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Mozart und Salieri - Puschkin, Alexander S.
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In Puschkins 1830 entstandener "kleiner Tragödie" Mozart und Salieri wurde ein Stoff, der gerade in jüngster Zeit wiederholtes Interesse und vielfältige Adaptionen auf der Bühne und im Film erfahren hat - die angebliche Vergiftung Mozarts durch seinen "Konkurrenten" Salieri -, erstmals in gültiger Weise gestaltet: als spannungsreiches Verhältnis von Genie und Mittelmäßigkeit, schöpferischer Uneigennützigkeit und eifersüchtigem Ehrgeiz, der nichts Größeres über sich zu dulden vermag.

Produktbeschreibung
In Puschkins 1830 entstandener "kleiner Tragödie" Mozart und Salieri wurde ein Stoff, der gerade in jüngster Zeit wiederholtes Interesse und vielfältige Adaptionen auf der Bühne und im Film erfahren hat - die angebliche Vergiftung Mozarts durch seinen "Konkurrenten" Salieri -, erstmals in gültiger Weise gestaltet: als spannungsreiches Verhältnis von Genie und Mittelmäßigkeit, schöpferischer Uneigennützigkeit und eifersüchtigem Ehrgeiz, der nichts Größeres über sich zu dulden vermag.
Autorenporträt
Alexander Sergejewitsch Puschkin, geb. 1799 in Moskau als Spross eines alten Adelsgeschlechts, wurde wegen seiner politischen Lyrik 1820 nach Südrussland strafversetzt und später auf das mütterliche Gut verbannt. Er starb 1837 an den Folgen eines Duells.

Gudrun Ziegler ist Redakteurin beim ZDF und Autorin zahlreicher popuulärer Sachbücher.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.05.1999

Es schüttelt sich die Seele wie ein Adler
Ein Leben ohne Sorgen: Alexander Puschkin wählt Salieri, Mozart und ein Opfer für die unbedingte Kunst

Anläßlich des 100. Todestages von Alexander Puschkin stellte Sigismund von Radecki 1937 den russischen Dichter als Bekannten dar: "Er war mittelgroß, mager, athletisch, beweglich, ein Krauskopf mit leicht angedrückter Nase (er hatte von der Mutter her vulkanisches Mohrenblut) - und mit riesengroßen, strahlend blauen Augen. Er war ein Genie des Denkens, des Fühlens, des Lachens - er war ein Freudengenius wie Mozart." Und Henry von Heiseler schrieb 1949 zum 150. Geburtstag Puschkins: "Puschkins Werk ist die gesamte Welt der Wesenheiten, getragen und bewegt von Puschkins Rhythmus. Es ist ein sehr persönlicher Rhythmus, für dessen Art ich im Weltschrifttum keine Analogien kenne, dafür aber eine auf dem Gebiet einer anderen Kunst: im Werk Mozarts. Bei Puschkin wie bei Mozart überall Selbstverständlichkeit, Notwendigkeit, Einfachheit - Nichtanderskönnen wie Nichtandersmüssen." Die Mozartisierung des russischen Dichters besitzt fast schon topischen Charakter. Was ist davon zu halten? Lassen sich Puschkin und Mozart über die Grenzen der Kunstmedien, über die Verschiedenheiten der nationalen Kultur, der Mentalität und der gesellschaftlichen Stellung hinweg vergleichen? Gibt es "Mozarttum" bei Puschkin?

Puschkin hat selbst Anlaß gegeben, darüber nachzudenken. In seinem Dramolett "Mozart und Salieri" (1830) stellte er beide Komponisten als Typen des Künstlertums einander gegenüber: Mozart, das inspirierte Genie, und Salieri, der bemühte Handwerker. Hatte Puschkin in Mozart das eigene Künstlertum verkörpert? Verurteilte er in Salieri ein fremdes Kunstprinzip? Man hat es lange so gesehen und an die beiden Musikergestalten die Dichotomie zwischen Romantik und Klassizismus geheftet. Noch in den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts wurde "Mozarttum" (mocartianstvo) im russischen Kunstdiskurs zum Stichwort für die inspirierte Kunst, die sich dem futuristischen und konstruktivistischen "Salierismus" widersetzte.

