Silvio Contin, Weinhändler in einer venezianischen Kleinstadt, führt ein unbeschwertes Leben mit seiner hübschen Frau und einem kleinen Sohn. Doch eines Tages nehmen zwei Männer bei einem Raubüberfall Frau und Sohn als Geiseln und töten sie kaltblütig. Der Verlust lässt Contin tief fallen, bis ihn 15 Jahre nach der Tragödie ein Gnadengesuch des inhaftierten und mittlerweile schwer kranken Mörders, Raffaello Beggiato, erreicht. Langsam begreift Contin, dass dies die Chance seines Lebens ist: Rache. »Die dunkle Unermesslichkeit des Todes« ist ein Roman von erzählerischer Radikalität und rasender Spannung.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
In eine Welt aus "Gewalt und Gier, Wahn und Verdrängung" hat sich Christoph Haas begeben und es offenbar sehr genossen. Wir wir vom Rezensenten erfahren, findet wir in Massimo Carlottos neuem Krimi etwa folgende Konstellation: Ein Überfall geht schief, es gibt Geiseln und Tote und im Anschluss einen zu Lebenslang Verurteilten. Nach fünfzehn Jahren ist dieser unheilbar am Krebs erkrankt und versucht den gebrochenen - und heruntergekommen - Mann und Vater der erschossenen Geiseln dazu zu bewegen, ein Gnadengesuch zu stellen. Wie Carlotto diese beiden Schiksale miteinander verknüpft, wie er Lebenswillen und Todeserfahrung miteinander verschränkt, das hat den Rezensent nicht losgelassen. "Packend" findet er das, düster und selbst noch im Happy-End sehr "trostlos".
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.10.2008Wahn und Gier
Massimo Carlottos neuer Roman „Die Unermesslichkeit des Todes”
Der Plan, den Raffaello und Oreste in Massimo Carlottos neuem Roman „Die Unermesslichkeit des Todes” sich ausgedacht haben, ist einfach: rein in das Juweliergeschäft, die Waffe ziehen, Schmuck und Edelsteine in einen Sack stopfen, nichts wie weg. Aber dann gibt es eine verborgene Alarmanlage, und draußen wartet schon die Polizei. Die maskierten Gangster nehmen einen achtjährigen Jungen und dessen Mutter als Geisel. In die Enge getrieben, erschießen sie beide. Während sein Komplize unerkannt mit der Beute entkommen kann, wird Raffaello zu lebenslänglicher Haft verurteilt. 15 Jahre später leidet er unter unheilbarem Magenkrebs. Weil er nicht im Gefängnis sterben will, bittet er Silvano, dem er seinerzeit die Familie geraubt hat, ein Gnadengesuch zu unterstützen. Dieser lehnt zunächst rigoros ab, erkennt jedoch bald, dass nun der Tag der Abrechnung gekommen ist.
Ein Überfall, der katastrophal schief geht; ein gebrochener Mann, der nur noch für seine Rache lebt – die zentralen Motive in „Die dunkle Unermesslichkeit des Todes” sind vertraut. Aber nichts ist hier, wie es zunächst scheint. Täter und Opfer, so stellt sich nach und nach heraus, haben einiges gemein. Silvano ist zwar nicht todkrank, aber ziemlich heruntergekommen. Der frühere Weinhändler ist jetzt Schuster; seine Haare sind ausgefallen, und er ist dick geworden. Raffaello ärgert sich über den ewig gleichen Gefängnisfraß – immer nur kurze Nudeln, nie Spaghetti – und flieht in den Drogenrausch; Silvano verschlingt vor dem Fernseher Fertiggerichte und betrinkt sich mit billigem Alkohol. Seine winzige Wohnung verlässt er meistens nur zur Arbeit. Im Grunde sind sie beide Gefangene, der eine hinter sichtbaren, der andere hinter unsichtbaren Gittern.
