"DAS IST EIN EXTREM WICHTIGES BUCH."
Salman Rushdie
Guatemalas schockierendster Mord:
Wer tötete den Bischof?
Die Aufdeckung der Verbrechen der guatemaltekischen Armee bezahlte Bischof Juan Gerardi mit dem Leben. Das Mordmotiv soll verschleiert werden. Doch mutige Richter und Anwälte kämpfen für Gerechtigkeit.
Francisco Goldman rekonstruiert einen wahren Fall, spannend wie ein Kriminalroman.
Salman Rushdie
Guatemalas schockierendster Mord:
Wer tötete den Bischof?
Die Aufdeckung der Verbrechen der guatemaltekischen Armee bezahlte Bischof Juan Gerardi mit dem Leben. Das Mordmotiv soll verschleiert werden. Doch mutige Richter und Anwälte kämpfen für Gerechtigkeit.
Francisco Goldman rekonstruiert einen wahren Fall, spannend wie ein Kriminalroman.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.06.2011Tod eines Bischofs
Am 24. April 1998 veröffentlicht der guatemaltekische Bischof Juan Gerardi einen Bericht über Menschenrechtsverletzungen während des Bürgerkriegs. Hauptverantwortlich sei das Militär. Zwei Tage später wird Gerardi ermordet, gut drei Jahren später werden drei Militärs und ein Pater verurteilt. Ein Berufungsgericht bestätigt die Urteile im Jahr 2005, setzt jedoch das Strafmaß für die Haupttäter auf zwanzig Jahre herab. Erst 2007 weist das Verfassungsgericht des mittelamerikanischen Staates einen letzten Antrag der Verteidigung zurück und setzt das Urteil in Kraft. In seinem Buch "Die Kunst des politischen Mordes" protokolliert der amerikanische Journalist Francisco Goldman die Geschichte dieser Geschehnisse. Langsam bekommt der Leser dabei ein Bild von der Unübersichtlichkeit der Zeugenaussagen und des gesamten Verfahrens. Goldman zeigt, wie aus Täterkreisen der neugierigen Öffentlichkeit immer wieder reich ausgeschmückte Geschichten vorgesetzt werden, bis Nebensächlichkeiten im medialen Vordergrund stehen. Hat der Schäferhund des Bischofs zugebissen? Was machte der Unbekannte mit nacktem Oberkörper am Tatort? War Streit in einer homosexuellen Beziehung Auslöser für die Tat? Goldman geht ausdrücklich auf Distanz zu Mario Vargas Llosa, der sich in einem Zeitungsartikel 2004 der Theorie vom Hundebiss anschloss. Seine Darstellung wirkt zuverlässig; dass er auch bei der Exhumierung des Bischofs zugegen war, ist da nur ein zusätzliches Detail. (Francisco Goldman: "Die Kunst des politischen Mordes". Aus dem Englischen von Roberto de Hollanda. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2011. 512 S., geb., 24,95 [Euro].) gran
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Am 24. April 1998 veröffentlicht der guatemaltekische Bischof Juan Gerardi einen Bericht über Menschenrechtsverletzungen während des Bürgerkriegs. Hauptverantwortlich sei das Militär. Zwei Tage später wird Gerardi ermordet, gut drei Jahren später werden drei Militärs und ein Pater verurteilt. Ein Berufungsgericht bestätigt die Urteile im Jahr 2005, setzt jedoch das Strafmaß für die Haupttäter auf zwanzig Jahre herab. Erst 2007 weist das Verfassungsgericht des mittelamerikanischen Staates einen letzten Antrag der Verteidigung zurück und setzt das Urteil in Kraft. In seinem Buch "Die Kunst des politischen Mordes" protokolliert der amerikanische Journalist Francisco Goldman die Geschichte dieser Geschehnisse. Langsam bekommt der Leser dabei ein Bild von der Unübersichtlichkeit der Zeugenaussagen und des gesamten Verfahrens. Goldman zeigt, wie aus Täterkreisen der neugierigen Öffentlichkeit immer wieder reich ausgeschmückte Geschichten vorgesetzt werden, bis Nebensächlichkeiten im medialen Vordergrund stehen. Hat der Schäferhund des Bischofs zugebissen? Was machte der Unbekannte mit nacktem Oberkörper am Tatort? War Streit in einer homosexuellen Beziehung Auslöser für die Tat? Goldman geht ausdrücklich auf Distanz zu Mario Vargas Llosa, der sich in einem Zeitungsartikel 2004 der Theorie vom Hundebiss anschloss. Seine Darstellung wirkt zuverlässig; dass er auch bei der Exhumierung des Bischofs zugegen war, ist da nur ein zusätzliches Detail. (Francisco Goldman: "Die Kunst des politischen Mordes". Aus dem Englischen von Roberto de Hollanda. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2011. 512 S., geb., 24,95 [Euro].) gran
