ungesund.
Den Niedergang der Sandkastenliebe zwischen Abel und Louise buchstabiert die kanadische Schriftstellerin Barbara Gowdy bis zum bittersten aller Enden durch. Ihren Lesern gönnt sie auf dem Weg dorthin kaum Trost. Ein fahles Licht beleuchtet die Szene, Toronto in den sechziger Jahren. Louise lebt dort mit ihren Eltern in einem Vorort, gefangen in einem mittleren Albtraum. Der Vater ist ein Niemand, die Mutter eine kalte Schönheit, die Louise mit herablassender Nachsicht erzieht; den Mann, Männer an sich verlacht sie. Eines Tages geht sie fort und hinterläßt eine kurze Nachricht: "Louise weiß, wie man die Waschmaschine bedient." Was nicht stimmt.
Louise verliebt sich kurz darauf - zunächst in Abels Mutter, Mrs. Richter, eine joviale Deutsche, deren Warmherzigkeit und Fürsorge in Louise den Wunsch reifen lassen, sie möge sie adoptieren. Denn auch Abel ist ein angenommenes Kind, eine Waise. Er wird es innerlich bleiben: entwurzelt, ein Gast im eigenen Leben; eine "Marsintelligenz", wie Louise es nennt.
Auf Schritt und Tritt sind den Figuren von Barbara Gowdys Roman "Die Romantiker" Raffinesse und Lebensklugheit einer gestandenen Autorin anzumerken. Doch seltsam unverbunden wanken Louise und Abel, ihr Vater und seine Eltern umeinander. Ein Kabinett demolierter Biographien führt Barbara Gowdy vor, zeigt wie unter der Lupe jedes Muttermal, jede Narbe, jeden Makel. Doch sie hat an Kitt gespart, aus alledem jenes große Trauerspiel zu modellieren, das in diesem Stoff steckt. Vielleicht, weil die 1950 geborene Kanadierin zuviel Sorgfalt aufs Detail verwandte, etwa auf einen Felsbrocken an einem Sommerabend: "Der Stein gibt die Hitze des Tages ab. Meine Liebe zu Abel ist wie die Hitze zwischen dem Stein und der hereinbrechenden Nacht. Dieses Gefühl oder dieser Ort."
Die Lektüre der "Romantiker" verlöre schnell an Reiz, wären da nicht solch beeindruckende Passagen und gelungene Nebendarsteller: Mr. Fraser, der Makler, etwa oder Don Shaw, der Buchhändler - Männer ohne Zukunft, denen Louise begegnet, als sie sich durchschlägt mit Jobs, für die sie überqualifiziert ist. Es macht ihr nichts: Sie hat die Lebenslast auf sich genommen, Abel zu lieben. Jeder Ehrgeiz ist in ihr erloschen. "Du bist ausgesprochen schlecht für mich", sagt sie einmal, als Abel längst begonnen hat, sich zu Tode zu trinken. Doch sie bleibt bei ihm, bis er an ihrem sechsundzwanzigsten Geburtstag stirbt.
Barbara Gowdys Anspielung auf ein anderes, vergebliches Paar der Weltliteratur löst ihre Erzählerin Louise auf. "Abélards und Héloïses Liebe war unzerstörbar, und alles, was sie erlitten haben, kam von außen. Bei Abel und mir kam der Angriff von innen. Von ihm." Sie tut jedoch nichts, um ihn abzuwehren, ohnmächtig geworden, nachdem die Mutter sie im Stich ließ.
"Meine Liebe ist eine Tatsache, wie das Gesetz der Schwerkraft", sagt Louise. "Ich habe ein Schicksal. Was ich auch tue, ich werde ihm nicht entgehen." Solch wohlfeilen Fatalismus widerlegt der Roman auf jeder Seite. Wir sind frei, beteuert er. Das Geheimnis ist, sich dafür zu entscheiden.
TOBIAS RÜTHER
Barbara Gowdy: "Die Romantiker". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Ulrike Becker. Verlag Antje Kunstmann, München 2003. 348 S., geb., 19,90 [Euro].
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