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Flucht auf Umwegen
Im Sommer 1987 wagen zwei junge Ostberliner aus dem Prenzlauer Berg das große Abenteuer: Bedrängt von den politischen Verhältnissen, fälschen sie eine Einladung und erhalten daraufhin ein Visum für Russland und die Mongolei, Sehnsuchtsorte der beiden Wildnisliebhaber. Aber ihr geheimes Ziel ist das für DDR-Bürger eigentlich unerreichbare China. Von Ulan Bator aus versuchen sie nach Peking zu gelangen, wo sie in der westdeutschen Botschaft Pässe für den Westen bekommen könnten. Mehrmals drohen sie, bei ihrer verbotenen Reise aufzufliegen, aber nach 10.000 Kilometern stehen…mehr

Produktbeschreibung
Flucht auf Umwegen

Im Sommer 1987 wagen zwei junge Ostberliner aus dem Prenzlauer Berg das große Abenteuer: Bedrängt von den politischen Verhältnissen, fälschen sie eine Einladung und erhalten daraufhin ein Visum für Russland und die Mongolei, Sehnsuchtsorte der beiden Wildnisliebhaber. Aber ihr geheimes Ziel ist das für DDR-Bürger eigentlich unerreichbare China. Von Ulan Bator aus versuchen sie nach Peking zu gelangen, wo sie in der westdeutschen Botschaft Pässe für den Westen bekommen könnten. Mehrmals drohen sie, bei ihrer verbotenen Reise aufzufliegen, aber nach 10.000 Kilometern stehen sie tatsächlich vor dem Botschaftsgebäude. Und können sich doch nicht entscheiden, gemeinsam hineinzugehen ...

Autorenporträt
Wensierski, Peter
Peter Wensierski, geboren 1954, begann seine Arbeit als Journalist 1979 mit Berichten und Reportagen aus der DDR. Er war damals der jüngste westliche Reisekorrespondent und schrieb für den SPIEGEL und andere Zeitungen. Als Dokumentarfilmer, Reporter und Buchautor berichtete er über die aufkommende Oppositionsbewegung. Seit 1993 arbeitet er beim SPIEGEL im Deutschlandressort. In seinem neuen Buch erzählt er 25 Jahre nach dem Mauerfall die bislang unbekannte Geschichte einer verbotenen Reise, die auch ein Generationenporträt ist.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.05.2014

Fahren Sie doch
einfach los!
Rebellen vom Prenzlauer Berg: Wie zwei junge
Ostberliner über Ulan Bator nach Peking reisten
VON CORNELIUS WÜLLENKEMPER
Fünfundzwanzig Jahre nach dem Mauerfall blühen bunte Erinnerungslandschaften über der DDR-Vergangenheit. Peter Wensierski, der ab 1979 für den Spiegel als Korrespondent aus Ost-Berlin berichtete, zeigt mit seiner Nacherzählung der illegalen Reise zweier junger DDR-Bürger von Berlin nach Peking eine weitere Erinnerungsperspektive auf die Lebensrealität im Arbeiter- und Bauernstaat: Wer eine Lücke im System suchte, wurde fündig, ein halbwegs richtiges Leben im Falschen war durchaus möglich. Jens und Marie, 23 und 24 Jahre alt, lernen sich in der Dunkelkammer der Kunsthochschule in Weißensee kennen. Der Biologiestudent Jens entwickelt Abzüge von seiner unerlaubten privaten Studienreise in den Kaukasus, die Szenenbildnerin Marie bearbeitet Bilder von ihrer Tramptour zu den Wildpferden Bulgariens. Durch den grauen Ostberliner Schnee stapfen sie zu Jens’ Einzimmerwohnung, stehlen auf dem Weg ein paar Kohlen für den Kachelofen, der Mokka dampft, und im Regal stehen Tesla-Tonbandspuren von Pink Floyd und Leonard Cohen. Reisen in den Kaukasus für DDR-Bürger? „Man kommt immer nur so weit, wie man im Kopf auch ist“, gibt Jens zu bedenken. Nach der ersten gemeinsamen Nacht weiß Marie, dass sie genau so leben will.
