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Tatort Baltimore: In der Stadt an der Ostküste der USA geschehen innerhalb eines Jahres 234 Morde an zwei von drei Tagen wird ein Bürger erstochen, erschossen oder erschlagen. Im Zentrum dieses Hurrikans des Verbrechens steht die Mordkommission unter der Leitung von Lieutenant Gary D Addario, eine kleine Bruderschaft, konfrontiert mit dem amerikanischen Albtraum: Donald Worden, ein abgeklärter Ermittler am Ende seiner Karriere; Harry Edgerton, ein schwarzer Detective in einer überwiegend weißen Einheit; und Tom Pellegrini, ein engagierter junger Cop, der erst vor kurzem zur Mordkommission…mehr

Produktbeschreibung
Tatort Baltimore: In der Stadt an der Ostküste der USA geschehen innerhalb eines Jahres 234 Morde an zwei von drei Tagen wird ein Bürger erstochen, erschossen oder erschlagen. Im Zentrum dieses Hurrikans des Verbrechens steht die Mordkommission unter der Leitung von Lieutenant Gary D Addario, eine kleine Bruderschaft, konfrontiert mit dem amerikanischen Albtraum: Donald Worden, ein abgeklärter Ermittler am Ende seiner Karriere; Harry Edgerton, ein schwarzer Detective in einer überwiegend weißen Einheit; und Tom Pellegrini, ein engagierter junger Cop, der erst vor kurzem zur Mordkommission gekommen ist und den schwierigsten Fall des Jahres aufklären will die brutale Vergewaltigung und Ermordung eines elfjährigen Mädchens. David Simon schuf die legendäre Fernsehserie "The Wire". Der langjährige Polizeireporter der Baltimore Sun war der erste Reporter in Amerika, der unbegrenzten Zugang zu einer Mordkommission erhielt er folgte ein Jahr lang den Ermittlern. Seine meisterhafte Reportage, die sowohl den Edgar als auch den Anthony Award gewann, lässt uns hautnah an den Ermittlungen der Mordkommission teilhaben und ist darüber hinaus eine eigene Ermittlung zur amerikanischen Kultur der Gewalt, die nichts von ihrer Brisanz verloren hat.
Autorenporträt
David Simon, Journalist, Drehbuchautor und Produzent, wurde 1960 in Washington D.C. geboren und lebt in Baltimore. Er war lange Jahre Polizeireporter bei der Baltimore Sun und schrieb die Bücher "Homicide" und "The Corner", die die Grundlage der von ihm geschaffenen Fernsehserie "The Wire" bildet. Sein aktuelles Projekt ist die Fernsehserie "Treme".
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 31.08.2011

Mörderischer Alltag
Wer wissen will, warum die amerikanischen Fernsehserien so gut sind, muss David Simons Buch „Homicide“ lesen
Neulich wurde im Radio einer jener Schauspieler interviewt, die in der ewig beliebtesten deutschen Krimi-Fernsehreihe „Tatort“ einen jener austauschbaren Ermittler spielt. Ob er sich manchmal mit echten Polizisten unterhalte, wurde er gefragt. Natürlich nicht, antwortete der Mann: Echte Polizeiarbeit sei doch langweilig. Die Leute wollten Geschichten, keine Akten.
Dass das ein fataler Trugschluss sein könnte, zeigt das nun endlich auch auf Deutsch erschienene Buch „Homicide: Ein Jahr auf mörderischen Strassen“ (Verlag Antje Kunstmann, 829 Seiten, 24,90 Euro). Denn das stammt also aus einer völlig anderen Welt. Und zwar nicht nur, weil es in Baltimore, Maryland spielt, das manche nuschelnd „Body more, Murderland“ aussprechen, also „Mörderland mit noch mehr Leichen“. Dieser Kontrast – dort eine untergehende amerikanische Großstadt mit über 200 tödlichen Gewaltverbrechen im Jahr, hier Saarbrücken, Ludwigshafen und Wiesbaden – ist bloß geografisch.
