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Theater ohne Skandale? Undenkbar! Seit Aischylos` Orestie gehört die Aufregung über das, was auf der Bühne zu sehen ist, zum unberechenbaren und manchmal auch kalkulierten Reiz des Theaters. Bis in die heutige Zeit, bis zu Rolf Hochhuths Stellver - treter oder Thomas Bernhards Heldenplatz, haben Stücke und Inszenierungen immer wieder für Skandale gesorgt. Sie haben provoziert, aufgerüttelt oder einfach nur die bequeme Langeweile gestört; sie haben das Theater revolutioniert oder sind so wirkungslos verklungen wie das Geschrei im ersten Rang; sie kamen über - raschend und heftig oder wurden von…mehr

Produktbeschreibung
Theater ohne Skandale? Undenkbar! Seit Aischylos` Orestie gehört die Aufregung über das, was auf der Bühne zu sehen ist, zum unberechenbaren und manchmal auch kalkulierten Reiz des Theaters. Bis in die heutige Zeit, bis zu Rolf Hochhuths Stellver - treter oder Thomas Bernhards Heldenplatz, haben Stücke und Inszenierungen immer wieder für Skandale gesorgt. Sie haben provoziert, aufgerüttelt oder einfach nur die bequeme Langeweile gestört; sie haben das Theater revolutioniert oder sind so wirkungslos verklungen wie das Geschrei im ersten Rang; sie kamen über - raschend und heftig oder wurden von den Medien inszeniert und aufgebauscht; sie haben wegen politischer Inhalte oder ästhetischer Grenzüberschreitungen für Empörung und Verstörung gesorgt und nicht selten für Verhaltensweisen beim Publikum, die man bis dato nur aus einem Bierzelt zu kennen glaubte. Eine konkurrenzlose Kulturreportage durch die lange und laute Geschichte der Theaterskandale: mit Analysen des Phänomens, mit Abgesängen auf eine alte Tradition, mit Interviews und Anekdoten, mit Kritiken und Beispielen aus Bühnenwerken, bei denen nicht nur die Türen knallten.
Autorenporträt
Bernd Noack wurde 1958 in Braunschweig geboren. Nach einer Lehre zum Buchhändler in Fürth absolvierte er ein Volontariat bei den Nürnberger Nachrichten, wo er später auch als Feuilletonredakteur arbeitete. Seit 2000 ist er freier Kulturjournalist und Theaterkritiker, u. a. für den Bayerischen Rundfunk, die FAZ, die NZZ und Theaterheute, außerdem für die Nürnberger Nachrichten, in deren Fürther Lokalteil er auch die Serie "Spurensuche" schreibt. 2012 erhielt er den Sonderpreis Kultur der Stadt Fürth.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.02.2009

Die nächste Empörung kommt bestimmt

Zauber und Zinnober: Bernd Noacks Buch über die Bühnenskandale von Aischylos bis Thomas Bernhard ist eine Chronik kreuz und quer durch die Theatergeschichte.

Wie verlockend dieses Wort klingt: Theaterskandal! Wem liefe angesichts der darin enthaltenen Melange aus Erhabenem und Gemeinem, aus Kunst und Krakeelerei, aus Schillersprache oben auf der Bühne und "Schweinerei"-Rufen unten im Saal nicht das Klatsch-und-Tratsch-Wasser im Munde zusammen! Den ersten haben natürlich bereits die alten Griechen provoziert, weil in der "Orestie" des Aischylos um 458 v. Chr. die Erinnyen "so furchtbar und unglaublich grausam ausgesehen haben", dass Zuschauerinnen in der Folgezeit vermehrt missgebildete Babys geboren haben sollen. Und selbst wenn das nicht stimmt, ist es doch treffend erfunden, schreibt Bernd Noack in seinem Buch "Theaterskandale von Aischylos bis Thomas Bernhard", denn diese Anekdote bringe die Sache umstandslos auf den Punkt: In aller Öffentlichkeit wird - heutzutage kostenpflichtig - etwas aufgeführt, dessen "politische Intention, dargebotene Ästhetik oder Interpretation eines bekannten Stoffes nicht mit dem Geschmack, der Meinung, der Anschauung eines bestimmten Teils, oft nur einer Minorität, des Publikums" korrespondiere.

Den Ärger auslösen könne ein Stück oder eine Komposition ebenso wie eine Inszenierung - und 1950 genügte es im Berliner Hebbeltheater bei Schillers "Don Carlos" etwa schon, dass sich die Darstellerin der Eboli während eines Monologs zweimal mit der Hand auf die Stirn schlug, sich solchermaßen offenbar selbst in Zweifel ziehend. Derlei Gesten, Brechungen und Irritationen, wie sie der Regisseur Fritz Kortner damals demonstrieren ließ, waren die über Jahre völlig auf den "Reichskanzleistil" eingeschworenen nachkriegsdeutschen Besucher zumal bei Klassikern anscheinend nicht gewöhnt.