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.10.2011„Wenn Sie dieses Video sehen, bin ich tot“
Was der Staat weiß, macht ihn nicht heiß. Rechtlosigkeit und Korruption werden in Guatemala seit jeher gepflegt: von den Kolonisatoren, von den USA und natürlich auch von der
einheimischen Elite. Der Schriftsteller und Journalist Francisco Goldman hat einen großartigen Bericht über das Land verfasst – er liest sich wie ein Krimi Von Peter Burghardt
Juan Gerardi hatte noch zwei Tage zu leben, als er das grausigste Kapitel von Guatemalas Vergangenheit vorstellte. Dabei sollte jener 24. April 1998 helfen, eine friedliche Zukunft einzuleiten. Der Weihbischof und Menschenrechtler Gerardi leitete eine Kommission zur „Wiedererlangung der historischen Wahrheit“ (REMHI), die den Bürgerkrieg von 1960 bis 1996 in dem zentralamerikanischen Land dokumentierte.
200 000 Menschen starben bei dem Gemetzel zwischen Militär und Guerilla – die REMHI fand heraus, dass 90 Prozent der Verbrechen von Armee und Todesschwadronen begangen wurden. Meistens an Zivilisten aus der indianischen Bevölkerungsmehrheit. „Guatemala: nie wieder!“, heißt der Bericht. „Wir wollten die Geschichte des Leidens und des Todes rekonstruieren, um die Motive zu entdecken“, sagte Gerardi bei der feierlichen Präsentation in der Kathedrale der Hauptstadt. 48 Stunden später war er tot.
Am 26. April 1998 lag der 75-jährige Gerardi mit zertrümmertem Schädel in der Garage seiner Pfarrei nahe des Präsidentenpalastes von Guatemala-Stadt. Wieder war in einer der gewalttätigsten Regionen der Erde eine Stimme der Entrechteten zum Schweigen gebracht worden. Die weltweite Empörung erfasste auch den US-guatemaltekischen Schriftsteller Francisco Goldman, der die Anatomie dieses Verbrechens erst für den New Yorker darstellte und danach in dem Buch „The Art of Political Murder. Who Killed the Bishop?“ Auf Deutsch: „Die Kunst des politischen Mordes“.
Das Stück ist ein Thriller, sein erster Satz erinnert an die „Chronik eines angekündigten Todes“ von Gabriel García Márquez: „Am Sonntagnachmittag, nur wenige Stunden bevor Bischof Juan Gerardi Conedera in der Garage des Pfarrhauses San Sebastián im alten Zentrum von Guatemala-Stadt erschlagen wurde, saß er mit einem Scotch bei einem Freund im Garten und erzählte Geschichten.“
Die 500 Seiten lesen sich wie eine Mischung aus Kriminalroman und Geschichtsreflexion. Sie brauchen keinen magischen Realismus, denn sie sind das Ergebnis von acht Jahren gruseliger Recherche. Die Lektüre verlangt angesichts der Fülle von Namen und Details Geduld und Aufmerksamkeit, aber es lohnt sich. Goldman nennt seine Arbeit „journalistische Archäologie“. Autor und Ermittler wühlen sich durch einen Sumpf von Gerüchten, Intrigen und Terror. Das Ergebnis geht weit über die Causa Gerardi hinaus, es ist die Studie eines wenig bekannten Landes und seiner Abgründe.
Wer also tötete den Bischof? Mehr als 98 Prozent solcher Bluttaten in Guatemala und Nachbarstaaten wie El Salvador oder Honduras werden nie aufgeklärt. Auch bei Gerardi spannten Feinde von Wahrheit und Justiz ein Netz von falschen Fährten. Von gewöhnlichen Kriminellen war die Rede und von homosexuellen Motiven. Ein spanischer Gerichtsmediziner brachte sogar einen deutschen Schäferhund namens Baloo im Kreis der Verdächtigen unter.
