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Das provokative Buch eines der renommiertesten deutschen Psychologen ermutigt zur Skepsis gegenüber vermeintlich absoluten Wahrheiten. "Mit seiner Studie über den richtigen Umgang mit Zahlen und Risiken hat Gerd Gigerenzer geradezu ein Manual für die Risikogesellschaft vorgelegt, nach dessen Lektüre man statistischen Aussagen nicht einfach mit Misstrauen, sondern mit der richtigen Art von Nachfragen begegnen wird." FAZ

Produktbeschreibung
Das provokative Buch eines der renommiertesten deutschen Psychologen ermutigt zur Skepsis gegenüber vermeintlich absoluten Wahrheiten.
"Mit seiner Studie über den richtigen Umgang mit Zahlen und Risiken hat Gerd Gigerenzer geradezu ein Manual für die Risikogesellschaft vorgelegt, nach dessen Lektüre man statistischen Aussagen nicht einfach mit Misstrauen, sondern mit der richtigen Art von Nachfragen begegnen wird." FAZ
Autorenporträt
Gigerenzer, Gerd
Gerd Gigerenzer, geboren 1947, ist einer der renommiertesten deutschen Psychologen. Nach Lehrtätigkeiten in Konstanz, Salzburg und Chicago ist er heute Direktor am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin. »Das Einmaleins der Skepsis« wurde ausgezeichnet als Wissenschaftsbuch des Jahres 2002.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.09.2003

Das sollten Sie wissen, bevor Sie wieder zu Ihrem Arzt gehen
Volkskrankheit Leben: Jörg Blech und Gerd Gigerenzer brillieren mit zwei skeptischen Studien über die Versprechen der Medizin

Viagra ist nur der populärste Fall, in dem ein ursprünglich für eng umgrenzte, physiologisch bedingte (und eher seltene) Fehlfunktionen zugelassenes Präparat durch geschickte Werbekampagnen der Pharmaindustrie einer breiten Masse nahegebracht werden soll. Soziale, emotionale Unlust wird zur "Gesundheitsstörung" umgebogen, die der Hersteller dann jedem zweiten Mann zwischen dem vierzigsten und siebzigsten Lebensjahr attestieren kann. Für den Medizinjournalisten Jörg Blech handelt es sich bei dieser Vorgehensweise um einen neuen Großtrend im Gesundheitswesen. Medizinische Fachveröffentlichungen und gesundheitspolitische Artikel auswertend, trägt sein Buch "Die Krankheitserfinder" zahlreiche Fälle zusammen, in denen zu einem vorhandenen Medikament die passende, möglichst massenhaft verbreitete "Krankheit" gestrickt wurde.

Im Falle des "Aging Male Syndrome" verrät bereits der Name, daß der natürliche Prozeß des Alterns medikalisiert werden soll. Ein Testosterongel, das Patienten mit einer eher seltenen Unterfunktion der Hoden und daraus folgendem Hormonmangel ("Hypoganadismus") hilft, verwandelt sich in der konzertierten Aktion von Pharmaindustrie, Ärztegruppen und PR-Firmen zu einem Mittel gegen die angeblichen "Wechseljahre" des Mannes. Um möglichst vielen älteren Männern einen prekären Testosteronmangel zu bescheinigen, wird ein Grenzwert für das Hormon installiert, unter dem nach einer Schätzung der Firma Jenapharm jeder dritte Mann nach dem fünfundfünfzigsten Lebensjahr durchschlüpft.

Keine wissenschaftliche Studie jedoch, so Blech, fundiert diesen Grenzwert oder auch nur den Zusammenhang zwischen nachlassender Hormonproduktion und den der "Andropause" zugeschriebenen Symptomen wie sexueller Unlust, Hitzewallungen und abnehmender Knochendichte. Hingegen wurde eine amerikanische Langzeitstudie mit sechstausend Probanden aus Sorge um mögliche Nebenwirkungen der Testosterongabe kurz vor Beginn gestoppt. Weil aber ein einmal zugelassenes Medikament auch außerhalb der eigentlichen Indikation verschrieben werden darf, so Blech, stünde seiner massenhaften Verschreibung nichts mehr im Wege.

Ihren größten Triumph feiert diese redeskriptive Medizin, wenn sie gänzlich beschwerdefreie Personen in die Praxen und Apotheken zu locken vermag, wie es mit den zur Krankheit umdefinierten Wechseljahren der Frau gelang. In Deutschland nimmt heute jede vierte Frau ab vierzig Östrogenpräparate zu sich, was die Krankenkassen etwa fünfhundert Millionen Euro pro Jahr kostet - ohne daß es einen wissenschaftlichen Beweis für deren präventiven Nutzen gäbe. Nachdem eine umfangreiche Studie wegen der aufgetretenen Gesundheitsrisiken abgebrochen werden mußte, scheint die Hormonersatztherapie jetzt eine Demontage zu erleben (F.A.Z. vom 10. September).

Blitzlichtartig beschreibt Blech die Verflechtungen von pharmazeutischer Industrie, Ärzteverbänden und Ärzten, die sich zu Fürsprechern bestimmter Produkte machen. So werden Praktiken einer "legal abgesicherten Ausbeutung der Sozialversicherung" in zahlreichen Beispielen greifbar. Blechs Buch ist populär geschrieben; es will den "informierten Patienten", auf den die Pharmaindustrie zielt, ein wenig mündiger machen. Dabei hätte es dem Autor sicherlich gut angestanden, seine spektakuläreren Zahlen seinerseits ohne Ausnahme gründlich zu belegen. Daß die Pharmaindustrie pro Arzt jährlich 8000 bis 13 000 Euro für Marketingmaßnahmen ausgebe, vermittelt zwar einen lebhaften Eindruck von den Einsparpotentialen im Gesundheitswesen; aber Blech selbst lehrt ja den Leser zu fragen, woher eine solche Zahl denn stammt.

