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Erzählt mit Härte und Erbarmen, mit Staunen und Glanz ...
Wie verbringt man die erste Nacht, wenn ein geliebter Mensch gestorben ist? Mit den letzten Habseligkeiten der Mutter kehrt Johanna zurück in die Wohnung, in der sie selbst aufgewachsen ist. Während sie dort aufräumt, macht sie sich an eine Inventur ihrer Kindheit. Dieser provozierend leise Text erzählt feinfühlig von der Sprachlosigkeit in Familien und ist ein Plädoyer für die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit.
"Eine Prosa der leisen Töne, die diese Lebenskrise zu einer eindrucksvollen Rätselgeschichte ausmalt." ('Focus')

Produktbeschreibung
Erzählt mit Härte und Erbarmen, mit Staunen und Glanz ...

Wie verbringt man die erste Nacht, wenn ein geliebter Mensch gestorben ist? Mit den letzten Habseligkeiten der Mutter kehrt Johanna zurück in die Wohnung, in der sie selbst aufgewachsen ist. Während sie dort aufräumt, macht sie sich an eine Inventur ihrer Kindheit. Dieser provozierend leise Text erzählt feinfühlig von der Sprachlosigkeit in Familien und ist ein Plädoyer für die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit.

"Eine Prosa der leisen Töne, die diese Lebenskrise zu einer eindrucksvollen Rätselgeschichte ausmalt." ('Focus')
Autorenporträt
Overath, Angelika
Angelika Overath, 1957 in Karlsruhe geboren, studierte Germanistik und Geschichte und promovierte 1986 mit einer Arbeit über das Blau in der modernen Lyrik. Bereits während ihres Studiums war sie journalistisch tätig. Heute arbeitet freie Autorin, Dozentin und Literaturkritikerin. 1996 wurde sie für ihre Reportagen mit dem Egon-Erwin-Kisch-Preis ausgezeichnet, 2005 erhielt sie den Thaddäus-Troll-Preis für 'Nahe Tage. Roman in einer Nacht'. 2009 erschien ihr hochgelobter Roman 'Flughafenfische', der auch auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis stand. Angelika Overath lebt mit ihrer Familie in Sent (Graubünden).
Rezensionen
"Eine Prosa der leisen Töne, die diese Lebenskrise zu einer eindrucksvollen Rätselgeschichte ausmalt." 'Focus'

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.02.2006

Die Liebe der Schlingpflanzen
Angelika Overaths verstörender Roman über Mutter und Tochter

Der Verlust der Mutter trifft den Menschen ungeachtet seines Alters immer als Kind. Alle Weltgewißheit, alles Weltempfinden, ja alles Weltvertrauen gerät einen Augenblick ins Wanken angesichts der mütterlichen Ungeheuerlichkeit, tatsächlich sterblich zu sein. In "Nahe Tage", dem verstörend berührenden Romandebüt von Angelika Overath, trifft diese skandalöse Tatsächlichkeit das vierzigjährige Kind Johanna mit derartiger Wucht, daß sich ihrer zunächst nur ein betäubendes Erstaunen bemächtigt. "Ihr Tod war gegen ihrer beider unausgesprochener Abmachung, war gegen das ganze selbstverständliche Lebensprinzip."

So wie einst ihrer beider dyadisches Dasein mit dem hechelnden Atem der Mutter begann, der das nie abgenabelte Kind ins Leben trieb, mühte Johanna sich neun Tage lang in einem lindgrünen Krankenzimmer, ihre sterbende Mutter ins Leben zurückzuatmen. Vergebens.

Die elende Zeit der Trauer wird folgen, doch konzentriert sich die Autorin allein auf diesen ersten Tag, diese erste Nacht des Mutterseelenverlassenseins, die für die haltlose Johanna nur eine Zeit des tastenden Nachspürens sein kann. Wo kein Weg in ein Weiter drängt, führen Johannas Füße sie Schritt um Schritt zur Wohnung der Mutter, einen Plastiksack mit deren letzten Habseligkeiten schwer im Arm, und dann hinein in die abgestandene Heimeligkeit der Käthe-Kruse-Puppen, Porzellanrehe, Plüschkatzen, bestickten Kissen und Streublümchen auf Wachstuchtischdecken und Tapeten. Hier verbringt sie die Nacht zwischen aufsteigenden Bildern einer Kindheit, die nach dem Willen der Mutter nie hätte aufhören sollen.

