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Metaphern haben Geschichte in einem radikaleren Sinn als Begriffe, denn der historische Wandel einer Metapher bringt die Metakinetik geschichtlicher Sinnhorizonte und Sichtweisen selbst zum Vorschein, innerhalb deren Begriffe ihre Modifikationen erfahren. Durch dieses Implikationsverhältnis bestimmt sich das Verhältnis der Metaphorologie zur Begriffsgeschichte als ein solches der Dienstbarkeit: die Metaphorologie sucht an die Substruktur des Denkens heranzukommen, an den Untergrund, die Nährlösung der systematischen Kristallisationen, aber sie will auch faßbar machen, mit welchem »Mut« sich…mehr

Produktbeschreibung
Metaphern haben Geschichte in einem radikaleren Sinn als Begriffe, denn der historische Wandel einer Metapher bringt die Metakinetik geschichtlicher Sinnhorizonte und Sichtweisen selbst zum Vorschein, innerhalb deren Begriffe ihre Modifikationen erfahren. Durch dieses Implikationsverhältnis bestimmt sich das Verhältnis der Metaphorologie zur Begriffsgeschichte als ein solches der Dienstbarkeit: die Metaphorologie sucht an die Substruktur des Denkens heranzukommen, an den Untergrund, die Nährlösung der systematischen Kristallisationen, aber sie will auch faßbar machen, mit welchem »Mut« sich der Geist in seinen Bildern selbst voraus ist und wie sich im Mut zur Vermutung seine Geschichte entwirft.
Autorenporträt
Hans Blumenberg wurde am 13. Juli 1920 in Lübeck geboren und starb am 28. März 1996 in Altenberge bei Münster. Nach seinem Abitur im Jahr 1939 durfte er keine reguläre Hochschule besuchen. Er galt trotz seiner katholischen Taufe als ¿Halbjude¿. Folglich studierte Blumenberg zwischen 1939 und 1947 mit Unterbrechungen Philosophie, Germanistik und klassische Philosophie in Paderborn, Frankfurt am Main, Hamburg und Kiel. 1947 wurde Blumenberg mit seiner Dissertation Beiträge zum Problem der Ursprünglichkeit der mittelalterlich-scholastischen Ontologie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel promoviert. Hier habilitierte er sich 1950 mit der Studie Die ontologische Distanz. Eine Untersuchung über die Krisis der Phänomenologie Husserls. Sein Lehrer während dieser Zeit war Ludwig Landgrebe. Im Jahr 1958 wurde Blumenberg in Hamburg außerordentlicher Professor für Philosophie und 1960 in Gießen ordentlicher Professor für Philosophie. 1965 wechselte er als ordentlicher Professor für Philosophie nach Bochum und ging im Jahr 1970 an die Westfälische Wilhelms-Universität Münster, wo er 1985 emeritiert wurde. Blumenberg war Mitglied der Akademie der Wissenschaften und der Literatur zu Mainz (seit 1960), des Senats der Deutschen Forschungsgemeinschaft und Mitgründer der 1963 ins Leben gerufenen Forschungsgruppe »Poetik und Hermeneutik«.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.09.1998

Wortbruch mit Zuschauer
Weil die Philosophie ihr Wahrheitsversprechen nicht einlösen kann, hielt Hans Blumenbach ihr in Gedanken die Treue

Der englische Historiker Alexander Kinglake soll vorgeschlagen haben, an allen Kirchen die Inschrift anzubringen: "Bedeutend, wenn wahr." Das Werk Hans Blumenbergs vollzieht die Umkehr dieses Urteils an der Geschichte der Philosophie. "Bedeutend, weil unentscheidbar", so könnte die Aufschrift lauten, die es für alle Vorsatzblätter philosophischer Werke empfiehlt. Blumenberg zeigt, daß auch die Lektüre von Texten, die auf letzte Wahrheit zielen, sich nicht als Prüfung dieser Ambition verstehen muß. Denn Philosophie ist für ihn geradezu der Inbegriff von Problemen, deren Beantwortung ebenso verstörend wäre, wie ihre Unbeantwortbarkeit verstörend ist. "Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Was ist der Mensch?" - so fragt die Philosophie, und Blumenberg fragt zurück: Kann der Sinn solcher Fragen in ihrer Lösung bestehen? Und wenn sie nicht lösbar sind, wovon legen sie dann Zeugnis ab? Gerade dem nicht auf die Wahrheit ihrer Antworten fixierten Blick, so seine hermeneutische Prämisse, treten eigentümliche Qualitäten der philosophischen Begriffsarbeit hervor.

Die jetzt wiederaufgelegte Studie, die zuerst 1960 im "Archiv für Begriffsgeschichte" erschien, handelt von der Qualität jedes philosophischen Arguments, auf bildliche Elemente nicht verzichten zu können. Blumenberg befaßt sich mit typischen Sprachfiguren, die die Philosophie zur Lösung letzter Rätsel immer wieder beansprucht hat. Zunächst mit Metaphern für Eigenschaften der "Wahrheit" selbst. Ermittelt wird, welche Einstellung zur Welt impliziert ist, wenn der Wahrheit eine eigene "Macht" zugeschrieben wird, durch die sie sich von selber zeige. Der Autor verfolgt, wie diese Metapher in der Neuzeit mehr und mehr durch die entgegengesetzte abgelöst wird. Erkenntnis müsse erarbeitet, entdeckt und enthüllt werden, um als "erobertes Terrain" oder "nackte Wahrheit" vorzuliegen. Er skizziert die Unterschiede, die es macht, ob man die Welt, in der sich solche Entdeckungen vollziehen, als Organismus, Maschine oder Theater bezeichnet. Und er beschreibt, wie sich aus den Argumenten des Kopernikus die Metapher von der "kopernikanischen Wende" entwickelt hat. Abschließend handelt das Buch über die Verwendung metaphysikalischer Symbole wie Kugel und Kreisbewegung zum Beleg von Weltvollkommenheit und Rationalität.

