gelassen.
Europa, Yerrup, ist, wie in "Mara und Dann", vereist, und Afrika, Ifrik, noch immer ein Kontinent aus Wüste und Morast, ein Kontinent voller Kriege und Flüchtlinge, zurückgeworfen auf eine Epoche ohne Strom und High-Tech-Medizin, ohne Buchdruck und Weltkarten. Der (ehemalige) General Dann hat sich in ein altes "Zentrum" zurückgezogen, in eine urbane Ruine aus unserer Zeit, die er nicht versteht, deren Geist er aber verehrt. Denn Dann ist einer, der vom Wissensdurst getrieben ist, der aufbricht bis ans Ende (seiner) Welt, nur um einmal dort gewesen zu sein. Kurz: Dann ist ein Philosoph und Urpionier, Beziehungsparanoia inbegriffen. Seine Schwester Mara, die auf einer entfernten Farm wohnt, erhebt er zur Heiligen, seine von ihm schwangere Geliebte, ebenfalls auf die Farm verbannt, wird dementsprechend in die Rolle der Hure verwiesen.
Trotzdem geht man mit dem Kerl, zu dem das Klischee vom einsamen Wolf kaum besser passen könnte, gern ein Stück mit. Seine Reise zum Eis und zurück hält den Leser bei der Stange, immerhin trifft Dann wie Odysseus auf hilfreiche Frauen und einen hinreißend treuen (Wild-)Hund. Irgendwo auf dem Weg in Richtung Norden lebt ein kindliches Volk, das satt und blind in den Tag hineinlebt und Danns Geschichten von Krieg und Massakern, von Dürre und Hungertod als Schauermärchen abtut: "Die Phantasie war durch das bequeme Leben weich und schlaff geworden" - so wie unsere, insinuiert der Text, der erwartungsgemäß und genrekonform überhaupt gern Parallelen zwischen Zukunft und Gegenwart zieht.
Dennoch versorgen uns die knapp dreihundert Seiten, die der Klappentext als "visionären Roman" etikettiert, bis zum Schluß mit anständiger Unterhaltung, trotz erhobenem Zeigefinger, gesenkter Tränenschwelle und nicht allzu differenziert dargestelltem Personal. Die böse Geliebte Kira vergiftet den treuen Schneehund. Die Tochter der edlen Schwester Mara, deren Tod den General Dann für eine Weile in eine Depression samt Drogenexzeß katapultiert, wird vor der bösen Kira gerettet und wächst zu einer guten, weisen Frau heran. Griot wiederum, der brave Adlatus seines Generals, der den Karren mit seiner praktischen Vernunft buchstäblich aus dem Schlamm gezogen hat, bekommt endlich seinen gerechten Lohn. "Die Geschichte von General Dann und Maras Tochter, von Griot und dem Schneehund" ist ein bittersüßes Märchen, das sich in sibyllinischen Andeutungen gefällt. "Hier ist alles gut, nicht wahr, Dann?" fragt Maras Tochter, als der General endlich eine sichere und friedensreiche Herrschaft über das Land Tundra ausübt. "So, wie ich das sehe, heißt das glücklich und in Freuden leben", zitiert sie den englischsprachigen Märchenschluß "and they lived happily ever after". Doch Dann wäre nicht Dann, wenn er nicht mit einem spöttischen "Ja, natürlich ist hier alles gut, natürlich" kontern würde. - Doris Lessing, die nobelpreisverdächtige Romancière? Es war einmal ...
ALEXANDRA KEDVES.
Doris Lessing: "Die Geschichte von General Dann und Maras Tochter, von Griot und dem Schneehund". Roman. Aus dem Englischen von Barbara Christ. Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2006. 288 S., 25,- [Euro].
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