An den Verschwörungstheorien, Hetzkampagnen und Ablenkungsmanövern beteiligte sich auch die Regierung des damaligen Staatschefs Álvaro Arzu, der es darum zu tun war, die Mörder zu schützen. Denn diese stammten aus hohen Kreisen von Militär und Geheimdienst, einer beklemmend einflussreichen Schattenmacht.
Pech für die Täter, dass einem Taxifahrer beim Tatort das Nummernschild eines Armeefahrzeugs auffiel und anderen Beobachtern noch viel mehr. Auch durfte ein wegen eines anderen Mordes inhaftierter Major just zur Tatzeit seine Zelle verlassen. Goldman folgt mutigen Juristen und Zeugen, hartnäckigen Ermittlern wie Édgar Gutierrez und Leopoldo Zeissig. Viele von ihnen wurden bedroht und flohen ins Exil. Ohne die in der Regel nur mäßig effektive Schutzmission der Vereinten Nationen sowie Beistand von Kirche und anderen Helfern wäre es wohl nie zu Prozessen gekommen.
2001 verurteilte ein Gericht drei Offiziere und als Komplizen einen Priester zu langen Strafen, einer der Häftlinge wurde nachher im Gefängnis umgebracht. Das Urteil galt als Triumph im Reich von Straflosigkeit und Schweigen. Doch als Drahtzieher vermutet Goldmann noch höhere Stellen des militärischen Geheimdienstes um den heutigen Präsidentschaftskandidaten Otto Pérez, „die Quelle kaum entwirrbarer krimineller Machenschaften“.
Der Reporter zeichnet das düstere Bild eines schönen und verschlossenen Landes, das zum Revier der Mafia verkommt. Die Tragödie begann schon mit der Kolonisierung, seitdem werden die Ureinwohner der Maya wie Menschen zweiter Klasse betrachtet. Später verkam die Republik zu einem Versuchslabor des Schreckens. Kürzlich wurde bekannt, dass US-Mediziner in den 40er Jahren 696 Guatemalteken absichtlich mit Syphilis infiziert hatten, ein Experiment. 1954 ließ Washington den linken Präsidenten Jacobo Árbenz stürzen – dessen Agrarreform missfiel besonders der United Fruit Company, nachmals Chiquita. „Bitter Fruit“, heißt ein Buch über diesen Staatsstreich. Die folgende Schlacht war die schmutzigste der schmutzigen Schlachten südlich des Rio Grande. Beim Kampf gegen die Rebellen schleiften Soldaten und Paramilitärs ganze Maya-Dörfer. „Trocknet den See aus, in dem der Fisch schwimmt“, war das Motto. Viele Schlächter wurden an der US-Folterschule School of the Americas ausgebildet.
Einige der Massaker sollen die nachmaligen Präsidentschaftsbewerber Efraín Ríos Montt und Otto Pérez in Auftrag gegeben haben. Der evangelikal-fundamentalistische Prediger Ríos Montt wurde nachher Parlamentspräsident, der verdächtige Rechtsaußen Pérez tritt bei den Wahlen im September gegen die frühere Präsidentengattin Sandra Torres an. Der Friedensvertrag von 1996 beendete zwar den Bürgerkrieg, aber keineswegs die Gewalt. Alte Seilschaften haben sich mit neuen Banden vermischt. Goldman könnte das Drama mühelos erweitern.
17 000 Morde wurden in den vergangenen zwei Jahren unter Guatemalas Vulkanen gezählt. Das sind gemessen an der Einwohnerschaft vier mal so viele wie im mexikanischen Drogenkrieg und noch mehr als im Irak. Rauschgiftbanden wie die Zetas massakrieren und bestechen nach Belieben, die Regierung von Präsident Álvaro Colom hat mancherorts die Kontrolle verloren. Fast sämtliche Ladungen Kokain, Marihuana und Pillen Richtung USA passieren Guatemala. Schätzungen zufolge sind 300 000 illegale Waffen im Umlauf. Jugendbanden mit grausamen Riten, die sogenannten Maras, bringen Schrecken über das Land. Auch gegen Frauenmorde und Kinderhandel ist eine der ärmsten und korruptesten Nationen der Hemisphäre weitgehend machtlos.
