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Generosity is Richard Powers' most exuberant novel yet, in which he dares to imagine what might happen when science discovers the genes for happiness...

Produktbeschreibung
Generosity is Richard Powers' most exuberant novel yet, in which he dares to imagine what might happen when science discovers the genes for happiness...
Autorenporträt
Richard Powers is the author of twelve novels, including Orfeo (which was longlisted for the Man Booker Prize) and The Overstory (which was shortlisted for the 2018 Man Booker Prize and won the 2019 Pulitzer Prize). He is the recipient of a MacArthur grant and the National Book Award, and has been a four-time NBCC finalist. He lives in the foothills of the Great Smoky Mountains.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.10.2009

So fühlt es sich an, ein glücklicher Mensch zu sein
Wider den naturwissenschaftlichen Wahn vom Grund der Gefühle: Richard Powers errichtet sein Romanlabor in Chicago und erzählt eine Geschichte, die von Liebe, Großzügigkeit und Edelmut handelt, aber eigentlich der Gentechnik und dem Irrtum vom siebzehnten Chromosom widersprechen will Von Thomas Steinfeld
Ein Mann, noch zu jung, um ihn einen gescheiterten Dichter zu nennen, aber schon ein resignierter und ängstlicher Mensch, übernimmt einen Lehrauftrag an einer Kunsthochschule in Chicago. Russell Stone, der einst ein vielversprechender Essayist war und nun ein sorgengeplagter Redakteur einer ebenso obskuren wie erfolgreichen Zeitschrift namens „Das wahre Selbst” ist, soll acht jungen Leuten das Schreiben von Sachtexten beibringen. Dann sitzen sie vor ihm: eine gepiercte junge Frau, die sich in Gefahr am wohlsten fühlt und davon überzeugt ist, ein erfolgreicher Werbejingle sei eine größere künstlerische Leistung als jede Symphonie, ein hagerer Glatzkopf, der versucht, mit der Malerei seiner Crystal-Sucht zu entkommen, ein träger Hüne, der Langweile für das höchste der Gefühle hält. In der Beschreibung solcher Charaktere und solcher Milieus entfaltet sich die literarische Meisterschaft von Richard Powers, viel deutlicher als in seinen „plots”. Jeder der Studenten, und der Dozent sowieso, ist ganz sein eigenes Selbst, und doch ist da nichts, was man mit Überzeugung ein „Ich” nennen könnte. Und in der Darstellung dieses Schwankens zwischen heroischem Entwurf, Tagtraum, Erfahrung, Enttäuschung und völliger Banalität, in den diffusen Spannungen, aus denen, manchmal überraschend, manchmal nach langer Vorbereitung, ein unverwechselbares Gesicht hervortritt, ist Richard Powers von einer schlagenden, ja geradezu befreienden Genauigkeit: So ist es, und so fühlt es sich an, ein „Ich” zu sein, und dieses Gefühl kennt ein jeder.
„Das größere Glück” heißt der jüngste Roman von Richard Powers. Vor wenigen Wochen erst ist das Original in den angelsächsischen Ländern erschienen, was darauf verweist, welche Bedeutung dieser Autor mittlerweile für seine deutschen Leser besitzt. „Das größere Glück” ist ein wissenschaftlicher Roman, eine erfundene Geschichte, die von realer Wissenschaft handelt, so, wie alle Bücher von Richard Powers eigentlich wissenschaftliche Thesenromane sind, Bücher, die ein theoretisch-technisches Problem und dessen gesellschaftliche Konsequenzen in eine zuweilen nur dünn umhüllte allegorische Handlung kleiden – auch wenn er immer so viel verkleidet, dass sich jedes Werk auch gut als Roman lesen lässt.
