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Der Friseursalon als Panoptikum. Eine furiose Erzählung über die Kunst des Haarschneidens, über Mozarts Perücke und eine Reihe von Sonderlingen, zu denen auch Thomas Bernhard gehört. Wondratschek beschreibt den Friseursalon als Ort der Verwandlung: Auf jeden Fall verlässt ihn keiner so, wie er ihn betreten hat.

Produktbeschreibung
Der Friseursalon als Panoptikum. Eine furiose Erzählung über die Kunst des Haarschneidens, über Mozarts Perücke und eine Reihe von Sonderlingen, zu denen auch Thomas Bernhard gehört. Wondratschek beschreibt den Friseursalon als Ort der Verwandlung: Auf jeden Fall verlässt ihn keiner so, wie er ihn betreten hat.
Autorenporträt
Wondratschek, Wolf
Wolf Wondratschek, 1943 geboren, studierte Literaturwissenschaft und Philosophie in Heidelberg, Göttingen und Frankfurt am Main. Heute lebt er als freier Schriftsteller in Wien.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.06.2002

Locken-Drehen
Wolf Wondratschek muss seine
Figuren zum Schabernack tragen
Wer heute nach Wien geht, zieht leicht den Verdacht auf sich, dass er von der modernen Welt nicht viel wissen will. Zählt doch die einstige Hauptstadt Kakaniens nicht gerade zu den Metropolen der globalisierten Zukunftsplanung. Wolf Wondratschek hat dort denn auch eher altertümliche, ja antiquarische Anregungen für die Fortsetzung seines Schaffens gefunden. Kaum etwas erinnert da noch an die heißen Kiezpflaster, wo er in den achtziger, neunziger Jahren die Blume der Poesie weniger fand als einzupflanzen suchte. In der Lyrik führte ihn das manchmal zu gestiefelter Großmäuligkeit und in der Prosa zur Verwechslung des vitalen Lebens mit den kleinlichen Winkelzügen der Zuhälterszene. Nun jedoch überlässt er sich wieder weniger berechenbaren Schauplätzen und den großen Unwägbarkeiten der poetisch schweifenden Phantasie.
„Die Erzählungen wurden in Wien geschrieben”, verriet der Autor in seinem vorletzten Buch „Die große Beleidigung”. In vier Texten handelte er vom Ringen um die Kunst, von den Fallgruben der Genialität und vom melancholischen Ennui erlesener Seelen, denen das Leben nichts mehr bieten kann außer winzigen Glücksfällen, die sie vormals verlacht hätten. Das Ringen um Kunst und Haltung ist an die Stelle getreten, wo es früher vorwiegend um Frauen und Männer, Liebe und Leben ging.
Wie meistens bei Wondratschek klingt auch in „Mozarts Friseur” vieles nach Zitat, die großen Empfindungen, wenn sie beschworen werden, ganz besonders. Das hochgradige Bewusstsein von der Verlorenheit der großen Formen und Passionen prägte ja von Anfang an sein Schreiben. Zunächst durch den Gestus der Verwerfung. Dann verlockten sie ihn wieder und er suchte mit seinen Lowry-Sonetten und dem Carmen-Zyklus die verlassenen Tempel erneut auf. Dass es in leeren Hallen umso hohler klingt, je lauter man tönt, übersah er dabei allerdings häufig. Von solchen Aussteuerungsproblemen ist auf dem neuen wienerischen Erzählterrain nichts mehr zu spüren. Was man der vermehrten Weisheit des Autors zuschreiben kann, aber auch dem unpathetisch-fabulösen Charakter seines Materials.