Viel wichtiger ist die grundlegend andere Herangehensweise. „Homicide“ wurde von David Simon geschrieben, dem Erfinder von „The Wire“, der besten Fernsehserie aller Zeiten. Das sagen zumindest Kritiker von links bis rechts und von oben bis unten, vom seriösen britischen Guardian bis zum Sex-, Drogen-, und Gewaltmagazin Vice . „In fünfzig Jahren“, erklärte der Schriftsteller Gary Shteyngart in dieser Zeitung, „wenn die Historiker sich fragen, wie Amerika so abstürzen konnte, werden sie ‚The Wire‘ mit chinesischen Untertiteln ansehen, dann wissen sie Bescheid.“ Und es war gerade „The Wire“, das neben Fernsehsendungen wie „The Sopranos“, „Mad Men“ und „Breaking Bad“ den Ruf der amerikanischen Serien als die wahren großen Erzählungen des 21. Jahrhunderts begründete.
In der Langzeitreportage „Homicide“ kann man also einem der wichtigsten Erzähler der Gegenwart ins Notizbuch sehen. Und dabei vielleicht erkennen, was den Unterschied zum deutschen Provinzbeamtenfernsehen ausmacht. Nicht die Provinz oder die Beamten, die gibt es in Maryland auch. Sondern der seltsame Umstand, dass es in einer wirklich guten Geschichte eben doch zuerst einmal um Akten geht.
David Simon war 12 ganze Jahre lang Polizeireporter in Baltimore. Das war in den achtziger und neunziger Jahren, als man sehr viel Arbeit, die früher noch von Amerikanern geleistet wurde, computerisierte oder ins Ausland verlagerte. Als aus den alten Fabriken in Baltimore Lofts wurden und durch den alten Hafen die Touristen schlenderten, um ein bisschen die Luft der aufgegebenen Docks zu atmen und danach Krabben zu essen. Es war ein Traum – der Traum vom postindustriellen Amerika. In den Vierteln um das sanierte Downtown herum begann jedoch der Albtraum.
Denn im Rest der Stadt wohnten die Überflüssigen. Hier fand sich jenes andere, arbeitslos gewordene und verwahrloste Amerika, das entweder von Wohlfahrt lebt oder Drogen verkauft. Kokain, Crack, Heroin und Marihuana waren in den nach dem Ende der Industriegesellschaft entstehenden Ghettos die einzigen Wachstumsbranchen. Die Regierung erklärte den Drogen den Kampf – und begann damit einen unmoralischen und sinnlosen Krieg gegen die eigene Unterschicht.
In „Homicide“ berichtet David Simon direkt von der Front. 1988 ließ er sich ein Jahr lang als Reporter bei der Mordkommission einbetten. Später verbrachte er ein weiteres Jahr an einer Straßenecke, an der Drogen verkauft wurden. Auch daraus wurde ein Buch und genau wie „Homicide“ wurde auch „The Corner: Bericht aus dem dunklen Herzen der amerikanischen Stadt“ später fürs Fernsehen adaptiert (das Buch erscheint auf Deutsch kommenden März im gleichen Verlag).
Die in „Homicide“ geschilderten Polizisten arbeiten am Fließband. Damals gab es alle drei Tage zwei Morde, in einer Stadt von der Größe Stuttgarts. Ein Kriminalbeamter hatte ungefähr eine halbe Woche Zeit, um einen Fall aufzuklären. In der zweiten Wochenhälfte bekam er dann schon den nächsten. Baltimore war kein Schauplatz für einen klassischen Kriminalroman. Es gab dort keine Züge, in denen reiche Erbinnen ihre Rubine verlieren, keine verdächtigen Adligen, keine Gentlemangauner und keine Detektive mit Schnurrbart und einem Sinn für verblüffend logische Gedankenketten. Es gab auch keine Hi-Tech-Spurensicherung oder Psychologen, die aus winzigen Gesten die Absichten der Verdächtigen lesen. Ja nicht einmal Melancholiker in schäbigen Büros, die auf die Frage, wie sie ihren Brandy am liebsten trinken, antworten: „Aus einem Glas.“
Stattdessen gab es Akten, Zahlen und eine sich immer schneller um sich selber drehende Bürokratie. Der brutale Sexualmord an dem elfjährigen Mädchen wird nie aufgeklärt. Zeugen bleiben stumm. Geschworene entscheiden nach Hautfarbe, nicht nach Faktenlage. Mörder, die nicht mal ihren eigenen Namen schreiben können, lassen sich den Schneid, die Rechte und ein Geständnis abkaufen – für ein paar nette Worte, eine Cola und einen Burger. Dann wird wieder der Haushalt gekürzt. „Shit always rolls downhill“, heißt es, und die ganz unten auf der Leiter kriegen es ab.