Handelte „Das Echo der Erinnerung” (2006), sein vorletztes Buch, von einem „Ich”, dass durch eine kleine Hirnverletzung aus den Fugen gerät, so geht es dieses Mal um eine nur scheinbar kleinere Frage: Was denn „Glück” sei, will Richard Powers dieses Mal wissen, und hinter dieser Frage verbirgt sich selbstverständlich die andere, wie man das Glück herstellen kann. Denn die „positive Psychologie”, eine mittlerweile nicht nur in den Vereinigten Staaten verbreitete Variante des Glaubens an die Verbesserlichkeit des Menschen, behauptet, die Antwort darauf zu kennen. Entschlossen lässt sie dabei die Grenze zwischen der psychologischen Therapie und dem medizinischen Eingriff hinter sich – denn wenn man die Biochemie des Glücks erschließen kann, warum sollte man dann nicht auch Menschen herstellen, die glücklicher sind als ihre Gefährten, die gegenwärtig auf der Erde herumlaufen und ihre Mitmenschen mit ihrem seelischen Elend behelligen? Diese „positive Psychologie”, eines der größten Forschungsprojekte der Gegenwart, bildet den Hintergrund und das Ziel des Buches vom „größeren Glück”.
„Generosity” lautet der englische Titel des Buches, „Großzügigkeit”, „Freigebigkeit” oder „Edelmut”. Zu den jungen Leuten im Seminar gehört eine junge Frau aus Algerien, eine Berberin, die über Paris und Montréal mit einem Studentenvisum in die Vereinigten Staaten kam. Zurück ließ sie einen Bürgerkrieg, Mord und Verrat, tote Eltern und Verwandte, bittere Armut. Doch nichts von alledem scheint ihr etwas anhaben zu können. Sie ruht in sich, strahlt milde Freundlichkeit aus, ist mit sich und ihrer Umgebung so sehr im Reinen, dass sie, scheinbar ohne selbst viel dafür zu tun, zum Mittelpunkt der Studentengruppe wird und die kleine Gemeinschaft mit Leben und Freude erfüllt. Und so geht es nicht nur diesen Menschen. Denn die Ausstrahlung dieser Frau gerät durch einen Zufall in die Öffentlichkeit: Ein Kommilitone versucht, sie zu vergewaltigen, weil er ihr Glück auf eine äußerste Probe stellen will, ein Polizeibericht schließt sich an. Und das Glück verwandelt sich, langsam zuerst, dann immer schneller, in ein großes Unglück. Denn auch die Öffentlichkeit ist eine Art von Vergewaltigung. Aber während es der Heldin noch gelingt, den gierigen Kommilitonen abzuwehren, indem sie ihm die Frage nach seinem Glück stellt, scheitert sie am Geschäftssinn der Biotechnik (die in Gestalt eines wenig camouflierten Craig Venter auftritt) und an der kollektiven Neugier. Die Medien (genauer: das Fernsehen) drücken sie zu Boden und reißen ihr die Bluse herunter. Danach ist sie kein glücklicher Mensch mehr, sondern eine geschändete Göttin.
So rast die „Jagd nach dem Glück” dahin, deren Wild die junge Berberin wird, während sie doch eigentlich deren Muse hätte sein sollen. Das amerikanische Original dieses Buches trägt diese Verwandlung schon im Titel. Denn „Generosity” ist eben nicht nur und viel mehr als „Glück”. Nennt man „Großzügigkeit” hingegen „Glück” – und das tut nicht nur Henning Ahrens, der hervorragende, manchmal erstaunliche deutsche Übersetzer dieses Buches, das tun auch die Millionen Menschen, die sich nach Bekanntwerden der ersten wissenschaftlichen Befunde („eine Kandidatin, deren Allele die Prognosen für Extremwerte bestätigen”), dem ersten Fernsehauftritt von „Miss Generosity” leidenschaftlich für ihre Befindlichkeit interessieren, für den „happiness jackpot”, wie es unübertrefflich im Englischen heißt –, dann geschieht etwas mit dem Inhalt des Begriffs. Das Wort greift dann der Erfahrung voraus, es wirkt als Behälter, indem sich Empfindungen ablagern, es gestaltet die Welt, der es doch nur Ausdruck verleihen sollte. Und erst so, im utopischen Überschuss des Abstrakten gegenüber dem Konkreten, entsteht das „Glück”, das die Menschen in der jungen Berberin zu erkennen glauben, das sie ihr zu entreißen suchen, als wäre es eine Tasche oder eine Mütze.
