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Es ist Ende Juni, Mittsommernacht: Jonatan Griff, Pianist aus Oslo, tritt seinen neuen Job als Alleinunterhalter in einem gottverlassenen Hotel auf einer der nordnorwegischen Inseln an. Doch die Dorfbewohner haben anderes im Kopf als Tanzmusik - und verhelfen Griff damit zu völlig ungeahnten Einsichten und Lebensperspektiven...

Produktbeschreibung
Es ist Ende Juni, Mittsommernacht: Jonatan Griff, Pianist aus Oslo, tritt seinen neuen Job als Alleinunterhalter in einem gottverlassenen Hotel auf einer der nordnorwegischen Inseln an. Doch die Dorfbewohner haben anderes im Kopf als Tanzmusik - und verhelfen Griff damit zu völlig ungeahnten Einsichten und Lebensperspektiven...
Autorenporträt
Lars Saabye Christensen, geboren 1953 in Oslo, ist ein sehr bedeutender norwegischer Autor der Gegenwart. Publikation zahlreicher Romane, Kurzgeschichten und neun Gedichtbänden. 1984 literarischer Durchbruch in Norwegen. Vielfache Auszeichnungen, z. T. Übersetzungen in mehr als zwanzig Sprachen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.10.1997

Das Tuten der Hurtigrute
Lars Saabye Christensen schickt einen Hammondorganisten auf die Lofoten · Von Dirk Schümer

Norwegen muß ein glückliches Land sein. Als wäre es nicht genug, daß die Ölfunde in der Nordsee die Menschen so reich gemacht haben, daß ihre weise politische Elite inzwischen mehrere hundert Milliarden Mark für künftige Generationen auf die hohe Kante legen konnte, daß sie sich leisten, Tunnel und Brücken zu ihren zahlreichen nahezu unbewohnten Inseln zu bauen, daß jeder Altersheimbewohner das Anrecht auf ein Einzelzimmer hat und daß die Norweger - proportional zur niedrigen Einwohnerzahl - die meisten Medaillen bei internationalen Sportwettkämpfen erringen - nein, obendrein produziert man zwischen Fjord und Fjell Kultur auf Weltniveau, insonderheit nicht erst seit Ibsen große Literatur.

Nun konnten die verwöhnten Norweger sich in den letzten Jahren im Gefühl sonnen, daß ihr Landsmann Sverre Fehn den angesehensten Architektenpreis der Welt erhalten hat, daß Leif Ove Andsnes zu den hoffnungsvollsten Pianisten auf Erden zählt, daß der norwegische Schulmeister Jostein Gaarder mit "Sophies Welt" einen philosophischen Weltbestseller verfaßte und daß sie mit Erik Fosnes Hansen einen namhaften, jungen Romancier zu den Ihren zählen. Als wäre das alles nicht übergenug, meldet sich nun mit Lars Saabye Christensen ein norwegischer Debütant auf dem deutschen Buchmarkt, und auch das - wir ahnten es schon - ist ein ganz famoser Autor. Ein glückliches Volk, diese Norweger.

Die heimatliche Kosmos, von dem uns Saabye berichtet - und da kommt zum erstenmal Gerechtigkeit ins Spiel -, ist nicht gerade von übergroßer Lebensfreude erfüllt. Auf den ersten Blick ist dies ein ziemlich trauriger Roman. Der Osloer Pianist Jonatan Griff verdingt sich auf einer Lofoteninsel im hohen Norden als Alleinunterhalter in einem gottverlassenen Hotel. Das Grundschema kennen wir aus zahlreichen amerikanischen Geschichten. Nach diesem Schema müßte Griff nun unvermittelt mit existentiellen Prüfungen konfrontiert werden, mit dem Verbrechen, dem Tod oder der großen Liebe. Den angenehm realistischen Vorlieben von Saabye verdanken wir, daß über weite Strecken passiert, was in einem Lofotenhotel auch sonst passieren würde: nicht viel.

Statt dessen lernen wir die Belegschaft von skurrilen Menschen kennen, die hier im Schatten einer überdimensionalen Fischkonserve, der letzten Hinterlassenschaft einer Dorschfabrik, den euphorischen Koller der Mitternachtssonne erduldet. Der Hotelier Alfons Abelsen hofft darauf, mit dem nördlichsten Golfplatz der Welt endlich Gäste für die leeren Zimmer herbeizulocken, und übt sich bis dahin, weil er im geschützten Moor keine Baugenehmigung kriegt, im Büro, Golfbälle in ein aufgesperrtes Golfmaul zu schießen. An der Rezeption stehen zwei eigensinnige Mädchen, eins dick, eins dünn, die sich eine Uniform teilen müssen; denn die Norweger sind nicht nur ein reiches, sondern vor allem ein sparsames Volk.

