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Produktdetails
Trackliste
CD 1
1A sea of honey: King of the mountain00:04:53
2A sea of honey: Pi00:06:09
3A sea of honey: Bertie00:04:18
4A sea of honey: Mrs. Bartolozzi00:05:58
5A sea of honey: How to be invisible00:05:32
6A sea of honey: Joanni00:04:56
7A sea of honey: A coral room00:06:12
CD 2
1A sky of honey: Prelude00:01:26
2A sky of honey: Prologue00:05:42
3A sky of honey: An architect's dream00:04:50
4A sky of honey: The painter's link00:01:35
5A sky of honey: Sunset00:05:58
6A sky of honey: Aerial tal00:01:01
7A sky of honey: Somewhere in between00:05:00
8A sky of honey: Nocturn00:08:34
9A sky of honey: Aerial00:07:52
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.11.2005

Berti, nimm die Bluse aus der Hose
Wer die Nachtigall empört: So hört sich nun also "Aerial" an, das neue und nach zwölf Jahren erste Album von Kate Bush

Der Geniekult gehört zu den Lieblingstopoi der Popmusik. In keiner anderen Kunstsparte ist es einfacher, zum Genie erklärt zu werden. Man muß nur anders sein als die meisten anderen. Aus der hierarchischen Perspektive des Popherstellungsprozesses betrachtet, finden sich Genieverklärer unter den Repräsentanten der Plattenfirmen, die mit dem Künstler zuallererst und allzuoft zu ihrem Leidwesen zu tun haben, denn ein echtes Genie kümmert sich nicht um die Herstellung einer CD, schon gar nicht um Vermarktungsfragen. Ihnen dienen sich mit manchmal erschreckender Gläubigkeitsbereitschaft die Rockkritiker an, die am liebsten jeden Monat ein neues Genie entdecken würden: jemanden, den sie wirklich verstehen. Die meisten Genieverehrer finden sich unter den Musikfans. Das ist noch am ehesten nachzuvollziehen, denn sie haben ja immerhin Geld dafür investiert, eine Platte wirklich zu mögen.

Ein Genie, ein Genie.

Kate Bush entspricht spielend den Voraussetzungen, die man heute von einem Popmusikgenie erwarten darf. Die inzwischen Siebenundvierzigjährige hat noch als Teenager ein imponierendes Frühwerk vorgelegt, das allerdings heute so weit zurückliegt, daß davon vor allem ein Song im Gedächtnis blieb: die kapriziöse Emily-Brontë-Nachschöpfung "Wuthering Heights", in der sie mit abenteuerlichem Stimmeinsatz die Ekstasen der Liebe vermaß. Sie ging überhaupt nur einmal auf Tournee, im Jahre 1979, was ihr den Ruf der Popgeschäftsverweigererin einbrachte, den die Stützen des Marketings flugs in einen Ausweis ihres Genies umdeuteten, um über den Umweg der Negativnegation doch noch auf ihre Kosten zu kommen. Ein Genie läßt der Pop eben nie wieder los. Umgekehrt gilt das freilich auch, allemal im Falle Kate Bushs. Die Abstände zwischen ihren Schallplattenveröffentlichungen wurden immer größer, damit auch die Erwartung. Ihre letzte Musikmeldung liegt zwölf Jahre zurück, es war das freundliche, nicht sonderlich aufregende Album "The Red Shoes". "Eat the Music" hieß eines der Lieder darauf, doch diese Musik verursachte keine Verdauungsprobleme. Endgültig vorbei schien ihre Zeit der Soundexperimente mit splitterndem Glas, Tierstimmen und Maschinengeräuschen. Als darstellende Popkünstlerin war sie durch konsequente Öffentlichkeitsscheu ohnehin schon so weit dem Blickfeld entrückt, daß andere Künstlerinnen es sich zu Füßen ihres Throns gemütlich machten. Jetzt sangen eben Tori Amos, Björk oder Fiona Apple mit schrillen Stimmen versponnene Texte über Menstruation und Inzest, Bombenkrieg und Kinderkriegen.

Doch Mythen im Pop sind zäh. Als die Schallplattenfirma EMI endlich wieder ein neues Opus von Kate Bush vorzuweisen hatte, das achte Album in bald dreißig Jahren, gab sie es nur zögernd aus der Hand - so, wie man guten Freunden ein kostbares Familienerbstück zeigt: Macht es bloß nicht kaputt! Ein bewährtes Instrument der Mythoskunde im Pop ist die "Listening Session". Kritiker werden in einen schalldichten Raum gesetzt und dürfen die neue Platte einmal anhören, vom ersten bis zum letzten Ton. Dazu gibt es Kanapees und manchmal sogar ein Glas Wein. Dann gehen alle nach Hause und schreiben darüber, was sie gehört haben. In den meisten Fällen wird es ein Lob sein. Man möchte sich nicht blamieren, und es besteht ja immer die Gefahr, daß der Kollege im Nachbarsessel anderes hörte als man selbst, womöglich Feinheiten erkannt hat, die einem selbst entgangen sind. Also ist es sicherer, mit Superlativen zu protzen. So entstanden die Elogen, noch bevor etwas in die Läden kam.