Gemeinsam ist diesen Skizzen die Abwehr der Vorstellung, solche Bilder seien bloße Denkvorgaben, die ihrer endgültigen Umsetzung in Begriffe und Argumente noch harrten. Metaphern bilden aber auch nicht den Bodensatz wahrheitsfähiger Aussagen, der zur weiteren Behandlung an die schöne Literatur zu überweisen wäre. Für Blumenberg stellen sie vielmehr die Erinnerungsspuren der "Lebenswelt" in der begrifflich geschärften Terminologie dar. An ihnen lassen sich Herkunftsnachweise führen. Denn daß die Philosophie ohne Denkbilder nicht auskommt, zeigt an, daß sie jener Sphäre zugehörig bleibt, über die sich erheben zu können zu ihren beliebtesten Leistungsbehauptungen zählt. Wer die Welt als Uhrwerk anspricht, der kann ihren regelmäßigen Lauf meinen oder ihre kunstfertige Einrichtung. Er kann auf ihren Uhrmacher hinweisen wollen oder darauf, daß ihre Oberfläche den wahren Mechanismus verdeckt. Er kann damit sagen, für Gott sei sie ein Werkzeug, oder darauf hinweisen, daß sie nur läuft, wenn man sie läßt. In all diesen Wendungen aber dokumentiert sich eines: Daß "die Welt" selbst nur mittels solcher Bildausdeutungen ansprechbar ist. Durch unzweideutige Angabe ihres Inhalts, so Blumenberg, lassen sich gerade Begriffe wie "Welt" und "Wahrheit", "Sein" und "Leben" nicht klären. Wer sie verwendet, steht unter dem Bildergebot.

Mit diesem Befund löst sich das Verständnis philosophischer Tropen aus der älteren rhetorischen Tradition. Dort stellten sie nur ein psychologisches Wirkmittel dar, dessen Einsatz ganz auf das Gefallen beim Zuhörer oder Leser berechnet war. Das Bild ziere die Rede, erweitere aber nicht ihren Sinn. Blumenberg hingegen möchte an der Unentbehrlichkeit der Metapher die Umstände ermitteln, unter denen gedacht wurde und die durch Abstraktion zu löschen die Philosophie gerne als ihr Verallgemeinerungsgeschäft versteht. Die "nackte Wahrheit" etwa erinnert daran, daß auch die Welt des Denkens eine ist, in der es Masken, Entblößungen und Verführungen gibt. Als bürgerliche Redefigur wendet sich die Metapher gegen Kleiderordnungen, Kostüme und Uniformen, unter denen die Aufklärung vermutete, "Natur" zu finden.

Aber sie hat sie nicht gefunden. Der Prozeß der Erkenntnis ist für Blumenberg "auf Verluste kalkuliert". Jede begrifflich unauflösbare, "absolute" Metapher, verheißt, philosophische Fragen fänden ihre Antwort zuletzt im Anschaulichen. Doch die Metaphorologie soll nicht zu einer durch Abstraktion verlorenen Sinnfülle zurückführen. Blumenberg will die Ansprüche nicht erneuern, die er in den Metaphern angemeldet findet: auf Leserschaft im "Weltbuch" oder auf "Wahrheit als Licht". Er konstatiert die Sinnerwartung der Philosophie, ohne sich über die Unerfüllbarkeit zu täuschen, die das Bewegungsmoment ihrer Geschichte ist. Später hat er die Funktion der Metaphorologie deshalb als "Rationalisierung des Mangels" bezeichnet: wenn wir schon nicht wissen, was wir wissen wollten, können wir doch den Umgang mit der Enttäuschung kultivieren.

Das verweist auf den philosophischen Ort des Metaphorologen. Alle emphatischen Wahrheitsbegriffe beanspruchten seit jeher, die Einheit von Bedeutsamkeit und Evidenz zu bezeichnen. Wahrheit sollte das Allerwichtigste und zugleich Allerplausibelste sein. Wenn diese Einheit zerfällt, das Wichtigste strittig wird und das Plausible bedeutungsarm, unterscheiden sich die Geister: Religion und Wissenschaft teilen sich das Erbe der Philosophie. Für Blumenberg bleibt ein Rest, der ihnen nicht zufällt. "Der Schwund der Metaphysik ruft die Metaphorik wieder an ihren Platz" lautet der letzte Satz des Buches. In seiner Entstehungszeit taten Freunde einer klaren Begriffssprache metaphysische Fragen gern als "Scheinprobleme" ab. Gegen diese Bezeichnung dürfte Blumenberg nichts gehabt haben. Wer aber, so heißt es in einem seiner nachgelassenen Texte, nur Probleme duldet, für die geordnete Verfahren ihrer Erledigung zur Hand sind, überläßt anderen den Platz, den zu besetzen er sich weigert. Die "Metaphorologie" war in diesem Sinne wohl nicht nur als Methode für Begriffsgeschichtler gemeint, sondern auch als Imperativ, den Platz der Philosophie nicht zu räumen. Gerade in ihrem metaphorischen Diesseits von Wahr und Falsch, als Übung im Umgang mit Schein, schien sie ihm unersetzbar und darin bedeutend. JÜRGEN KAUBE

Hans Blumenberg: "Paradigmen zu einer Metaphorologie". Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1998. 200 S., br., 19,80 DM.

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