Von Kleist bis Kresnik, von Schnitzlers "Der Reigen" über Hochhuths "Der Stellvertreter" bis zur "Spiralblock-Affäre" 2006 hat Bernd Noack auf "einer Art Kulturreportage-Reise" mit Bienenfleiß eine beeindruckende Fülle an Fakten, Daten und Gemunkel ziemlich kreuz und quer durch die Chronik wie die Genres der Theatergeschichte zumeist im deutschsprachigen Raum zusammengetragen. Und dabei auch die DDR mit ihren vor allem für politische Anspielungen jeder Art so sensiblen wie dankbaren Auditorien nicht vergessen. Gäste aus dem Westen mussten sich da wie Wesen von einem fremden Stern vorkommen, konnten sie doch die komplexen Binnencodes meist nicht dechiffrieren.

In einigen Interviews wie mit dem Theaterkritiker Benjamin Henrichs, dem Regisseur und Intendanten Jürgen Flimm oder dem österreichischen Dramatiker Franzobel wird die Materie überdies Aug in Aug mit potentiellen Skandalbrüdern aufgearbeitet. Ergänzt wird sie durch einschlägige Textpassagen zum Beispiel von Kurt Tucholsky ("Warum pfeifen die Leute?"), Karl Kraus ("Das Publikum ist immer, zu allen Zeiten, schlecht erzogen worden") oder Thomas Bernhard ("Hier geht es um die Strenge und um die Unbestechlichkeit einer nervenanspannenden Kunst"). Resümee des von Bernd Noack, beruflich ebenfalls als Theaterkritiker tätig, aufgetürmten Gebirges der Empörungen: Skandalös erscheint all das, was man unter gewissen historischen Umständen einfach nicht sehen oder hören will. Deshalb ist der Theaterskandal selten von langer Dauer - die nächsten Modetrends nahen unweigerlich und verändern die Wahrnehmungsmuster der Zuschauer so, dass der Krawall von gestern sogar mit hoher diachroner Einfühlsamkeit kaum noch erfasst werden kann. Zudem lässt sich der Skandal zum Leidwesen von Marketingprofis und PR-Agenten so gut wie nicht planen - am schönsten passiert er, wenn keiner mit ihm gerechnet hat. Das ist vielleicht seine wirklich originäre theatralische Qualität.

Obwohl die Materie also eigentlich sehr vergnüglich wäre, liest sie sich in diesem durch mehr als hundert zum Teil Kürzest-Kapitel reichlich zerfaserten Buch eher trocken. Pleiten, Pech und Peinlichkeiten werden zwar penibel und ordentlich aufgetischt, aber sie prickeln nicht mehr. Amüsant sind die Ereignisse, die Noack gesammelt hat, seine Beschreibungen weniger. Außerdem fehlt leider ein Namensregister, dieser unumgängliche Kompass jeder Chronique scandaleuse. Denn wer möchte vor Beginn der Lektüre nicht schnell nachblättern, welches Medienecho Claus Peymann, Eva Mattes oder Adolf Dresen einst einmal ausgelöst haben? Eine kleine Auswahl von Schwarzweißfotos, Plakaten und Besetzungszetteln gibt einzelnen Abschnitten dieser Kompilation ein Gesicht. Hier ist etwa auch der Schauspieler Walter Schmidinger abgebildet, privat vor dem inzwischen geschlossenen Berliner Schillertheater - das als Exempel für eine ganz andere, freilich minder humorige Art von Theaterskandal dienen muss.

IRENE BAZINGER

Bernd Noack: "Theaterskandale von Aischylos bis Thomas Bernhard". Residenz Verlag, St. Pölten 2008. 271 S., geb., 22,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Irene Bazinger nimmt das Buch mit mächtigem Appetit in die Hand. Dass ihre Lust auf vergnüglich Skandalöses von Bernd Noack letztlich nur bedingt befriedigt wird, liegt an der anstrengenden Häppchen-Struktur des Buches und an Noacks zwar penibler, aber wenig erfrischender Faktenhuberei. Im Theaterskandalfundus (auch der DDR) zu wühlen, Skandalnudeln wie Jürgen Flimm oder Franzobel zu befragen und das Skandalöse phänomenologisch dingfest zu machen, so scheint es, ist das eine. Das andere, findet zumindest Bazinger, wäre wohl eine vergnüglichere, leserfreundlichere Aufbereitung inklusive Namensregister.

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