Im amerikanischen Internet-Magazin Slate war in diesen Tagen eine Rezension des neuen Buches von Richard Powers zu lesen, in der ihm vorgeworfen wurde, die Handlung auf mittlerweile überholte wissenschaftliche Erkenntnisse gegründet zu haben. Erst im Juni dieses Jahres sei nachgewiesen worden, dass die These, das Glück sei in einem Gen auf Chromosom 11 oder 17 zu Hause, ein Irrtum gewesen sei - ein Fehler, der indessen für den Roman von grundsätzliche Bedeutung sei, weil sie die öffentliche Fahndung nach dem biologischen Erbgut der jungen Berberin überhaupt erst motiviere.
Das mag sein oder auch nicht. Selbst wenn Richard Powers einer falschen Nachricht vertraut haben sollte, so spielt der fachliche Fehler hier kaum eine Rolle. Denn der naturwissenschaftliche Wahn, der ihm zugrundeliegt, bleibt derselbe: die ebenso stillschweigend wie selbstverständlich vorausgesetzte Überzeugung, die Gefühle und die dazu gehörenden Nerven gingen, so wie sind, waren und sein werden, in eine Art menschliche Grundausstattung ein. Es gibt aber darin nichts Festes. Es mag sein, dass sich gewisse Gefühle – oder eine Resistenz gegen „Stress” – biochemisch dem elften oder siebzehnten Chromosom zuordnen lassen. Über deren Inhalt und Gegenstand ist damit aber nichts gesagt. Umgekehrt: der weit verbreitete wissenschaftliche Glaube, das Leben sei Ausdruck einer Information, die in der DNS schon enthalten sei, beruht auf der, gelinde gesagt, ebenso plump materialistischen wie phantastischen Annahme, etwas Allgemeines (das „Leben”, das „Glück”) könne, getrennt von seiner Allgemeinheit, daneben noch einmal als für sich greifbarer Naturgegenstand (das „Gen”) existieren.
Deswegen handelt es sich auch nicht um die landläufige Kulturkritik, wenn Richard Powers seine Heldin beinahe an den Medien zugrundegehen lässt. Denn das „Glück”, das die Öffentlichkeit von ihr erwartet, ist nicht ihr Glück, um von „Generosity” ganz zu schweigen. Es ist auch nicht auf einem Chromosom zu Hause. Ginge es nur um die Perfektion des Menschen, oder um das „Glück” als solches, gäbe es am Verlangen nach einer besseren Ausstattung für das Leben kaum etwas auszusetzen. Aber das Ideal wird immer schon unter den Bedingungen der Talkshow imaginiert: „Stones Studenten spielen sich selbst”, heißt es ganz zu Beginn des Buches, „jeder ist ein unvollendetes Kunstwerk. Ihre Augen füllen sich mit den Designs, die sie entwerfen, den Videoclips, die sie drehen, den Hypermedien, die sie heraufbeschwören werden.” Sie halluzinieren einen Menschen, der nur heitere, passende Antworten gibt, einen perfekten Auftritt hinlegt, der andere unterhält und bezaubert. Es ist das Glück der optimalen menschlichen Mediengestalt. „Glück”, sagt die Erzählerstimme am Ende des Buches, „ist keine Belohnung für Tugend: Das Glück ist die Tugend.” Man braucht einen klugen Roman, um das zu erfahren.
Richard Powers
Das größere Glück
Aus dem Englischen von Henning Ahrens. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2009. 416 Seiten, 22,95 Euro.
„Generosity” lautet der englische Titel, „Großzügigkeit”, „Freigebigkeit” oder „Edelmut”
Auch die Öffentlichkeit ist eine Art von Vergewaltigung: Die Schändung einer Göttin
In einer Stadt am Ufer eines meergleichen Sees: Chicago, der Stützpunkt Barack Obamas, ist der Ort, an dem sich das „größere Glück” offenbaren soll. Foto: plainpicture / Arcangel
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.11.2009

