aus seinen Augen, seinem Mund, seiner Stirn, seinem Hirn und Herzen eine Bühne. Dann erst fängt er (für uns) an zu leben, uns zu interessieren, zu uns zu sprechen. Hier, am rechten, dunklen Bildrand einer Fotografie des bestimmt ganz wunderbaren Lichtbildkünstlers Sepp Dreissinger geht Herr Voss allenfalls seine Frau oder seine Tochter etwas an. Er zeigt schon ein noch schönes, reifes, ein bisschen zerklüftetes Gesicht, aber privat. Und bedeutungslos. Wie Schauspieler und Theaterleute ausschauen, wenn sie wie Claus Peymann vor Mauern stehen, wie Udo Samel den Arm auf einen Lampenpfahl stützen, wie Harald Juhnke eine Teetasse halten, wie Dörte Lyssewski vor einem Wellblechgaragenrollgitter posieren, wie Andrea Clausen in einen Spiegel schauen oder wie Libgart Schwarz ihren Hinterkopf leicht an eine Mauer drücken, kann uns gleichgültig lassen. Oder anders gesagt: Schauspieler sind furchtbar, wenn sie uninszeniert sind. Selbst unsere allergrößten Lieblinge verlieren im Kaffeehaus gewaltig an Größe, von der gekachelten Toilettenwand (Sophie Rois) oder der Feuerleiter (Traugott Buhre) ganz zu schweigen. Ein Schauspielergesicht wird erst zum Gesicht, wenn es spielt. Die Gesichter, die Dreissinger, schon ein Fotograf der Innigkeit und noblen Einfühlung, abbildet, bleiben: rührend, aber gleichgültig-fremd. Dass jedem Privatbild ein Szenenbild des betreffenden Schauspielkünstlers, meist aus der Kamera eines anderen Fotografen, gegenübergestellt ist, macht, dass man dauernd aufatmet bei diesem Bilderbuch: Libgart Schwarz als das Irrwisch-Wunderwesen Marie Steuber in "Die Zeit und das Zimmer" (Foto: Ruth Walz) schlägt die Mauer-Schwarz um Längen. Und der wütend-witzig seine Augen aus den Höhlen treibende Gert Voss als Krapp im "Letztem Band" (Foto: Margit Münster), damit beschäftigt, sein Leben scharf und kalt und höhnisch zu rezensieren, ist für uns der wahrere Voss als der Bildrandhocker von gegenüber. Und nur Brandauer wirkt privat sehr viel interessanter denn als Cyrano von Bergerac (Foto: Reinhard Werner). Aber Braundauer spielt ja auch immer nur sich selbst. (Sepp Dreissinger: "Alles Theater". 111 Schauspieler & Theaterszenen. Deuticke Verlag, München, Wien 2000. 245 S., geb., 95,- DM.)
GERHARD STADELMAIER
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