  Peter Wensierski lebte in den Achtzigerjahren in ebendiesem Ostberliner Kiez rund um den Wasserturm im Prenzlauer Berg, dort wo heute hochpreisige Altbauten vermietet werden. Damals, so erinnert sich Wensierski, „sahen die Fassaden zwar nach außen grau und trostlos aus, doch in den Wohnungen spielte sich ein buntes Leben ab.“ Leer stehende Wohnungen wurden besetzt, indem man der zuständigen Verwaltungsstelle einfach 15 Ostmark Miete überwies. Modische Kleidung wurde selbst genäht und eingefärbt, Umweltschützer und Systemkritiker diskutierten bei reichlich Wein mit westdeutschen Studenten über die Zukunft – die Hausdächer boten bot genug Platz zum Träumen. Die erste Hälfte seiner Nacherzählung von Jens’ und Maries „Geschichte einer abenteuerlichen Flucht“ widmet Wensierski dem damaligen Lebensgefühl. Der Prenzlauer Berg, so schreibt der gebürtige Nordrheinwestfale, war so wie Dresden-Neustadt oder Leipzig-Connewitz ein „Freiraum für junge Leute, der so von der Staatsführung nie gewollt war“. Man muss nicht lange suche, um Künstler und Systemaussteiger von damals zu finden, die diese Geschichte anders erzählen. Allein Uwe Tellkamps „Der Turm“, Ingo Schulzes „Adam und Evelyn“ oder Hermann Zschoches DDR-Roadmovie „Und nächstes Jahr am Balaton“ zeigen, wie unterschiedlich das Lebens- und Freiheitsgefühl in der Endphase der DDR sein konnte.
  Dabei gibt es auch in Wensierskis Version von Rebellions- und Freiheitsmöglichkeiten in der DDR gute Gründe zur Republikflucht. Jens wird aufgrund seiner „völlig unzureichenden Studiendisziplin“ nach ein paar verpassten Russischkursen exmatrikuliert und zur „feindlich-negativen Person“ erklärt. Erstaunten DDR-Bürgern hatte er bei Diavorträgen über seine unerlaubten Reisen in sozialistische Bruderländer vom sowjetischen Polarkreis bis zum Baikalsee geraten: Fahren Sie einfach los! Als die Stasi dann eine US-amerikanische Fliegerkarte der Mongolei bei ihm findet, verliert er kurz darauf auch seine einzige Einkommensquelle. Dort, wo Wensierski die alten Stasiakten zur Hand nimmt und Berichte wie beispielsweise über die „Maßnahme einer Beschaffung einer Eintrittskarte“ für Jens’ subversive Diavorträge zitiert, kommt man dem kleinlichen-engen Überwachungssystem besonders nah.
  Jens und Marie, das ist der Kern ihrer Geschichte, lassen sich nicht einschüchtern und finden die Lücke im System. Ein offizieller Ausreiseantrag hätte für sie und ihr Umfeld eine jahrelange gesellschaftliche Isolierung bedeutet. Stattdessen treten die beiden Naturliebhaber in den sozialistischen Bergsteigerverband ein und fälschen die Einladung eines Bruderverbands aus Tadschikistan zum Besuch auf dem „Pik Kommunismus“ im Pamir-Gebirge. Bei der Passstelle für Olympiakader macht die exotische Urkunde offenbar Eindruck. Das Kontrollsystem der Stasi versagt: Mit Russland-Visum im Reisepass, selbst genähten Rucksäcken, alten Gardinen als Mückenschutz und einem Adressbuch voller Reisebekanntschaften machen Jens und Marie sich wenig später auf den Weg in die Mongolei.
  Wensierski schildert ihre Reise als sowjetischen Roadtrip über Warschau und Moskau bis nach Ulan Bator. Mit klapprigen Versorgungsflugzeugen überfliegen sie die Wüste Gobi und erleben am menschenverlassenen See Chöwsgöl Nuur ein bisher ungeahntes Gefühl der Freiheit. In den Jurten der mongolischen Nomaden erfahren sie, wie die Volksgemeinschaft sich gegen die Regelungswut der sowjetischen Inspektoren verteidigt, lernen Ziegenaugen als kulinarische Spezialität kennen und passieren auf Lkws, unter Planen versteckt, unzählige Kontrollposten. Nach fast 11 000 Kilometern und einer atemberaubend spannenden Reise stehen Jens und Marie schließlich vor der Botschaft der BRD in Peking und damit vor der Tür in den Westen.
