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So denkt der Astrophysiker Frank Zweig, dem im Jahr nach dem Tod seines Vaters mit Wehmut bewusst wird, dass nichts in seinem Leben von Dauer ist. Da sind Kindheit und Jugend, die im leeren Haus seines Vaters noch einmal lebendig werden und doch unwiederbringlich vorbei sind. Da ist die flüchtige Liebe zu Ellen, die nur momentweise gelingt, oder der Physikerkollege im Observatorium, der auf seiner manischen Suche nach fremder Intelligenz im All den Verstand verliert.
Ulrich Woelk, geb. 1960 in Bonn, studierte in Tübingen Physik. 1991 promovierte er an der Technischen Universität in Berlin. Bis 1995 war er am dortigen Institut für Astronomie und Astrophysik als theoretischer Astrophysiker mit dem Spezialgebiet Doppelsterne tätig. Heute lebt der freie Schriftsteller in Berlin, ist verheiratet und hat eine Tochter.
Produktdetails
- Verlag: Hoffmann und Campe
- Seitenzahl: 284
- Deutsch
- Abmessung: 210mm x 135mm x 28mm
- Gewicht: 454g
- ISBN-13: 9783455079128
- ISBN-10: 3455079121
- Artikelnr.: 14114862
Herstellerkennzeichnung
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Das All ist eine Achterbahn
Ulrich Woelk kapituliert vor der Unberechenbarkeit des Schicksals / Von Kolja Mensing
Frank Zweig ist ein alter Bekannter. Als junger Mann und angehender Physiker hatte er sich in Ulrich Woelks Debüt "Freigang" in eine ödipale Wahnvorstellung geflüchtet und war in die geschlossene Abteilung einer psychiatrischen Klinik eingeliefert worden. "Ich habe meinen Vater umgebracht": So begann der Roman aus dem Jahr 1990. Seitdem hat Ulrich Woelk fünf weitere Romane, ein Theaterstück und eine Erzählung veröffentlicht, und jetzt, fünfzehn Jahre nach dem Erscheinen seines hochgelobten Debüts, hat er seinen Ich-Erzähler von damals wiederbelebt.
"Die Einsamkeit des Astronomen" beginnt
Ulrich Woelk kapituliert vor der Unberechenbarkeit des Schicksals / Von Kolja Mensing
Frank Zweig ist ein alter Bekannter. Als junger Mann und angehender Physiker hatte er sich in Ulrich Woelks Debüt "Freigang" in eine ödipale Wahnvorstellung geflüchtet und war in die geschlossene Abteilung einer psychiatrischen Klinik eingeliefert worden. "Ich habe meinen Vater umgebracht": So begann der Roman aus dem Jahr 1990. Seitdem hat Ulrich Woelk fünf weitere Romane, ein Theaterstück und eine Erzählung veröffentlicht, und jetzt, fünfzehn Jahre nach dem Erscheinen seines hochgelobten Debüts, hat er seinen Ich-Erzähler von damals wiederbelebt.
"Die Einsamkeit des Astronomen" beginnt
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damit, daß Frank Zweig, der mittlerweile etwa vierzig Jahre alt ist, mit dem Zug nach Köln fährt, um gemeinsam mit seiner Schwester den elterlichen Haushalt aufzulösen: Der Vater, den er damals in seiner Phantasie ermorden wollte, ist nun wirklich gestorben.
Doch das ist nicht der einzige Grund für die Reise. Frank Zweig hat sich für mehrere Wochen von seiner Arbeit beurlauben lassen, weil man ihm "seitens des Forschungsressorts der Europäischen Union vorwirft, für die Zerstörung von astronomischen Instrumenten im Wert von mehr als drei Millionen Euro verantwortlich zu sein". Über diese lakonische Mitteilung hinaus erfährt man zunächst nicht mehr, als daß es in der thüringischen Schwarzschild-Sternwarte einige Monate zuvor einen Unfall gegeben hat - und daß der Physiker sich "der Forderung der europäischen Bürokratie nach einem Bericht" gefügt hat und im Haus der Eltern nun seine "Sicht der Dinge" zu Papier bringen will. "Zwanzig, dreißig Seiten. Um mehr geht es gar nicht", hatte man ihm in Brüssel mitgeteilt. Frank Zweig wird "hier, in jenem Zimmer, in dem ich einst aufgewachsen bin", jedoch mehr rekonstruieren als nur die letzten Wochen eines desaströsen Forschungsprojektes.