Vergleicht man die Lebensumstände und die Schaffensweise von Mozart und Puschkin, so treten gewisse Ähnlichkeiten, aber auch unüberbrückbare Unterschiede zutage. Mozarts Lebensspanne, 36 Jahre, ist etwa ähnlich so lang wie die Puschkins mit 37 Jahren. Beide stammen jedoch aus sehr unterschiedlichen gesellschaftlichen Sphären. Mozart kam aus dem Musikermilieu und zählte zu einem Stand, der damals an den Höfen vielfach noch den Lakaien zugeordnet wurde. Bekanntlich wurde er, als er Salzburg verließ, von seinem Vorgesetzten, Graf Arco, dem Oberstküchenmeister des Erzbischofs, mit einem Fußtritt verabschiedet. Ein solches Verhalten hätte bei Puschkin unweigerlich Ehrenhändel ausgelöst, denn Puschkin war ein durchaus standesbewußter, auf seine bojarische Herkunft stolzer Aristokrat. Zu vergleichen ist beider Verhältnis zu ihren Monarchen. Mozart gelang es nie, die Stelle des k.u.k. Hofkapellmeisters in Wien zu erlangen, lediglich zum k.u.k. Kammermusicus wurde er Ende 1787 ernannt, während den Posten des ersten Hofmusikanten sein Widersacher Salieri innehatte. Die bittere Zurücksetzung durch den Hof wiederholt sich im Verhältnis von Zar Nikolaus I. zu Puschkin. Der Zar wußte wohl, daß Puschkin der erste große Nationaldichter Rußlands war, doch traute er in seiner paranoischen Furcht vor Rebellion und Umsturz dem Dichter nicht über den Weg. So hob er zwar die von seinem Vorgänger verhängte Verbannung auf und setzte sich selbst zum Zensor über den Dichter ein, doch wurde Puschkin von der Dritten Abteilung Seiner Majestät Allerhöchster Kanzlei weiterhin bespitzelt. Als er sich in Petersburg niederließ, wurde er, nicht zuletzt wegen seiner schönen Frau, endlich mit einem Hofrang ausgestattet: Der Vierunddreißigjährige wurde zum Kammerjunker ernannt. So wie Puschkin in den letzten Jahren seines Lebens verschiedenen Intrigen ausgesetzt war, die aus den Kreisen des Hofes kamen - auf die letzte reagierte Puschkin mit einer Duellforderung, die im Februar 1837 zu seinem Tod führte -, litt Mozart in Wien unter den Kabalen und Intrigen, die die "Welschen", das heißt die italienische Musikpartei in Wien, gegen ihn inszenierten. Verschwörungstheorien umwittern den Tod sowohl Mozarts als auch Puschkins.

In einem der ersten Nekrologe, die nach Mozarts Tod veröffentlicht wurden (im Berliner "Musikalischen Wochenblatt" vom 12. Dezember 1791), ist ein Grund für diese Kabalen genannt. Er habe sie wohl zuweilen "durch sein Wesen sans Souci" gereizt. Gemeint ist ein Verhalten, das als albern, kindisch, frech, obszön, mit einem Wort: gesellschaftlich unangemessen bezeichnet werden kann. Interessant ist nun, daß ihn offenbar auch Puschkin so gesehen hat und in "Mozart und Salieri" ausdrücklich - durch Mozarts Widerpart Salieri - als "guljaka prazdnyj" qualifiziert, was soviel bedeutet wie leerer Tagedieb, Herumtreiber, Faulpelz, Prasser, Säufer und Verschwender. Gewiß, das sagt Salieri - aber man findet ebendiese Auffassung vom Genie auch bei Puschkin selbst, und zwar in jener Zeit, in der er anhaltend über die Bestimmung des Dichters nachdenkt. In dem Gedicht "Der Dichter" (1827) beschreibt er das Dichterdasein gleichsam in zwei Aggregatzuständen: zuerst in dem uninspirierten Zustand, da Apoll den Dichter noch nicht zum geheiligten Opfer aufgefordert hat. Berührt ihn aber das göttliche Wort, das heißt die Inspiration, so schüttelt sich die Seele des Poeten wie ein erwachender Adler. Nun langweilt er sich bei den Vergnügungen der Welt und hält sich vom Geschwätz der Menschen fern. Dahinter steht ohne Zweifel die eigene Lebens- und Kunsterfahrung. Man findet bei Puschkin die Lebensgier, das alberne Leichtnehmen des Lebens, ebenso wie den ernsten Dienst an der Kunst.

