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"Religion ist irrational, fortschrittsfeindlich und zerstörerisch." Richard Dawkins, einer der einflussreichsten Intellektuellen der Gegenwart, zeigt, warum der Glaube an Gott einer vernünftigen Betrachtung nicht standhalten kann. Ein wichtiges Buch, das zu einem brennend aktuellen Thema eindeutig und überzeugend Position bezieht - brillant und bei aller Schärfe humorvoll.
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Produktbeschreibung
"Religion ist irrational, fortschrittsfeindlich und zerstörerisch." Richard Dawkins, einer der einflussreichsten Intellektuellen der Gegenwart, zeigt, warum der Glaube an Gott einer vernünftigen Betrachtung nicht standhalten kann. Ein wichtiges Buch, das zu einem brennend aktuellen Thema eindeutig und überzeugend Position bezieht - brillant und bei aller Schärfe humorvoll.

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Autorenporträt
Richard Dawkins, geb. 1941 in Nairobi, ist Evolutionsbiologe. Seit 1995 hat er den eigens für ihn eingerichteten Lehrstuhl für Public Understanding of Science an der Universität Oxford inne.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.09.2007

Ein Hypothesengott ist schnell erledigt
Richard Dawkins schwingt das Schwert des Naturalismus und missioniert für die atheistische Sache

Wie wir seit der Erstveröffentlichung dieses Buches im Amerikanischen wissen, hält Richard Dawkins es nicht mit der Religion. Er ist, im Gegenteil, ihr erklärter Gegner. Man begreift das auch schnell, liest man auf den ersten Seiten seines Buchs, was wir uns seiner Ansicht nach in einer Welt ohne Religion alles erspart hätten: Es gäbe dann keine Selbstmordattentäter, keinen 11. September, keinen Nahostkonflikt, keine Judenverfolgung, keine Ehrenmorde und keine amerikanischen Fernsehprediger in Glitzeranzügen.

So sieht bei Dawkins die Bilanz von Religionen aus. Die Sache stellt sich also für ihn ganz einfach dar. Und zwar in jeder Hinsicht, denn mittlerweile liege auch auf der Hand, dass diese ganze Religionssache auf einer falschen Annahme fußt. Diese Annahme lautet, dass es einen Gott gebe. Doch gibt es ja gar keinen. Alles, was für seine Existenz beigebracht werden kann, lässt sich für Dawkins leicht erledigen. Es bleibt dann aus seiner Sicht noch die Frage, warum Gesellschaften auf diese Geistesverwirrung namens Religion überhaupt verfallen oder, anders formuliert: Warum sich der "Gotteswahn" hartnäckig hält.

Aber auch dafür lässt sich eine Erklärung ohne großen Aufwand finden. Schließlich weiß Dawkins die Wissenschaft auf seiner Seite. Und das moralische Recht obendrein, gegen finstere Mächte zu Felde zu ziehen. Beides zusammen sollte für den Sieg des Lichts und der Vernunft reichen. Wenn nicht gleich, so doch am Ende eines entschiedenen Kampfs gegen den Aberglauben, der jede Religion für Dawkins im Grunde ist. Nur der Tor spricht in seinem Herzen, dass kein Gott sei. Ein wissenschaftlich aufgeklärter, der besseren Zukunft zugewandter Zeitgenosse wie Dawkins sagt es hingegen laut.

Modul für Leichtgläubigkeit

Laut und deutlich und auf ungefähr 580 Seiten. Die dahinter stehende Maxime lautet: Wer recht hat, darf sich ein wenig ausbreiten. Die Gegenseite tut es schließlich auch, die ohne Unterlass von Gott redet, den es gar nicht gibt. Das heißt, eigentlich von verschiedenen Göttern und auf recht unterschiedliche Weise. Aber um solche Kleinigkeiten wie die Unterschiede zwischen Religionen oder gar deren historische Entfaltungen ist es Dawkins nicht zu tun. Es geht für ihn um Grundlegenderes. Fallen muss, gefallen ist eigentlich schon längst, was er die "Gotteshypothese" nennt. Gemäß dieser Hypothese gibt es "eine übermenschliche, übernatürliche Intelligenz, die das Universum und alles, was darin ist, einschließlich unserer selbst, absichtlich gestaltet und erschaffen hat".

