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Niemand weiß mehr, was Bildung bedeutet, aber alle fordern ihre Reform. Ein Markt hat sich etabliert, auf dem Bildungsforscher und -experten, Agenturen, Testinstitute, Lobbys und nicht zuletzt Bildungspolitiker ihr Unwesen treiben. Nach der "Theorie der Unbildung" nun also ihre Praxis: Das, was sich aktuell in Klassenzimmern und Hörsälen, in Seminarräumen und Redaktionsstuben, in der virtuellen Welt und in der realen Politik abzeichnet, unterzieht Konrad Paul Liessmann einer scharfen Kritik. Hinter der Polemik steht ein ernstes Anliegen: der Bildung und dem Wissen wieder eine Chance zu geben.

Produktbeschreibung
Niemand weiß mehr, was Bildung bedeutet, aber alle fordern ihre Reform. Ein Markt hat sich etabliert, auf dem Bildungsforscher und -experten, Agenturen, Testinstitute, Lobbys und nicht zuletzt Bildungspolitiker ihr Unwesen treiben. Nach der "Theorie der Unbildung" nun also ihre Praxis: Das, was sich aktuell in Klassenzimmern und Hörsälen, in Seminarräumen und Redaktionsstuben, in der virtuellen Welt und in der realen Politik abzeichnet, unterzieht Konrad Paul Liessmann einer scharfen Kritik. Hinter der Polemik steht ein ernstes Anliegen: der Bildung und dem Wissen wieder eine Chance zu geben.
Autorenporträt
Konrad Paul Liessmann, geboren 1953 in Villach, ist Professor i.R. für Philosophie an der Universität Wien, Essayist, Literaturkritiker und Kulturpublizist. Er erhielt 2004 den Ehrenpreis des österreichischen Buchhandels für Toleranz im Denken und Handeln, 2010 den Donauland-Sachbuchpreis und 2016 den Paul Watzlawick-Ehrenring. Im Zsolnay Verlag gibt er die Reihe Philosophicum Lech heraus. Zuletzt erschienen bei Zsolnay Geisterstunde. Die Praxis der Unbildung. Eine Streitschrift (2014), Bildung als Provokation (2017), Alle Lust will Ewigkeit. Mitternächtliche Versuchungen (2021) und Lauter Lügen (2023), sowie bei Hanser (gemeinsam mit Michael Köhlmeier) Der werfe den ersten Stein (2019).
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Hans-Albrecht Koch entdeckt einen Trend zu Büchern, die einen Trend in der Bildungspolitik problematisieren, nämlich den, dass zunehmend praxisdominierte Ausbildungsberufe ins Korsett eines theoretisch geprägten Studiums gezwängt werden. Als besonders beunruhigend arbeitet der in Wien lehrende Philosoph Konrad Paul Liessmann die Tendenz heraus, das Erlernen von "schwierigen, aber dauerhaft lohnenden 'Inhalten'" zugunsten des "Erwerbs sogenannter Kompetenzen" aufzugeben, fasst der Rezensent zusammen und steuert die Information bei, dass der aktuelle Lehrplan für Schweizer Grundschulen die Vermittlung von rund 4000 Kompetenzen vorsieht. Dass die Effizienz vortäuschenden Kompetenzen auf einen zukünftigen Bedarf abzielen, den keiner kennen kann, kritisiert Liessmann ebenso wie den Umstand, dass mit diesem Paradigmenwechsel die "Schönheit des Nutzlosen" aus der Bildung verschwinde, stellt Koch zustimmend fest.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.01.2015

Die Schule brennt
Der Wiener Philosoph Konrad Paul Liessmann hat eine furiose Streitschrift über die Bildungsdebatte vorgelegt – samt
ein paar grundvernünftigen Verbesserungsvorschlägen. Nur warum wird sich eigentlich trotzdem nichts ändern?
VON JENS-CHRISTIAN RABE
Bildungspolitisch, womöglich sogar – man kann das leider nicht anders sagen – bildungstheoretisch liegen die Nerven längst völlig blank. Kein Zweifel. Vor ein paar Tagen reichte schon ein einziger Tweet der Kölner Gymnasiastin Naina für eine öffentliche Grundsatzdebatte. Sie hatte geschrieben, dass sie nun fast 18 Jahre alt sei, aber keine Ahnung hätte von Steuern, Miete oder Versicherungen, dafür aber in vier Sprachen eine Gedichtanalyse schreiben könne. Die Vorlage ließ sich natürlich auch die Bildzeitung nicht entgehen und erteilte ebenso süffisant wie großflächig Nachhilfe fürs echte Leben: „Hast Du Ware gekauft, die defekt ist, kannst Du sie reklamieren. Dazu hast Du zwei Jahre Zeit.“
  Und schon diskutierte alle Welt wieder einmal darüber, was für ein nutzloser Unsinn an unseren Schulen eigentlich gelehrt werde. Und wieder gab ein Wort das andere: Non scholae, sed vitae discimus? Von wegen. Für die Schule, scheint’s vielen, wird gelernt, nicht fürs Leben. Die Direktorin des Gymnasiums der Schülerin wiederum hielt dagegen und wies ihrerseits süffisant darauf hin, dass im Mittelpunkt ihrer Wissensvermittlung nicht die praktische Ausführung stehe, also kein Kurs im „Ziehen von Kontoauszügen“ vorgesehen sei. Auch Bügeln könne man mit den Schülern nicht, dafür seien die Eltern zuständig.