Was Zahlenangaben besagen, ist die Leitfrage einer faszinierenden Arbeit des Psychologen Gerd Gigerenzer, die in Kürze auch als Taschenbuch erscheinen soll. Mit seiner Studie über den richtigen Umgang mit Zahlen und Risiken hat der Direktor am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung geradezu ein Manual für die Risikogesellschaft vorgelegt: ein brillant argumentierendes, lebhaft und klar geschriebenes, auch dem Laien eingängiges, im besten Sinne aufklärerisches Buch, nach dessen Lektüre man statistischen Aussagen nicht einfach mit Mißtrauen, sondern mit der richtigen Art von Nachfragen begegnen wird. Auch wenn sich Gigerenzer allgemein mit dem mangelnden Verständnis von Wahrscheinlichkeitsaussagen und statistischen Angaben, mit "Zahlenblindheit", befaßt, stammen doch seine instruktivsten Fallbeispiele aus dem Bereich der Medizin.

So untersuchte Gigerenzer das Verständnis, das Ärzte von ebenjenen Zahlen haben, auf deren Grundlage sie Patienten beraten und Entscheidungen treffen. Den Medizinern wurden folgende Angaben zu Reihenuntersuchungen auf Brustkrebs bei symptomlosen Frauen vorgelegt: In einer bestimmten Gegend beträgt die Wahrscheinlichkeit, daß eine dieser Frauen Brustkrebs hat, 0,8 Prozent. Mit neunzigprozentiger Wahrscheinlichkeit wird ihr Mammogramm positiv ausfallen, der Krebs also diagnostiziert. Es besteht zudem eine Wahrscheinlichkeit von sieben Prozent, daß das Mammogramm ein positives Resultat liefert, obwohl die Untersuchte keinen Brustkrebs hat. Wenn Sie nun mit einem positiven Mammogramm konfrontiert sind - mit welcher Wahrscheinlichkeit hat die betreffende Frau Brustkrebs?

Die Ergebnisse der Befragung ernüchtern. Zwei von vierundzwanzig Ärzten kamen auf den richtigen Wert; ein Drittel setzten ihn viel zu hoch, bei neunzig Prozent, an. Ganz anders sah es aus, wenn man Ärzten dieselben Zahlen nicht als Wahrscheinlichkeitsangaben, sondern als "natürliche Häufigkeiten" vorlegte, etwa so: Von tausend Frauen haben acht Brustkrebs. Für sieben von ihnen wird das Mammogramm die Krankheit anzeigen. Von den verbleibenden 992 Frauen ohne Brustkrebs werden gleichwohl rund siebzig ein Untersuchungsergebnis bekommen, das eine Erkrankung indiziert. Nun war leicht zu sehen, daß nur bei sieben von 77 positiv getesteten Frauen, also rund neun Prozent, auch tatsächlich eine Krebserkrankung vorlag.

Dies ist die Grundeinsicht, mit der Gigerenzer zahlreiche Felder der Gesundheitsvorsorge akribisch untersucht: Man übersetze Wahrscheinlichkeitsangaben in natürliche Häufigkeiten, und schon lassen sich Nützlichkeitserwägungen und Risikoberechnungen ohne komplizierte mathematische Formeln durchführen. Bei allen Testverfahren, so zeigt der Autor, ist es zudem wesentlich, sowohl die Rate falsch positiver Ergebnisse als auch die Bezugsgruppe zu kennen (der Grundanteil an Aids-Erkrankungen ist in einer Risikogruppe höher als in einer Nicht-Risikogruppe, was sich wiederum auf die Wahrscheinlichkeit auswirkt, daß ein positiver Test falsch-positiv ist). Gigerenzers Untersuchung von Aids-Beratungsstellen und -Aufklärungsbroschüren sät Skepsis ebenso wie seine Durchleuchtung des Brustkrebs-Screenings: Viele der kursierenden Zahlen und Aussagen sind grob irreführend oder schlicht falsch. So ist sein Buch, das Risiken zu beurteilen helfen will, eines geworden, das falsche Gewißheiten zerstreut. Man wird sich darum nicht unsicherer fühlen.

MICHAEL ADRIAN

Jörg Blech: "Die Krankheitserfinder". Wie wir zu Patienten gemacht werden. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2003. 256 S., geb., 17,90 [Euro].

Gerd Gigerenzer: "Das Einmaleins der Skepsis". Über den richtigen Umgang mit Zahlen und Risiken. Aus dem Amerikanischen von Michael Zillgitt. Berlin Verlag, Berlin 2002. 406 S., geb., 22,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Nichts weniger als ein "Manual für die Risikogesellschaft" habe Gerd Gigerenzer geschrieben, applaudiert Michael Adrian: "ein brillant argumentierendes, lebhaft und klar geschriebenes, auch dem Laien eingängiges, im besten Sinne aufklärerisches Buch, nach dessen Lektüre man statistischen Aussagen nicht einfach mit Misstrauen, sondern mit der richtigen Art von Nachfragen begegnen wird." Seine Beispiele beziehe der Psychologe vor allem aus der Medizin. Gerade Ärzte zögen nämlich oft falsche Schlüsse aus statistischen Werten. Wider den falschen Gewissheiten, ruft Adrian mit Gigerenzer - hin zu mehr Sicherheit im Urteil.

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