dennoch nicht die Familienidylle beziehungsweise das positive Familienklima. Auch wenn der Berufsstand eines Bergmannes immer in Ehren gehalten wird, haben die Söhne aufgrund der Perspektiven kaum Ambitionen, beruflich den gleichen Weg einzuschlagen.
Die Sehnsucht nach dem Neuen, nach dem Erfolg oder auch nach einem Schlupfloch aus dem Alltag endet, kurz gesagt, bei der Faszination des Boxens. Wie durch Zufall beginnt für die fünf Brüder eine Idee. Überwältigt von den Eindrücken eines Boxkampfes und unter dem Einfluß des größten der Brüder, beginnen alle mit dem Training. Gut nachgezeichnet wird das Spannungsverhältnis zwischen der sportlichen Entwicklung, dem Gewinn an Selbstvertrauen und der Verständnislosigkeit der Nachbarn. Achtung erwerben sich die Brüder nicht durch Siege in Straßenschlägereien, sondern durch den Gewinn von Boxkämpfen im Ring. Aus der Verständnislosigkeit der Nachbarn wird nach und nach Stolz.
Prägendster Punkt des Buches ist die Ausreise des ältesten Bruders in die DDR. Diese Ausreise wird begleitet von der Verachtung der Familie, insbesondere des Vaters, sowie des gesamten Umfeldes. Das innige Verhältnis des jüngsten zum ausgereisten ältesten Bruder zwingt ihn, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Warum die Flucht? Warum gerade dorthin, in ein Land, das seine Menschen einsperrt?
Antworten sucht er auch bei einer Gruppe von West-Sozialisten, die sich im Hinterzimmer eines Gasthofes in der Siedlung trifft und offensichtlich auch bei der Übersiedlung des ältesten Bruders geholfen hat. Durch näheren Kontakt zu dieser Gruppe erhält er Zeitungen der DDR, die den sportlichen Werdegang des großen Bruders zumindest erahnen lassen.
Die Geschichte gipfelt im Aufeinandertreffen des jüngsten und des ältesten der Brüder während der Boxeuropameisterschaft in Kopenhagen. Der Kampf im Viertelfinale wird für Zuschauer und Trainer zum Eklat. Die Unüberwindbarkeit der Emotionen zwingt die Brüder, auf das Treffen der angesetzten Schläge zu verzichten. Das Schattenboxen hat die Disqualifikation zur Folge.
Für jemanden, der wie ich in der DDR aufgewachsen ist, ist die Sicht, aus der das Land beschrieben wird, nicht immer realistisch. Die ständig folgenden Zufälle in der Geschichte sind an manchen Stellen unwirklich, doch die Details aus der Faszination des Boxsports und dessen Einfluß auf das Leben einer Bergarbeiterfamilie machen das Buch spannend und mitreißend.
AXEL SCHULZ
Der Autor war Europameister der Amateurboxer und kämpfte als Profi dreimal um die Weltmeisterschaft und zweimal um die Europameisterschaft im Schwergewicht.
Besprochenes Buch: Heinrich Peuckmann: "Die Schattenboxer". Middelhauve Verlag, München. 294 Seiten, 28 Mark.
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