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Getrieben von der Schuld am Tod seines Stiefbruders, hat Miles seine Eltern seit sieben Jahren nicht gesehen. Doch als die Familie seiner minderjährigen Freundin droht, ihre Beziehung auffliegen zu lassen, kehrt Miles nach Brooklyn zurück und bereitet sich darauf vor, seinem Vater gegenüber zu treten. Eine Geschichte über Liebe und Vergebung zwischen Männern und Frauen, Vätern und Söhnen.

Produktbeschreibung
Getrieben von der Schuld am Tod seines Stiefbruders, hat Miles seine Eltern seit sieben Jahren nicht gesehen. Doch als die Familie seiner minderjährigen Freundin droht, ihre Beziehung auffliegen zu lassen, kehrt Miles nach Brooklyn zurück und bereitet sich darauf vor, seinem Vater gegenüber zu treten. Eine Geschichte über Liebe und Vergebung zwischen Männern und Frauen, Vätern und Söhnen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.07.2012

Unsere Hypotheken verdanken wir dem Staat

Paul Austers jüngster Roman "Sunset Park" zeigt ein Amerika, in dem alle Generationen und Regionen unter den Auswirkungen der Krise leiden.

Es ist das Jahr 2008, in dem begann, was seither als Wirtschaftskrise wütet. Miles Heller ist achtundzwanzig Jahre alt, er hat vor siebeneinhalb Jahren das College verlassen und arbeitet in Florida für eine Entrümpelungsfirma. Sie handelt im Auftrag jener Banken, denen nach dem amerikanischen Immobiliendesaster die Häuser gehören, die von ihren bisherigen Eigentümern verlassen werden mussten. Diese Häuser sind voll von "aufgegebenen Dingen", die Miles fotografiert. Inzwischen hat er Tausende solcher Fotos, von "Büchern, Schuhen und Ölgemälden, Klavieren und Toastern, Puppen, Teegeschirr und schmutzigen Socken, Fernsehern und Brettspielen, Partykleidern und Tennisschlägern, Sofas, Seidendessous, Fugenspritzen, Reißzwecken, Plastikmonstern, Lippenstiften, Gewehren, ausgebleichten Matratzen, Messern und Gabeln, Pokerchips, einer Briefmarkensammlung und einem toten Kanarienvogel am Boden seines Käfigs".

Seine Kollegen, die "drei Musketiere des Verderbens", lassen verbotenerweise von diesen Sachen mitgehen, was sich irgend lohnt, Miles tut das nicht. Er hat "seine Bedürfnisse auf ein absolutes Minimum reduziert". Das Einzige, was er sich leistet, sind Bücher, und "Lesen ist eine Sucht, von der er keinesfalls geheilt werden möchte".

Der Anfang von Paul Austers Roman "Sunset Park", der bereits 2010 in Amerika erschienen ist, lässt an Flucht denken, an Krieg und Nachkriegszeit. Das soll genau so sein. In einem Park in Miami begegnet Miles der siebzehnjährigen Pilar Sanchez, die zufällig mit demselben Buch neben ihm sitzt, das er schon zum dritten Mal liest, F. Scott Fitzgeralds "Der große Gatsby". Es wird eine Liebe zwischen dem noch minderjährigen Mädchen, das zwei Jahre zuvor seine aus Kuba eingewanderten Eltern bei einem Autounfall verloren hat, und dem jungen Mann, der eine schlimme Geschichte als verschwiegene Bürde mit sich trägt.

Es könnte sich aus diesen beiden zunächst nur vage umrissenen Schicksalen eine ganz große Geschichte entwickeln. Auster legt dafür alle Fährten aus, mit der von ihm erwarteten Virtuosität. Er beginnt ein Textgewebe, das Miles zurück in seine Heimatstadt New York führt. Ihm droht in Florida im Falle einer Denunziation eine Gefängnisstrafe, weil Pilar inzwischen mit ihm lebt. In New York kommt Miles bei seinem Jugendfreund Bing Nathan unter, der eine "Klinik für kaputte Dinge" im Stadtteil Park Slope hat. Bing repariert dort auch alte Schreibmaschinen, für die Auster bekanntermaßen eine Vorliebe hegt: keineswegs das einzige autobiographische Motiv dieses Buchs.

