers durchs Publikum wirbelt, eine alte Dame tanzend vom Sessel reißt und die ganze Zeit seine einzige Gedichtzeile jubelt: „Fuck the Dragonfly!“. Da kann ein osteuropäischer Intellektueller höchstens noch dezent auf seine Stammverwandtschaft mit Dracula verweisen – den immerhin kennt man; aber viel hilft das auch nicht, besonders wenn dazu noch eine jodelnde Schafhirtin aus Transsylvanien auftritt, die in ihrer aberwitzigen Tracht mit Quersack und kahngroßen Bundschuhen aussieht wie ein Waldschrat, aber gerade darum viel authentischer wirkt als eine Figur in Jeans und abgetragenem Sakko.
„Ich glaube, der Durchschnittsfranzose, der uns bei jeder unserer Begegnungen fragte, ob auch wir Mobiltelefone benutzen und ob es in Rumänien Bibliotheken gibt, stellt sich vor, wir legen an der Grenze die Trachtenblusen und die leinenen Kniebundhosen ab, vergraben unseren Beutel mit Mamaliguta und dem dazugehörigen Schafskäse im Boden und treten ihnen dann frisch rasiert entgegen, bangend, ob es uns gelingen mag, sie zu täuschen, dass wir ebensolche Menschen seien wie sie selbst und nicht Subjekte der Ethnologie und Folklore. Ach, die Armen, sie trifft überhaupt keine Schuld: So haben wir uns in den letzten hundert Jahren im Ausland präsentiert, wir hüpften im Hopsasa-Rhythmus. Wie sollten sie dann glauben, dass unsere Romane ebenso moderne Literatur sind wie ihre eigenen, dass unsere Künste ebenfalls von der Condition humaine sprechen, dass unsere Filme Filme sind und nicht Weihnachtsgeschichten?“
Mit einer Art von lustiger Verzweiflung erzählt Mircea Cărtărescu aus seinem Autorenleben (denn dass Erzähler und Autor mehr oder weniger identisch sind, daran lässt er keinen Zweifel). Kaum eine Episode wird der Leser finden, die nicht in irgendeiner Weise peinlich, erniedrigend oder mindestens missverständlich abläuft und die ihm nicht dennoch ein Schmunzeln entlockt. In Fällen, wo man nichts ändern kann, wird gewöhnlich zu ironischer Gelassenheit geraten – aber was hilft Ironie, wenn keiner sie versteht?
Zu zwölft müssen sie im Westen auf Tournee gehen, die rumänischen Schriftsteller, unter dem gemeinsamen Namen wie eine Band „Les Belles Étrangères – Die schönen Fremden“. Sie sind es auch, die dem Buch den Titel geben, wobei das Schlimmste daran in der deutschen Version gar nicht zum Ausdruck kommt: nämlich dass es sich im Französischen um die weibliche Form handelt, unter der diese zwölf Männer tingeln. Nun sei er endgültig zum Dutzendschriftsteller geworden, scherzt der Erzähler; ein trauriger Scherz, der ihn nicht mehr verlässt. Seiner Trauer leiht er manchmal Worte; seinem Zorn – nie. Flohklein, sagt er einmal, sei sein Herz.
Das macht das Buch bei aller Lustigkeit zu einer so quälenden Lektüre. Der 1956 geborene Cărtărescu ist ja beileibe nicht der einzige Autor des alten Ostblocks, mit dem es dem Leser so ergeht. Sie alle, ob Bohumil Hrabal und Jan Faktor aus der Tschechoslowakei, Péter Esterházy aus Ungarn oder Zaza Burchuladze aus Georgien, sind vom totalitären Sozialismus geprägt und können das auch in der neuen Zeit nicht verleugnen. Das Beste am Totalitarismus war, dass er nur zur Hälfte funktioniert hat und zur anderen Hälfte aus dem Chaos des Mangels bestand. Dieses Chaos bot Ritzen und Nischen, die man zu seinem Vorteil nutzen konnte, wenn man sich kleinmachte; das begünstigte die Haltung des bedrückten Schelms.
Auf die Demütigungen der Repression folgen die Demütigungen der Freiheit. Der Erzähler erhält mit großem Pomp bei einer Preisverleihung auf silbernem Tablett ein Kuvert – aber als er es öffnet, langt der Betrag kaum für die Rückfahrkarte. Das literaturbegeisterte Publikum, das man ihm bei einer Lesung in einer geschlossenen Anstalt verspricht, stellt sich als eine Ansammlung schwachsinniger Totschläger heraus, deren Rezeption darin besteht, dass sie die ihnen überreichten Bücher mit ihrem Sabber aufweichen. Und so weiter, und so fort; nach 300 Seiten fühlt man sich, es lässt sich kaum anders sagen, moralisch erschöpft.