Denn dies ist keine der oft gelesenen Mutter-Tochter-Konfliktgeschichten, sondern eine Geschichte von Mutter und Kind. "Du bist aus mir herausgekrochen, du wirst immer mein Kind bleiben" - Sätze wie dieser sollen das zehnjährige Kind an den Mutterschoß ketten, als dieses es wagt, Freundinnen zu haben. Die erstickende Schlingpflanzenliebe der Mutter duldet keine Konkurrenz, noch die erwachsene Johanna scheint eigentümlich verdorrt, als habe sie sich von der gewalttätigen Mutterliebe nie erholt.

In lakonischer Behutsamkeit zeichnet Angelika Overath ohne einen einzigen überflüssigen Strich Szenen eines freudlosen Mikrokosmos in den fünfziger Jahren. Da stopft die Kittelschürzenhausfrau das pummelige Kind mit gezuckerten Dosenpfirsichen und schokoladig verkleistertem "Kalten Hund", da weint der selbstmordgefährdete Vater am Frühstückstisch, und nur das stur tapfere Weiteressen des Kindes hält die Ordnung der Welt aufrecht. Seine Frau schüttelt ob seiner dilettantischen Selbstmordversuche den Kopf, ("er war doch Industriemeister"), nutzt aber selbst Drohungen als drastisches Mittel, der Heranwachsenden einen mutterfreien Schwimmbadbesuch auszureden. Ihr Lieblingslied ist leicht zu erraten: "Mamatschi", da stirbt zuletzt die gute Mutter - das hat der treulose Sohn mit seinen ewigen Pferdchenforderungen nun davon.

Ergänzt wird diese unglückselige Dreierkonstellation aus schwachem Vater, verlustangstgeplagter Mutter und familienkittendem Heilsbringerkind durch zwei Trabanten: eine bei der Familie lebende Großmutter, deren größtes Verdienst es ist, wie die Mutter von "Zuhaus", aus dem Sudetenland, vertrieben worden zu sein, und den abgöttisch geliebten verstorbenen Vater der Mutter. Und es sind eben dieser tote himmlische Vater, die schmerzensreiche Tochtermutter, die, wie wir zu vermuten wagen, zu ihrem großen Bedauern nicht jungfräulich empfangen konnte, und das Kind, die hier die wahre Triade eines heiligen Familienideals bilden. "Ihre Mutter jedenfalls war nie eine Frau geworden, nicht einmal, als sie ein Kind gebar. Sie war die traurige Tochter geblieben, die ihr kleines Kind täglich zum Grab des Vaters brachte." Ginge es nach dieser stets zu Tränen neigenden Mater dolorosa, müßte der Status quo ewig aufrechterhalten werden. So schamhaft Sexualität gehandhabt wird, so geradezu unverschämt gerne malt das Mutteropfertier dem kleinen Mädchen ihr blutiges Zerrissenwerden während der von nachgerade biblischen Schmerzen begleiteten Sturzgeburt aus.

Alle Veränderung, jede Entwicklung, jede Auseinandersetzung kann die Mutter nur als Gefahr begreifen, wo sie sich nach dem unwiederbringlichen Verlust des "Zuhaus" doch in diesem Kinde eine zweite, mobile Heimat geschaffen hat: "Das Kind war zum Haus der Mutter geworden." Damit diese pathologische Symbiose fortbestehen kann, sucht die Mutter das kleine Mädchen infantil zu halten, und wischt noch der gut Neunjährigen in Fortführung des Wickelns den Po ab, wäscht sie abends auf dem Küchentisch, weil sie angeblich "wund" sei. Diese und ähnliche Intimitätsverletzungen, auch als geistiges Eindringen - die Mutter liest heimlich Johannas Tagebücher -, bilden ein immer wiederkehrendes Motiv in den aufsteigenden Erinnerungen der frisch verwaisten Tochter. Auf Szenen des Aufbegehrens hofft man vergebens. Johanna beugt sich den Gesetzen Einheit, Reinheit, Mütterlichkeit der staubwedelnden "Königin der Einbauküche".

Angelika Overath setzt ihre stets unsentimentalen Sätze auch in diesem Werk mit der klugen Klarheit, über die man sich bereits in ihren beiden Reportagesammlungen freuen durfte. Doch scheint ihre Sprache in "Nahe Tage", für das ihr der Thaddäus-Troll-Preis verliehen wurde, noch dichter, da bleibt keinerlei Platz für entspannte Plaudereien oder füllende Mörtelworte, lückenlos fügt sich ein präziser Satz an den nächsten. Daß Overath ihren Figuren so schmerzhaft nahe sein kann, mag an autobiographischen Elementen liegen - auch ihre Mutter war eine Heimatvertriebene mit einem böhmisch-mährischen "Zuhaus", das Angelika Overath und ihren Vater zu Fremden machte, die "nur irgendwo geboren worden waren", wie sie im Epilog ihres Reportagebuchs "Das halbe Brot der Vögel" schrieb. Vielmehr gelingt ihr diese Nähe aber wohl wegen des nie wertenden, aber schonungslos genauen Blicks, den sie auf diese zwanghafte Zweisamkeit wirft.

