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Der neapolitanische Ritter Giambattista Basile schrieb mit dem "Märchen der Märchen" jenen fünfzig phantasiereichen, sprachlich überraschenden und keinesfalls unpolitischen Erzählungen, die 1634 bis 1636 und damit posthum erschienen, die erste Sammlung europäischer Phantasiegeschichten. Sie ist als "Pentamerone" (Fünf-Tage-Werk) weltberühmt geworden. Kluge Prinzessinnen, Tierkönige, Drachentöter, das Mädchen ohne Hände, ungeschickte Tölpel, wackere Abenteurer, grimmige Oger, hilfreiche Feen, Prinzen und Könige - die altvertrauten Figuren der europäischen Märchenliteratur bevölkern dieses…mehr

Produktbeschreibung
Der neapolitanische Ritter Giambattista Basile schrieb mit dem "Märchen der Märchen" jenen fünfzig phantasiereichen, sprachlich überraschenden und keinesfalls unpolitischen Erzählungen, die 1634 bis 1636 und damit posthum erschienen, die erste Sammlung europäischer Phantasiegeschichten. Sie ist als "Pentamerone" (Fünf-Tage-Werk) weltberühmt geworden. Kluge Prinzessinnen, Tierkönige, Drachentöter, das Mädchen ohne Hände, ungeschickte Tölpel, wackere Abenteurer, grimmige Oger, hilfreiche Feen, Prinzen und Könige - die altvertrauten Figuren der europäischen Märchenliteratur bevölkern dieses barocke Erzählwerk, das unter dem Deckmantel des Dialekts die zugleich phantastische wie reale mediterrane Lebenswirklichkeit des 17. Jahrhunderts erfaßt und eine der schönsten, tiefgründigsten, mit Sicherheit aber die originellste Märchensammlung darstellt. Erstmals nach der nicht immer zuverlässigen und schamhaften deutschen Standardausgabe von Felix Liebrecht aus dem Jahr 1846 wird hier eine auf dem deftigen neapolitanischen Original beruhende vollständige und textgetreue sowie ausführlich kommentierte Übersetzung vorgelegt.
Autorenporträt
Rudolf Schenda, geboren 1930, war Ordinarius für Europäische Volksliteratur an der Universität Zürich. Seine Thesen in "Das Elend der alten Leute" und in "Volk ohne Buch" (1988) haben ihn als Kritiker sozialer Probleme bekannt gemacht. Neuere Arbeiten gelten vor allem der Märchenforschung und mündlichen Überlieferung Europas.

Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.06.2001

Aschenputtel unterm Vesuv
Trefflich-deftig ins Deutsche gebracht und meisterlich ediert: Das „Pentamerone” des Cavaliere Basile
Als Italo Calvino 1956 seine Sammlung von „Faibe italiane” herausgab, zeigte er sich nicht traurig darüber, dass er sich bei seiner Auswahl auf „keinen italienischen Grimm” stützen konnte. Schließlich seien „die großen italienischen Märchenbücher weit vorher entstanden”. Kannten doch in seinem Land die höheren Stände jene elitären Vorbehalte nicht, die in Deutschland die Gebildeten über Jahrhunderte hinweg gegen die mündlich vom Volk überlieferten „Märlein” oder „Märchen” hegten.
Erst dank Herder und der systematischen Sammelarbeit der Brüder Grimm erfuhren die Erzählungen wunderbaren Inhalts ihre Aufwertung zur „Volksdichtung”. Bald weltweite Verbreitung fanden die 1812/1815 veröffentlichten „Kinder- und Hausmärchen”, die Jacob und Wilhelm Grimm aus den Ammen- und Gesindestuben in das heute noch beliebteste Märchenbuch gerettet hatten: Angeblich „ohne Schminke und Zutat”, „lebhaft auf Treue haltend und Verzierungen abwehrend”. Ihr Bemühen um Authentizität hielt sie allerdings nicht von inhaltlichen und stilistischen Manipulationen ab. Von der Reinigung oder Umgestaltung anstößiger Stellen, vom anstandsgemäßen Moralisieren und der Invention eines naiv schlichten „Volkstons”. Der wiederum entsprach mehr dem romantischen Gefühl und dem nationalistischen Impetus der beiden Philologen als dem ursprünglichen, anschaulichen und damit gelegentlich recht groben bis obszönen Redefluss der ungebildeten einfachen Leute.