Eine zweite Chance
Aufregend ist die radikale Subjektivierung, die der Autor betreibt. Er beschränkt sich nicht auf eine Perspektive, sondern lässt die Hauptfiguren abwechselnd als Ich-Erzähler auftreten. Die Welten aus Gewalt und Gier, Wahn und Verdrängung, in denen sie leben, entfalten sich vor dem Leser ohne Kommentar, ohne ein distanzierendes Moment. Wie die Erfahrung des Todes den Blick aufs Leben verändert – das ist das eigentliche Thema. Raffaello klammert sich an die Welt, will ihr noch so viel Genuss wie möglich abpressen; Silvano ist der Dunkelheit zu nahe gekommen und wird selbst zum rücksichtslosen Mörder. Zum Schluss allerdings darf er dank einer großmütigen Geste seines Feindes ungestraft nach Martinique entkommen. Wird er die zweite Chance, die er bekommt, nutzen? Verdient er sie überhaupt? Das bleibt offen. Massimo Carlotto hat einen packenden Roman mit trostlosem Happy-End geschrieben. CHRISTOPH HAAS
MASSIMO CARLOTTO: Die dunkle Unermesslichkeit des Todes. Roman. Aus dem Italienischen von Hinrich Schmidt-Henkel. Tropen Verlag, Stuttgart 2008. 188 Seiten, 18,90 Euro.
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Massimo Carlottos neuer Roman „Die Unermesslichkeit des Todes”
Der Plan, den Raffaello und Oreste in Massimo Carlottos neuem Roman „Die Unermesslichkeit des Todes” sich ausgedacht haben, ist einfach: rein in das Juweliergeschäft, die Waffe ziehen, Schmuck und Edelsteine in einen Sack stopfen, nichts wie weg. Aber dann gibt es eine verborgene Alarmanlage, und draußen wartet schon die Polizei. Die maskierten Gangster nehmen einen achtjährigen Jungen und dessen Mutter als Geisel. In die Enge getrieben, erschießen sie beide. Während sein Komplize unerkannt mit der Beute entkommen kann, wird Raffaello zu lebenslänglicher Haft verurteilt. 15 Jahre später leidet er unter unheilbarem Magenkrebs. Weil er nicht im Gefängnis sterben will, bittet er Silvano, dem er seinerzeit die Familie geraubt hat, ein Gnadengesuch zu unterstützen. Dieser lehnt zunächst rigoros ab, erkennt jedoch bald, dass nun der Tag der Abrechnung gekommen ist.
Ein Überfall, der katastrophal schief geht; ein gebrochener Mann, der nur noch für seine Rache lebt – die zentralen Motive in „Die dunkle Unermesslichkeit des Todes” sind vertraut. Aber nichts ist hier, wie es zunächst scheint. Täter und Opfer, so stellt sich nach und nach heraus, haben einiges gemein. Silvano ist zwar nicht todkrank, aber ziemlich heruntergekommen. Der frühere Weinhändler ist jetzt Schuster; seine Haare sind ausgefallen, und er ist dick geworden. Raffaello ärgert sich über den ewig gleichen Gefängnisfraß – immer nur kurze Nudeln, nie Spaghetti – und flieht in den Drogenrausch; Silvano verschlingt vor dem Fernseher Fertiggerichte und betrinkt sich mit billigem Alkohol. Seine winzige Wohnung verlässt er meistens nur zur Arbeit. Im Grunde sind sie beide Gefangene, der eine hinter sichtbaren, der andere hinter unsichtbaren Gittern.
