der Roman perfekt in das Überangebot jeder Bahnhofsbuchhandlung einreiht.
Dabei sollen gerade die Titel - "Gespenster in Breslau" hieß der dritte, "Festung Breslau" der kürzlich in Polen erschienene vierte Band - die Grundidee des Autors erkennen lassen und außer dem Genre auch den Handlungsort signalisieren - und der hat eben auch für Polen Seltenheitswert. Schauplatz ist nämlich das alte deutsche Breslau (unsere Abbildung zeigt den Marktplatz heute), dessen Geschichte und einzigartiges Klima Krajewski mit der Akribie eines Wissenschaftlers und der Phantasie eines Romanciers heraufbeschwört.
Man schreibt das "goldene" Jahr 1927; politische Intrigen, Sexskandale, Alkoholexzesse, Drogenhandel und die Umtriebe geheimer Sekten sorgen für eine dichte und düstere Atmosphäre; wie schon im Vorgänger geben allerlei Gauner und Spekulanten den Ton an - ein ideales Terrain für den berüchtigten Kriminalrat Eberhard Mock, einen Bonvivant, Zyniker und Säufer, der weder brutale Verhörmethoden noch zweifelhafte erotische Eskapaden scheut.
In diesem Fall muß er gleich eine ganze Serie brutaler Morde aufklären: In einer Schuhmacherwerkstatt findet man die eingemauerte Leiche eines Musikers, in einer Privatwohnung liegen die zerhackten Überreste eines Arbeitslosen, im Bordell ist ein Stadtrat samt Prostituierter erstochen worden. Gemeinsamkeiten weisen weder die Opfer noch die Todesarten auf - bis auf eines: Stets wird am Tatort ein Kalenderblatt gefunden, was den gebildeten Mock auf die richtige Spur - die Breslauer Historie - und schließlich zum Mörder führt.
So spannend diese Verknüpfung von Detektivarbeit und Geschichtserkundung auch ist, dem Handlungsaufbau kommt sie nicht immer zugute. Den Erzählsträngen, Motiven und Figuren kann man manchmal nur mit Mühe folgen - auch weil Krajewski den Ehrgeiz hat, das politische Zeitgeschehen einzubeziehen sowie ein topographisch genaues Bild des alten Breslau und ein Sittengemälde der dekadenten Vorkriegsgesellschaft zu zeichnen. Er legt erneut eine große Erzähllust an den Tag, der man aber hier widerwilliger als sonst erliegt. "Tod in Breslau" war ein einzelner, präzise konstruierter Mordfall, hinter dem ein detailreiches Gesellschaftsporträt hervorlugte. "Der Kalenderblattmörder" hingegen richtet ein blutiges Chaos an, das die Lust auf weitere Gruppenbilder erheblich drosselt.
MARTA KIJOWSKA
Marek Krajewski: "Der Kalenderblattmörder". Kriminalroman. Aus dem Polnischen übersetzt von Paulina Schulz. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2006. 320 S., br., 14,50 [Euro].
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