Auch im künstlerischen Schaffen gibt es Ähnlichkeiten zwischen Mozart und Puschkin. Da ist das eigenartige Verhältnis von Konventionalität und Innovation in ihren Werken. Bei Mozart klingt vieles, zumal das einzelne Motiv, mitunter ganz einfach, ja banal. Dann aber erleben wir im musikalischen Verlauf der Stücke ungewöhnliche, kühne Wendungen, Brechungen der Motive, Gratwanderungen und Zickzackkurse der Harmonie. Ähnlich die Poesie Puschkins. Seine Konventionalität besteht in der unbefangenen Übernahme des metrischen Inventars und der poetischen Phraseologie, wie sie die Traditionen der russischen Literatur an die Hand gaben. In ganz geringem Maße und relativ spät hat Puschkin auch metrische Experimente vorzulegen. Eine andere, höchst konventionelle Eigenart seiner Verse ist die sogenannte poetische Phraseologie, das heißt die Verwendung abgegriffener Metaphern, petrarkistischer Wendungen, mythologischer Gestalten und Orte, alter Topoi oder der für den empfindsamen Stil Karamsins charakteristischen Stimmungsadjektive. An dieses Material aber tritt eine neue Machart heran - und dies ist vergleichbar mit der kühnen Bearbeitung des konventionellen musikalischen Materials bei Mozart. Vielleicht ist es gerade diese Ausgewogenheit von ästhetischer Redundanz und Information, die Puschkins Poesie - und Mozarts Musik - ihre Größe verleiht.

Und beide zeigen in ihrem Schaffen ein vergleichbares agonales Prinzip. Gemeint ist der Wettstreit mit den Besten, der nicht auf Krieg oder Parodie angelegt ist, sondern auf das schöpferische Durchspielen fremder Anregungen und Impulse. Mozart hat in diesem Sinne etwa kammermusikalische Formen wie das Streichquartett aufgenommen, das Haydn seit 1755 ausgearbeitet hatte. Er hat sich für die Bachschen Fugen begeistert, die er im Hause des österreichischen Diplomaten Gottfried van Swieten, seines wichtigsten Mäzens, kennengelernt hatte. Bei Puschkin ist das agonale Moment auf Schritt und Tritt festzustellen. Byron, Shakespeare, Barry Cornwall, Walter Scott, Goethe und insbesondere Adam Mickiewicz heißen die großen Vorbilder, denen sich Puschkin zum Wettstreit stellte - in den "Südlichen Poemen", im "Boris Godunow", in den "Kleinen Tragödien", in der "Hauptmannstochter" und im "Ehernen Reiter".

Geht es um den Schaffensprozeß im engsten Sinne, so sind die Befunde am schwersten zu treffen. In seiner Untersuchung zu Mozarts Schaffensweise hat Ulrich Konrad die Vorstellungen vom rein intuitiv schaffenden Genie Mozart überprüft und korrigiert. Die alte Auffassung stützte sich in vielem auf die Monographie "Verbürgte Anekdoten aus Wolfgang Gottlieb Mozarts Leben" (1798/99) von Friedrich Rochlitz. Sie suggerierte, so Konrad, Mozart habe ohne Hilfsmittel allein im Kopf, also ohne Klavier und schriftliche Notizen, komponiert; auf diese Weise seien seine Werke schnell bis fast zur Endgestalt gediehen und in der gewonnenen Form unverlierbar im Gedächtnis gespeichert worden; das Niederschreiben sei danach weitgehend mechanisch geschehen, unbeeinflußbar von den Umständen, unter denen es stattfand. Von besonderer Brisanz ist dabei das Komponieren am Klavier. Am liebsten hätten es die Mozart-Enthusiasten, daß der Meister nie ans Pianoforte getreten sei, sondern sich alle Werke allein in seinem Geist ausgedacht und aus dem Stand aufs Papier geworfen habe. Die Werke sollen, nach dem Wunsche der Romantiker, gleichsam in einer Art schöpferischem Rausch entstehen, in dem der kalkulierende handwerkliche Verstand ausgeschaltet sein soll. Momente einer solchen intuitiv-irrationalen Schaffensweise, die allein schon die Schreibschnelligkeit ins Extrem trieb, mag es bei Mozart (wie auch bei Puschkin) zeitweilig gegeben haben. Konrads Untersuchungen führen jedoch vor Augen, daß Mozart seine Werke keineswegs nur ganzheitlich im Geiste erdachte oder durch Inspiration empfangene musikalische Ideen fertig zu Papier brachte, sondern daß er sehr wohl mit Skizzen und Entwürfen, oft auch, nachweislich, am Pianoforte arbeitete. Ja, selbst sein erstaunliches Arbeitstempo sei, so Konrad, "im weiten Rahmen des Zeitüblichen nicht ungewöhnlich schnell" gewesen. Das klingt sehr überzeugend und macht aus dem göttlichen Genius Mozart einen noch immer über alles Maß genialen Menschen, dessen Schaffen aber eben, wie es der nüchterne Fontane nennen würde, von Fleiß und Arbeit bestimmt war.