Schon das Frontispiz des neuen Buches führt mitten hinein ins Feld kakanischer Archäologie, wo sich die wunderbarsten Kulturtrümmer gut sichtbar und doch halb versunken aneinanderreihen. Das Foto von Sepp Dreissinger zeigt ein wirkliches Haus in der Griechengasse als Domizil von „Mozarts Friseur”, des erfindungsreich beschriebenen Titelhelden. Der Ort des Lockendrehens verwandelt sich in ein poetisches Zauberreich, wo Zeiten und Figuren, Leidenschaften und Merkwürdigkeiten aller Art zusammentreffen. Eine hübsche anspielungsreiche Idee, auch wenn der strenge Karl Kraus womöglich zu wenig Glatze und zuviele Locken beanstandet hätte. Tatsächlich gelingt die Sache auch nur bedingt.
Vom Nil nach Hollywood
Auf die Habenseite gehört gewiss Wondratscheks narrative Assimilation ans glänzende und schillernde Wiener Kulturmilieu. Sein Friseur stammt aus der von Märchen und Legenden erfüllten Tiefe des orientalischen Raumes. Ähnlich wie der Mokka und andere Spezialitäten kommt er aus ungewisser Ferne, um erst in Wien seine ganz besondere Rolle zu finden. Für diese verschlungene Laufbahn mixt Wondratschek Exotismus-, Abenteuer- und Venedigmotive mit einer Prise schwarzer Erotik, mutwillig eingestreuten Anachronismen und mancher metiergerecht an den Haaren herbeigezogenen Anekdote. Als der Held in Wien eintrifft, hat sich das Erzählgewebe aus losen Fäden, Flusen und Flausen jedenfalls so überzeugend verdichtet, dass man nicht zögert, einem kleinen poetologischen Selbstkommentar des Autors mit lebhaft zuzustimmen. „Die Griechengasse in Wien markiert eine Grenzlinie, die sich, wirklich oder unwirklich, durch die Jahrhunderte zieht. Auf der einen Seite Sand der Sahara (Reste), von einem milden Südwind hier abgelegt, auf der anderen Filmplakate ... Man kann vom Nil nach Hollywood die Hand ausstrecken.” Wunderbar! Hier ist alles möglich. Und deshalb wird es nun auch wirklich schwierig für den Erzähler.
Je länger desto mehr, gerät das Fabulieren zur Gratwanderung in zunehmend flacherem Gelände. Gewiss hat es einigen erzählerischen Charme, wenn mit leichter Hand und ohne tiefere Bedeutung Mozart herbeizitiert wird und plötzlich beim Friseur in der Griechengasse die Perücke lüftet, um sich einen modernen Haarschnitt verpassen zu lassen. Doch leider bringt der berühmte Wiedergänger nicht viel mehr Persönlichkeit mit als eine Mozartkugel. Und wenn unter dem Namen Johann Pichler der berüchtigte Udo Proksch auftritt, kommt dadurch zwar weiterer Plauderstoff ins Haus, sonst aber nichts.
So wird zwar recht kunterbunt mit mancherlei Stoffen und Motiven gespielt, was jedoch nicht darüber hinwegtäuscht, dass Wondratschek seine Figuren oft unter ersichtlichen Mühen zum poetischen Schabernack tragen muss. Was bleibt, ist ein weiterer Rollenwechsel des Autors. Wieder mal erscheint Wondratschek in einer neuen Positur: Nun als Altmeister, der mit den Geschichten und G’schichtln, die in der Welt herumliegen, ad libitum jonglieren kann, ohne etwas beweisen zu müssen, weil er schon alles bewiesen hat.
EBERHARD FALCKE
WOLF WONDRATSCHEK: Mozarts Friseur. Carl Hanser Verlag, München, Wien 2002. 150 Seiten, 14,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.06.2002

