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Der dreizehnte Roman von John Irving wird erst der zweite sein, der in der ersten Person erzählt ist. Es dreht sich um einen bisexuellen Mann um die sechzig, der auf sein Leben in den Fünfziger- und Sechzigerjahren zurückschaut. Ein sehr intimes, tolerantes und leidenschaftliches Buch, das den Leser laut Kritikerstimme stolz macht, ein Mensch zu sein.

Produktbeschreibung
Der dreizehnte Roman von John Irving wird erst der zweite sein, der in der ersten Person erzählt ist. Es dreht sich um einen bisexuellen Mann um die sechzig, der auf sein Leben in den Fünfziger- und Sechzigerjahren zurückschaut. Ein sehr intimes, tolerantes und leidenschaftliches Buch, das den Leser laut Kritikerstimme stolz macht, ein Mensch zu sein.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.11.2012

Wie nervös alle sind! Und so viel Liebe . . .
Schwierige Familienverhältnisse und die Suche nach der eigenen Identität waren schon immer das Thema von John Irving. In seinem neuen Roman
„In einer Person“ wird alles noch ein bisschen komplizierter als sonst – ein grandioses Plädoyer für die Freiheit zu wählen, wer man sein will
VON BERND GRAFF
Wer Disneyland besucht, trifft dort auf: Disneys Figuren. Wer Irving-Land besucht, so nennen wir jetzt mal den literarischen Themenpark, den der amerikanische Schriftsteller John Irving in seinen Büchern ausbreitet, wer also Irving-Land lesend besucht, trifft dort auf: Irving-Figuren. Nicht nur auf seine Figuren, sondern auch auf seine Motive, seine Schauplätze, seine Sportarten und jene menschlichen Skurrilitäten, die immer sehr eigen und doch immer neu erdacht sind. So ist es auch bei „In einer Person“, dem jüngsten Roman des inzwischen siebzigjährige Erfolgsautors.
  Sie sind alle wieder da, die ganze Irving-Familie erzählt, so scheint es, eine weitere Episode aus ihrem verzweigt-vergeigten Leben. Es ist, als ob man im Familien-Album nur eine Seite weiter geblättert hätte. Und der Leser, der sich in Irvings „Human Zoo“ schon ein wenig auskennt, weiß zwar nicht genau, was ihn auf dieser neuen Seite erwartet. Aber wie es bei Irvings zugeht, das kennt er.
  So wird dieses Mal die Geschichte von William (Bill) Dean (später Abbott) erzählt, eines Jungen, der fast unehelich geboren wäre, weil zum Heiraten in Kriegszeiten kaum Zeit ist. Bill hat seinen Vater – einen Sergeant der US-Armee im Zweiten Weltkrieg – aber eigentlich nie kennengelernt. Denn die Ehe der Eltern musste kurz nach Kriegsende schon wieder geschieden werden, da der Vater in flagranti erwischt wurde. Er wurde von der Mutter beim Austausch von Zärtlichkeiten „mit einer anderen Person“ gesehen. Diese Umschreibung lässt offen, ob der Vater mit einer Frau oder einem Mann erwischt wurde.
  Bill also, der das erst spät herausfinden wird, wächst mit der als einfältig, dann auch ablehnend beschriebenen Mutter und den Großeltern auf – und mit dem Laientheater von First Sister, einer fiktiven Kleinstadt in Vermont. Dort beherrscht der Großvater solange die Bühne, bis Richard Abbott auftaucht, der spätere Stiefvater von Billy und bald Doyen der Bühne. Außerdem ist er Lehrer an Bills Schule, wie überhaupt einige Verwandtschaftsmitglieder an dieser Schule beschäftigt sind. Bills Mutter arbeitet am Theater als Souffleuse, der Großvater besetzt alle weiblichen Hauptrollen – mit sich selber. Was den weiblichen Rest der Familie: Bills Mutter, deren mürrische Schwester Muriel, vor allem aber Bills Großmutter in den Wahnsinn treibt und sie ihm aber nur dann übel nehmen, wenn sie sich selber in Grandpa Harrys Frauengestalten als Karikaturen wiedererkennen. Das Publikum des Dorfes liebt diese Darbietungen, und Bill liebt seinen Großvater, der sehr viel später im Roman wieder aus dem Altersheim nach Hause zurückgeholt werden muss, weil er das mit dem „Fummel tragen“ auch im wirklichen Leben nicht lassen mochte.
  Bill weiß früh, dass er Schriftsteller werden will und besucht regelmäßig die städtische Leihbücherei. Weniger wegen der Bücher als vielmehr wegen Frau Frost, so heißt die als etwas unproportioniert beschriebene Bibliothekarin. Sie ist etwa im Alter von Bills Mutter, aber fast zwei Meter groß und breitschultrig, mit kräftigen Händen. Der Junge ist sofort hin und weg, vor allem die merkwürdig jugendlichen Brüste von Ms. Frost haben es ihm angetan. Überhaupt entflammen die Menschen in diesem Irving-Land schier unaufhörlich füreinander. Und es ist wichtig, an dieser Stelle „Menschen“ zu sagen: Denn Liebe und sexuelle Orientierung werden nicht von Normen und Konventionen reglementiert. Männer/Frauen lieben Männer, Männer/Frauen lieben Frauen, Männer/Frauen lieben Männer und Frauen, Männer/Frauen lieben Transsexuelle. Männer/Frauen lieben Männer/Frauen und Transsexuelle. Das kann – der Roman umfasst mehr als ein halbes Jahrhundert erzählte Zeit – von der Adoleszenz bis zum Alter auch mehrfach wechseln.