Die Ausweglosigkeit, von der dieses allzu lustige Buch handelt, spiegelt sich in seiner symmetrischen Anlage: Den langen Mittelteil, der in „Europa“ spielt, klammern, als Präludium und Epilog, Ereignisse im heimischen Rumänien ein. Am Anfang darf man der Polizei des nunmehr demokratischen Staats bei der Arbeit zuschauen (der angebliche Anthrax-Fall), und siehe da, sie ist immer noch so dumm, träge und schikanös wie unter Ceaușescu.
Und der Schluss enthält als Rückblende ein Jugenderlebnis des Erzählers in den Achtzigern, die missglückte Dichterlesung in einer verwahrlosten Provinzstadt, wo er, während ihn seine aufgekratzten und halb wahnsinnigen Dichterkumpel herumlotsen, 48 Stunden lang nichts zu essen bekommt. Die Architektur dieses Triptychons signalisiert unmissverständlich: Revolte hätte niemals einen Sinn.
BURKHARD MÜLLER
Mircea Cărtărescu: Die
schönen Fremden. Erzählungen. Aus dem Rumänischen von Ernest Wichner. Zsolnay Verlag, Wien 2016. 304 Seiten, 21,90 Euro. E-Book 16,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
"'Die schönen Fremden' bestechen in erster Linie durch ihre umwerfende Komik. ... Mircea Cartarescus neues Buch besticht durch erfrischende Leichtigkeit, stilistische Brillanz - die dank Ernest Wichners Übersetzung auch im Deutschen zum Tragen kommt - und durch die hohe Kunst des Autors, noch aus den banalsten Erlebnismücken Elefanten der Komik zu machen." Jan Koneffke, Deutschlandfunk "Büchermarkt", 11.01.17
"Mircea Cartarescu versteht sich nicht nur auf schwerblütige phantastische Romane, sondern auch auf (irr)witzige leichte Erzählungen." Nico Bleutge, Neue Zürcher Zeitung, 30.06.16
"Wer sich dem gefeierten postmodernen Dichter Mircea Cartarescu sanft annähern möchte, weil er sich über die 'Orbitor'-Trilogie noch nicht drübergetraut hat, dem sei 'Die schönen Fremden' empfohlen, das drei vergleichsweise konventionelle Erzählungen versammelt, bei denen man einfach auch einmal lachen kann. Es ist ein Selbstprortät des Schriftstellers als junger Mann, das wohl zum guten Teil erfunden sein dürfte. Aber gut erfunden." Romana Beer u.a., ORF Bestenliste, 22.06.16
"Das rasante, vor Esprit, (Selbst-)Ironie und grotesker Zuspitzung sprühende Reiseprotokoll demaskiert den internationalen Literaturbetrieb, spielt mit den Tücken der Eigen- und Fremdwahrnehmung - und hievt mit Nonchalance auch noch Rumäniens ganze Literaturgeschichte aus dem Gepäcknetz." Neue Zürcher Zeitung, 21.06.16
"Eine amüsant zu lesende selbstkritische Introspektion eines Schriftstellers." Günter Kaindlstorfer, Ö1 Kultur, 22.05.16
"Anarchie, Witz und Selbstironie: Davon findet sich viel in den neuen Erzählungen des rumänischen Schriftstellers Mircea Cartarescu." Andrea Gerk, Deutschlandradio Kultur Lesart, 07.04.16
"Porträt des Künstlers als Mann in den besten Jahren: Der rumänische Star-Autor Mircea Cartarescu gewährt intime Einblicke in den alltäglichen Wahnsinn des Literaturbetriebs." Günter Kaindlstorfer, WDR5 Lesefrüchte, 07.04.16
"Drei äußerst amüsante Erzählungen, die den selbstironisch-kecken Blick auf die eigene Schriftstellerexistenz mit einer Satire auf den Literaturbetrieb verbinden. ... Vielleicht sind sie imstande, das ein oder andere Rumänienklischee heiter zu unterlaufen." Wolfgang Seibel, Ö1 Morgenjournal, 10.03.16