  „Die verbotene Reise“ erzählt von zwei mutigen Menschen, die genug davon hatten, dass eine Riege alter Herren für Zwanzigjährige entschied, wie deren Zukunft auszusehen hatte. Peter Wensierski hat seine Protagonisten, die 25 Jahre nach ihrem Abenteuer getrennt voneinander in Brandenburg leben, ausfindig gemacht und ihre Erinnerungen veröffentlicht. Damit macht er sich zweifelsfrei um die Aufarbeitung der verschiedenen Lebensrealitäten in der DDR verdient. Fragwürdig ist dabei Wensierskis Rede von „einer anderen Art Mensch“, die, so der gut vernehmbare Unterton seiner Nacherzählung, heute nicht mehr existiere. Die Migranten aus Afrika, die sich dieser Tage unter Lebensgefahr auf den Weg zu den Küsten Südeuropas machen, beweisen das Gegenteil.
  Die Dialoge und Gedanken von Wensierskis Helden angesichts der Abenteuer und Gefahren, die Reflexionen über das Leben in der DDR und über den Traum von Freiheit wirken oft genug aufgesetzt, so als seien Jens und Marie nur Statisten ihrer eigenen Geschichte. Vor der Chinesischen Mauer fragt sich Marie, ob „unsere Mauer daheim auch einmal so sinnlos sein wird.“ Am Ende, als sich das Liebespaar unter den politischen Zwängen doch trennt, erscheint die Einsicht, „dass jeder wohl seinen eigenen Weg gehen muss“, seltsam lakonisch und blutleer. Es drängt sich der Eindruck auf, dass sich Wensierski nicht wirklich für die Gefühlswelt seiner Protagonisten interessiert, sondern eher seiner Zeit im „wilden Osten“ und einem individuellen Lebensgefühl jenseits der westlich-kapitalistischen Welt nachhängt. Die Geschichte von Rebellion und Widerstand in der DDR werde zu wenig erzählt, meint Wensierski. Das mag richtig sein. Mutige Menschen, die bedingungslos für ihre persönliche Freiheit kämpfen, gibt es aber überall und zu jeder Zeit.
Peter Wensierski: Die verbotene Reise. Die Geschichte einer abenteuerlichen Flucht. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2014. 256 Seiten, 19,99 Euro. E-Book: 15,99 Euro.
Jens und Marie fanden
hier einen Freiraum,
der nicht vorgesehen war
Am Ende steht die lakonische
Einsicht, „dass jeder wohl seinen
eigenen Weg gehen muss“
Bei den Gesprächen mit
Peter Wensierski verschwand Marie
immer wieder auf den Dachboden, um nach
Fotos der Reise zu suchen. Jens verwahrte dreitausend unveröffentlichte Farbdias. Aufnahmen,
auf denen die beiden (Bild unten) gemeinsam
zu sehen sind, gibt es nur wenige.
Sie fanden sich selbst einfach nicht so wichtig.
Fotos: Aus dem besprochenen Band
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Beinahe hätte sich Cornelius Wüllenkemper von Peter Wensierskis Nacherzählung zweier DDR-Schicksale einwickeln lassen. Kachelofen- und Tesla-Idyll, der Drang nach Freiheit, die Rebellion, all das schildert der Autor laut Rezensent nah am damaligen Lebensgefühl. Allerdings scheint Wüllenkemper die Geschichte zweier Studenten auf Abwegen (über Warschau und Moskau bis nach Ulan Bator) bei aller Spannung dann doch etwas zu aufgesetzt, Wensierski mit seiner Rede vom "anderen", einzigartigen DDR-Menschen allzu fragwürdig. Am meisten aber stört den Rezensenten, dass die Protagonisten in diesem Buch zu Statisten ihrer eigenen verbrieften Geschichte werden und sich der Autor so wenig für ihre Gefühlswelt interessiert. Als wäre dem Autor das eigene romantische und auf die DDR projizierte Lebensgefühl wichtiger, mutmaßt Wüllenkemper enttäuscht.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Erzählt wird hier eine der hinreißendsten Geschichten der späten DDR, von denen ich je gehört habe.« Tagesspiegel Online, 31.03.2014