  Außerdem sind die Paare dieser großen, eigentlich allumfassenden Liebeserklärung an das Leben nicht darauf festgelegt, alters- oder generationengerecht voneinander angezogen zu sein. Es ist sogar ziemlich egal, in welchem verwandtschaftlichen Verhältnis aufeinanderfolgende Liebhaber und Liebhaberinnen zueinander stehen. Das heißt: Vor allem der junge Bill mag ältere Frauen, wenn es denn welche sind, das weiß man als Leser nie so genau. Bill mag aber auch die Besten aus dem Ringerteam seiner Schule. Vor allem den Schüler Kittredge, obwohl dieser sein großer Widersacher bleiben wird und zu Beginn ein Konkurrent um die Gunst der Schülerin Elaine ist. Die aber sowohl Bill liebt als auch von Kittredge schwanger wird, weswegen sie auf eine Europareise mit Mutter Kittredge geschickt wird, um eine Abtreibung vornehmen zu lassen.
  Bill also ist bisexuell, er mag feminine Männer, Transsexuelle und maskulin erscheinende Frauen. Männliche Männer mag er aber auch. Irvings Anliegen in nahezu allen seinen Romanen ist es, noch die märchenhaftesten Erscheinungen als Indikatoren dafür einzusetzen, dass die menschliche Identität nicht gottgeben ist, sondern errungen werden muss. „Wir sollten die Transen und les folles in Ruhe lassen; wir sollten sie gewähren lassen. Sie nicht verurteilen. Ihr seid nicht besser als sie – macht sie also nicht schlecht“, heißt es an einer Stelle. Noch das Komischste ist bei Irving unterspült von Melancholie. Dagegen wird noch das Traurigste bittersüß komisch geschildert – wie eben die endgültige Trennung von Bill und Ms. Frost, die ihm beim letzten Treffen noch beibringt, was ein „Durchschlüpfer“ ist.
  „Ein jeder Engel ist schrecklich“ – vielleicht bringt dieses von Irving eingebaute Rilke-Zitat die Tragikomik seiner Helden am besten auf den Punkt. Jedenfalls besser als das Buchmotto aus Shakespeares „Richard II.“: „So spiele ich in einer Person viele Menschen, und keiner ist zufrieden.“ In diesem Fall, das ahnt man, muss Bill nicht nur sich selber finden, sondern vor allem auch gegen die massiven Widerstände einer offen homophoben Ära ankämpfen. Von der Musterung für den Vietnam-Krieg und der Ahnungslosigkeit, mit der man Aids begegnet, gar nicht zu reden. Europa wird als toleranter geschildert gegenüber dem verkrampft-prüden Amerika der fünfziger bis achtziger Jahre, hier personifiziert in Bills Mutter. Aber wirklich willkommen ist Bill auch in Europa nicht.
  Man muss und will vielleicht auch von Irving die speziellen Sexualpraktiken antiker griechischer Männerliebe nicht so genau erfahren, wie er sie ausführt. Für den Roman sind diese und andere Erfahrungsberichte nur bedingt notwendig. Aber zurückhaltend war Irving t ja noch nie. Allemal ist „In einer Person“ ein großartiges Plädoyer für Toleranz den unterschiedlichsten Lebensentwürfen gegenüber.
  „,Mein lieber Junge‘, sagte Miss Frost mit schneidender Stimme. ,Mein lieber Junge, bitte stecke mich nicht in eine Schublade. Ordne mich nirgends ein, bevor du mich überhaupt kennst.‘“ Das wird der Schriftsteller Bill am Ende im Wortlaut wiederholen, nachdem ihm Kittredges Sohn diese Standpauke gehalten hat: „,Sie erschaffen diese Figuren, die sexuell so anders sind, wie Sie das nennen mögen – oder abgefuckt, wie ich sie nennen würde – und erwarten dann, dass wir Verständnis für sie haben oder sie uns leid tun oder sowas.‘‚Ja, das mache ich, mehr oder weniger‘, sagte ich ihm.“ Und nur an dieser Stelle im Roman meint man, nicht Bill, sondern John Irving selbst antworten zu hören.
  
Siehe auch John Irving im Interview in der Wochenendbeilage.
Es geht nicht darum,
ein Mann oder eine Frau zu sein,
sondern ein Mensch
Der Begriff „persona“ bedeutet ursprünglich Maske des Schauspielers. Wer also ist die Person im Spiegel?
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John Irving: In einer Person. Roman. Aus dem Englischen von Hans M. Herzog und Astrid Arz. Diogenes Verlag, Zürich 2012. 736 Seiten, 24,90 Euro.
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