  Am Ende hatten sich alle Seiten ihre alten Vorurteile – hier brotloser Bildungsdünkel, da kurzsichtiger Praxisfetischismus – bestätigt und die Lage der Debatte erscheint so aussichtslos wie eh und je. Abstrakt einig mag man sich daran sein, dass Bildung und Ausbildung der Bevölkerung, insbesondere in einem rohstoffarmen Land wie Deutschland, unsere größte Sorge und Aufmerksamkeit gelten muss. Was das dann für Schulen und Universitäten wirklich bedeuten soll – darüber kann man sich tragischerweise kaum noch im Entferntesten verständigen. Oder so wenig wie zu allen Zeiten?
  Eine der vorerst bittersten Pointen der Diskussion bleibt schließlich, dass das oben erwähnte berühmte lateinische Zitat des römischen Philosophen Seneca, dass man in der Schule fürs Leben lerne, gar nicht so gemeint war. Sondern genau umgekehrt. Seneca schrieb in seinen „Briefen über Ethik an Lucilius“ tatsächlich: „Nicht für das Leben, sondern für die Schule lernen wir“. Richtig fand er das jedoch nicht. Im Gegenteil, der Satz ist die Kurzfassung einer so heftigen, wie bis heute sehr vertraut klingenden Kritik an den Philosophenschulen seiner Zeit: „Kinderspiele sind es, die wir da spielen. An überflüssigen Problemen stumpft sich die Schärfe und Feinheit des Denkens ab; derlei Erörterungen helfen uns ja nicht, richtig zu leben, sondern allenfalls, gelehrt zu reden. Lebensweisheit liegt offener zu Tage als Schulweisheit; ja sagen wir’s doch gerade heraus: Es wäre besser, wir könnten unserer gelehrten Schulbildung einen gesunden Menschenverstand abgewinnen. Aber wir verschwenden ja, wie alle unsere übrigen Güter an überflüssigen Luxus, so unser höchstes Gut, die Philosophie, an überflüssige Fragen. Wie an der unmäßigen Sucht nach allem anderen, so leiden wir an einer unmäßigen Sucht auch nach Gelehrsamkeit.“
  Dies soll hier so ausführlich zitiert sein, weil es letztlich auch genau diese sehr alte Position ist, gegen die ein sehr temperamentvolles neues Buch geschrieben worden ist. Es heißt „Geisterstunde. Die Praxis der Unbildung – Eine Streitschrift“ und verfasst hat es der österreichische Philosophieprofessor und Essayist Konrad Paul Liessmann, der 2006 mit „Theorie der Unbildung – Die Irrtümer der Wissensgesellschaft“ schon ein viel beachtetes Werk zum Thema vorgelegt hat.
  Und auch der neue Band ist wieder ein so selten gewandt formulierter wie zorniger großer Rundumschlag geworden. Jedes der elf zwischen zehn und zwanzig Seiten langen Kapitel knöpft sich einen Aspekt des Themas vor, es geht um das Elend der Pisa-Studie und dem der Verschulung der Universität, genannt Bologna-Reform, um ahnungslose Bildungsexperten wie Richard David Precht, um den allgegenwärtigen Powerpoint-Irrsinn, den Fluch der Internet-Suchmaschinen, die grassierende Infantilisierung, den Nützlichkeitswahn, kurz: Es geht um alles, was all jenen, die einen klassisch-humanistischen, theoretischen und das Überlieferte bedachtsam bewahrenden Bildungs- und Wissensbegriff verteidigen wollen, an der zeitgenössischen, reform- und anwendungsorientierten Bildungspolitik missfällt, die Problemlösungskompetenzen unabhängig von Wissen denken will. Kulturkritisch rollt Liessmann dabei schon in der Einleitung schwerstes Geschütz ins Feld: „Das aktuelle Glücksversprechen der Bildung ist ein falsches, weil es dabei weder um Bildung noch um Glück geht. Es geht, wenn überhaupt, um Abrichtung, Anpassung und Zufriedenheit durch Konsum.“
  Tatsächlich sind die Beispiele, Analysen und Diagnosen immer wieder sehr eindrucksvoll, obwohl Liessmanns Furor mitunter etwas erschöpft, ein Kapitel pro Lektüresitzung scheint eine ausreichende Dosis zu sein. Jeder Interessierte allerdings, diesen Eindruck wird man beim Lesen nicht mehr los, vor allem aber jeder Bildungspolitiker sollte dieses Buch gelesen haben. Es fängt an bei den wohlbegründeten Zweifeln am Design der Pisa-Studien, für deren weitreichende Schlussfolgerungen womöglich bei weitem nicht genügend Daten erhoben würden. Von den rund zehn Millionen deutschen Schülern werden nur 5000 dem Pisa-Test unterzogen. Für manchen Typus, etwa den männlichen Schüler mit Migrationshintergrund in einem norddeutschen Kleinstadt-Gymnasium, gäbe es, so Liessmann, manchmal wohl nur einen einzigen Testkandidaten: „Hat dieser einen schlechten Tag, herrscht bildungspolitischer Notstand, ist er in Form, hat ganz Deutschland ein ungerechtes Schulsystem beseitigt.