Bei Puschkin dasselbe. Die genialen Einfälle, die ihm allenthalben kamen, werden skizziert, angereichert, überarbeitet, umgestellt, immer wieder verbessert und modifiziert. Sieht man sich die Skizzenbücher an - sie sind zudem mit einer Fülle begleitender Zeichnungen versehen, die auf einen sehr komplexen Schaffensprozeß schließen lassen -, läßt man sich auf die bekannten Lesarten und Varianten in den kritischen Ausgaben ein, so erkennt man, daß auch Puschkin prinzipiell nicht "ganzheitlich" schuf, sondern die ursprünglichen Einfälle siebte und ordnete. Die Zahl der fragmentarischen, unabgeschlossenen Werke, Entwürfe und Skizzen ist bei Puschkin außerordentlich groß. Er steht darin Mozart nicht nach.

Wie aber, so soll nun gefragt werden, hat Puschkin selbst Mozarts Künstlertum gedeutet? Eine Antwort darauf kann seine kleine Tragödie "Mozart und Salieri" geben. Puschkin hat das Werk in jenen wundersamen Herbstmonaten des Jahres 1830 geschrieben, als er an der Schwelle zu einem neuen Lebensabschnitt steht. Da er sich mit Natalia Gontscharowa, einer Moskauer Schönheit im Alter von achtzehn Jahren, verheiraten will, fährt er auf das väterliche Landgut Boldino, das ihm als Erbe überlassen worden ist. Die wegen der grassierenden Choleraepidemie verhängte Quarantäne hält ihn knapp drei Monate in dem abgelegenen Dorfe fest, eine Zeit, in der Puschkin nicht nur eine nie wieder erreichte Schaffensintensität entfaltet, sondern auch völlig neue künstlerische Wege betritt. In Boldino schließt Puschkin sein Hauptwerk "Eugen Onegin" ab, den Versroman, an dem er sieben Jahre gearbeitet hat; er schreibt die "Erzählungen des Belkin", die erste vollendete Erzählprosa, die er überhaupt veröffentlicht hat; er schreibt Märchen in derb-volkstümlichem Stil, das Scherzpoem "Das kleine Haus in Kolomna", in wohlgefügten Oktaven, mit das Leichteste und Geistreichste aus Puschkins Feder; er richtet polemische Gedichte gegen seine Gegner, die ihn als dichtenden Aristokraten angegriffen haben; und er schreibt, nicht zuletzt, in Boldino auch die vier "Kleinen Tragödien", die zu seinen wichtigsten Werken überhaupt zählen. Es handelt sich um Kurzdramen, aus wenigen Szenen bestehend, mit wenigen Personen und je einem in äußerster Komprimierung dargebotenen bedeutsamen Thema; wichtig vor allem wegen der darin aufgeworfenen Fragen nach den ethischen Prinzipien, nach der persönlichen Ehre und nach der Kunst, die Puschkin gerade in der Boldinoer Ausnahmesituation existentiell betrafen.

"Mozart und Salieri" spielt in Wien. Das Dramolett besteht aus nur zwei Szenen. In der ersten spricht Salieri von seinem Werdegang und Neid auf Mozart. Mozart tritt auf und erzählt lachend, daß er soeben einen blinden Straßenmusikanten gehört habe, der sein "Voi che sapete" gespielt habe. Schon kommt der blinde Musiker herein und spielt eine Arie aus dem "Don Giovanni". Mozart amüsiert sich köstlich. Salieri ist außer sich über die Erniedrigung der Kunst. Von einer Komposition Mozarts ist Salieri so begeistert, daß er gar nicht begreift, wie Mozart mit einer solchen Musik im Kopfe den blinden Musikanten anhören konnte. Sein Entschluß, ihn zu vergiften, steht fest. In der zweiten Szene treffen sich beide im "Goldenen Löwen". Mozart berichtet, ein schwarzgekleideter Mann habe ein Requiem bei ihm bestellt. Ahnungsvoll spricht er von der Unvereinbarkeit von Genie und Verbrechen. Im gleichen Moment schüttet Salieri das Gift ins Glas. Mozart trinkt auf ihren aufrichtigen Bund und spielt aus seinem Requiem vor. Salieri weint, gerührt von der Musik bis zum äußersten - und glücklich, seine schwere Pflicht erfüllt zu haben.