Bing hat gemeinsam mit zwei jungen Frauen, Alice und Ellen, ein verlassenes Haus im Stadtteil Brooklyn besetzt, im Viertel Sunset Park, gegenüber dem riesigen Green-Wood-Friedhof. Es wird zum Ort, an dem sich die Stränge des Romans bündeln, in dem Auster mehr will, als von aus dem System gefallenen Individuen zu erzählen. Er will eine scharfe Parabel auf eine ganze Nation schreiben, die nicht nur ökonomisch, sondern auch moralisch abgewirtschaftet hat. Auf ein Amerika, das sich im permanenten Nachkrieg befindet, jedoch ohne jene Chancen, die die sprichwörtlichen Träume von Tellerwäschern wahr werden ließen. Er exerziert an Miles Heller und Bing Nathan, an Alice Bergstrom und Ellen Brice, wie auch die Hoffnungen junger, talentierter und gebildeter Menschen zuschanden gehen, wie sie zerbrechen unter der Last, die ihnen ihr Land als Hypothek aufdrückt: Die Bruchbude in Sunset Park ist das Bild dafür, Hohn auf die Vision vom properen Eigenheim.

Für sein ambitioniertes Unterfangen greift Auster aber auch tief in die Wunden intimer Verstrickungen mit nachgerade archaischen Zügen. Er entlarvt das familiäre Modell als unglückselig zerklüftete Triade, Keimzelle obendrein des Dramas vom verlorenen Sohn. Dafür stehen Miles' Eltern und ihre Entourage, Prototypen eines absterbenden Amerikas: der Vater Morris, prominenter Verleger literarischer Texte in New York, übrigens wohl die stärkste Identifikationsfigur für Auster selbst, mit Bitterkeit und Empathie; die Mutter Mary-Lee Swann, die das Baby Miles zurückließ, um ihre Karriere als Schauspielerin zu machen; die Stiefmutter Willa Parks, eine Intellektuelle, die mit ihren Gefühlen ringt und hadert. Sämtlich sind auch sie Beschädigte, privaten Katastrophen ausgeliefert und dem Niedergang des gesellschaftlich stabilen Gefüges.

Es ist ein Jammer, dass Auster seines Stoffs, der nach den Sternen des Sittenbilds und Generationenepos greift, nicht Herr wird. Immer wieder franst der Roman aus, gleitet gar ab in Allgemeinplätze. Er bemüht die amerikanischen Trivialmythen. Vor allem die Viten berühmter Baseballspieler illustrieren die unhintergehbare Macht des Zufalls über das Leben der Menschen; ganz ohne Metaphysik geht es auch in "Sunset Park" nicht. Von Anfang an löst Auster die geschlossene Form in einzelne Kapitel auf, um seine Akteure vorzuführen. Er bedient sich dabei eines Erzählers, aus dem Off gewissermaßen, der zu unentschieden zwischen Allwissenheit und Spekulation changiert.

Manchmal entsteht der Eindruck, dieses Schreiben diene bereits einem Drehbuch. Wie ein Leitmotiv fungiert denn auch William Wylers berühmtes Filmdrama "Die besten Jahre unseres Lebens" von 1946. Seine Handlung dreht sich um drei Kriegsheimkehrer und deren Probleme, einen Weg zurück in die zivile Gesellschaft des Nachkriegs zu finden. Immer wieder kommen Austers verschiedene Protagonisten in langen Passagen auf den Film zu sprechen, allzu plakativ dient er als Spiegel ihrer Situation.

Die Geschichte von Miles Heller bleibt am Ende des Buchs dunkel und offen, auch wenn er zu seinem Vater zurückgefunden hat. Sie ist nicht trostvoll. Aber sie muss auch nicht so ausgehen wie "Der große Gatsby". Denn da sind noch die junge kluge Pilar Sanchez, die vielleicht Fitzgeralds Zukunftslosigkeit widerlegen kann - und auch die verzweifelte Wut und Trauer des Autors, die diesen Roman im Innersten prägen und tragen. Am Projekt "Sunset Park" ist Paul Auster jedoch gescheitert. Heroisch.

ROSE-MARIA GROPP

Paul Auster: "Sunset Park". Roman.