Eine zweite Chance
Aufregend ist die radikale Subjektivierung, die der Autor betreibt. Er beschränkt sich nicht auf eine Perspektive, sondern lässt die Hauptfiguren abwechselnd als Ich-Erzähler auftreten. Die Welten aus Gewalt und Gier, Wahn und Verdrängung, in denen sie leben, entfalten sich vor dem Leser ohne Kommentar, ohne ein distanzierendes Moment. Wie die Erfahrung des Todes den Blick aufs Leben verändert – das ist das eigentliche Thema. Raffaello klammert sich an die Welt, will ihr noch so viel Genuss wie möglich abpressen; Silvano ist der Dunkelheit zu nahe gekommen und wird selbst zum rücksichtslosen Mörder. Zum Schluss allerdings darf er dank einer großmütigen Geste seines Feindes ungestraft nach Martinique entkommen. Wird er die zweite Chance, die er bekommt, nutzen? Verdient er sie überhaupt? Das bleibt offen. Massimo Carlotto hat einen packenden Roman mit trostlosem Happy-End geschrieben. CHRISTOPH HAAS
MASSIMO CARLOTTO: Die dunkle Unermesslichkeit des Todes. Roman. Aus dem Italienischen von Hinrich Schmidt-Henkel. Tropen Verlag, Stuttgart 2008. 188 Seiten, 18,90 Euro.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.08.2008Aussichtsloses Leben
Hoffnungslos. Nicht einmal ein matt aufscheinendes Licht am Ende des Tunnels. Weder in dieser Welt noch im Todeskampf. "Ich kann nicht mehr sehen. Ich habe Angst, ich habe Angst, hilf mir, es ist so dunkel!", stammelt die Frau Silvio Contins, kurz bevor sie stirbt. Zufällig das Opfer einer Geiselnahme geworden, muss sie hilflos mit ansehen, wie ihr Sohn erschossen wird. Dann möchte auch sie nur noch eins: ihm in den Tod folgen. Übrig bleibt ihr Mann. Das Leben des Vertreters für Markenweine bricht zusammen. Seine gutsituierte Existenz mit Sekretärin und Mercedes gibt er auf und eröffnet einen einfachen Reparaturserviceladen. Weiterleben lässt ihn einzig der Gedanke an Rache. In "Die dunkle Unermesslichkeit des Todes" spart der italienische Autor Massimo Carlotto keinen menschlichen Abgrund aus. Die Grenzen zwischen Opfer und Täter verschwimmen, Vergebung wird von Hass aufgefressen. Was bleibt, ist Dunkelheit, unermessliche Dunkelheit ohne Hoffnung. (Massimo Carlotto: "Die dunkle Unermesslichkeit des Todes". Roman. Aus dem Italienischen übersetzt von Hinrich Schmidt-Henkel. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2008. 188 S., geb., 18,90 [Euro].) kito
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Hoffnungslos. Nicht einmal ein matt aufscheinendes Licht am Ende des Tunnels. Weder in dieser Welt noch im Todeskampf. "Ich kann nicht mehr sehen. Ich habe Angst, ich habe Angst, hilf mir, es ist so dunkel!", stammelt die Frau Silvio Contins, kurz bevor sie stirbt. Zufällig das Opfer einer Geiselnahme geworden, muss sie hilflos mit ansehen, wie ihr Sohn erschossen wird. Dann möchte auch sie nur noch eins: ihm in den Tod folgen. Übrig bleibt ihr Mann. Das Leben des Vertreters für Markenweine bricht zusammen. Seine gutsituierte Existenz mit Sekretärin und Mercedes gibt er auf und eröffnet einen einfachen Reparaturserviceladen. Weiterleben lässt ihn einzig der Gedanke an Rache. In "Die dunkle Unermesslichkeit des Todes" spart der italienische Autor Massimo Carlotto keinen menschlichen Abgrund aus. Die Grenzen zwischen Opfer und Täter verschwimmen, Vergebung wird von Hass aufgefressen. Was bleibt, ist Dunkelheit, unermessliche Dunkelheit ohne Hoffnung. (Massimo Carlotto: "Die dunkle Unermesslichkeit des Todes". Roman. Aus dem Italienischen übersetzt von Hinrich Schmidt-Henkel. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2008. 188 S., geb., 18,90 [Euro].) kito
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