Welche Vielfalt der Manieren!
Verfilzte Perücken: Wolf Wondratschek dreht Locken auf der Glatze

Der Friseursalon ist ein Ort voller Magie, zu entdecken in Patrice Lecontes wunderbarem Film "Der Mann der Friseuse" (1990). Zuletzt hat auch die Literatur den Salon als Tatort des ganz normalen Beziehungswahnsinns entdeckt: Picassos Freundschaft zu seinem Friseur wurde ebenso auftoupiert wie das Getratsche der Society unter den Händen von Figaro Gerhard Meir. Die Blöße, die sich mancher beim Friseur gibt, ohne sich auszuziehen, schildert beiläufig auch Wilhelm Genazino in seinem Roman "Ein Regenschirm für diesen Tag". Nun ist Wolf Wondratschek dem zeitlosen Charme des Haareschneidens und Frisierens erlegen. Seine Phantasie heißt "Mozarts Friseur", und sie hält, was der Titel verspricht: Wien, alte Perücken und allerlei skurrile Gestalten spielen darin jedenfalls tragende Nebenrollen. Den Leser verpaßt sie jedoch um mehr als Haaresbreite.

Wondratscheks namenloser Friseur verehrt Künstler - fraglos, weil er sich selbst als solchen versteht. Sein Angestellter Karotte und er sind, soviel wird schnell klar, keine Artisten im Umgang mit Schere und Kamm, sondern Lebenskünstler. An ihren Kunden interessiert sie nicht die Haarpracht, sondern das, was darunter liegt. Da ist es nicht verwunderlich, daß die Klientel den Salon nutzt wie ein Wiener Kaffeehaus: Sie kommen aus alter Gewohnheit, eher zum Reden als zum Haareschneiden. Der Ort, den Wondratschek beschreibt, gehört nicht in die Gegenwart - trotz jenem abgebildeten Haus in der Wiener Griechengasse, das der Schriftsteller sich als Kulisse für sein Zauberreich ausgesucht hat.

Mit Wondratschek schlendert man zunächst angeregt durch dieses Reich der Düfte und Tinkturen, der scherenklappernden Gesellen und pikierten Köpfe. Man lauscht absurden Unterhaltungen, begutachtet Mozarts verfilzte Perücke, begegnet Thomas Bernhard, einem Kamel, Punks und einer liebestollen Aristokratin. Wondratscheks Beobachtungen sind bisweilen hinreißend, etwa, wenn er die Frisurenvielfalt des Salons beschreibt: "Werfen wir auch noch einen Blick in eine von ihm einst aus den Staaten mitgebrachte Kostbarkeit, die sich wie die Getränkekarte einer Cocktail-Bar liest und auflistet, was an Frisuren nicht nur in New York, Hollywood oder Hawaii, sondern auch in der Griechengasse sozusagen jederzeit lieferbar ist: Just Peachy, White Mix, Frivolous Fawn, Honey Doux, Titus-cut, Elephant-trunk - dazu jede Menge bobs und, natürlich, Platinum-Variationen, nicht zu vergessen die Entenschwänze, gotischen Locken (in Taubenperlmutt) - und, als Spezialität des Hauses, Scheitel wie Schnittwunden." Doch so heiter und amüsant manche dieser Ideen sind: Ausgebreitet über knapp 150 Seiten, wirken sie nicht als Tonikum, sondern eher als einschläfernde Kopfmassage.

In seinem Erzählungsband "Die große Beleidigung" trat Wondratschek noch an, um das Verhältnis von Kunst und Leben zu untersuchen. Natürlich ging das schlecht aus für die Kunst: Denn diejenigen, die ihr Leben in den Dienst der Kunst stellen, sind bei Wondratschek nicht recht lebendig: Der Stargeiger Auermann beispielsweise geht an der Diskrepanz zwischen seinem vermeintlichen Können und der im Konzert tatsächlich erbrachten Leistung zugrunde. In "Mozarts Friseur" ist es das Mißverhältnis von Aufwand und Inhalt, das es dem Leser schwermacht. Das Personal dieses merkwürdigen kleinen Romans, in dem die Episoden so ungeordnet aufeinanderfolgen wie Kunden in einem Friseursalon, scheint direkt der k. u. k. Monarchie entsprungen und gemahnt in seiner selbstversunkenen Weltfremdheit ans fin de siècle.

Wondratschek hat sich weit entfernt von seinen Achtundsechziger-Anfängen. Die Zeiten, in denen er sich als der letzte Macho gerierte, sind längst vergangen - und das ist gut so. Doch hat er sich mit mächtigen Cowboyschritten von allem entfernt, was ihm damals wichtig schien. Die Außenseiter, die den Friseursalon bevölkern, sind sich selbst und ihrer Welt so fremd wie dem Leser. Wondratschek produziert heute keine Revoluzzersätze mehr, sondern schreibt sehr schöne, sehr elegante Prosasätze - doch fehlt es diesen leider an Leidenschaft. Wienerisch morbide ist er geworden, der Schriftsteller, und hat sich als locus genui die österreichische Hauptstadt ausgesucht, diese "Versuchsanstalt für Vergangenheit".