So viel Glück hält doch kein Mensch aus

Zukunft macht Laune: Richard Powers entschlüsselt das Zufriedenheitsparadox und schildert den Albtraum der genetischen Optimierung des Menschen.

Von Sandra Kegel

Sind wirklich wir unseres Glückes eigener Schmied und können unser Leben selbst vervollkommnen, oder ist doch allein die Biochemie am Werk, wenn die Stimmung wieder einmal steigt? Das Glück ist bekanntlich ein flüchtiges Gut und das Streben danach so alt wie die Menschheit. Kaum ein Philosoph, Dichter oder Künstler, der sich nicht über gegangene, verborgene, verfehlte Wege zum Glück geäußert hätte. Glücksforschung betrieb schon Aristoteles, in jüngster Zeit tun es vor allem Genomforscher, die erst Anfang des Jahres wieder für Wirbel sorgten, als sie aufs Neue das "Glücksgen" entdeckt haben wollten. Einmal losgelöst von der Frage, ob die britischen Wissenschaftler den Gute-Laune-Stoff wirklich gefunden haben oder nicht, zeigt das zeitliche Zusammentreffen dieser Nachricht mit dem neuen Roman von Richard Powers, der uns in allen Glücksgen-Fragen auf den neuesten Stand bringt, dass der gelernte Physiker und Informatiker im naturwissenschaftlichen Diskurs nach wie vor up to date ist.

"Das größere Glück" ist ein komplexer Wissenschaftsroman, dessen Handlung zuletzt dann aber vor allem dazu dient, die Thesen seines Verfassers zu veranschaulichen; darin liegen Fluch und Segen dieses Vierhundert-Seiten-Buchs. Denn die Gedankenspiele des zweiundfünfzig Jahre alten Autors über das Leben von morgen und die ewige Glückssuche sind spannend und zeugen von seiner Meisterschaft, die Dichotomie von Naturund Geisteswissenschaften auszuhebeln. Der Geschichte aber wird dies zum Verhängnis, weil die Figuren Gefahr laufen, ähnlich wie Neurotransmitter im Gehirn vor allem auf die Botenfunktion bestimmter Haltungen und Meinungen reduziert zu werden.

Im Zentrum des Romans steht das Zufriedenheitsparadox, also die interessante Frage, warum Menschen, die in einer objektiv schlechten Lage sind, sich trotzdem glücklich fühlen können. Diesen Zustand kontrastiert Powers mit dem Unzufriedenheitsdilemma, einem weiteren rätselhaften Zustand, nämlich dem, dass Menschen sich unter objektiv guten Bedingungen dennoch zutiefst elend fühlen können. Die beiden Gemütsverfassungen werden im Buch anhand von zwei Charakteren durchdekliniert. Russel Stone ist ein zur Melancholie neigender Durchschnittsamerikaner, dem sein anfänglicher Erfolg als Schriftsteller bald suspekt geworden ist, weshalb er sich nun als Internetredakteur und Dozent für Kreatives Schreiben an einer drittklassigen Hochschule in Chicago durchschlägt. Zu Semesterbeginn taucht in seinem Kurs eine junge Frau aus Algerien auf. Thassadit Amzwar fasziniert Lehrer wie Kommilitonen gleichermaßen. Denn obwohl sie vor ihrer Flucht nach Amerika in Algerien einen grausamen Bürgerkrieg erlebte, bei dem ihre halbe Familie ums Leben kam, darunter ihr Vater, hat die Studentin in der knallgelben Tunika ein irritierend heiteres und freundliches Wesen. Welche Gefühlswogen sie auch umtosen mögen, Thassadit Amzwar sitzt zufrieden strahlend und voller Zuneigung für ihre streitenden Kommilitonen auf ihrem Platz, wonnevoll leuchtend "wie eine riesige Rosskastanie in der Herbstsonne".

Ob die Berberin nun tatsächlich von Euphorie erfüllt ist oder sie sich das nur einbildet - und wenn ja, warum -, diese Frage beschäftigen bald nicht mehr nur Lehrer und Freunde, sondern auch Wissenschaftler, Reporter und Blogger, Ärzte, Politiker und dank des Internets irgendwann die ganze Welt. Ein Forscher mit börsennotiertem Genlabor, der unschwer als Craig Venter zu erkennen ist, diagnostiziert bei Thassadit "Hyperthymie", ein genetisch bedingtes Glücklichsein, das dauerhafte Lebenslust auslöst. Sie selbst erklärt sich ihren Zustand hingegen lediglich mit der Prophezeiung ihres Namens: "Thassadit, das heißt Leber", sagt sie zu ihrem Lehrer. "Verstehen Sie? Joie. Überschäumende Gefühle."