Das ist, was bei Dawkins von Religion übrig bleibt: ein Sündenregister und eine Gotteshypothese. Um die Sündenfälle aus der Welt zu bringen, geht es der Hypothese an den Kragen. Nämlich mit Hilfe der Einsicht, dass "jede kreative Intelligenz, die ausreichend komplex ist, um irgendetwas zu gestalten, ausschließlich als Endprodukt eines langen Prozesses der allmählichen Evolution entsteht". Die Bedingung der ausreichenden Komplexität soll dabei den Theologentrick aus dem Weg räumen, mit einem Schöpfergott den Anfang zu machen. Der Rest geht dann bei Dawkins wie von selbst.

Sagen wir es zurückhaltend: Es hat schon einmal interessantere Formen von Religionskritik gegeben. Aber so scheint nun einmal im Grundriss auszusehen, was ein zum atheistischen Manifest hinaufgeschraubtes naturalistisches Weltbild hergibt. Dass in diesem Weltbild kein Platz für einen übernatürlichen Akteur ist, versteht sich von selbst. Und ebenso, dass sich in ihm mit Gott nichts erklären lässt. Die Grundmaxime dieses Naturalismus ist vielmehr, alle Phänomene der belebten Natur als Spielzüge in einem universalen Wettstreit anzusehen, in dem es um Vervielfältigungsraten geht. Das gilt für die biologische Evolution im engeren Sinn wie auch für die kulturelle Evolution: für die Gene wie für die "Meme". Denn im einen wie im anderen Fall wird von Kopiermechanismen ausgegangen, die nicht ganz perfekt arbeiten, so dass Varianten entstehen, die um die für ihre Vermehrung notwendigen Ressourcen konkurrieren. Im Fall der Meme sind die Ressourcen unsere Köpfe, und ziemlich viel kann als Mem aufgefasst werden: eine Idee, ein Wort, ein Erzählmuster, ein Ritual. Ihre Vermehrung verdankt sich allen möglichen Formen der Nachahmung und Tradierung.

Es war Dawkins selbst, der die Meme vor dreißig Jahren ins Spiel brachte. In den letzten Jahren haben sie trotz ziemlich verwackelter Ontologie eine erstaunliche Karriere im Rahmen naturalistischer Erklärungsansätze für kulturelle Phänomene hinter sich gebracht. Nicht zuletzt auf dem Terrain naturalistischer Erklärungen des Phänomens Religion, wofür nun auch Dawkins sie verwendet. Im ersten Anlauf macht er es allerding noch etwas billiger. Er entscheidet sich dafür, das spekulative Reservoir neuronaler "Module", wie es die Evolutionspsychologie mittlerweile im Angebot führt, gedankenspielerisch um ein Modul für Leichtgläubigkeit zu erweitern. Die Erklärung folgt dabei dem üblichen Schema: Ursprünglich könne ein solches Modul ja die Überlebenschance durchaus erhöht haben, weil die Eltern dem Nachwuchs lebensdienliche Maximen einhämmern konnten. Bloß lässt es unter den mittlerweile geltenden Umständen seine "schädlichen" Auswirkungen gerade auch in Form der religiösen Gläubigkeit hervortreten, die für Dawkins natürlich - Stichwort "Gotteshypothese" - im Kern nichts anderes als Leichtgläubigkeit ist. Für alle Fälle wird der Erklärung vom Typus "Fehlfunktion eines Moduls", die das Gedankenspiel skizziert, dann aber noch die mit dem Memkonzept operierende Spekulation zur Seite gestellt. Danach würden gewisse religiöse Meme oder Memkombinationen ("Memplexe"), an die solche Meme andocken, für Stabilität und Verbreitung des Gottesglaubens sorgen.