Aus dem Amerikanischen von Werner Schmitz. Rowohlt Verlag, Reinbek 2012. 320 S., geb., 19,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.07.2012

Unselige Zeiten, brüchige Welt
Paul Auster erzählt in seinem neuen Roman „Sunset Park“ von einem krisengeschüttelten Amerika.
Doch für die große Parabel auf unsere Zeit ist sein Buch zu gut gemeint und harmlos – ein literarischer „patriot act“?
VON CHRISTOPHER SCHMIDT
Miles Heller ist 28 Jahre alt und ein alter Mann. Keinerlei Ehrgeiz treibt ihn noch an. Er war mal ein hochbegabter Junge mit besten Aussichten, doch vor bald acht Jahren hat er das College abgebrochen und den Kontakt zu seiner Familie ebenso. Seither übt er sich darin, im Hier und Jetzt zu leben, keine Pläne zu haben und keine Ziele, „soll heißen, nichts ersehnen und nichts erhoffen“. Und nichts begehren. Von den Zigaretten lässt er die Finger, vom Alkohol und von den Frauen. Und auch, was er an wechselnden Orten und in wechselnden Jobs verdient, als Aushilfskoch oder Möbelpacker, rührt er nicht an.
  Der Leser begegnet diesem bedürfnislosen Dulder im Jahr 2008 in Florida, wo er sich als Entrümpler durchschlägt. Das Geschäft läuft gut. Seit die Immobilienblase geplatzt ist, werden immer mehr Häuser aufgegeben, weil deren Bewohner ihre Kredite nicht mehr bedienen können. Oftmals lassen sie dabei große Teile ihrer Habe zurück, und Miles fotografiert all diese „aufgegebenen Dinge“, er dokumentiert, was übrig geblieben ist von einem Leben, und jedes Haus erzählt ihm „eine Geschichte des Scheiterns“. Miles ist so etwas wie ein Kriegsberichterstatter, ein Foto-Reporter an jener neuen Front, die mitten durch das eigene Land verläuft. Denn in Paul Austers neuem Roman „Sunset Park“ ist Amerika ein Kriegsschauplatz und ein Trümmerhaufen, eine Nation, die ihre Schlachten nicht nur in Irak verliert, sondern auch in der Heimat.
  Die Gleichsetzung von Krieg und Krise lanciert Auster durch ein etwas forciertes Leitmotiv: Alle Figuren im Buch haben irgendwann William Wylers Film „Unsere besten Jahre“ aus dem Jahr 1946 gesehen, in dem es um drei Kriegsheimkehrer geht und ihren langen Weg zurück ins zivile Leben. Für jeden der Protagonisten im Buch ist dieser Film ein wichtiger Referenzpunkt der Selbstwahrnehmung. Die Studentin Alice schreibt ihre Dissertation darüber, wie die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg in populären amerikanischen Filmen und Büchern dargestellt wurden. Und ihr neuer Mitbewohner Miles gemahnt sie an die schweigsamen Männer dieser Generation, ein Gegenbild zu ihren Altersgenossen, denen die prägende Erfahrung des Krieges fehle. Man könnte auch sagen, sie erkennt in Miles den klassischen Helden – und der Autor sagt es uns mit ihren Worten nur zu deutlich.
  Auch dadurch verleiht Paul Auster seinem Miles mythische Statur, dass er eine der traumatischen Ur-Szenen Amerikas in den Mittelpunkt des Romans stellt: den Bürgerkrieg. Bevor Miles untertauchte, hatte er seinen älteren Stiefbruder bei einem Streit auf den Highway gestoßen, Bobby war von einem vorbeifahrenden Auto mitgerissen worden und an seinen Verletzungen gestorben. Auch die Entsolidarisierung der Gesellschaft gleicht ja einem Brudermord, das heutige Amerika erinnere ihn, wie Auster in einem Interview sagte, an die Zeiten des Bürgerkrieges. Die Präsidentschaft von George W. Bush habe die Nation gespalten, ein geteiltes Land hinterlassen.