Wie viele solcher überschäumenden Gefühle kann man haben? Und wie glücklich darf man überhaupt sein, ohne andere gegen sich aufzubringen? Diese Fragen schickt Powers in immer neuen Konstellationen, beeinflusst durch Gentechnik, Politik oder Medien, durch sein romanhaftes Versuchslabor. Und siehe da: Das Blatt der unerklärlich glücklichen Algerierin wendet sich, als Fernsehen und Internet ihre Geschichte aufgreifen und daraus, auch weil Thassadit von einem Studenten vergewaltigt wird, in beispielloser Hysterie eine Medienstory stricken. Zunächst als Heilige gepriesen, wird Thassadit Amzwar bald von Bloggern als geldgierig verteufelt. Am Ende bleibt ihr nur die Flucht, erst nach Kanada, dann zurück in ihre kriegsgebeutelte Heimat Nordafrika.

Seine realistische Erzählweise bricht Richard Powers immer wieder durch einen namenlosen Ich-Erzähler, der seine Koordinaten zu Beginn nur vage als "Jahre entfernt" und "in einem anderen Land" angibt, um sich sodann ganz dem Objekt seiner Erzählung zu widmen, das er im Getümmel der U-Bahn entdeckt: "Ich kenne diesen Mann", verrät er über Russel Stone, "man hat ihn aus dem Heer der Hilfsarbeiter dieser Stadt gefischt." Das Lehrbuch für angehende Romanciers mit dem Titel "Wie Ihr Schreiben zum Leben erwacht", in dem der Dozent in der U-Bahn gerade blättert, taucht im Roman immer wieder auf, nicht nur als ironische und selbstreflexive Brechung des Geschehens, sondern des Schreibprozesses an sich.

Ausgerechnet im Hörsaal gelingt Powers dann, woran es seinen faktenreichen Erörterungen bisweilen fehlt: das Schreiben mit Leben zu füllen. Mit wenigen Strichen wird jene Studentin namens Charlotte Hullinger greifbar, die in zweiundzwanzig Jahren zwölfmal umgezogen ist und längst nach dem Credo lebt: alles mal ausprobieren. Ihr Kommilitone Adam Tovars wiederum bilanziert trocken über sich selbst: "Mein Urgroßvater wurde Bergmann, damit mein Großvater Ingenieur werden, damit mein Vater Dichter werden, damit ich Kiffer werden konnte."

Spätestens seit seinem fesselnden Musikroman "Der Klang der Zeit" ist der Amerikaner Richard Powers hierzulande eine feste Größe; 2006 erhielt er für "Echo der Erinnerung" den National Book Award. Zu seinen Sujets zählen künstliche Intelligenz ebenso wie die Spieltheorie und die Neurologie. In der in seinem zehnten Roman nicht näher definierten Zukunft erscheint Russel Stone nun als liebenswerter Anachronist, der just in dem Moment als Schriftsteller verstummt ist, als der Rest der Welt erst richtig zu reden begann, und zwar in der ersten Person: Blogs, Reality-Fernsehen, Chat Shows, ja sogar die Kriegsberichterstattung - alles ist egomanische Beichte geworden. In dieser Welt sind Gefühle Tatsachen und Selbstentblößungen die neuesten Nachrichten. Darüber wird der Ich-Erzähler mindestens so melancholisch-resignativ wie Russel Stone, etwa wenn er bedauert, dass Genomforscher bald in der Lage sind, die Abstammung eines Individuums so genau zu bestimmen, "wie es die aussterbende Art der Philologen für die jüngere Vergangenheit einzelner Wörter niemals vermocht hat".

Auch der Umstand, dass Glück und Unglück im subjektiven Empfinden völlig ungleich gewichtet werden, das Negative das Positive auf absurde Art überwiegt, wird ausführlich erörtert. Als Beweis führt Powers nicht ohne Augenzwinkern an, dass ein Kompliment nur etwa dreieinhalb Tage im Gedächtnis bleibt, während "wir uns an einer Kritik monatelang festbeißen". Am Ende aber ist man das selbstreferentielle Lamento des Erzählers leid, wenn er wieder einmal "wie Buridans Esel in der Klemme sitzt", verhungernd "zwischen Allegorie und Realismus, Fakt und Fabel, Fiktion und Nonfiktion". Wohl wisse er inzwischen, wer "diese Leute im Buch sind und woher sie kommen", aber: "Ich weiß nicht genau, was ich mit ihnen anfangen soll." Dem Leser geht es da ganz ähnlich.

Richard Powers: "Das größere Glück". Roman. Aus dem Englischen von Henning Ahrens. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2009. 432 S., geb., 22,95 [Euro].

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