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Zuhause ist die Familie Kocsis also in der Schweiz, aber es ist ein schwieriges Zuhause, von Heimat gar nicht zu reden, obwohl sie doch die Cafeteria betreiben und obwohl die Kinder dort aufgewachsen sind. Die Eltern haben es immerhin geschafft, aber die Schweiz schafft manchmal die Töchter, Ildiko vor allem, sie sind zwar dort angekommen, aber nicht immer angenommen. Es genügt schon, den Streitigkeiten ihrer Angestellten aus den verschiedenen ehemals jugoslawischen Republiken zuzuhören, um sich nicht mehr zu wundern über ein seltsames Europa, das einander nicht wahrnehmen will. Bleiben da…mehr

Produktbeschreibung
Zuhause ist die Familie Kocsis also in der Schweiz, aber es ist ein schwieriges Zuhause, von Heimat gar nicht zu reden, obwohl sie doch die Cafeteria betreiben und obwohl die Kinder dort aufgewachsen sind. Die Eltern haben es immerhin geschafft, aber die Schweiz schafft manchmal die Töchter, Ildiko vor allem, sie sind zwar dort angekommen, aber nicht immer angenommen. Es genügt schon, den Streitigkeiten ihrer Angestellten aus den verschiedenen ehemals jugoslawischen Republiken zuzuhören, um sich nicht mehr zu wundern über ein seltsames Europa, das einander nicht wahrnehmen will. Bleiben da wirklich nur die Liebe und der Rückzug ins angeblich private Leben?
Autorenporträt
Melinda, Nadj Abonji, geboren 1968 in Becsej, Serbien, lebt als Schriftstellerin und Musikerin in der Schweiz.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.10.2010

Buchpreis für Melinda Nadj Abonji
Schweizer Autorin erhält im Römer Auszeichnung für besten Roman des Jahres

FRANKFURT. Zum Schluss ihrer Dankesrede wechselte Melinda Nadj Abonji ins Ungarische. Gerade hatte die in Deutschland bislang noch kaum bekannte Autorin den Deutschen Buchpreis erhalten und sich für die Zuerkennung der Auszeichnung mit einem äußerst präzisen Auftritt revanchiert, da begann ihre Stimme doch noch zu zittern und musste durch den Rückgriff auf die Muttersprache gefestigt werden. "Ich dachte, es regnet, aber es sind meine Augen, die tränen", übersetzte Nadj Abonji das Zitat aus einem ungarischen Lied später.

Erhalten hatte die 1968 in der Vojvodina zur Welt gekommene Autorin den Preis für den besten deutschsprachigen Roman des Jahres für ihr Buch "Tauben fliegen auf", das im Salzburger Verlag Jung und Jung erschienen ist. Aus der Sicht einer jungen Frau schildert es die Geschichte einer ungarischen Familie aus Serbien, die vor dem Zerfall Jugoslawiens in die Schweiz auswandert und sich dort dem Arbeitsleben in einem fremden Land stellen muss, ohne dessen Sprache zu beherrschen. Während sie langsam ihren eigenen Weg machen, erfahren Ildiko und ihre Verwandten vom Auseinanderbrechen ihrer Heimat nur aus langen Gesprächen am Telefon. Die Auswirkungen der Ereignisse auf die Serben, Kroaten, Bosniaken und Slowenen in der Schweiz bekommt die Familie Kocsis jedoch ebenso am eigenen Leib zu spüren wie zuvor den Ausländerhass der Einheimischen. In Zeiten der Diskussion um Thilo Sarrazins Buch "Deutschland schafft sich ab" wirkte die Wort für Wort absichtsvoll gesetzte Ansprache der Preisträgerin wie geschaffen, um daran zu erinnern, dass Schriftsteller schon immer in fremde Sprachen eingewandert sind und die Literatur des deutschen Sprachraums in den vergangenen zwei Jahrzehnten durch Bücher bereichert haben, die darauf beruhen, dass die eigene Sprache plötzlich zu nichts mehr nützt.

Ob es der Buchpreis-Jury darum ging, ein solches Zeichen zu setzen, gab sie nicht zu erkennen. Nadj Abonji allerdings ging es im Kaisersaal des Frankfurter Römer durchaus darum. Die heute in Zürich lebende Autorin beschrieb, wie ein Aufenthalt in der ihr fremden französischen Schweiz vor sechs Jahren dazu geführt habe, dass sie zum ersten Mal seit längerer Zeit wieder an ihre Kindheit in der Vojvodina habe denken müssen. Da sich die Schweiz zur selben Zeit auf eine Abstimmung über das erleichterte Zuzugsrecht für Einwanderer der zweiten Generation vorbereitet habe, sei sie von Wahlplakaten der Schweizerischen Volkspartei umgeben gewesen, auf denen farbige Hände nach dem Alpenland zu greifen schienen. Plötzlich habe sie sich an zahlreiche Übergriffe auf ihre Familie erinnert. Entstanden sei aus diesen ersten Gefühlen ein Buch, das nicht nur als Hommage an die Lebensleistung ihrer Verwandten gedacht sei, sondern sich auch zu einer Hommage an verschiedene Sprachen entwickelt habe. "Ich bin eine ungarische Serbin, die in der Schweiz lebt und die deutsche Sprache so liebt wie das Ungarische - serbokroatisch kann ich nicht."