  Als Miles, der sich die Schuld am Tod des so ungleichen Bruders gibt, erfährt, dass dessen Mutter ihn „aus ihrem Herzen verbannt“ habe, kommt er der Verstoßung zuvor und verschwindet, ein symbolischer Suizid. Er steigt hinab in die Unterwelt der Depravierten, jener, die aus dem System gefallen sind. Als er am Ende seiner Odyssee wieder in New York landet, schlüpft er bei seinem alten Schulfreund Bing unter, der eine „Klinik für kaputte Dinge“ betreibt, in der er alte Sachen repariert. Bing ist ein sanfter Großstadtguerillero, ein Widerstandskämpfer eigener Art. Gemeinsam mit Gleichgesinnten hat er ein abbruchreifes Haus in Sunset Park, einem aufgegeben Teil von Brooklyn, gleich neben einem Friedhof besetzt.
  Hier ist sie also lebendig begraben, die Jugend Amerikas, intelligente, engagierte, gut ausgebildete Menschen, die gleichwohl nicht mal die Miete zahlen können, eine chancenlose, um ihre Zukunft betrogene Generation. In prekäre Verhältnisse hineingewachsen, fehlt ihnen jede Orientierung (auch die sexuelle); zutiefst verunsichert, zweifeln sie an allem und jedem und am meisten an sich selbst. Ein Hoffnungsschimmer ist da nur die minderjährige Pilar, eine hochbegabte Exil-Kubanerin, in die sich Miles in Florida verliebt hat. Nun paukt er mit ihr für die Aufnahme an einem guten College, als habe er seine eigenen Ambitionen an sie delegiert. Sie wird zu seiner Stellvertreterin. Doch weil Pilar minderjährig ist, muss Miles Florida für eine Zeit verlassen, so gelangt er zurück nach New York. So viel zum Hebel der Handlung.
  Der allwissende Erzähler taucht immer wieder in die Geschichten der Figuren ein, neben Miles’ zerzauster Wohngemeinschaft und deren Anrainern sind dies die verschiedenen Eltern und deren Freunde. Und hier liegt die sträfliche Unschärfe des Romans. Austers Versuch, die Lebensgeschichten zur großen Parabel nicht nur auf den wirtschaftlichen, sondern den moralischen Bankrott der USA hochzuziehen, ist überfrachtet, aber dabei merkwürdig pauschal. Er packt zu viel Disparates in den Roman hinein. Im Bemühen, die Krise durch alle Milieus durchzudeklinieren, verliert das Szenario an Kontur, schrumpft die Klammer, die alles zusammenhält, zur banalen Metapher. Der Gemeinplatz ist hier das Sammelbecken, wo all die Mühseligen und Beladenen, die Obdachlosen des amerikanischen Traums Asyl finden: eine Geschichte von Scheitern und Verlusten, Beschädigungen und Schicksalsschlägen.
  Die Botschaft von Austers Buch ist so simpel, wie das, was Miles einmal als Zehnjähriger in einem Schulaufsatz geschrieben hatte: dass Verletzungen ein wesentlicher Teil des Lebens seien und man kein Mann werden könne, ohne Verletzungen davongetragen zu haben. Miles’ Vater Morris, der aufrechte Verleger „in einem Land, dessen Bewohner Bücher hassen“, erinnert sich an diese Sätze seines Sohnes. Und auch Morris steckt in einer Krise: Sein Verlag steht vor der Pleite, und wegen eines dummen Seitensprungs muss er nun fürchten, nach dem geliebten Sohn auch noch seine Frau zu verlieren. Schon antizipiert er eine Zukunft, in der er als einsamer Leergutsammler, als „Dosenmann“ durch die Slums zieht.
  Und dann ist da noch Miles’ Mutter, die berühmte Schauspielerin, die gerade am Broadway die Winnie in Becketts „Happy Days“ spielt, während ihr Mann, ein Autorenfilmer, im krisengebeutelten Hollywood kein Projekt mehr finanziert bekommt. Es geht um die Brüchigkeit der Patchwork-Familie, die eben doch nur „eine zusammengeflickte Einheit und kein fugenloses Ganzes“ sei, so Auster überraschend konservativ. Aber es geht auch um die Suche nach Identität in einer Welt, die keine Optionen, keine Spielräume mehr zu bieten scheint. Und keinen Halt. Doch allzu oft