Während er an seinem immer weiter ausufernden Manuskript arbeitet, streift Zweig durch das Haus der Eltern und stößt dabei auf die Bruchstücke der eigenen Vergangenheit. In einem alten Urlaubsfoto, das ihn gemeinsam mit seinen Eltern in "verblaßten Farben" an einem Strand in Spanien zeigt, entdeckt er die ersten Anzeichen späterer Entfremdung und Einsamkeit, ein Schnappschuß seiner "schmerzlichen jungen" Schwester erinnert ihn an einen erotisch zunächst recht verheißungsvollen und dann "ziemlich unspektakulären" Besuch in ihrer Wohnung im alten West-Berlin, und auf einer verblichenen Ansichtskarte, die er als Student in der Provence geschrieben hat, ist von der Verweigerungshaltung gegenüber den Eltern nur noch eine Andeutung geblieben: ",Ich genieße das Leben', hatte ich unter anderem notiert, und das sollte wohl heißen: Hier kann ich es genießen."
"Die Einsamkeit des Astronomen" ist aus zahlreichen solcher Rückblenden zusammengesetzt, zu denen auch das Sterben des Vaters in der bedrückenden Atmosphäre eines Krankenhauszimmers gehört und die traurige Geschichte eines ungeborenen Kindes, durch das der unwillige Sohn Frank Zweig beinahe selbst zum Vater geworden wäre. So wird der Bericht für die Beamten in Brüssel zu einer "Lebensbeichte". Für den Erzähler verbindet sich damit allerdings kein Gefühl der Erleichterung, sondern die bedrückende Verpflichtung, die scheinbar willkürlichen Erinnerungssplitter und "entzeitlichten Augenblicke in eine Kontinuität" zu überführen. Doch eine Biographie ist nur eine Illusion, glaubt Frank Zweig, die allein der Tatsache geschuldet ist, "daß wir nicht in der Lage sind, den Faden der Zeit zu verlassen".
Der Erzähler, der selbst seine intimsten Empfindungen im Tonfall einer wissenschaftlichen Versuchsbeschreibung formuliert, bekennt, daß er vor allem deshalb Physiker geworden sei, um sich "die Welt auf Distanz zu halten". Es ist also kein Zufall, daß Ulrich Woelk an verschiedenen Stellen auf "Homo faber" anspielt: Genau wie der Techniker in Max Frischs Roman im malerisch über der mexikanischen Wüste aufgehenden Mond nur "eine errechenbare Masse" und "eine Sache der Gravitation" erkennen wollte, so verbindet sich auch für den Astronomen mit dem Blick in den Himmel kein metaphysisches Erlebnis, sondern allein die Bestätigung für den reibungslosen Ablauf "einer über jede Kritik erhabenen Faktenmaschine". Und selbst für die ressourcenverschlingende und wissenschaftlich zweifelhafte Beobachtung eines möglicherweise "erdähnlichen Planeten" in der Umlaufbahn eines "namenlosen Hauptreihensterns", die für seinen leicht exzentrischen Kollegen Lotzki im Wahnsinn und für die Forschungskommission in einem finanziellen Super-GAU endet, hält dieser "Homo Zweig" noch eine trotzige Erklärung bereit: "Die meisten Astronomen", so behauptet er, "glauben, daß wir als intelligente Spezies im Universum nicht allein sind."
Doch die Suche nach der "zweiten Erde" ist nichts anderes als eine Flucht vor dem Dasein auf der ersten Erde. Frank Zweig erträgt es einfach nicht, daß das Leben nicht den gleichen Gesetzen folgt wie der Himmel, und so will er auch die scheinbar zusammenhanglosen Ereignisse seiner eigenen Biographie in eine physikalische Modellvorstellung zwingen, nach der das Universum "möglicherweise nur Teil eines wie auch immer gearteten höherdimensionalen Ganzen ist" und der scheinbar geradlinige Lebenslauf in Wirklichkeit einer chaotischen Achterbahnfahrt gleicht.
Geradezu zärtlich widmet sich Ulrich Woelk, der selbst promovierter Physiker ist, dieser Hilflosigkeit, mit der der "unerschütterlich rationale" Frank Zweig nach Erklärungen für etwas sucht, das man früher "Schicksal" und heute vielleicht "Kontingenz" nennt. Gleichzeitig demonstriert er, daß die Literatur der Naturwissenschaft zumindest in einer Sache etwas voraushat. Mit der Gattung des Romans ist das "höherdimensionale Ganze" der theoretischen Physik bereits Wirklichkeit geworden, und so ist "Die Einsamkeit des Astronomen" trotz seiner Zeitsprünge und der Zersplitterung in zahlreiche Erinnerungsbilder ein kunstvolles und in sich geschlossenes Universum geworden.