"Nichts ist diesem Autor zu banal, zu unwichtig, um sein Augenmerk darauf zu richten. Jede dreckige Kleinigkeit, jeder Schmutz und Schweiß birgt das Potential einer Flut von Assoziationen, Abenteuern und Aufregungen. Hier schreibt einer nach dem Zusammenbruch des rumänischen Feudalsozialismus authentisch über das bedrückende Konglomerat aus Korruption , Armut und Oligarchie. ... Das Schlimmste am Kommunismus ist wohl tatsächlich, was danach kommt. Das Schlimmste zeigt sich auch und gerade in den kleinen Dingen und läppischen Begebenheiten des Alltags. Cartarescu schaut nicht nur täglich hin, er stellt sich dem Schlimmsten immerzu und berichtet davon mit Witz und Wut und Übermut." Jörg W. Gronius, SR BücherLese, 02.03.16
"Ein vergleichsweise leichtes Buch, das man aber gerade deswegen nicht unterschätzen sollte. Der anarchische Witz der Erzählungen lotet in der Tiefe, aber auch in einer bisweilen durchaus existenziell empfundenen Leere: dem Lebens eines Schriftstellers." Paul Jandl, Die Welt, 21.02.16
"Mircea Cartarescu versteht sich nicht nur auf schwerblütige phantastische Romane, sondern auch auf (irr)witzige leichte Erzählungen." Nico Bleutge, Neue Zürcher Zeitung, 30.06.16
"Wer sich dem gefeierten postmodernen Dichter Mircea Cartarescu sanft annähern möchte, weil er sich über die 'Orbitor'-Trilogie noch nicht drübergetraut hat, dem sei 'Die schönen Fremden' empfohlen, das drei vergleichsweise konventionelle Erzählungen versammelt, bei denen man einfach auch einmal lachen kann. Es ist ein Selbstprortät des Schriftstellers als junger Mann, das wohl zum guten Teil erfunden sein dürfte. Aber gut erfunden." Romana Beer u.a., ORF Bestenliste, 22.06.16
"Das rasante, vor Esprit, (Selbst-)Ironie und grotesker Zuspitzung sprühende Reiseprotokoll demaskiert den internationalen Literaturbetrieb, spielt mit den Tücken der Eigen- und Fremdwahrnehmung - und hievt mit Nonchalance auch noch Rumäniens ganze Literaturgeschichte aus dem Gepäcknetz." Neue Zürcher Zeitung, 21.06.16
"Eine amüsant zu lesende selbstkritische Introspektion eines Schriftstellers." Günter Kaindlstorfer, Ö1 Kultur, 22.05.16
"Anarchie, Witz und Selbstironie: Davon findet sich viel in den neuen Erzählungen des rumänischen Schriftstellers Mircea Cartarescu." Andrea Gerk, Deutschlandradio Kultur Lesart, 07.04.16
"Porträt des Künstlers als Mann in den besten Jahren: Der rumänische Star-Autor Mircea Cartarescu gewährt intime Einblicke in den alltäglichen Wahnsinn des Literaturbetriebs." Günter Kaindlstorfer, WDR5 Lesefrüchte, 07.04.16
"Drei äußerst amüsante Erzählungen, die den selbstironisch-kecken Blick auf die eigene Schriftstellerexistenz mit einer Satire auf den Literaturbetrieb verbinden. ... Vielleicht sind sie imstande, das ein oder andere Rumänienklischee heiter zu unterlaufen." Wolfgang Seibel, Ö1 Morgenjournal, 10.03.16
"Nichts ist diesem Autor zu banal, zu unwichtig, um sein Augenmerk darauf zu richten. Jede dreckige Kleinigkeit, jeder Schmutz und Schweiß birgt das Potential einer Flut von Assoziationen, Abenteuern und Aufregungen. Hier schreibt einer nach dem Zusammenbruch des rumänischen Feudalsozialismus authentisch über das bedrückende Konglomerat aus Korruption , Armut und Oligarchie. ... Das Schlimmste am Kommunismus ist wohl tatsächlich, was danach kommt. Das Schlimmste zeigt sich auch und gerade in den kleinen Dingen und läppischen Begebenheiten des Alltags. Cartarescu schaut nicht nur täglich hin, er stellt sich dem Schlimmsten immerzu und berichtet davon mit Witz und Wut und Übermut." Jörg W. Gronius, SR BücherLese, 02.03.16
"Ein vergleichsweise leichtes Buch, das man aber gerade deswegen nicht unterschätzen sollte. Der anarchische Witz der Erzählungen lotet in der Tiefe, aber auch in einer bisweilen durchaus existenziell empfundenen Leere: dem Lebens eines Schriftstellers." Paul Jandl, Die Welt, 21.02.16