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Produktbeschreibung
Melvin Mapple, un soldat américain en poste à Bagdad, écrit à Amélie Nothomb...
Autorenporträt
Amélie Nothomb, 1967 in Kobe geboren, hat ihre Kindheit und Jugend als Tochter eines belgischen Diplomaten in Japan und China verbracht. Nach Abschluß ihres Philologiestudiums hat sie beschlossen, sich ganz dem Schreiben zu widmen. Sie lebt in Brüssel. Die Autorin schreibt, seit sie siebzehn ist.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.04.2013

Der eingebildete Kampfmoppel und die gebildete Hungerkünstlerin

Wo magerer Psychoquark war, soll fette Kunstsuppe werden: Amélie Nothombs schlanker Roman "So etwas wie ein Leben" inszeniert das Dicksein als Sabotage und Kunstwerk.

Amélie Nothomb hat ziemlich bizarre Vorstellungen von Schönheit, Moral und gutem Geschmack. Als zickiges, hochbegabtes böses Mädchen, das schon als Kind wie Gott werden wollte, schreibt sie bis heute Roman um Roman, nur um nicht erwachsen werden zu müssen. Ihr Paradies ist die kindliche Unschuld. Ihre Hassliebe gilt den unfassbar dicken, perversen Wüstlingen, die ihren Mitmenschen - und vor allem ihr, der Hungerkünstlerin mit der Vorliebe für belgische Pralinen und Champagner - massiv auf die Nerven gehen und ungefragt ihre Lebensgeschichte aufdrängen; ekelhaft fetten Männern wie dem Literaturnobelpreisträger Pretextat Tach aus ihrem Erstling "Die Reinheit des Mörders" oder dem zudringlichen Nachbarn aus "Der Professor". Jetzt hat Amélie Nothomb wieder so ein Fettmonster erschaffen, das sich schamlos in ihr Leben und Schreiben drängt; aber diesmal zeigt sie Mitleid und Erbarmen. Essen ist die schlimmste aller Drogen, Kummerspeck ein Zeichen verfetteter Intelligenz, Anorexie heiligmäßige Askese. Aber die dicken Männer sind auch sensibler, unschuldiger und hilfebedürftiger als die dünnen.

Der amerikanische Soldat Melvin Mapple, der sich im Irak ein Kampfgewicht von immerhin 180 Kilo angefressen hat (er nennt seinen Fremdkörper Scheherazade), will von der Dickenversteherin Nothomb verstanden, anerkannt, womöglich literarisch gewürdigt werden. In seinen Feldpostbriefen schildert er ihr eindringlich sein XXXL-Schicksal: zu dick für schützende Panzer, ist er gerade breit und gut genug, um als lebender Schutzschild an die Front gestellt zu werden. Mapples Fresssucht ist Krankheit und kamikazehafte Selbstzerstörung, aber für seine Kameraden ist der Moppel nur ein feiger Fettfleck und für seine Feinde der hässliche wohlgenährte Amerikaner. Erst höflich abweisend, dann zunehmend mitfühlend, lässt sich Nothomb auf einen Briefwechsel mit ihrem verzweifelten Verehrer ein. Sie ist seine "Kriegerpatin", Therapeutin, Trösterin und Agentin: Warum nicht, so ihr Vorschlag, das Dicksein zum politischen Statement, besser noch: zur Body-Art-Performance machen?

Mapple ist geschmeichelt und gerührt von dem Gedanken, sein Bauch könnte Sabotage, politischer Protest ("Menschliches Fett wird für George W. Bush stehen wie Napalm für Johnson"), ein über sein kleines Ich hinauswachsendes "Werk" sein. Sein Ganzkörperporträt als nackter Aktionskünstler schockiert allerdings selbst seine Gönnerin; die Korrespondenz bricht ab. Am Ende findet Nothomb heraus, dass ihr Schützling zwar fett, aber nie im Irak war: Er ist nur "ein kleiner Loser im elterlichen Reifenlager" in Baltimore, ein neurotischer Nerd, der sich bei seiner Leib-und-Magen-Schriftstellerin interessant machen wollte.

Nothomb verzeiht Mapple den Schwindel. Aus ihrer reichen Erfahrung mit Fanpost weiß sie, dass Mythomanen nicht die schlechtesten Leser und in gewisser Weise Kollegen sind. Immerhin hat sich der Nerd aus Amerika dazu aufgerafft, sich in europäisch kultivierten Briefen "so etwas wie ein Leben" auf den von Bier und Hamburgern aufgequollenen Leib zu schreiben. Mapple ist alles, was sie hasst, aber letztlich Fleisch von ihrem Fleische: ein Schriftsteller, der aus magerem Psychoquark eine fette Kunstsuppe anzurühren versteht. Seine Existenz verdankt sich einer "geteilten Fiktion". Sie persönlich in Augenschein zu nehmen, versagt sich Nothomb allerdings; schon auf dem Weg nach Baltimore, nimmt sie in letzter Sekunde den "Notausgang".

In autobiographischen Romanen wie "Mit Staunen und Zittern", "Biografie des Hungers" oder "Der japanische Verlobte" beschrieb die belgische Diplomatentochter immer wieder ihre Japan-Faszination, ihre Essstörungen und ihren unstillbaren "Überhunger" nach den Süßigkeiten der Kindheit und dem Absoluten. In "So etwas wie ein Leben" treibt sie die Gratwanderung zwischen Literatur und Leben auf die Spitze. Die "Amélie Nothomb" des Romans ist zweifellos die vielgeliebte, exzentrische Erfolgsautorin, die sich durch ihren Mangel an Distanz und "Vorsicht" immer wieder selbst in die Bredouille bringt: "Ich bin ein durchlässiges Wesen, dem Menschen eine erdrückende Rolle in ihrem Leben geben. Die Leute spüren, dass ich der ideale Nährboden für ihre heimlichen Pflanzungen bin. Sie haben ja keine Ahnung, was für Samenwolken die Massen auf meinen Acker schmeißen."

Auch auf die Gefahr hin, für die Projektionen in Haftung genommen zu werden, sucht Nothomb die direkte Kommunikation mit ihrem Publikum: Jeder Roman ist ein Brief, ein "dem anderen gewidmetes Schreiben", ein mädchenhaft-kokettes Buhlen um Anerkennung und Liebe. In ihrem Briefroman inszeniert sie das Wechselspiel von schamlosem Entblößen und Verbergen, menschlichem Exhibitionismus und gottgleicher splendid isolation raffinierter denn je. Die Korrespondenz zwischen Fettkörper und Hungerkünstlerin kommt diesmal ohne ein Gran Fett (und auch fast ohne aphoristische Pralinen, süßlichen Kolportagekitsch und schwarzromantisches Pathos) aus, und so folgt man Nothomb gern in die Abgründe schwellender Fleischlichkeit und küchenpsychologischer Obsessionen. "So etwas wie ein Leben" ist vielleicht ihr persönlichster und jedenfalls einer ihrer besten Romane.

MARTIN HALTER

Amélie Nothomb: "So etwas wie ein Leben". Roman.

Aus dem Französischen von Brigitte Große. Diogenes Verlag, Zürich 2013. 142 S., geb., 19,90 [Euro].

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