Der Leser verliert sich erst einmal in dieser Welt, zwischen Ortsangaben und Abkürzungen, Namen und Verfahren, Dialekten und Slangs, die auch die deutsche Übersetzung leidlich bewahrt. Er wird überfordert, fühlt sich wie ein junger Reporter, und versteht doch Seite für Seite besser, wie die Stadt Baltimore funktioniert. Das erzeugt einen starken Eindruck von Authentizität. Das haben nicht nur Fans David Simon bestätigt, sondern auch die eigentlichen Experten, die Junkies, Dealer und Polizisten. David Simon beschreibt die Welt, wie sie wirklich ist.
Als der vielleicht größte Fan der amerikanischen Großstadt sammelt Simon einfach alles, was sie zu bieten hat – auch die Falschaussagen, ihre Unhöflichkeit und das Idiotische. Und sogar die Akten. Aber er sammelt diese Dinge als Indizien. Simon glaubt an das Muster unter dem Chaos, an einen Sinn, auch wenn das nur der kaputte und korrupte Sinn eines stürzenden Imperiums ist, das Licht der verglühenden Zivilisation. Aber dieses Licht ist auch eines der Erkenntnis. Es beginnt in dem Buch „Homicide“ zu leuchten und überstrahlt in der Fernsehserie „The Wire“ schließlich alles.
Und nicht nur dort. Eben das macht die Anziehungskraft der großen amerikanischen Serien aus: Sie haben mit dieser Welt zu tun. Irgendjemand ist tatsächlich raus gegangen auf die Straße, in die Archive oder zu den Treffen ehemaliger Mafiosi oder alter Werber, und hat erst einmal jahrelang Material gesammelt. Oft war es ein ganzes Team, das die Geschichten danach hundertmal überarbeitet und noch einmal gedreht hat. Und erst ganz am Ende standen dann „Boardwalk Empire“, „Mad Men“ und „The Sopranos“ – oder eben „The Wire“. Und damit gibt es dann doch noch Hoffnung: So lange es Leute gibt, die Akten lesen wollen – um daraus Geschichten von solcher Wucht zu machen, wie es David Simon schon in seinen frühen Büchern vorführte.
JAN FÜCHTJOHANN
Kokain, Heroin und Marihuana
waren in den Ghettos
die einzigen Wachstumsbranchen
Amerikanische Serien
bilden diese Welt ab – das
macht ihren Reiz aus
Berichte von der Front der gesellschaftlichen Konflikte – Szene aus David Simons TV-Serie „The Wire“. Foto: picture-alliance / Mary Evans
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Mächtig beeindruckt ist Rezensent Michael Rutschky von David Simons Reportage "Homicide", die nun in deutscher Übersetzung vorliegt. Er würdigt das Buch als "Monumentalwerk", das in einer großen Tradition - er nennt u.a. Walter Benjamin, John Dos Passos "Manhatten Transfer" und William Foote Whytes soziologischen Klassiker "Street Corner Society" - steht . Wie er berichtet, hat der Autor, Schöpfer der Fernsehserie "The Wire", ein Jahr als eingebetteter Journalist die Ermittler des Morddezernats von Baltimore begleitet und darüber die große Reportage "Homicide" geschrieben. Diese bietet zu seiner Freude - dank gekonnter Schnitttechnik - rasante, packende und spannende Handlung und darüber hinaus immer wieder eingeflochtene Reflexionen von enormer soziologischer Tiefe. So ist "Homicide" für Rutschky nicht nur ein wahrer "Page-Turner", sondern liefert auch Tonnen von Material für eine höchst instruktive "ethnische Archäologie".

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