Zuletzt merkt man dann auch, wie weit die Strecke ist, die Ulrich Woelk als Schriftsteller seit seinem Debüt zurückgelegt hat. In "Freigang" hatte er seiner Figur Frank Zweig geradezu emphatisch einen Ausweg aus dem Dilemma des eigenen Daseins versprochen. In seinem auf berührende Art abgeklärten Roman "Die Einsamkeit des Astronomen" läßt er dem Physiker, der sein Leben lang in den Himmel geschaut hat und am Ende einen sehnsuchtsvollen Blick aus einem Flugzeugfenster wirft, jetzt nur noch die "Faszination des Vakuums". Also nichts.
Ulrich Woelk: "Die Einsamkeit des Astronomen". Roman. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2005. 284 S., geb., 18,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Doch das ist nicht der einzige Grund für die Reise. Frank Zweig hat sich für mehrere Wochen von seiner Arbeit beurlauben lassen, weil man ihm "seitens des Forschungsressorts der Europäischen Union vorwirft, für die Zerstörung von astronomischen Instrumenten im Wert von mehr als drei Millionen Euro verantwortlich zu sein". Über diese lakonische Mitteilung hinaus erfährt man zunächst nicht mehr, als daß es in der thüringischen Schwarzschild-Sternwarte einige Monate zuvor einen Unfall gegeben hat - und daß der Physiker sich "der Forderung der europäischen Bürokratie nach einem Bericht" gefügt hat und im Haus der Eltern nun seine "Sicht der Dinge" zu Papier bringen will. "Zwanzig, dreißig Seiten. Um mehr geht es gar nicht", hatte man ihm in Brüssel mitgeteilt. Frank Zweig wird "hier, in jenem Zimmer, in dem ich einst aufgewachsen bin", jedoch mehr rekonstruieren als nur die letzten Wochen eines desaströsen Forschungsprojektes.
Während er an seinem immer weiter ausufernden Manuskript arbeitet, streift Zweig durch das Haus der Eltern und stößt dabei auf die Bruchstücke der eigenen Vergangenheit. In einem alten Urlaubsfoto, das ihn gemeinsam mit seinen Eltern in "verblaßten Farben" an einem Strand in Spanien zeigt, entdeckt er die ersten Anzeichen späterer Entfremdung und Einsamkeit, ein Schnappschuß seiner "schmerzlichen jungen" Schwester erinnert ihn an einen erotisch zunächst recht verheißungsvollen und dann "ziemlich unspektakulären" Besuch in ihrer Wohnung im alten West-Berlin, und auf einer verblichenen Ansichtskarte, die er als Student in der Provence geschrieben hat, ist von der Verweigerungshaltung gegenüber den Eltern nur noch eine Andeutung geblieben: ",Ich genieße das Leben', hatte ich unter anderem notiert, und das sollte wohl heißen: Hier kann ich es genießen."
"Die Einsamkeit des Astronomen" ist aus zahlreichen solcher Rückblenden zusammengesetzt, zu denen auch das Sterben des Vaters in der bedrückenden Atmosphäre eines Krankenhauszimmers gehört und die traurige Geschichte eines ungeborenen Kindes, durch das der unwillige Sohn Frank Zweig beinahe selbst zum Vater geworden wäre. So wird der Bericht für die Beamten in Brüssel zu einer "Lebensbeichte". Für den Erzähler verbindet sich damit allerdings kein Gefühl der Erleichterung, sondern die bedrückende Verpflichtung, die scheinbar willkürlichen Erinnerungssplitter und "entzeitlichten Augenblicke in eine Kontinuität" zu überführen. Doch eine Biographie ist nur eine Illusion, glaubt Frank Zweig, die allein der Tatsache geschuldet ist, "daß wir nicht in der Lage sind, den Faden der Zeit zu verlassen".