Mildernde Umstände

Über solche Spekulationen und "memetische" Umformulierungen soziologisch-anthropologischer Einsichten lohnt kaum zu streiten. Dass Religionen fatale Auswirkungen haben können, um das einzusehen braucht man weder Module noch Meme. Wo sie als Erklärungen "des" Phänomens religiösen Gottesglaubens ins Feld geführt werden, ist ihr Ad-hoc-Charakter offensichtlich. Das gilt auch für Dawkins' flott hingeworfene These, nach der "gewisse Indizien dafür sprechen, dass religiöser Glaube vor stressbedingten Krankheiten schützt". Zwar seien die Belege dafür "nicht besonders stichhaltig, aber es wäre nicht verwunderlich, wenn sie stimmten". Wirklich verwunderlich wäre, wenn wir herausfinden würden, was eigentlich hier als Beleg oder Widerlegung gelten soll.

Mildernde Umstände lassen sich ins Feld führen. Man muss den Blick nur über einige seiner erklärten Gegner schweifen lassen, etwa über jene Evangelikalen, die sich darauf versteifen, mit der Bibel gegen Darwin und die Folgen vorzugehen. Wo immer im Zeichen religiös verstandener Prinzipientreue ein Gott statuiert wird, der in den Augen seiner Anhänger mit der nackten "Gotteshypothese" à la Dawkins nicht strikt unterboten wird, kann jener zumindest beanspruchen, einen heiklen Punkt zu treffen. In seinen eigenen Augen ist das natürlich der Ausdruck seines Engagements im Kampf gegen religiösen Fundamentalismus. Aber selbst, wenn das zugestanden ist: Warum sollte man die Strategie besonders erfolgversprechend finden, Fundamentalisten mit Gewaltneigung durch atheistische Parolenklopferei zum Einlenken zu bewegen?

Dawkins selbst empfindet den Einwand als zynisch, der zu bedenken gibt, dass niemand so viel wie er für den fundamentalistisch antiwissenschaftlichen Flügel der Kreationisten getan hat. Das könne nichts daran ändern, dass er nun einmal recht habe. Und in einer merkwürdigen Mischung aus etwas pennälerhaft anmutender Rechthaberei und erzengelgleichem Furor schwingt er das Schwert des Naturalismus. Er wird davon nicht mehr lassen. Er fühlt sich als Zeuge der Wahrheit und kennt seine Gegner.

HELMUT MAYER

Richard Dawkins: "Der Gotteswahn". Aus dem Englischen von Sebastian Vogel. Ullstein Verlag, Berlin 2007. 575 S., geb., 22,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.09.2007

