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Der Band veröffentlicht die in dem 1999 erschienenen Textband zitierten und ausgewerteten Dokumente, die bei der Beurteilung der Frage hinsichtlich der Einwirkungen aus dem Ausland auf die "Väter des Grundgesetzes" beachtet werden müssen und die bislang noch nicht publiziert waren.

Produktbeschreibung
Der Band veröffentlicht die in dem 1999 erschienenen Textband zitierten und ausgewerteten Dokumente, die bei der Beurteilung der Frage hinsichtlich der Einwirkungen aus dem Ausland auf die "Väter des Grundgesetzes" beachtet werden müssen und die bislang noch nicht publiziert waren.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.01.2000

Wirksame Anziehungskräfte
Die Verfassungen des Westens und das Grundgesetz

Heinrich Wilms: Ausländische Einwirkungen auf die Entstehung des Grundgesetzes. W. Kohlhammer Verlag, Stuttgart 1999. 344 Seiten, 168,- Mark.

Wo alle Welt sich Verfassungen leistet, legt schon die Bezeichnung "Grundgesetz" nahe, dass es sich hierbei um eine sehr deutsche Angelegenheit handelt. Das Gegenteil ist richtig. In mancher Hinsicht schielt kaum eine Verfassung stärker nach Vorbildern als unsere. Hatte die Aufmerksamkeit bisher jedoch vor allem den ideengeschichtlichen Einflüssen ausländischen Rechts gegolten, verspricht Wilms, die handfesteren Aspekte ins Visier zu nehmen, nämlich die Frage, "in welcher Weise das Grundgesetz unmittelbar durch ausländische Mächte beeinflusst oder gar vorgegeben wurde". Die kaum verhallte Verfassungsdiskussion anlässlich der deutschen Einheit und des fünfzigsten Jahrestags der Entstehung des Grundgesetzes liefern hierfür die Begleitmusik, eine Reihe erst seit kurzem zugänglicher Archivalien den wissenschaftlichen Anlass.

Der Versuchung einer verfassungspolitischen Kolportage, die man vor diesem Hintergrund hätte erwarten können, ist Wilms nicht erlegen. Stattdessen wird für jeden Abschnitt des Grundgesetzes minutiös über sämtliche Entwicklungen auf der Ebene der Alliierten und der gerade wiedererweckten deutschen Staatlichkeit berichtet. Diese Verschränkung horizontaler und vertikaler Entwicklungslinien gibt Wilms' Werk weniger den Anstrich einer durchgängigen Story als eines wissenschaftlichen Handbuchs mit nachgerade enzyklopädischem Anspruch. In puncto Lesbarkeit sind damit gewisse Abstriche verbunden.

Ungeachtet dessen ist das Buch ein zuverlässiger Führer durch ein schier undurchdringliches verfassungspolitisches Dickicht. Dabei erweist sich jedoch, dass die Beeinflussung des Grundgesetzes nur selten über die - freilich ungewöhnlich vielfältige - Heranziehung ausländischer Rechtsvorstellungen hinausgegangen ist. Von einer verpflichtenden Vorgabe oder gar einem Oktroi fremden Verfassungsrechts kann schon überhaupt keine Rede sein. So bestand über die Annahme eines umfassenden Grundrechtskataloges, wie ihn insbesondere die Vereinigten Staaten, Frankreich und - wenn auch in ungeschriebener Form - Großbritannien kannten, schon im Herrenchiemseer Verfassungskonvent Einigkeit. Klar war auch, dass diese Grundrechte unmittelbare Rechtsgeltung beanspruchen sollten. Und ebenso gab es über ihren Schutz durch ein Verfassungsgericht nie ernsthaft Streit.

Freilich hielt man bisher gerade das Bundesverfassungsgericht für eine besonders originelle deutsche Einrichtung. Wilms zeigt jedoch anhand bisher unveröffentlichter Dokumente, wie stark im Parlamentarischen Rat die Nähe zum amerikanischen Supreme Court gesucht wurde. Dessen nahezu kritiklose Bewunderung ist indes ebenso erstaunlich wie die naiven Hoffnungen, die sich mit der Einrichtung eines solchen - in der "New Deal"-Ära noch enorm angefeindeten - Gerichtshofes verbanden.

Auch die Absichten der Verfassungsväter sind heute vielfach in Vergessenheit geraten. Die Erinnerung an sie macht den eigentlichen Wert von Wilms' Werk aus. So war etwa noch im Parlamentarischen Rat die uneingeschränkte Anwendung des Gleichheitssatzes auch auf den Gesetzgeber (und nicht etwa nur die gesetzesvollziehende Verwaltung) einhellig als vom amerikanischen Vorbild abweichende "Irrlehre" gebrandmarkt worden; die Überprüfung von Gesetzen auf Gleichheitsverstöße sei auf ein reines "Willkürverbot" beschränkt. Gerade im Bereich der Steuergesetzgebung hat sich das Bundesverfassungsgericht freilich jüngst vom Garanten "minimaler Gerechtigkeit" zum allgemeinen "Reparaturbetrieb für den Gesetzgeber" gemausert. Die Zeche berechtigter Urteilsschelte hierfür hat letztlich das gesamte Gemeinwesen zu zahlen.

Aus heutiger Sicht besonders nachdenklich stimmen die Passagen über die Anfänge des bundesdeutschen Konstitutionalismus: Gerade nicht eine Verfassung, sondern ein "Grundgesetz" sollte es damals sein, verabschiedet von einem "Parlamentarischen Rat" und nicht etwa einer verfassunggebenden Versammlung, nicht angenommen durch ein allgemeines Plebiszit, sondern nur von einer Mehrheit der Länder. Wenn all das - und zwar gegen erheblichen amerikanischen Widerstand - allein den Sinn hatte, das Provisorische des Grundgesetzes zu betonen, fragt sich, ob nicht anlässlich der Wiedervereinigung eine kraftvolle Bestätigung der Verfassung angebracht gewesen wäre. Eine Totalrevision hätte damit nicht verbunden sein müssen. Dem viel beschworenen, vor allem ostdeutschen Verfassungspatriotismus hätte dies sicher gut getan.

Wilms' Werk bildet nur den Auftakt zu einer ambitionierten "Neuesten Deutschen Verfassungsgeschichte", die von der Hitler-Diktatur bis in unsere Tage reicht. Vermutlich wird erst aufgrund der darin edierten Dokumente eine gründliche Aufarbeitung der bundesdeutschen Verfassungsgeschichte möglich. Es ist nicht die schlechteste Idee, dieses Projekt mit den "ausländischen Einwirkungen" beginnen zu lassen: Folgt man Wilms, ist die Umlaufbahn, in die gerade sie das Grundgesetz getragen haben, die beste, die wir uns wünschen können.

CORNELIUS SIMONS

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