Es gibt auf dieser Lofoteninsel einen verschüchterten Pastor, der einmal im Leben dem norwegischen Königspaar predigen will. Es gibt den alten Fährmann, der dahinsiecht, seit die neue Brücke fertiggestellt wird. Es gibt den Spielmannszug, der mit klingendem Spiel und verzweifeltem Tambourmajor Tag und Nacht für den Wettbewerb in der nächsten großen Stadt übt. Es gibt eine versponnene Organistin mit einer Katze namens "Bach" und eine Postbotin, die für das Guinness-Buch der Rekorde wie besessen Aquarelle malt. Und was hat es mit dem obskuren Frank auf sich, der im Straßenkreuzer vorfährt, um den windzerzausten Männern des Ortes einmal im Jahr neue Toupets zu verpassen? Was ist mit Doktor Wingel, dem Monopolisten der dörflichen Sonnenbank gegen die Winterdepression, der im Sommer auf den Klippen einsam seinen Part für das Weihnachtsoratorium übt, aber nie mitmachen darf? Zu allem Überfluß sind auch noch zwei deutsche Wohnmobiltouristen auf unserer Insel eingefallen und kujonieren die Einheimischen, allesamt große Waljäger, mit dem Begehr, die majestätischen Meeressäuger zu erspähen; keiner mag hier Wale oder Deutsche.

Wir lernen alle diese weniger oder mehr kauzigen Typen durch die Brille des bemitleidenswerten Hammondorganisten kennen, der allabendlich vergeblich mit Elvis-Schlagern und dem Ententanz Stimmung beim angetrunkenen, schweigenden Fischervolk produzieren soll. Um diese Menschen im kargen Norden zu verdammen, hat Griff selbst genug Nackenschläge einstecken müssen. Er gibt uns schonungslos Bescheid, während die Nachtsonne ihn schlaflos macht und er jeden Morgen gerädert das Tuten des Postschiffs, der Hurtigrute, erwartet. Nie war er gut genug, beim Vorspielen in der Musikschule zu glänzen. Seine Karriere führt durch Altersheime und Supermärkte. Griff erspart uns mit masochistischer Lakonie keine erlittene Demütigung.

Unser Erzähler ist, bei allem Scheitern, ein begabter Sprücheklopfer, und so kommentiert er alles Erlebte flugs mit Sentenzen, die nach Chandler und Hemingway klingen sollen, die zuweilen banal sind und ab und zu ziemlich witzig. "Man lernt nicht aus seinen Fehlern", sagt der erfahrene Tastenstümper an den passenden Stellen, "man lernt sie nur auswendig." Oder: "Die Würde hatte ich schon lange hinter mir, nun wurde auch noch der Charme aufgebraucht." In diesem melancholischen Ton, der sich auch der exzellenten Übersetzung verdankt, könnte es endlos weitergehen; der Leser wird ebenso heimisch in dieser kargen Welt wie der Erzähler. Saabye Christensen gelingt der Kunstgriff, die schlichten Geschichten der Inselbewohner in einen tragikomischen Zusammenhang zu bringen: unerfüllte Liebe, ungelebte Träume, heimliche, harmlose Gelüste, alte Feindschaften. Diese diskursive Inzucht liegt wie Mehltau über den Leuten, aber es sind - wie das mit unspektakulärem Unglück so geht - ziemlich gute Geschichten dabei herausgekommen.

Der Kunstgriff eines lakonischen Kurzgeschichtenstils würde nicht über eine dicke Romanlänge ausreichen, wenn nicht auch allerhand Symbolik und Anspielungen eingestreut wären. So findet sich im Hotel nicht zufällig der alte Nachttopf von Knut Hamsun, der den Norden Norwegens dermaleinst mit emphatischen Naturschilderungen in der Weltliteratur verortete und hinterher zum Sympathisanten der Nationalsozialisten wurde; Saabye Christensen hält nicht viel von ihm. Auch die immer wieder anklingenden Bach-Choräle wie etwa "Wenn wir in höchsten Nöten sind" weisen auf in Norwegen bekannte Verhältnisse, nämlich auf die zahlreichen Pietistengemeinden von Fischern, die in abgeschiedener Frömmelei vielen das ohnehin freudlose arktische Leben vermiesen und die vor über hundert Jahren schon Alexander Kielland in seinem Klassiker "Kapitän Worse" aufs Korn nahm.

Zu preisen ist die Diskretion, mit welcher der Autor solche feinen Abgrenzungen und Werturteile in seine romantische und wunderbar ziellose Handlung einbaut, ohne je allzu deutlich zu werden und das triste Sommeridyll zu stören. Weniger zu preisen ist allerdings der ganz hastige Schluß, bei dem es Tote gibt und sich unser armer Alleinunterhalter zielbewußt die Hände verstümmelt. Also doch ein kleiner Pathetiker, denkt man enttäuscht. Um das Buch kunstgerecht abzuschließen, hätte sich dergleichen Autoreneifer erübrigt. Jonatan Griff, den man nach alldem, was in diesem Buch alles nicht geschieht, ziemlich liebgewonnen hat, hätte nur tun müssen, was er schließlich sowieso tut: auf das nächste Postschiff steigen und abdampfen in die Mitternachtssonne.

Lars Saabye Christensen: "Der Alleinunterhalter". Roman. Aus dem Norwegischen übersetzt von Christel Hildebrandt. Albrecht Knaus Verlag, München 1997. 320 S., geb., 39,80 DM.

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