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ADAC Reisemagazin, Bodensee
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Auszug aus der Reportage "Der deutsche Garten Eden" von Ignaz Miller:

Psst, nicht verraten, das ist eine Tour für Faule. Für Menschen, die schon all die herrlichen Wege rund um den Bodensee abgeradelt sind, die keinen Bock haben auf Mountain & Bike, die die Nase voll haben vom fit-4-fun-Geraffel, von Bodybuilding und Hyper-Stretching. Und vielleicht auch einfach nur flüchten wollen vor den Radler-Horden, die sich an sonnigen Tagen auf den schmalen Wegen zwischen überlingen und Lindau, zwischen Bregenz und Konstanz drängeln. Ganz sicher ist dies aber eine Radtour für Leute, die sich im Urlaub gerne mal treiben lassen und lieber der Schwerkraft folgen wollen, als sie zu überwinden.

Vielleicht ist's aber auch eine Schnapsidee: Eine Radtour von Scheidegg im Allgäu über den Bodensee nach Scheidegg im Allgäu. Fast 40 Kilometer - und immer nur bergab. Wie soll denn das funktionieren?

Die freundliche Dame im Verkehrsamt weiß schon Bescheid: Sie hat die Landkarte vorrätig und zeichnet die Strecke ein. Ganz einfach: Abfahrt in Scheidegg, 800 Meter über dem Meer. Auf schmalen Sträßchen nach Lindau (400 m), weiter nach Bregenz (395 m). Und jetzt kommt der Gag: Mit der Seilbahn samt Rad auf den Pfänder (1064), dann wieder runter nach Scheidegg (800 m). Stimmt: immer bergab! "Fast immer", sagt die Dame vom Verkehrsamt und gibt noch ein paar gute Ratschläge mit auf den Weg: "Helm aufsetzen und Pass nicht vergessen, Sie fahren viermal über die Grenze."

Start also in Scheidegg, Rathaus: Zunächst geht's mal gar nicht bergab, sondern schön eben und leicht bergauf. Links und rechts ein Geschenkladen, die Pilsbar Melodie, ein paar Wohnhäuser, das Altenheim St. Vincent und eine Töpferei. Und dann bergauf bis zur Grenze am Zollhaus bei Weienried. Servus in ...sterreich. Ein Eichhörnchen rennt über die Straße. Wann geht's denn endlich bergab?

Es riecht nach Kuh und Land. Das Feuerwehrhaus von Möggers ist supermodern. Sieht ein bisschen aus wie ein Ufo aus einer anderen Zeit zwischen all den Bauernhöfen, Viehweiden und Misthaufen.

Wow - jetzt geht's tatsächlich los: ein kleines Bergsträßchen, eng und kurvig. Und bergab. Wald und Wiesen fliegen vorbei - der Tacho zeigt 20, 25, 30, 35. Nur nicht zu schnell werden! Ortsschild Rucksteig: abbremsen, Geschwindigkeitsbeschränkung auf 50 Kilometer pro Stunde. Links ein wunderschönes Bauernhaus - hieß das da gerade Bergblütenhof? Am Gasthof Bantel anhalten und erst mal tief Luft holen: welch ein Ausblick! Links im Dunst der See, rechts das Allgäu, sanft gehügelt und saftig grün. Dazwischen schlängelt sich dieses kleine Sträßchen steil hinab. Also weiter.

Mit dem Radeln am Bodensee ist das so eine Sache: Im Grunde ist die ganze Gegend ein Paradies für alle, die auf zwei Rädern ihre Freizeit genießen wollen. Es gibt den Bodensee-Radweg, der einmal rund um den See führt. Fast 300 Kilometer in Deutschland, ...sterreich und der Schweiz, bestens ausgeschildert, schön eben, mal als Extra-Radweg neben der ewig rauschenden B 31, mal

direkt am Seeufer, mal auf idyllischen Wegen ein paar 100 Meter entfernt da-

von. Klingt romantisch, ist es manchmal auch. Aber an sonnigen Tagen in der Hauptsaison, im Juli und im August, und auch sonst, wenn das Wochenende lang und das Wetter schön ist, dann wird Radeln am See zur Hölle. Familien mit Kindern fahren nebeneinander, sportliche Radler schlängeln sich durch, Wanderer verdrücken sich verschreckt an den Wegesrand, und die harten Rad-Rowdies haben die Trillerpfeife im Mund und benutzen sie auch, wenn nicht alle gleich aus dem Weg gehen. Das Ganze in beiden Richtungen. Und so geraten Tage, die vielleicht ganz erholsam hätten werden können, zum Stress. An solchen Tagen finden manche Anwohner am See Menschen mit zwei Rädern gar nicht mehr nett, und das Wort von der "Radler-Pest" macht schnell die Runde.

Die kühle Waldluft tut gut. An einem Bauernhof hängt ein Schild: "Honig, Obstler, €pfel". Vorarlberg hier, das Allgäu rechts: welliges, grünes Land. Schön sieht's aus und so gesund, dass man hier jedes T-Bone-Steak ohne Bedenken essen würde. Es müssen glückliche Hühner sein, die hier ihre Freiland-Eier legen dürfen (und manchmal auch auf die Straße laufen: Au, das war knapp!). In Leutenhofen geht's beim Gasthof Stern ab zum Kloster Maria Stern, wir fahren aber gleich weiter bis zur Schreinerei Sigg, kurz danach in Richtung Bad Diezlings. Das ist kein richtiger Kurort, hat aber eine schöne Kneipe mit einem schattigen Biergarten unter Kastanienbäumen. Sollen sie sich drängeln, unten auf dem Bodensee-Radweg. Wir trinken hier in aller Ruhe ein Radler - das haben wir uns verdient, fast zwölf Kilometer nach dem Start.

Die beste Möglichkeit, dem Sommer-Stau auf dem Bodensee-Radweg zu entgehen, ist diese Bergab-Radtour. Die zweitbeste ist die Flucht ins Hinterland. Da gibt es herrliche Touren, nach Oberschwaben zum Beispiel, zum Federsee, ins Appenzeller Land, ins Allgäu oder auf den Bodanrück. Allesamt entdeckenswerte Landschaften, die den Bodensee umranden wie ein Schmuckrahmen ein edles Bild. Traumhafte Radtouren haben wir dort gemacht, viele davon hatten allerdings einen ganz gewaltigen Nachteil: Sie gingen fast immer bergauf.

Nix für uns, für diesen Urlaub haben wir uns vorgenommen zu faulenzen, und zwar richtig. Also weiter bergab.

Kurz hinter Bad Diezlings kommt der zweite Grenzfall: über eine schmale Brücke und durch ein verrostetes Tor verlassen wir ...sterreich. Die Tür ist tagsüber offen, nachts wird sie abgeschlossen. Kein Mensch weit und breit. Den Pass will keiner sehen, hier mitten im Wald.

Kurve links, kurze Gerade, Kurve, dann lange Gerade. Der Tacho zeigt 35, da glotzen die Kühe aber nicht schlecht. Es riecht nach frischem Heu, vor einem Hof stehen zwei zottige Esel. Und als links die ersten Apfelplantagen vorbeifliegen, wissen wir, dass wir wieder am See sind. Lindau-Zech. Von hier kann man schon die Sendemasten auf dem Pfänder sehen. ...