Unerschrockene Fahnder sorgten zumindest für teilweise Aufklärung. Man erfährt von Strukturen, in denen die „Grenze zwischen Verbrechen und Politik so fließend ist, dass sie aufhört zu existieren“. Francisco Goldman schreibt von „Licht in dieser Finsternis“, er half beim Ausleuchten. Und halbwegs gelöst wurde mittlerweile auch das gleichermaßen aufsehenerregende Rosenberg-Rätsel:
Am 10. Mai 2009 lag der Rechtsanwalt und Politiker Rodrigo Rosenberg auf der Straße in einem der besten Viertel von Guatemala-Stadt erschossen neben seinem Fahrrad. Kurz darauf geriet ein Video in Umlauf, in dem er seinen Tod bekannt gab: „Guten Abend, mein Name ist Rodrigo Rosenberg Marzano. Wenn Sie dieses Video sehen, bin ich ein toter Mann. Dafür verantwortlich sind Präsident Álvaro Colom und sein Privatsekretär Gustavo Alejos.“ Colom wurde nach einer UN-Untersuchung für unschuldig erklärt: Rosenberg soll seine Mörder selbst beauftragt haben. Soweit reicht die Kunst des politischen Mordes in Guatemala.
Francisco Goldman
Die Kunst des politischen
Mordes
Aus dem Amerikanischen von Roberto de Hollanda. Rowohlt, Reinbek 2011. 505 Seiten, 24,95 Euro.
Ein Gerichtsmediziner führte
sogar einen Hund auf
der Liste der Verdächtigen auf
Im 20. Jahrhundert wurde
Guatemala zu einem
Versuchslabor des Schreckens
Unerschrockene, mutige
Fahnder bemühten sich um
Aufklärung der Verbrechen
Farbig geht es zu in Guatemala und mörderisch: Das Land wird von der Korruption regiert, der militärische Geheimdienst assistiert. Foto: Caro /Waechter
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Was der Staat weiß, macht ihn nicht heiß. Rechtlosigkeit und Korruption werden in Guatemala seit jeher gepflegt: von den Kolonisatoren, von den USA und natürlich auch von der
einheimischen Elite. Der Schriftsteller und Journalist Francisco Goldman hat einen großartigen Bericht über das Land verfasst – er liest sich wie ein Krimi Von Peter Burghardt
Juan Gerardi hatte noch zwei Tage zu leben, als er das grausigste Kapitel von Guatemalas Vergangenheit vorstellte. Dabei sollte jener 24. April 1998 helfen, eine friedliche Zukunft einzuleiten. Der Weihbischof und Menschenrechtler Gerardi leitete eine Kommission zur „Wiedererlangung der historischen Wahrheit“ (REMHI), die den Bürgerkrieg von 1960 bis 1996 in dem zentralamerikanischen Land dokumentierte.
200 000 Menschen starben bei dem Gemetzel zwischen Militär und Guerilla – die REMHI fand heraus, dass 90 Prozent der Verbrechen von Armee und Todesschwadronen begangen wurden. Meistens an Zivilisten aus der indianischen Bevölkerungsmehrheit. „Guatemala: nie wieder!“, heißt der Bericht. „Wir wollten die Geschichte des Leidens und des Todes rekonstruieren, um die Motive zu entdecken“, sagte Gerardi bei der feierlichen Präsentation in der Kathedrale der Hauptstadt. 48 Stunden später war er tot.
Am 26. April 1998 lag der 75-jährige Gerardi mit zertrümmertem Schädel in der Garage seiner Pfarrei nahe des Präsidentenpalastes von Guatemala-Stadt. Wieder war in einer der gewalttätigsten Regionen der Erde eine Stimme der Entrechteten zum Schweigen gebracht worden. Die weltweite Empörung erfasste auch den US-guatemaltekischen Schriftsteller Francisco Goldman, der die Anatomie dieses Verbrechens erst für den New Yorker darstellte und danach in dem Buch „The Art of Political Murder. Who Killed the Bishop?“ Auf Deutsch: „Die Kunst des politischen Mordes“.
