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Auszug aus der Reportage "Die Liebe der Mondgöttin" von Karl-Günter Simon:Anom ist nicht irgendwer, Anom ist ein Star. Und er ist mein Lehrer.Die Tanzstunde beginnt. Anom hebt die Hände: Mittelfinger beugen, dann Ring- und kleinen Finger, Zeigefinger und Daumen, die Faust wieder öffnen. Die Hand drehen - ausstrecken. Die Finger vibrieren lassen, erst nach oben und unten, dann seitwärts gegeneinander: Das ist die erste Fingerübung für die Tänze Baris und Legong."Du mußt das üben", sagt Anom Agung, "jeden Morgen mindestens eine halbe Stunde - Arme ausstrecken, Faust auf, Faust zu, das ...
Auszug aus der Reportage "Die Liebe der Mondgöttin" von Karl-Günter Simon:
Anom ist nicht irgendwer, Anom ist ein Star. Und er ist mein Lehrer.
Die Tanzstunde beginnt. Anom hebt die Hände: Mittelfinger beugen, dann Ring- und kleinen Finger, Zeigefinger und Daumen, die Faust wieder öffnen. Die Hand drehen - ausstrecken. Die Finger vibrieren lassen, erst nach oben und unten, dann seitwärts gegeneinander: Das ist die erste Fingerübung für die Tänze Baris und Legong.
"Du mußt das üben", sagt Anom Agung, "jeden Morgen mindestens eine halbe Stunde - Arme ausstrecken, Faust auf, Faust zu, das gibt dir Kraft."
Nur eine Fingerübung; das Fleisch ist willig, aber der Geist macht schlapp. Die ungewohnte Bewegung erfordert meditative Konzentration. Der Schweiß beginnt zu tropfen, tropisch. Ich greife zur Wasserflasche und setze mich auf die Treppenstufen. Auszeit.
Weiter hinten im Hof, auf der nächsten Terrasse, übt Anoms Frau, Ayu, mit einer Australierin den Legong-Tanz. Zwei Kulturen, zwei verschiedene Welten: Die Lehrerin bewegt sich mit der Grazie einer Göttin; die weiße Fremde, durchtrainiert, macht alles nach und alles richtig, und doch, und doch - verzeihen Sie mir die wenig höflichen Gedanken! - sie ähnelt eher einer Hexe. Zwei Welten, zwei verschiedene Körpersprachen: Man muß nur auf der Straße die Marktfrauen ansehen, die auf dem Kopf die Ware balancieren - und dazwischen die Touristen, am schlaksigsten Deutsche und Amerikaner.
Seine Nachbarn nennen meinen Lehrer Anom "Baris", denn er ist als Baris-Tänzer berühmt. Er war acht Jahre alt, als er anfing zu tanzen. Als er 14 war, gewann er den Wettbewerb als bester Baris-Tänzer der Insel. Im selben Jahr ging Anom mit seinem Vater, seinem Lehrer, für drei Monate nach New York. Jetzt ist er 32, und seine Kinder beginnen zu tanzen: Sohn Gedj ist sieben, Töchterchen Ratih fünf.
Sie haben schon viel von der Welt gesehen: Anoms Truppe, Semara Ratih - zu deutsch: Die Liebe der Mondgöttin -, gastierte in den USA und in Kanada, in Deutschland und Dänemark und immer wieder in Japan: tanzende Botschafter ihres Landes. In den Bookshops und Supermärkten zu Hause sieht man dem Star oft in die Augen: Er blickt von Postkarten, sehr starr und gebieterisch, sehr männlich und zum Fürchten, denn Baris - das ist der Tanz der Krieger.
Am Abend ein privates Tempelfest in einem Vorort des Künstlerdorfs Ubud. Das Anwesen ähnelt Anoms Haus, nur ist alles größer: nach Nordosten der Tempel, seitwärts im Hof die Küche, vor den Schlafräumen die Terrassen, auf denen die Gäste lagern, barfuß natürlich - die Gummischlappen stehen auf den Stufen. Die größte Terrasse ist eine Bühne, gerahmt von den Musikern des Gamelan-Orchesters. Zwei Trommler geben den Rhythmus an, eine Flöte spielt Melodie, Pauken, Becken und Gong setzen Akzente, aber die richtige Musik, den vollen Ton, den machen die Männer mit ihren Hämmerchen, die schwebende Metallplättchen zum Schwingen bringen.
Um Mitternacht treten die Tänzer auf, bieten ein Potpourri klassischer Stile. Vier Kinder, Anoms Töchterchen dazwischen, erquicken das Publikum mit dem Begrüßungstanz. Dann tritt Anom in einer lachenden Maske auf, läßt die Finger vibrieren, in weißen Handschuhen mit superlangen Fingernägeln: Das ist der Jauk. Die Grazien Ayu und Dewi, die edlen Köpfe mit goldenen Blüten geschmückt, tanzen mit Hingabe den klassischen Legong, artistische Fingerübung, zitternde Schultern, ruckender Kopf.