dienen die Populärmythen einstiger Baseball-Legenden als Sinnbild für das blinde Schicksal und die Wechselfälle des Lebens. Auster spart nicht an Amerika-Kritik, wenn er schreibt, dass das Land seinen Optimismus verloren habe, seinen unerschütterlichen Glauben an sich selbst und „zu einem kranken, zerstörerischen Ungeheuer“ mutiert sei. Im Roman bietet er ein versprengtes Häuflein Aufrechter auf, die das bessere Selbst Amerikas repräsentieren: Leute wie Alice, die sich beim PEN für den inhaftierten chinesischen Dichter Liu Xiaobo einsetzt, wie Morris, der Büchermensch in bildungsferner Zeit, und wie Mary-Lee, die als Schauspielerin die Fackel der Hochkultur schwenkt. Aber dieses Anliegen, die moralische Integrität zu verteidigen, zeitigt einen Heroismus, der allzu pathetisch und cheesy wirkt und über das Bekenntnis zum schmerzgeprüften Wert des Menschlichen nicht hinauskommt.
  Irritierend ist zudem ein Moment der Konstruktion: Denn Bing ist nicht nur Miles’ treuer Freund, sondern auch ein Spion. Er, der als einziger Kontakt zu ihm hatte, hielt die Eltern all die Jahre über Wohl und Weh des Sohnes auf dem Laufenden. Der Vater war daraufhin mehrmals angereist, um den Sohn zu treffen, hatte sich dann aber damit begnügt, ihn aus der Ferne zu beobachten. Dass er dabei zufällig Zeuge einer Schlüsselszene wird, als Miles Pilar im Park kennenlernte, dass er just an diesem Schwellenmoment zur Stelle ist, strapaziert nicht nur die Glaubwürdigkeit, sondern ist geradezu ein Symbol für einen latenten Generationenkonflikt. Schließlich wird Miles’ Ausbruch dadurch von vornherein entwertet. Aus der Distanz behütet, wirkt alles nur wie eine Sandkastenrebellion, eine Farce. Und auch Miles machte sich schuldig, als er Pilar von ihren Schwestern freikaufte und seine wahre Identität verheimlichte. Doch die doppelbödigen Verratsmotive werden nicht aufgelöst, ja nicht einmal reflektiert, dem Vampirismus, der das Buch durchzieht, fehlt es an Engführung. So gewinnt man den Eindruck, Auster habe die inneren Widersprüche des Romans gewaltsam geglättet. Oder sich von seiner Sympathie für die Perspektive der besorgten Erziehungsberechtigten verleiten lassen. Das verstimmt.
  Übrigens verzichtet Paul Auster auf alle postmodernen Tricks. Als sei es in harten Zeiten wie diesen unstatthaft, ja geradezu frivol, den Leser leichtfertig zu narren, als fordere die Stunde einen „Moralismus der Form“, wie Thomas Mann das genannt hat. „Sunset Park“ zeugt von einem Erzählen, das glaubt, die Dinge klar beim Namen nennen zu müssen, statt sich im verspielten duck and cover zu gefallen. Wie Auster seine Freiheiten freiwillig beschneidet und allen Tändeleien entsagt, wie er gewissermaßen endlich „erwachsen“ schreibt – das könnte man für eine Art literarischen patriot act halten. Der patriot act eines Papis sozusagen. Allerdings hat der Autor sich dabei auch ein Stück weit entzaubert, und man könnte meinen, dass die Bluffs, die Versteckspiele seiner bisherigen Bücher nur dazu da waren, um zu verbergen, was hinter der Maske des intellektuellen Gauklers steckt: ein veritabler Kitschier.
Die Entsolidarisierung
der Gesellschaft
gleicht einem Brudermord
Dieser Autor hat viel
Sympathie für die
Erziehungsberechtigten
Quo vadis, Amerika? Ein grüblerischer Paul Auster im Garten seines Hauses in Brooklyn.
FOTO: JEAN-CHRISTIAN BOURCART/GETTY IMAGES
  
  
  
  
  
Paul Auster: Sunset Park. Roman. Aus dem Eng lischen von Werner Schmitz. Rowohlt Verlag, Reinbek 2012. 320 Seiten, 19,95 Euro.
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