Gerade diesem aber hatten im romanischen Sprachbereich schon einige Autoren Rechnung getragen. Frei von deutsch-bürgerlichen Regelzwängen hatten sie jeweils ihrem Volk ungeniert aufs Maul geschaut und übernommen, was da an abenteuerlich Unwirklichem als cunti, fiabe oder contes in durchaus nicht immer züchtigen Worten von Mund zu Mund weitergegeben wurde. In Venedig hatte das Gianfrancesco Straparola getan und die Fantastik des populären Wunderbaren in die volksnah ungehobelte Diktion seiner „ Piacevoli notti” (1550/1553) überführt. Sprechende Tiere wie der gestiefelte Kater und wohl bekannte Hexe und Zauberer gaben da zu erkennen, dass diese angebliche Novellensammlung nur noch formal an Boccaccios „Decamerone” orientiert war.
Ergötzlicher noch erwiesen sich die als „Contes de ma mère L’Oye” nicht erst durch Ravels Vertonung berühmt gewordenen „Histoires ou contes du temps passé” des Franzosen Charles Perrault von 1697. Sieben seiner acht Geschichten der Mutter Gans sind eindeutig Volksmärchen und gehören erstaunlicherweise zu jenen, in denen Wilhelm Grimm später „lauter urdeutschen Mythus” aufzufinden meinte: Dornröschen, Rotkäppchen, Frau Holle, Aschenputtel und Der Jüngling beim Menschenfresser. Perrault hat sie der ersten großen Märchensammlung auf europäischem Boden übernommen, dem „Märchen der Märchen” („Lo cunto di li cunti”) des neapolitanischen Hofmanns Giambattista Basile (1575–1632).
Dieses 1632/34 postum erschienene, auch „Il Pentamerone” genannte, „Fünftagewerk” enthält fünfzig Märchen, die von einer Rahmenhandlung wie bei Boccaccio zusammengehalten werden, welche allerdings selbst ein Märchen ist. Die Geschichte der Prinzessin Zosa. Die wird von einer dreisten Mohrensklavin um die Hand ihres geliebten Prinzen Tadeo betrogen. Doch dank Zauberkraft gelingt es der Düpierten, die falsche Frau süchtig nach Märchen zu machen. Fünf Tage lang lässt der fürstliche Gemahl seinem verlogenen Weib von zehn hässlichen alten Vetteln fantastische Geschichten erzählen, die nach Angaben des Autors zur „Unterhaltung der Kleinen”, der peccerille, gedacht waren. In der zehnten Unterhaltung des fünften Tages schließlich darf Zoza trotz aller „Sperenzien” der Königin ihre eigene Leidensgeschichte berichten und am Ende, nach Entlarvung und Tod der Rivalin, einen glücklichen Sieg als rechtmäßige Gattin davontragen.
Ein pralles Danaergeschenk
Giambattista Basile war bürgerlicher Herkunft und nach militärischen und poetischen Lehrjahren in Norditalien vom Herzog von Mantua in den Adelsstand erhoben worden. In seine, von den spanischen Habsburgern mit gegenreformatorischer Rigidität beherrschte Heimatstadt Neapel zurückgekehrt, stand er dort im Dienst verschiedener Fürstenhäuser: als deren Hofdichter, aber auch als Inspektor ihrer Ländereien. Bei Reisen in die armseligen Provinzen des Vizekönigreiches lernte er nicht nur das Elend des Volkes kennen, sondern ebenfalls die Ausdruckskraft des neapolitanischen Dialekts schätzen, in dem der angebliche Pöbel sich die bekanntesten Stoffe mündlicher Märchenüberlieferung weiter erzählte.
Basile, der seine höfischen Madrigale und Sonette in der auf dem Toskanischen basierenden italienischen Hochsprache verfasste, unternahm mit der Niederschrift dieser nicht nur aus europäischen, sondern auch aus orientalischen Quellen schöpfenden Volksdichtungen eine spektakuläre Gratwanderung. Indem er nämlich den von keiner gelehrten Tradition sanktionierten neapolitianischen Dialekt mit all seinen drastischen, saftig vulgären Redewendungen beibehielt. So den Texten eine burlesk-groteske Sinnlichkeit bewahrend, ging der – seinem Biografen Benedetto Croce zufolge äußerst integre – Höfling genau den entgegengesetzten Weg zu dem der, farbige Authentizität scheuenden, Brüder Grimm.