Der Stoff, den Puschkin hier aufnahm, beruht auf einem Gerücht, das 1824/25 noch einmal Europa durcheilte. Über seinen Wahrheitsgehalt gibt es einen langen Streit und eine ausufernde Literatur. Durch die Forschungen von Helmut C. Jacobs scheint heute nicht nur der juristische Sachverhalt (und zwar zugunsten Salieris), sondern auch der Weg und die Verbreitung des Gerüchts aufgeklärt zu sein. Das Gerücht entstand, weil man annahm, Mozart selbst habe geglaubt, ihm sei Gift verabreicht worden. Verschiedene absichtlich unscharfe Hinweise auf einen möglichen Täterkreis ("die Welschen" mit ihren "Kabalen"), wie sie sich vor allem bei dem frühen Mozart-Biographen Franz Xaver Niemetschek finden, bewirkten, daß sich das Gerücht immer mehr verdichtete und zugleich sich auch Verteidiger der Ehre Salieris zu Wort meldeten. Die erste entschiedene Stellungnahme gegen die Vergiftungsthese kam von dem Erfurter Privatdozenten Theodor Ferdinand Kajetan Arnold. Er führte in seiner Schrift "Mozarts Geist" (1803) den frühen Tod des Komponisten auf Alkoholexzesse und einen lockeren Lebenswandel bei enormer Verschwendungssucht zurück. Arnolds Gegenbeweis, der hypothetisch noch einmal die langsame oder schnelle Vergiftung durchspielte, um sie als unmöglich zu verwerfen, hat nun, wie Jacobs nachweist, offenbar genau die entgegengesetzte Wirkung gezeigt. Man verstand Arnold so, als liefere er mit seiner Hypothese die konkreten Einzelheiten zum vollzogenen Giftmord. Noch vor Salieris Tod - er starb im Mai 1825 - wurde die Nachricht, er habe auf dem Krankenlager den Giftmord gebeichtet, anläßlich einer Aufführung des Mozartschen "Requiems" in Paris im April 1824 in der französischen Presse lauthals verkündet. Puschkin scheint bereits 1824 von dem Gerücht erfahren zu haben. Der Plan, ein Drama über Mozart und Salieri zu schreiben, ist erstmals 1827 belegt.

Salieris Neid auf Mozart besaß topischen Charakter. Noch Mörike erwähnt in seiner Novelle "Mozart auf der Reise nach Prag" (1856) den "Erzneidhammel" Salieri und seine Wiener Intrigen. In einer Notiz aus dem Jahre 1832 bestätigte Puschkin noch einmal Salieris Kunstneid: Er habe in der Premiere des "Don Giovanni", da sich das ganze Theater mucksmäuschenstill an Mozarts Harmonie berauschte, gepfiffen und den Saal verlassen - "wütend, von Neid zerfressen". Puschkin folgert daraus, daß ein Neider, der imstande war, den "Don Giovanni" auszupfeifen, auch seinen Schöpfer hätte vergiften können.

Es geht freilich in Puschkins Stück nicht nur um den mörderischen Kunstneid, sondern vor allem um zwei Künstlertypen. Ganz am Anfang, im Eingangsmonolog, hat Salieri die göttliche Gerechtigkeit in Zweifel gezogen (Puschkin gebraucht das Wort "pravda", das "Wahrheit" und "Gerechtigkeit" bedeutet). Er vergiftet seinen bewunderten und gehaßten Kollegen - und überlebt. Die Schuld des Mörders bleibt auf Erden ungesühnt. Dieser Ausgang könnte als Bestätigung der Annahme Salieris gewertet werden, daß es keine höhere Gerechtigkeit gebe - er selbst erbringt unwillentlich den Beweis. Man müßte nun aus diesen Befunden schließen, daß Salieri ein Bösewicht, ein Verbrecher und dazu ein schwacher, ganz der Konvention ergebener Musiker ist und daß beides, künstlerische Trivialität und Verbrechen, nicht weit auseinanderliegen.