Der Kebyar wirkt transvestitisch: Wayan, ein Mann, allerdings zur Frau geschminkt, bewegt Fächer und Rock mit weiblicher Grazie, die es hier noch gibt. Truma Jaya und Topeng sind andere Maskentänze. Ein Greis, maskiert mit langen weißen Haaren, mimt Müdigkeit, Erschöpfung - das ist der Schluß. Zwei
Clowns treten auf und führen endlose Dialoge; die Tänzer packen die Kostüme ein; die Männer auf den Matten spielen Karten; vor dem Tempel, der heute seinen Geburtstag feiert, flimmert der Fernsehapparat - es wird noch eine lange Nacht.
Am nächsten Morgen - zweite Tanzstunde - wird der höchste Körperteil trainiert, der Kopf. Er muß sich drehen, aber auch seitwärts verschieben können: Decroux, vor vielen Jahren mein Lehrer in einer Pariser Mimen-Schule, nannte das Translation de tête; wir hatten es monatelang geübt. In Bali ist diese Kopfverschiebung eines der wichtigsten Ausdrucksmittel des Legong.
Schwieriger noch ist die Bewegung der Augen. Den Augapfel von einer Ecke zur anderen rollen zu lassen, ohne im Blick zu zittern; beim Baris muß man starr nach vorne gucken, mit weit aufgerissenen Augen, kriegerisch. Es strengt extrem an, ja es schmerzt - aber am Abend sehe ich Augen mit neuen Augen.
Anom tanzt seinen berühmten Baris, den Kriegertanz, und er blickt mächtig böse. Ayu und Dewi zelebrieren einen klassischen Legong: Die zarte Bewegung beginnt - ich sehe es jetzt - in den Fingerspitzen, eine Welle fließt durch den Arm hinauf zu den Schultern, dann ruckt der Kopf, und die Augen schielen. Die Partnerinnen bewegen die Arme graziös und machen das gleiche Fingerspiel, alles im harmonischen Doppel. Warum aber zieht die eine der beiden den Blick des Zuschauers auf sich, magisch? Jetzt weiß ich den Grund: Sie hat die stärkeren Augen. Sie hat sie jahrelang trainiert.
Die dritte Lektion ist ein Kinderspiel: Die Beine, die Beine machen das alleine. Das Seitwärtswatscheln wie beim Boogie-Woogie - oder war es, lange her, der Charleston? Knie hochziehen, Schwerpunkt sinken lassen - das ist Tai-Chi und Aikido, das Körpertraining der Chinesen und Japaner. Die Verwandtschaft wird deutlich, alles ist Asien. Anom zeigt mir den Silat, die Kungfu-ähnliche Kampfkunst, wie sie die indonesischen Soldaten üben. Der Kriegertanz Baris entwickelt sich aus ähnlichen Bewegungen. ...
Anom ist nicht irgendwer, Anom ist ein Star. Und er ist mein Lehrer.
Die Tanzstunde beginnt. Anom hebt die Hände: Mittelfinger beugen, dann Ring- und kleinen Finger, Zeigefinger und Daumen, die Faust wieder öffnen. Die Hand drehen - ausstrecken. Die Finger vibrieren lassen, erst nach oben und unten, dann seitwärts gegeneinander: Das ist die erste Fingerübung für die Tänze Baris und Legong.
"Du mußt das üben", sagt Anom Agung, "jeden Morgen mindestens eine halbe Stunde - Arme ausstrecken, Faust auf, Faust zu, das gibt dir Kraft."
Nur eine Fingerübung; das Fleisch ist willig, aber der Geist macht schlapp. Die ungewohnte Bewegung erfordert meditative Konzentration. Der Schweiß beginnt zu tropfen, tropisch. Ich greife zur Wasserflasche und setze mich auf die Treppenstufen. Auszeit.
Weiter hinten im Hof, auf der nächsten Terrasse, übt Anoms Frau, Ayu, mit einer Australierin den Legong-Tanz. Zwei Kulturen, zwei verschiedene Welten: Die Lehrerin bewegt sich mit der Grazie einer Göttin; die weiße Fremde, durchtrainiert, macht alles nach und alles richtig, und doch, und doch - verzeihen Sie mir die wenig höflichen Gedanken! - sie ähnelt eher einer Hexe. Zwei Welten, zwei verschiedene Körpersprachen: Man muß nur auf der Straße die Marktfrauen ansehen, die auf dem Kopf die Ware balancieren - und dazwischen die Touristen, am schlaksigsten Deutsche und Amerikaner.
Seine Nachbarn nennen meinen Lehrer Anom "Baris", denn er ist als Baris-Tänzer berühmt. Er war acht Jahre alt, als er anfing zu tanzen. Als er 14 war, gewann er den Wettbewerb als bester Baris-Tänzer der Insel. Im selben Jahr ging Anom mit seinem Vater, seinem Lehrer, für drei Monate nach New York. Jetzt ist er 32, und seine Kinder beginnen zu tanzen: Sohn Gedj ist sieben, Töchterchen Ratih fünf.