Unter den sechs Verlagen, die sich seit der Verkündung der Shortlist Anfang September Hoffnung auf einen Gewinnertitel im Herbstprogramm machen konnten, war in diesem Jahr kein Frankfurter Unternehmen. In den vergangenen Jahren wurde aus dem Sieger des Buchpreises jeweils ein Bestseller. Für die in diesem Jahr zum sechsten Mal vergebene Auszeichnung hatten Verlage aus Deutschland, Österreich und der Schweiz 148 Titel eingereicht, die zwischen Oktober vorigen und September dieses Jahres erschienen sind. Nominiert waren neben Nadj Abonji auch Jan Faktor, Thomas Lehr, Doron Rabinovici, Peter Wawerzinek und Judith Zander. Während der Buchpreis für Nadj Abonji mit 25 000 Euro dotiert ist, erhalten die fünf Autoren der Shortlist jeweils 2500 Euro.

Nachdem die zu Überraschungen neigende Jury Titel von Martin Mosebach, Andreas Maier und Thomas Hettche nicht auf die Shortlist gesetzt hatte, erschien das Warten auf den Preis Beobachtern in diesem Jahr weniger spannend als zuvor. Aus dem zuletzt ausgefochtenen Zweikampf zweier Titel, von dem Mitglieder der Jury sprachen, ist schließlich aber doch noch ein aufregender Gewinner hervorgegangen.

FLORIAN BALKE

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.10.2010

Gegenheimat
Melinda Nadj Abonji und ihr
Roman „Tauben fliegen auf“
Mindestens so überrascht wie das Publikum im Frankfurter Römer war Melinda Nadj Abonji selbst, als der Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Gottfried Honnefelder, den diesjährigen Träger des Deutschen Buchpreises bekanntgab und ihren Namen verlas. Den Freudenschrei der 42-jährigen Schweizerin hörte man selbst noch in Radiomitschnitten aus dem allgemeinen Beifall heraus. Melinda Nadj Abonji galt mit ihrem Roman „Tauben fliegen auf“ als Außenseiterin unter den sechs Nominierten. Vor lauter Aufregung vergaß sie sogar die vorbereiteten Dankesworte, die sie sich notiert hatte, und improvisierte. „Freestyle“ nennt sie das, denn Melinda Nadj Abonji ist nicht nur Autorin, sondern auch Musikerin und Performerin. Sie tritt sowohl als Solistin auf als auch gemeinsam mit dem Rapper Jurczok 1001, und ihr Schreiben betrachtet sie gleichfalls als Musik.
„Tauben fliegen auf“ ist der zweite Roman der Sprachperformerin Abonji, die sich als „ungarische Serbin in der Schweiz“ bezeichnet. Geboren wurde sie 1968 in Becsej in der serbischen Vojvodina, als Kind einer Familie aus der ungarischen Minderheit. Die serbische Sprache beherrscht sie nicht, auch wenn sie in der Schweiz, wo sie seit ihrer Kindheit lebt, als Serbin wahrgenommen wird und während des Jugoslawien-Krieges den geballte Argwohn gegen dieses Volk, das gar nicht das ihre ist, zu spüren bekam. In der Vojvodina, dem verlorenen Sehnsuchtsort, gehört sie jedoch ebenfalls nicht dazu.
Um diese Erfahrung einer zweifachen Heimatlosigkeit kreist das Schreiben von Melinda Nadj Abonji. Fremdheit, Herkunft und Identität sind die Themen ihres autobiographisch gefärbten Romans „Tauben fliegen auf“, der auch in der Schweiz für den Buchpreis nominiert ist. Die Idee entstand vor sechs Jahren, als Reaktion auf die von Fremdenfeindlichkeit geprägte Diskussion um die Einbürgerung von Migranten.
„Tauben fliegen auf“ erzählt von Zuwanderern aus der Vojvodina in der Schweiz und von den beiden Schwestern Ildikó und Nomi, die zwischen zwei Welt leben. Nach den ersten unbeschwerten Kindheitsjahren im Haus der Großmutter werden sie von den Eltern, die sich mit einem Restaurant eine neue Existenz aufgebaut haben, nachgeholt.
Der Ausbruch des Krieges zerstört die innige Nähe zwischen den Schwestern, die vor der Wirklichkeit in die Traumwelt eines romantisch verklärten Balkans entflohen waren – auch aus Protest gegen den Anpassungsdruck, dem die Eltern sich beugen. Im Wechsel von feinfühligen Stimmungsbildern und unsentimentaler Reflexion ist Melinda Nadj Abonji ein sehr lesenswerter Roman über das Thema Immigration gelungen. Jetzt wurde er mit dem Deutschen Buchpreis belohnt.
CHRISTOPHER SCHMIDT
Die 1968
geborene Schweizer
Schriftstellerin Melinda Nadj Abonji.
Foto: Alessandro Della Bella/dpa
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Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

"Sympathische Unreife" bescheinigt Rezensentin Iris Radisch diesem Roman. Seine jugendliche Protagonistin pflüge sich mit ihren tastenden wie atemlosen Endlossätzen durch eine unbekannte Umwelt, und erzähle eine "mustergültige Einbürgerungs- und Erfolgsgeschichte", die aus Rezensentinnensicht. Eltern und Tochter kommen nach dem Zusammenbruch des Ostblocks aus Serbien in die Schweiz, arbeiten fleißig und bringen es zu einem eigenen Cafe. Gegen diese Integration durch "Überanpassung" setzt Abonji eine kunterbunte Kinderbalkanwelt, wo alles so schön wäre, wenn nicht ständig geschossen werden würde. Diese naiv-herzigen Postkartenansichten der alten Heimat freilich gehen der Kritikerin auch ein wenig auf die Nerven. Die um Originalität bemühte Teenagersprache scheinbar auch. Insgesamt lobt sie aber die "Frische" dieses Debütromans.

© Perlentaucher Medien GmbH