Vielleicht leidet das Buch aber auch daran, daß es keine Liebesgeschichte zu erzählen weiß. Immer wieder hat Wondratschek bewiesen, daß er am besten schreibt, wenn es um "Männer und Frauen" geht, wie zuletzt in den großartigen "Kelly-Briefen". Da hieß es: "Ein paar Quadratmeter Sand in der Sahara enthalten mehr Wahrheit als die ganze Fifth Avenue zusammen." Diesen Sand hat es nun in den Salon in der Griechengasse geweht - und dem Roman ins Getriebe. Sicher: Wondratschek gelingen auch hier beeindruckende Passagen, in denen sich hinter der Fassade des Friseursalons das Treiben eines orientalischen Markts auftut. Von dem Friseur heißt es, es klappe "beim Nachdenken mit den Gedanken nicht, sie waren nie zu dressieren". Doch dann, im Salon von Signor Scardanelli in Triest, begreift er den Sinn seines Berufs: "Welche Vielfalt an Manieren, Allüren und Ticks! Wie unterschiedlich die Temperamente, die Tonlagen der Stimmen, ihre Streitlust!" Wondratschek hat einmal bekannt, von dem "geheimen Leben" der Menschen fasziniert zu sein: In "Mozarts Friseur" hat er seine diesbezüglichen Beobachtungen gesammelt. Und "so kam es, daß der junge Mann begriff, daß ein Friseur nur im Nebenberuf einer ist, der Haare schneidet". Dann ist wohl auch ein Schriftsteller nur im Nebenberuf einer, der seine Gedanken in Sätze faßt. Der Friseurbesuch jedenfalls ist eine äußerst private Angelegenheit, und das, was unter Trockenhauben gesagt wird, meist nicht für fremde Ohren bestimmt. Vielleicht hätte Wondratschek nicht so lange zuhören sollen.

FELICITAS VON LOVENBERG

Wolf Wondratschek: "Mozarts Friseur". Carl Hanser Verlag, München und Wien 2002. 149 S., geb., 14,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Ganz knapp, nämlich um Haaresbreite, meint Felicitas von Lovenberg, ist dieser Roman misslungen. Das Buch, in dem Frisuren und Friseure eine "tragende Nebenrolle" vor der Kulisse Wiens spielen, wartet mit allerlei "absurden Unterhaltungen" auf, die die Rezensentin bisweilen wirklich amüsiert haben. Auch die Beobachtungen, die der Autor beispielsweise über verschiedene Frisuren anstellt, findet von Lovenberg mitunter "hinreißend". Insgesamt aber vermisst sie an dem Roman die "Leidenschaft". Für sie leidet das Buch unter allzu "selbstversunkener Weltfremdheit", um die Leser wirklich zu erreichen. Die vielen Einfälle, die Wondratschek ausbreitet, so die Rezensentin, wirken auf die Dauer weniger belebend als ermüdend. Für sie stellt sich die Frage, ob der Gegenstand eigentlich den ganzen erzählerische Aufwand lohnt.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Ein intelligentes Buch, obendrein bezaubernd und erfrischend befremdlich im Spektrum der Gegenwartsliteratur" Ursula März, Die Zeit, 23.05.02 "Ein kurioses Panoptikum, das Wondratschek da entfaltet, unterhaltsam wie ein Friseurbesuch." Gala, Mai 2002 "Wolf Wondratschek tritt hier als Artist auf, der lächelnd, als sei nichts dabei, einen der Hochseilakte der Literatur vorführt." Ursula März, Die Zeit, 23.05.02 "Eine bezaubernde Erzählung in perfekter Balance zwischen Tollheit und Berechnung." Die Zeit, 20.06.02 "Er spielt unverschämt, fröhlich und melancholisch mit Identität und Geschichte." Martin Halter, Tages-Anzeiger, 05.09.02 "Ein Kabinettstück von hoher sprachlicher Konzentration, patchworkartig, aber nie unnötig verspielt, herausfordernd, aber nie geschwätzig, intelligent, aber nie belehrend. ... Der Autor trifft, ohne sich anzubiedern, quasi mit dem kleinen Finger einen Zeitnerv. ... Wondratschek hat eine Novelle von großer Vielfältigkeit zustande gebracht, eine Erzählweise mit Kraft und Stil, die schwer zu knacken ist." Martin Amanshauser, Der Standard, 01.06.02 "Wolf Wondratschek, der in seinem Leben schon manche Dichterrolle ausprobierte, hat wieder eine schöne gefunden. ... Es gibt Passagen von großer sprachlicher Schönheit, leicht, verspielt, anmutig." Wolfgang Schneider, Neue Zürcher Zeitung, 08.08.02 "Wondratscheks Beobachtungen sind hinreißend." Felicitas von Lovenberg, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24.06.02