Das Stück ist ein Thriller, sein erster Satz erinnert an die „Chronik eines angekündigten Todes“ von Gabriel García Márquez: „Am Sonntagnachmittag, nur wenige Stunden bevor Bischof Juan Gerardi Conedera in der Garage des Pfarrhauses San Sebastián im alten Zentrum von Guatemala-Stadt erschlagen wurde, saß er mit einem Scotch bei einem Freund im Garten und erzählte Geschichten.“
Die 500 Seiten lesen sich wie eine Mischung aus Kriminalroman und Geschichtsreflexion. Sie brauchen keinen magischen Realismus, denn sie sind das Ergebnis von acht Jahren gruseliger Recherche. Die Lektüre verlangt angesichts der Fülle von Namen und Details Geduld und Aufmerksamkeit, aber es lohnt sich. Goldman nennt seine Arbeit „journalistische Archäologie“. Autor und Ermittler wühlen sich durch einen Sumpf von Gerüchten, Intrigen und Terror. Das Ergebnis geht weit über die Causa Gerardi hinaus, es ist die Studie eines wenig bekannten Landes und seiner Abgründe.
Wer also tötete den Bischof? Mehr als 98 Prozent solcher Bluttaten in Guatemala und Nachbarstaaten wie El Salvador oder Honduras werden nie aufgeklärt. Auch bei Gerardi spannten Feinde von Wahrheit und Justiz ein Netz von falschen Fährten. Von gewöhnlichen Kriminellen war die Rede und von homosexuellen Motiven. Ein spanischer Gerichtsmediziner brachte sogar einen deutschen Schäferhund namens Baloo im Kreis der Verdächtigen unter.
An den Verschwörungstheorien, Hetzkampagnen und Ablenkungsmanövern beteiligte sich auch die Regierung des damaligen Staatschefs Álvaro Arzu, der es darum zu tun war, die Mörder zu schützen. Denn diese stammten aus hohen Kreisen von Militär und Geheimdienst, einer beklemmend einflussreichen Schattenmacht.
Pech für die Täter, dass einem Taxifahrer beim Tatort das Nummernschild eines Armeefahrzeugs auffiel und anderen Beobachtern noch viel mehr. Auch durfte ein wegen eines anderen Mordes inhaftierter Major just zur Tatzeit seine Zelle verlassen. Goldman folgt mutigen Juristen und Zeugen, hartnäckigen Ermittlern wie Édgar Gutierrez und Leopoldo Zeissig. Viele von ihnen wurden bedroht und flohen ins Exil. Ohne die in der Regel nur mäßig effektive Schutzmission der Vereinten Nationen sowie Beistand von Kirche und anderen Helfern wäre es wohl nie zu Prozessen gekommen.
2001 verurteilte ein Gericht drei Offiziere und als Komplizen einen Priester zu langen Strafen, einer der Häftlinge wurde nachher im Gefängnis umgebracht. Das Urteil galt als Triumph im Reich von Straflosigkeit und Schweigen. Doch als Drahtzieher vermutet Goldmann noch höhere Stellen des militärischen Geheimdienstes um den heutigen Präsidentschaftskandidaten Otto Pérez, „die Quelle kaum entwirrbarer krimineller Machenschaften“.
Der Reporter zeichnet das düstere Bild eines schönen und verschlossenen Landes, das zum Revier der Mafia verkommt. Die Tragödie begann schon mit der Kolonisierung, seitdem werden die Ureinwohner der Maya wie Menschen zweiter Klasse betrachtet. Später verkam die Republik zu einem Versuchslabor des Schreckens. Kürzlich wurde bekannt, dass US-Mediziner in den 40er Jahren 696 Guatemalteken absichtlich mit Syphilis infiziert hatten, ein Experiment. 1954 ließ Washington den linken Präsidenten Jacobo Árbenz stürzen – dessen Agrarreform missfiel besonders der United Fruit Company, nachmals Chiquita. „Bitter Fruit“, heißt ein Buch über diesen Staatsstreich. Die folgende Schlacht war die schmutzigste der schmutzigen Schlachten südlich des Rio Grande. Beim Kampf gegen die Rebellen schleiften Soldaten und Paramilitärs ganze Maya-Dörfer. „Trocknet den See aus, in dem der Fisch schwimmt“, war das Motto. Viele Schlächter wurden an der US-Folterschule School of the Americas ausgebildet.