Atheisten aller Länder, vereinigt euch
Richard Dawkins und Christopher Hitchens – ein biologistischer Hassprediger und ein liberaler Skeptiker greifen die Religion an
So uralt die Religion, so altehrwürdig ist ihre Kritik. Schon im antiken Religionsdiskurs wurden viele der Argumente vertreten, die auch die neuzeitliche Ablehnung religiösen Glaubens tragen. Ein Schöpfergott habe den Menschen als sein vornehmstes Geschöpf geschaffen, bekennen fromme Juden, Christen und Muslime. Nein, der eine Gott oder die vielen Götter seien bloße Phantasiegebilde des menschlichen Geistes, entstanden aus Furcht, existentieller Verzweiflung und der Hoffnung auf ewiges Leben – so die Kritiker. Erstaunlich früh formulierten Glaubensverächter bereits Priesterbetrugsthesen: Machtgeile und geldgierige Priester hätten die Religion erfunden, um das leichtgläubige Volk in Abhängigkeit halten und ausbeuten zu können.
Gerade die reichen Überlieferungen europäischer Religionskritik durchzieht die Annahme, dass religiöser Glaube ein falsches, illusionäres, letztlich unglückliches Bewusstsein repräsentiere. In den Glaubensgeschichten der Moderne gewann dieses Argument nicht zuletzt durch Heilige Kriege gegen Andersgläubige, konfessionellen Hader und brutale Verfolgung von Minderheiten an Plausibilität. Je glaubenserregter die Zeiten, desto höher der Bedarf an kritischer Unterscheidung der frommen Geister – Gott ist nicht gleich Gott. Autoritäre Götter bewirken hohen Leidensdruck und stimulieren kritische Reflexion. Andere bedienen Allmachtsphantasien und wecken zugleich den Wunsch, ihre behauptete Allwissenheit in Frage zu stellen. Nicht selten hat Religionskritik selbst Glaubenseffekte erzeugt und als Katalysator spiritueller Erneuerung gedient.
Richard Dawkins’ „God delusion” und Christopher Hitchens’ „God is not great” haben in englischsprachigen Medien großes Aufsehen erregt. Dies lässt sich ohne größere intellektuelle Anstrengung erklären. Vulgärer Hardcore-Glaube feiert auf globalisierten Religionsmärkten derzeit deutlich größere Erfolge als Glaubensweisen, die auf den Grundton von Demut, Besonnenheit und Respekt vor anderen gestimmt sind. Streng bindende Kampfgötter beherrschen die Szene, vielerorts wird missionarisch aufgerüstet. Religionskritik kann davon leicht profitieren. Sie muss nur die Gewaltgötter in ihrer grausamen Härte vorstellen und in einem zweiten Gedankenschritt den Nachweis führen, dass Gewaltfixierung, Unterdrückung und aggressive Intoleranz das wahre Wesen Gottes konstituieren. Genau darum geht es Dawkins wie Hitchens: Vom aktuellen Gottesterror traumatisiert, wollen sie zeigen, dass auch der beste „liebe Gott” nur ein blutrünstiges Ungeheuer ist.
Dabei begeben sich die beiden Autoren allerdings auf ganz unterschiedliche Denkwege. Der Verhaltensforscher und Evolutionsbiologe Dawkins, der in Oxford einen Lehrstuhl für „Public Understanding of Science” innehat und 1976 durch „Das egoistische Gen” weltberühmt wurde, inszeniert sich pathetisch als Provokateur, der die Fiktionen der Gottvergifteten mit dem Vorschlaghammer zerstört. Interesse weckt sein langweiliger Text nur wegen des Anspruchs, mit der Darwinschen Evolutionstheorie über einen alles erklärenden Deutungsschlüssel zu verfügen. In Begriffen der Evolutionstheorie will er nicht nur Natur und Naturgeschichte erschließen, sondern endlich auch die Geheimnisse aller Kultur und speziell der Religionsgeschichte aufdecken. Dawkins appelliert an die Atheisten aller Länder, sich zu einer Massenbewegung zu sammeln. In den eitlen Posen des alldeutenden Großaufklärers erinnert er an seinen Fachkollegen Ernst Haeckel, den „Welträtsel”-Löser, der sich von den Monisten einst zum „Gegenpapst” ausrufen ließ.
Hitchens, ein aus Südwestengland stammender, nun in New York lebender Publizist, argumentiert demgegenüber kulturanalytisch, mit Blick auf die destruktiven Folgen religiösen Glaubens für ein friedliches Zusammenleben der Menschen. Er ist skeptisch, ironisch, auch selbstkritisch, schreibt brillant und betont, epistemologisch reflektiert, die Grenzen naturwissenschaftlicher Begriffsbildung. Dawkins hingegen prahlt mit seiner philosophischen Unbildung und verkündet die Erlösungsbotschaft, durch ein weltweites „coming out” aller Atheisten ließe sich jegliche Religion endgültig abschaffen. Sein ungleich gebildeterer Mitstreiter hält die Hoffnung auf eine Welt ohne Religion nur für naiven Irrglauben. Mit mildem Spott geht der „protestantische Atheist” zu doktrinärer Rechthaberei auf Distanz. Dies mag auch damit zusammenhängen, dass Dawkins’ Glaubenskritik von antijüdischen Begleittönen nicht frei ist.