Die sprachlose Leere, die dem schmalen Buch von Anfang bis Ende entströmt, verschulden Mutter und Tochter gleichermaßen. Was über das Unausgesprochene zwischen den beiden Frauen nicht gesagt wird, kann auch nicht gesagt werden, weil diese beiden dafür keine Worte haben. Man ahnt zuweilen den vagen Ekel vor der aufdringlichen Körperlichkeit der Mutter, spürt die unterschwelligen Aggressionen. Doch die unreflektierte Perspektive des gerade verlassenen Kindes läßt weder impulsive Ausbrüche noch eine distanzierte Analyse ihrer beider Verhältnis zu. Man würde sie der erwachsenen Johanna, über die man kaum mehr erfährt, als daß sie selbst weder Kind noch Mann hat und als Bibliothekarin gegen ihre Neigung für Kinderbücher zuständig ist, auch nicht zutrauen. Was bleibt, ist eine achselzuckende Stille. Wirklich gesprochen haben die beiden nie, nun ist es zu spät. Die Mutter atmet nicht.

SABINE LÖHR

Angelika Overath: "Nahe Tage". Roman in einer Nacht. Wallstein Verlag, Göttingen 2005. 151 S., geb., 16,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.12.2005

Atmet sie noch?
Gegen diesen Rückblick auf eine tote Mutter ist Elfriede Jelinek harmlos: Angelika Overaths Roman „Nahe Tage”
Man müsste das Wort „Weltern” erfinden, denkt sich die Erzählerin in der ersten Nacht nach dem Tod ihrer Mutter. Was für ein treffender Neologismus! Denn in der frühen Kindheit sind die Eltern die Welt. Die Relativierung des Elternhauses lernt das Kind erst, wenn es den heimischen Umkreis verlässt, im Kindergarten, in der Schule, in den Familien der ersten selbst gewählten Freunde. Mit dem Tod des zweiten Elternteils vollzieht sich der letzte und endgültige Einschnitt. Erst ab diesem Moment ist man niemandes Kind mehr. Eine einschneidende Erfahrung, die meist die grausam pragmatischen Frage aufwirft, was mit dem Hausstand der Eltern geschehen soll. Bewahren oder auflösen? Und während man sich diese Frage stellt, erhält die eigene Kindheit wieder große Bedeutung. Nicht selten wird sie neu bewertet. Wenn das frühere Kind keine Geschwister hat, wird es von nun an die Deutungshoheit über die Familiengeschichte besitzen. So ist es in „Nahe Tage”.
Nahezu klassisch beginnt der erste Roman von Angelika Overath, die bisher Geschichten, Porträts und Reportagen geschrieben hat. Zunächst will die Erzählerin nicht glauben, dass die Mutter tatsächlich tot sein soll. Das Krankenhaus hatte sie telefonisch verständigt, die krebskranke Mutter liege im Sterben und sie werde sie nicht mehr lebend antreffen, so sehr sie sich auch beeile. Doch als sie die Mutter so daliegen sieht, meint sie, ihren Atem wahrzunehmen. Eine Sinnestäuschung, der bald die nur scheinbar banale, in diesem Moment aber schlagende Erkenntnis folgt, „daß ihre Mutter sterblich gewesen war”.
Die Qualität dieses kleinen Romans liegt in solchen Wendungen. Denn erst das Plusquamperfekt, die wörtlich „mehr-als-vollendete” Vergangenheit, macht aus der Banalität einen erhellenden Schock. An Nüchternheit grenzende Sachlichkeit paart sich bei Angelika Overath mit einer enormen Sprachgewandtheit. Für ihren Roman ist das ein Glück, nicht immer aber für ihre Hauptfigur. Denn deren Sensibilität in Sprachdingen überschreitet den Horizont ihrer Familie bei weitem. Und so wird die mit dem Tod der Mutter erlangte Deutungshoheit auch zum Fluch.
Mit dem Plastiksack, in den das Krankenhauspersonal die letzten Habseligkeiten der Mutter verpackt hat, kommt die Tochter in der mütterlichen Wohnung an. Sie selbst lebt allein und kinderlos drei Zugstunden entfernt und ist in den neun Sterbetagen der Mutter täglich hin und zurück gefahren. Auch jetzt möchte sie die Wohnung der Mutter nur kurz betreten. Aber was soll sie mit den Kleidern machen, die ihre Mutter zuletzt auf dem Leib getragen hat und die ihr fast den Atem rauben, so wie der „Muttergeruch” in der ganzen Wohnung?