Der Erzähler, der selbst seine intimsten Empfindungen im Tonfall einer wissenschaftlichen Versuchsbeschreibung formuliert, bekennt, daß er vor allem deshalb Physiker geworden sei, um sich "die Welt auf Distanz zu halten". Es ist also kein Zufall, daß Ulrich Woelk an verschiedenen Stellen auf "Homo faber" anspielt: Genau wie der Techniker in Max Frischs Roman im malerisch über der mexikanischen Wüste aufgehenden Mond nur "eine errechenbare Masse" und "eine Sache der Gravitation" erkennen wollte, so verbindet sich auch für den Astronomen mit dem Blick in den Himmel kein metaphysisches Erlebnis, sondern allein die Bestätigung für den reibungslosen Ablauf "einer über jede Kritik erhabenen Faktenmaschine". Und selbst für die ressourcenverschlingende und wissenschaftlich zweifelhafte Beobachtung eines möglicherweise "erdähnlichen Planeten" in der Umlaufbahn eines "namenlosen Hauptreihensterns", die für seinen leicht exzentrischen Kollegen Lotzki im Wahnsinn und für die Forschungskommission in einem finanziellen Super-GAU endet, hält dieser "Homo Zweig" noch eine trotzige Erklärung bereit: "Die meisten Astronomen", so behauptet er, "glauben, daß wir als intelligente Spezies im Universum nicht allein sind."
Doch die Suche nach der "zweiten Erde" ist nichts anderes als eine Flucht vor dem Dasein auf der ersten Erde. Frank Zweig erträgt es einfach nicht, daß das Leben nicht den gleichen Gesetzen folgt wie der Himmel, und so will er auch die scheinbar zusammenhanglosen Ereignisse seiner eigenen Biographie in eine physikalische Modellvorstellung zwingen, nach der das Universum "möglicherweise nur Teil eines wie auch immer gearteten höherdimensionalen Ganzen ist" und der scheinbar geradlinige Lebenslauf in Wirklichkeit einer chaotischen Achterbahnfahrt gleicht.
Geradezu zärtlich widmet sich Ulrich Woelk, der selbst promovierter Physiker ist, dieser Hilflosigkeit, mit der der "unerschütterlich rationale" Frank Zweig nach Erklärungen für etwas sucht, das man früher "Schicksal" und heute vielleicht "Kontingenz" nennt. Gleichzeitig demonstriert er, daß die Literatur der Naturwissenschaft zumindest in einer Sache etwas voraushat. Mit der Gattung des Romans ist das "höherdimensionale Ganze" der theoretischen Physik bereits Wirklichkeit geworden, und so ist "Die Einsamkeit des Astronomen" trotz seiner Zeitsprünge und der Zersplitterung in zahlreiche Erinnerungsbilder ein kunstvolles und in sich geschlossenes Universum geworden.
Zuletzt merkt man dann auch, wie weit die Strecke ist, die Ulrich Woelk als Schriftsteller seit seinem Debüt zurückgelegt hat. In "Freigang" hatte er seiner Figur Frank Zweig geradezu emphatisch einen Ausweg aus dem Dilemma des eigenen Daseins versprochen. In seinem auf berührende Art abgeklärten Roman "Die Einsamkeit des Astronomen" läßt er dem Physiker, der sein Leben lang in den Himmel geschaut hat und am Ende einen sehnsuchtsvollen Blick aus einem Flugzeugfenster wirft, jetzt nur noch die "Faszination des Vakuums". Also nichts.
Ulrich Woelk: "Die Einsamkeit des Astronomen". Roman. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2005. 284 S., geb., 18,95 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Ulrich Woelk hat Spaß an Gegensätzen, erklärt ein begeisterter Gustav Mechlenburg. Das zeige sich auch in diesem Roman, in dem Woelk, selbst einmal Physiker, das Geschwisterpaar Marthe, ihres Zeichens esoterisch angehauchte Kunstdozentin, und den vernunftliebenden Astrophysiker Frank aufeinanderprallen lässt. So stereotyp und eindeutig allerdings, wie es aus ihren Mündern auch klingen mag, das wird dem Rezensenten allmählich klar, sind die Gegensätze nicht: Nach dem Tod des Vaters erledigt Marthe die Haushaltsauflösung in "grotesk" pragmatischer Weise, indem sie aus dem aufgestapelten Mobiliar des Vaters ein Kunst-Happening macht, während Frank sich schwer tut, mit dem Tod des Vaters fertigzuwerden. Auch angesichts des Zwischenfalls im Observatorium, bei dem ein offensichtlich vom Hauch des Wahnsinns gestreifter Kollege mitten im Schneesturm die Kuppel öffnet und die dort versammelte unbezahlbare technischen Gerätschaft ruiniert, reagiert Frank eher mit Sympathie und Verständnis. "Die Einsamkeit des Astronomen" sieht Mechlenburg als herrliche "Persiflage" des Wissenschaftsromans, der mit Geschick und Komik die "psychoanalytische Offenbarung" liefert, dass sich in der Beobachtung das Beobachtete verändert, auf so intelligente Weise, "dass dem Leser das Teleskop nur so um die Ohren fliegt".
© Perlentaucher Medien GmbH
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