Sie haben schon viel von der Welt gesehen: Anoms Truppe, Semara Ratih - zu deutsch: Die Liebe der Mondgöttin -, gastierte in den USA und in Kanada, in Deutschland und Dänemark und immer wieder in Japan: tanzende Botschafter ihres Landes. In den Bookshops und Supermärkten zu Hause sieht man dem Star oft in die Augen: Er blickt von Postkarten, sehr starr und gebieterisch, sehr männlich und zum Fürchten, denn Baris - das ist der Tanz der Krieger.
Am Abend ein privates Tempelfest in einem Vorort des Künstlerdorfs Ubud. Das Anwesen ähnelt Anoms Haus, nur ist alles größer: nach Nordosten der Tempel, seitwärts im Hof die Küche, vor den Schlafräumen die Terrassen, auf denen die Gäste lagern, barfuß natürlich - die Gummischlappen stehen auf den Stufen. Die größte Terrasse ist eine Bühne, gerahmt von den Musikern des Gamelan-Orchesters. Zwei Trommler geben den Rhythmus an, eine Flöte spielt Melodie, Pauken, Becken und Gong setzen Akzente, aber die richtige Musik, den vollen Ton, den machen die Männer mit ihren Hämmerchen, die schwebende Metallplättchen zum Schwingen bringen.
Um Mitternacht treten die Tänzer auf, bieten ein Potpourri klassischer Stile. Vier Kinder, Anoms Töchterchen dazwischen, erquicken das Publikum mit dem Begrüßungstanz. Dann tritt Anom in einer lachenden Maske auf, läßt die Finger vibrieren, in weißen Handschuhen mit superlangen Fingernägeln: Das ist der Jauk. Die Grazien Ayu und Dewi, die edlen Köpfe mit goldenen Blüten geschmückt, tanzen mit Hingabe den klassischen Legong, artistische Fingerübung, zitternde Schultern, ruckender Kopf.
Der Kebyar wirkt transvestitisch: Wayan, ein Mann, allerdings zur Frau geschminkt, bewegt Fächer und Rock mit weiblicher Grazie, die es hier noch gibt. Truma Jaya und Topeng sind andere Maskentänze. Ein Greis, maskiert mit langen weißen Haaren, mimt Müdigkeit, Erschöpfung - das ist der Schluß. Zwei
Clowns treten auf und führen endlose Dialoge; die Tänzer packen die Kostüme ein; die Männer auf den Matten spielen Karten; vor dem Tempel, der heute seinen Geburtstag feiert, flimmert der Fernsehapparat - es wird noch eine lange Nacht.
Am nächsten Morgen - zweite Tanzstunde - wird der höchste Körperteil trainiert, der Kopf. Er muß sich drehen, aber auch seitwärts verschieben können: Decroux, vor vielen Jahren mein Lehrer in einer Pariser Mimen-Schule, nannte das Translation de tête; wir hatten es monatelang geübt. In Bali ist diese Kopfverschiebung eines der wichtigsten Ausdrucksmittel des Legong.
Schwieriger noch ist die Bewegung der Augen. Den Augapfel von einer Ecke zur anderen rollen zu lassen, ohne im Blick zu zittern; beim Baris muß man starr nach vorne gucken, mit weit aufgerissenen Augen, kriegerisch. Es strengt extrem an, ja es schmerzt - aber am Abend sehe ich Augen mit neuen Augen.
Anom tanzt seinen berühmten Baris, den Kriegertanz, und er blickt mächtig böse. Ayu und Dewi zelebrieren einen klassischen Legong: Die zarte Bewegung beginnt - ich sehe es jetzt - in den Fingerspitzen, eine Welle fließt durch den Arm hinauf zu den Schultern, dann ruckt der Kopf, und die Augen schielen. Die Partnerinnen bewegen die Arme graziös und machen das gleiche Fingerspiel, alles im harmonischen Doppel. Warum aber zieht die eine der beiden den Blick des Zuschauers auf sich, magisch? Jetzt weiß ich den Grund: Sie hat die stärkeren Augen. Sie hat sie jahrelang trainiert.
Die dritte Lektion ist ein Kinderspiel: Die Beine, die Beine machen das alleine. Das Seitwärtswatscheln wie beim Boogie-Woogie - oder war es, lange her, der Charleston? Knie hochziehen, Schwerpunkt sinken lassen - das ist Tai-Chi und Aikido, das Körpertraining der Chinesen und Japaner. Die Verwandtschaft wird deutlich, alles ist Asien. Anom zeigt mir den Silat, die Kungfu-ähnliche Kampfkunst, wie sie die indonesischen Soldaten üben. Der Kriegertanz Baris entwickelt sich aus ähnlichen Bewegungen. ...