Die Fürstin der Blumenbänke
So sinnlos es ist - sie steckt sie erst einmal in die Waschmaschine. Eine Wartezeit entsteht, in der die Erinnerungen sie einholen. Schließlich verpasst sie den letzten Zug und wird die Nacht in der mütterlichen Wohnung verbringen müssen, was sie bisher stets vermieden hat. Mit trotziger Gelassenheit redet sie sich ein, dass das keine allzu große Sache sei. Selten ist ein Horrortrip in die Vergangenheit so nüchtern erzählt worden. Man merkt es kaum: Aber die Autorin presst die Lebensgeschichte ihrer Erzählerin so geschickt in eine einzige Nacht - „Roman in einer Nacht” heißt der Untertitel -, dass der Leser am Ende eine Enge empfindet, als wären die Wände des Erzählraums immer näher gerückt.
Was zunächst ganz normal erschien - die Nähe zwischen Mutter und Tochter -, wird als fast pathologische Einverleibungssucht kenntlich. Die Mutter, Sudetendeutsche, hat es niemals verschmerzt, ihr „Zuhaus” verloren zu haben. So wurde das Kind „zum Haus der Mutter”. Der Vater, ein schwacher Mann, flüchtete sich zunächst ins Schachspiel, dann in den Irrsinn. Sonntägliche Busfahrten zur „Irrenanstalt”, die vor anderen verschwiegen werden mussten, gehörten ebenso zur Kindheit der Erzählerin wie eine in vegetativer Bescheidenheit vor sich hin lebende Großmutter, mit der sie sich in wechselnden Wohnungen das jeweils kleinste „Zimmerle” teilte.
Die Mutter terrorisierte die Familie mit ihrem Putzzwang. Sie war „die Fürstin ihrer Blumenbänke, die Königin der Einbauküche, die Patriarchin der Haushaltskasse. Ihre Macht reichte so weit wie ihr Staubsauger, ihr Polierlappen, ihr Putzlumpen.” Unter dem Vorwand, sie sei „wund”, wurde die halbwüchsige Tochter zur Reinigung der Schamlippen auf den Küchentisch gelegt. Ein strenges Regiment, das die Erzählerin so unauffällig in die Koordinaten einer typischen Kindheit der 60er Jahre einträgt, dass sich Normalität und Perversion kaum noch unterscheiden lassen.
Alles ist normal und zugleich die reinste Katastrophe. Dagegen ist Elfriede Jelinek harmlos. Denn während man bei ihr von Anfang an weiß, woran man ist, merkt man hier nicht, wo die Wirklichkeit endet und die Stilisierung beginnt. Nicht umsonst ist Kafkas „Kleine Fabel" das Leitmotiv dieses stillen Alptraumromans. „,Ach‘, sagte die Maus, ,die Welt wird enger mit jedem Tag‘”, beginnt sie und endet: „,Du mußt nur die Laufrichtung ändern‘, sagte die Katze und fraß sie.” MEIKE FESSMANN
ANGELIKA OVERATH: Nahe Tage. Roman in einer Nacht. Wallstein Verlag, Göttingen 2005. 152 Seiten, 16 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Beeindruckt zeigt sich Rezensentin Sabine Löhr von Angelika Overaths "verstörendem" Debütroman "Nahe Tage". Die Geschichte einer Mutter, die ihr Kind mit gewalttätiger, schlingpflanzenartiger Liebe an sich bindet, ohne je in der Lage zu sein, mit der Tochter wirklich zu sprechen, und deren Tod, die Tochter in einen Art Schockzustand versetzt, hat Löhr sichtlich berührt. Sie lobt die "lakonische Behutsamkeit", mit der Overath Szenen einer unglückseligen familiären Dreierkonstellation aus schwachem Vater, verlustangstgeplagter Mutter und familienkittendem Heilsbringerkind zeichnet. Overaths Sätze findet sie stets "unsentimental" und von einer "klugen Klarheit". Überhaupt erscheint ihr Sprache in diesem Roman noch "dichter" als in Overaths beiden Reportagesammlungen. Hier bleibe "keinerlei Platz für entspannte Plaudereien oder füllende Mörtelworte, lückenlos fügt sich ein präziser Satz an den nächsten".

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