  Einen angenehm scharfen Blick hat Liessmann auch auf die ideologischen Untiefen der Debatte. Sei es, wenn es um die Instrumentalisierung von Pisa zur Konstruktion von vermeintlichen Bildungskatastrophen geht, die dann wiederum Reformbedarf erzwängen; sei, es wenn es um die Rhetorik der Diskussion geht, die Mittelmäßigkeit und Nonkonformität zum Stigma mache: „Wer sich dem „Bildungsdruck“ entzieht, gilt als „Bildungsverweigerer“ oder als „Risikoschüler“. Und wehe, jemand ist überhaupt nur mittelmäßig“; oder sei es, wenn er die unheilige Allianz ins Visier nimmt zwischen den „neoliberalen Apologeten des Wettbewerbs“ und den „menschenfreundlichen Illusionspädagogen“, die so tun, als sei jedes Kind von Haus aus hochbegabt und Bildung und Wissen nicht in Wahrheit etwas, das man sich in der Regel hart erarbeiten müsse.
  Und ein cleverer Zug war es auch, es nicht bei der Polemik zu belassen, sondern nach dem kursivierten Halbsatz „Und dabei wäre alles ganz einfach“ am Ende jedes Kapitels auch ein paar Vorschläge zur Güte zu machen. Oder vielmehr zur Entschleunigung, Stabilität und Planungssicherheit an Schulen und Universitäten. Den Lehrern solle zugehört und Bildung nicht als Heilsbotschaft verklärt werden.
  Grundvernünftig erscheint das. So grundvernünftig allerdings, dass man am Ende auch etwas ratlos zurückbleibt. Wenn es so einfach ist, wieso wird es dann nicht einfach so gemacht? Vielleicht, weil – der Germanist Heinz Schlaffer wies in der FAZ darauf hin – man über „höhere Bildung“, die nicht mehr wie einst drei Prozent, sondern bestenfalls über 50 Prozent eines Jahrgangs ereilen soll, ganz neunachdenken muss. Womöglich, bliebe anzufügen, mit besseren Daten.
  Bis dahin haben wir vielleicht nur die Weisheit Harald Schmidts. 200 Oberstufenschülern des Ville-Gymnasiums in Erftstadt-Liblar gab er am Donnerstag eine Doppelstunde in Lebenskunde und vertrat dabei bildungstheoretisch den wohl originellsten Standpunkt der Naina-Debatte, allerdings auch den deprimierendsten: „Unser Gesellschaftssystem lebt davon, dass die Bevölkerung nicht in der Lage ist, einen Mietvertrag zu lesen. Wenn die arbeitende Bevölkerung begreift, was sie unterschreibt, wäre unser System am Ende.“
Konrad Paul Liessmann: Geisterstunde. Die Praxis der Unbildung – Eine Streitschrift. Zsolnay Verlag, Wien 2014. 192 Seiten, 17,90 Euro. E-Book 13,99 Euro.
Nicht für die Schule, sondern
fürs Leben lernen wir? Unsinn!
Es war immer schon umgekehrt
Es gibt eine unselige Allianz
von Wettbewerbs-Apologeten
und Illusionspädagogen
Liessmann belässt es nicht
bei der bloßen Polemik, sondern
gibt auch Handreichungen
Vielleicht ist das Bildungssystem deshalb so schwer
zu reformieren, weil – darauf hat gerade der Germanist
Heinz Schlaffer hingewiesen – man über „höhere Bildung“, die nicht mehr wie einst drei Prozent, sondern über fünfzig Prozent eines Jahrgangs ereilen soll, ganz neu nachdenken muss.
Foto: Volker Hartmann/ddp
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"Pflichtlektüre! Liessmann besticht durch Scharfsinnigkeit ebenso wie durch eine brillante Rhetorik." Friedrike Gösweiner, Tiroler Tageszeitung, 19.09.14 "Eine brillant formulierte, amüsant polemisierende Attacke auf die Unbildung." Markus Schär, Weltwoche, 01.10.14 "Provozierend, klug und erfrischend." Lerke von Saalfeld, SWR2, 25.11.14 "Liessmanns umfassende Kritik ist nicht nur inhaltlich fundiert, sie wird auch den stilistischen und formalen Anforderungen gerecht, die man mit anspruchsvoller Essayistik verbindet." Christian Schacherreiter, Oberösterreichische Nachrichten, 10.12.14