Einige der Massaker sollen die nachmaligen Präsidentschaftsbewerber Efraín Ríos Montt und Otto Pérez in Auftrag gegeben haben. Der evangelikal-fundamentalistische Prediger Ríos Montt wurde nachher Parlamentspräsident, der verdächtige Rechtsaußen Pérez tritt bei den Wahlen im September gegen die frühere Präsidentengattin Sandra Torres an. Der Friedensvertrag von 1996 beendete zwar den Bürgerkrieg, aber keineswegs die Gewalt. Alte Seilschaften haben sich mit neuen Banden vermischt. Goldman könnte das Drama mühelos erweitern.
17 000 Morde wurden in den vergangenen zwei Jahren unter Guatemalas Vulkanen gezählt. Das sind gemessen an der Einwohnerschaft vier mal so viele wie im mexikanischen Drogenkrieg und noch mehr als im Irak. Rauschgiftbanden wie die Zetas massakrieren und bestechen nach Belieben, die Regierung von Präsident Álvaro Colom hat mancherorts die Kontrolle verloren. Fast sämtliche Ladungen Kokain, Marihuana und Pillen Richtung USA passieren Guatemala. Schätzungen zufolge sind 300 000 illegale Waffen im Umlauf. Jugendbanden mit grausamen Riten, die sogenannten Maras, bringen Schrecken über das Land. Auch gegen Frauenmorde und Kinderhandel ist eine der ärmsten und korruptesten Nationen der Hemisphäre weitgehend machtlos.
Unerschrockene Fahnder sorgten zumindest für teilweise Aufklärung. Man erfährt von Strukturen, in denen die „Grenze zwischen Verbrechen und Politik so fließend ist, dass sie aufhört zu existieren“. Francisco Goldman schreibt von „Licht in dieser Finsternis“, er half beim Ausleuchten. Und halbwegs gelöst wurde mittlerweile auch das gleichermaßen aufsehenerregende Rosenberg-Rätsel:
Am 10. Mai 2009 lag der Rechtsanwalt und Politiker Rodrigo Rosenberg auf der Straße in einem der besten Viertel von Guatemala-Stadt erschossen neben seinem Fahrrad. Kurz darauf geriet ein Video in Umlauf, in dem er seinen Tod bekannt gab: „Guten Abend, mein Name ist Rodrigo Rosenberg Marzano. Wenn Sie dieses Video sehen, bin ich ein toter Mann. Dafür verantwortlich sind Präsident Álvaro Colom und sein Privatsekretär Gustavo Alejos.“ Colom wurde nach einer UN-Untersuchung für unschuldig erklärt: Rosenberg soll seine Mörder selbst beauftragt haben. Soweit reicht die Kunst des politischen Mordes in Guatemala.
Francisco Goldman
Die Kunst des politischen
Mordes
Aus dem Amerikanischen von Roberto de Hollanda. Rowohlt, Reinbek 2011. 505 Seiten, 24,95 Euro.
Ein Gerichtsmediziner führte
sogar einen Hund auf
der Liste der Verdächtigen auf
Im 20. Jahrhundert wurde
Guatemala zu einem
Versuchslabor des Schreckens
Unerschrockene, mutige
Fahnder bemühten sich um
Aufklärung der Verbrechen
Farbig geht es zu in Guatemala und mörderisch: Das Land wird von der Korruption regiert, der militärische Geheimdienst assistiert. Foto: Caro /Waechter
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensent Peter Burghardt ist tief beeindruckt: Dieser Bericht des amerikanisch-guatemaltekischen Journalisten Francisco Goldman hat ihm die ganze Misere eines armen, lateinamerikanischen Landes vor Augen geführt, in dem - auf die Einwohnerzahl umgerechnet - vier mal mehr Morde begangen werden als in Mexiko. Goldman untersucht beispielsweise die Ermordung des Weihbischofs Juan Gerardi, der zwei Tage, nachdem er einen Bericht über den Bürgerkrieg und die Verbrechen des Militärs vorgestellt hatte, ermordet wurde. Die Amerikaner haben ihren Teil dazu beigetragen, erfährt Burghardt, denn sie haben nicht nur einige der Mörder in der "US-Folterschool of the Americas" ausgebildet, sondern auch medizinische Versuche in diesem Teil der Welt durchgeführt. So sollen sie in den Vierzigern 696 Guatemalteken zu Versuchszwecken absichtlich mit Syphilis infiziert haben. Der Rezensent kann das Buch als Mischung aus Thriller und Geschichtsschreibung nur empfehlen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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