Aber so einfach liegen die Dinge nicht. Es ist vielmehr auffällig, daß in dem Stück die Reflexion über die Kunst, die Bewunderung der Musik, die Aussagen über das Komponieren als entsagungsvollen Schaffensakt allesamt von Salieri vorgebracht werden. Ihm geht die Kunst über alles, er ist ihr ergebenster Diener. Mozart trägt zwar eine wundervolle neue Komposition vor, aber sein Vorspiel geschieht, wenn auch selbstbewußt, so doch gleichsam nebenbei. Essen und Trinken werden über der Kunst nicht vergessen. Mozart wird als Künstler dargestellt, der so schafft, wie es Rochlitz und andere von einem romantischen Genius erwarten mögen, und der ein lockeres, herablassendes Verhältnis zur Kunst hat - vergleichbar dem von Apoll nicht geforderten, nichtigen Dichter bei Puschkin.

Der Konflikt ist nun aber so angelegt, daß Salieri gute Gründe zu haben meint, das inspirierte Genie Mozart zu beseitigen. Erstens: Mozart erniedrige die Kunst, da er sie ohne Ehrfurcht, Demut und Entsagung betreibe. Zweitens: Mozarts Genie mache mit seiner Einzigartigkeit die Zukunft der Musik zunichte. Salieri handelt in der Überzeugung, er sei auserwählt, Mozarts Lauf aufzuhalten. Für Puschkin hat das Stück, das zwei gegensätzliche Charaktere, zwei miteinander unvereinbare Kunstauffassungen und vielleicht sogar zwei Kunstepochen - Klassizismus und Romantik - in schärfster Weise kontrastiert, ohne Zweifel eine ganz persönliche Bedeutung. Mozart und Salieri sind schöpferische Möglichkeiten in Puschkin selbst. Der Widerstreit zwischen beiden wird auf eine Weise gelöst, die der tragischen Konfliktlösung widerspricht. Denn Mozart obsiegt zwar künstlerisch und ethisch, geht aber unter, während Salieri, in beidem unterliegend, überlebt. Eine Puschkinsche Aporie, vielsagend, in sich widersprüchlich, aber darum vielleicht als Allegorie über das Verhältnis von Genialität und Handwerk von um so größerer Aussagekraft. Sie könnte besagen: Puschkins Mozarttum ist ohne Salierismus nicht zu denken. Doch die Logik des Stückes warnt mit aller Deutlichkeit davor, daß die Genialität zum Opfer des biederen Fleißes werde. REINHARD LAUER

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Im November 1979 in London uraufgeführt, ist Peter Shaffers "Amadeus" zu einem Welterfolg geworden, auf zahllosen Bühnen gespielt und 1984 von Milos Forman verfilmt. Es ist ein Stück gescheit gemachten Gebrauchstheaters, in welchem der offensichtlich gut dokumentierte Autor in der Beziehung zwischen dem fleißigen, aber uninspirierten Hofkapellmeister Salieri und dem ungezogenen, aber genialen Mozart im josephinischen Wien den Gegensatz zwischen Mittelmaß und Genie in einer Mischung von Dichtung und Wahrheit exemplifiziert.

Hundertfünfzig Jahre zuvor schon hatte sich ein großer Dichter, Alexander Puschkin, mit demselben Thema in seiner "kleinen Tragödie" "Mozart und Salieri" befasst und damit zur Legende beigetragen, Salieri habe Mozart vergiftet. Dieses Meisterwerk liegt in einer russisch/deutschen Ausgabe in Reclams Universal-Bibliothek vor, übersetzt und mit einem ausgezeichneten Nachwort von Kay Borowsky. Neue Zürcher Zeitung
"Im November 1979 in London uraufgeführt, ist Peter Shaffers 'Amadeus' zu einem Welterfolg geworden, auf zahllosen Bühnen gespielt und 1984 von Milos Forman verfilmt. Es ist ein Stück gescheit gemachten Gebrauchstheaters, in welchem der offensichtlich gut dokumentierte Autor in der Beziehung zwischen dem fleißigen, aber uninspirierten Hofkapellmeister Salieri und dem ungezogenen, aber genialen Mozart im josephinischen Wien den Gegensatz zwischen Mittelmaß und Genie in einer Mischung von Dichtung und Wahrheit exemplifiziert. "Hundertfünfzig Jahre zuvor schon hatte sich ein großer Dichter, Alexander Puschkin, mit demselben Thema in seiner 'kleinen Tragödie' 'Mozart und Salieri' befasst und damit zur Legende beigetragen, Salieri habe Mozart vergiftet. Dieses Meisterwerk liegt in einer russisch/deutschen Ausgabe in Reclams Universal-Bibliothek vor, übersetzt und mit einem ausgezeichneten Nachwort von Kay Borowsky." -- Neue Zürcher Zeitung