"Aerial" besteht aus zwei Platten, die durch ihre Titel miteinander verbunden sind: "A Sea of Honey" und "A Sky of Honey". Über die Bedeutung kann man lange nachdenken. Die Musik dauert insgesamt achtzig Minuten, und wenn sie vorbei sind, wird man sich an keine einzige Melodie erinnern, obwohl viele der Lieder schöne Melodien haben, wunderbare Melodiestücke, die verschwenderisch aufeinanderfolgen. Manchmal schlägt Kate Bush zwischen den Melodien eine Klaviertaste an, dann läßt sie eine asketische Figur aus der linken Hand perlen. Oder sie hält ganz einfach inne. Es gibt zahlreiche Brüche, Momente der Stille, die freilich keine neuen Klangräume öffnen, eher als Verlegenheitspausen erscheinen. Wie könnte es jetzt weitergehen?

Der Sohn bleckt die Milchzähne.

Was auf diesen Alben erklingt, sind keine Lieder, keine Songs im Popüblichen: Strophe, Refrain und Instrumentalsolo. Diesen Formen, gegen die prinzipiell nichts spricht, war das Album "The Red Shoes" näher als jedes andere Kate Bushs zuvor, erstaunlich nahe in Anbetracht des freien Umgangs mit konventionellen Popstrukturen, den sie bis dahin gepflegt hatte. Für "Aerial" nun scheint Kate Bush jedes einzelne Stück mit dem Vorsatz geschrieben zu haben, neue Rahmen zu finden. Dabei gingen das eine oder andere Mal die Inhalte verloren. Über die Dauer des gesamten Albums gehört, klingt ihr Wirbeln mit den Formteilen angestrengt, nicht unbedingt plausibel. Das einzige auf Anhieb in sich schlüssige Lied der ersten Platte ist die hübsche Anverwandlung eines Renaissance-Tanzes, die Kate Bush als musikalische Basis einer Liebeserklärung an ihren fünfjährigen Sohn dient. "Bertie" ist ein Kinderlied für stolze Mütter, illustriert im Booklet mit einem Foto des Knaben, wie er übermütig die Milchzähne bleckt. Dazu singt Kate Bush vom "wahrhaft schönsten Lächeln, das ich je sah". So genau wollte man es vielleicht doch nicht wissen.

Die anderen Stücke des ersten Albums lassen kühle Winde nach Elvis wehen ("King of the Mountain") und die Trommel der Waschmaschine kreisen ("Mrs. Bartolozzi"), der Text dazu erzählt davon, wie sich ihre Bluse in seinen Hosen verschlingt. In einer kryptischen Annäherung an die Kreiszahl buchstabiert Kate Bush die Stellen von "[Pi]" (Songtitel), wie um zu beweisen, daß sie womöglich auch das Telefonbuch singen könnte. Aber es bleiben eben doch nur Zahlen, die sie über Puckertönen aus dem Keyboard mit der Bedeutung ihrer Diktion lädt. Sie kokettiert mit dem Wunsch, unsichtbar zu sein ("How To Be Invisible"), gibt Seelenverwandtschaft mit Jeanne d'Arc preis ("Joanni") und beschreibt den kleinen, braunen Milchbecher ihrer verstorbenen Mutter ("A Coral Room"). Manches berührt durch die reine Schönheit der Worte, die Originalität eines Bilds, auch die eine oder andere musikalische Phrase spricht unmittelbar an, wenn Kate Bushs Stimme und die spröden, wie suchenden Figuren der Tasteninstrumente für Momente eins werden. Doch vieles bleibt Bedeutungsbehauptung, auch musikalisch wenig substantiell.

Geschlossener in der Faktur, dabei entschiedener in der Weitung der Klangspektren ist das zweite Album, die musikalische Beschreibung eines Tagesablaufs. Tauben gurren, eine Kinderstimme gibt an, Vögel zu verstehen. In der schönsten Passage zwitschert die Sängerin mit einer Nachtigall ("Aerial Tal"). Danach tönt neuerlich Behauptungsmusik um ihrer selbst willen: "It was just so beautiful". Am Ende des Albums lacht die Sängerin laut. Schließlich schweigen auch die Vögel.

ANDREAS OBST.

Kate Bush, Aerial. 2 CDs EMI 343 960

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