Ein raffiniertes Zugeständnis an den Geist seiner Zeit, der Barock- Zeit, hat Basile dennoch gemacht. Legt er seinen frei von der Leber weg fabulierenden, schielenden, hinkenden und stinkenden Märchenerzählerinnen doch immer wieder gravitätische Metaphern, erhabene mythologische Bilder und manieristisch schwülstige Ausdrücke in ihre ansonsten reichlich lästermäuligen Münder. Auf diese Weise gelangt er zwar zu einer Art Sprachdemokratie des Märchens, die weltweit ihresgleichen sucht. Seinen späteren Übersetzern hingegen hat er damit ein pralles Danaergeschenk gemacht. So hat es in Italien fast drei Jahrhunderte gedauert bis der neapolitanische Philosoph und Literaturhistoriker Benedetto Croce 1925 endlich seine ebenso plastische wie einfach-natürliche Übertragung des „Pentamerone” ins Hochitalienische vorlegte.
Mehrere Versuche (Liebrecht/Potthoff), die üppige Fantastik dieser so gar nicht der Kinderstuben-Einfalt angepassten „Cunti” als „Märlein” ins Deutsche hinüberzuschreiben, blieben mehr oder weniger gelungene Ansätze. Von „Putzlumpen”, „Wolfsfürzen”, „Eselbastarden” und „Scheißkerlen” darf erst in der auf verschiedene Übersetzer verteilten und von dem kürzlich verstorbenen Rudolf Schenda herausgegebenen, vollständig neu übersetzten Ausgabe des „Märchens der Märchen” die Rede sein. Hanno Helbling hat die jeweils einen Märchentag poetisch abrundenden dialogischen „Eklogen” zu feinstem Sprachornament gefeilt, während die anderen „Tages”- Übersetzer in ganz unterschiedlicher Weise den mediterranen Sprachwogen heftig und deftig vibrierende deutsche Entsprechungen abgerungen haben.
Alles in allem eine editorische Meisterleistung. Nicht zuletzt auch dank der Fülle von Anmerkungen und Kommentaren, die bei aller philologischer Bewusstheit den doch lieber volksnahen Leser nicht abschrecken, sondern neugierig machen auf die kühnen Wunder der italienischen Überlieferung von Rapunzel, Schneewittchen, Dornröschen und König Drosselbart. Drei verschiedene Editionen dieses Buches vom Ritter Basile besaß schon Clemens Brentano, der entschiedene Konkurrent der Brüder Grimm, dessen Nachdichtungen weiterhin der Entdeckung harren. Auf die von den allzu ernsthaften Germanisten Grimm mit puritanischer Strenge zusammengehackten Kurzversionen einiger Basile- Geschichten in der zweiten Ausgabe können wir jetzt verzichten. Denn nun haben wir das „Pentameron” komplett, dem Volk aufs Maul geschaut und dementsprechend bunt.
UTE STEMPEL
GIAMBATTISTA BASILE: Das Märchen der Märchen. Das Pentamerone. Nach dem neapolitanischen Text von 1634/36. Vollständig und neu übersetzt von Hanno Helbling, Alfred Messerli, Johann Plögl, Dieter Richter, Luisa Rubini, Rudolf Schenda, Doris Senn. Verlag C. H. Beck, München 2000. 639 S., 78 Mark.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Seit den Brüdern Grimm, schreibt Albert Gier, scheint es für die meisten, und vor allem die meisten Deutschen, nur noch deren Märchen zu geben. Basiles am italienischen Barock geschulte Märchen zeigen allerdings deutlich, dass die deutschen Romantik den "Volksmund" zu Unrecht zum Kindermärchen verniedlichte. In den hier neu vorgelegten fünfzig Märchen des Italieners, erzählt von "zehn grotesk hässlichen alten Frauen", geht es nicht nur derber sondern auch witziger zu und sexuelle Begierden bleiben "selten ungestillt", schreibt der Rezensent. Auf etwa sechzig Seiten geben Anmerkungen die nötigen "Sacherläuterungen", ein Nachwort informiert über die Stationen der deutschen Basile-Rezeption und weitere vierzig Seiten dienen dem wissenschaftlichen Interesse, alles das ist lobend beachtet von Albert Gier. Hier wird "mit Recht" daran erinnert, schreibt er, "dass es auch Märchenbücher für Erwachsene gibt".

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