In der britischen Debatte hatten mehrere prominente Seelenwissenschaftler darauf hingewiesen, dass „Wahn” ein psychiatrisch klar definierter Begriff ist und die pauschale Rede vom „Gotteswahn” nur wenig erklärt. Dawkins’ Botschaft lautet: Halte ein einzelner seine Einbildungen für objektiv wahr, diagnostiziere man Geisteskrankheit; teilten Kollektive den verrückten Glauben an übernatürliche Mächte, nenne man die Wahnvorstellung Religion. Die Pathologisierung der Gläubigen spiegelt sich in biologistischer Sprache. Dawkins kennt „geistige Viren”, die „Gehirne infizieren”, und entwickelt eine evolutionspsychologische Theorie von Hirn-Modulen, derzufolge Gottesvergiftung „durch Fehlfunktionen einzelner Module” entsteht.
Ansonsten bietet er in ermüdenden Wiederholungen nur wenig Originelles. Dass nicht Gott die Bibel schrieb, sondern hier höchst gegensätzliche Texte unterschiedlicher Autorenkollektive und frommer Individuen zusammengestellt sind, weiß man schon seit gut 300 Jahren. Auch in der Kritik der alteuropäisch metaphysischen Gottesbeweise bleibt Dawkins weit unter dem Reflexionsniveau Humes oder Kants, die er dank mangelnder Quellenkenntnis für knallharte Atheisten hält. Gewiss, es gibt tumbe Bischofstoren und pädophile Priester, korrupte Rabbiner und frauenfeindliche Imame. Auch kann man in Theologischen Fakultäten und kirchlichen Hochschulen vielerlei Gestörte treffen. Aber sind Atheisten immer „glücklich, ausgeglichen, geistig ausgefüllt” und „moralisch edel”? Die in den Heiligen Schriften der monotheistischen Religionen verkündete Moral deutet Dawkins als Vademecum für blutbesessene Gotteskrieger, deren grausam eiferndes Divinalmonster am Sinai nur ein „Regelwerk mit Anweisungen zum Völkermord, zur Versklavung anderer Gruppen und zur Weltherrschaft” offenbart habe. Selbst die Vernichtungsexzesse in den totalitären Volksgemeinschaftslaboratorien des letzten Jahrhunderts schreibt Dawkins aufs Schuldkonto der Religion. Gut nur, dass es in all dem Glaubensterror reine Seelen und gottesfreie Gutmenschen gibt. „Dass ein Krieg im Namen des Atheismus geführt würde, kann ich mir nicht vorstellen.” Aber vielleicht ein Bürgerkrieg?
Religionskritik muss die starke Bindungskraft des Religiösen erklären können. Wie entstand Religion? Weshalb übt Gottesglaube auf viele Menschen eine starke Faszinationskraft aus? Warum sind selbst uralte Götter wie etwa Jahwe auch in der Gegenwart noch höchst lebendig? Dawkins bietet eine evolutionstheoretisch informierte Antwort an. Religion habe selbst keinerlei „darwinistischen Überlebenswert”, sondern sei nur als „Nebenprodukt” von etwas anderem entstanden und tradiert worden. Zwar gesteht er ein, dass die „Nebenprodukt-Theorie” „vielgestaltig, kompliziert und diskussionsbedürftig ist”; wenige Seiten später hat sie allerdings den Status des sicheren Glaubens an die religionskulturelle Wirkkraft der „unsichtbaren Hand der natürlichen Selektion" erlangt. Was in der Naturgeschichte die Gene, seien in der Geschichte von Kultur und speziell Religion die Meme.
Meme, definiert als „Einheiten der kulturellen Vererbung”, sind gedankliche Konstrukte im derzeit modischen Versuch, in Kritik jeder kritizistischen, Grenzen des Wissenkönnens bedenkenden Erkenntnistheorie alle Wirklichkeit, gerade auch kulturelle Phänomene, in biologischen Begriffen zu deuten. Dawkins kennt keinen einzigen Klassiker der Kultur- und Religionswissenschaften und hat auch von den neueren Expertendiskursen keine Ahnung. Aber er weiß ganz genau, wie Kultur inklusive der Religion funktioniert: durch „memetische natürliche Selektion”. Sein Bild einer „Welt voller Gehirne, in der Meme darum kämpfen, diese ‚Lebensräume‘ zu besiedeln”, entsteht durch genau jenen Objektivierungsmechanismus, den er für die Ursünde des religiösen Bewusstseins hält. Ein mentales Konstrukt, das Mem, wird reifiziert und gewinnt so den Status einer kulturellen Gegebenheit. Konkurrierende Religionen seien nur verschiedene „Memplexe”. „Vielleicht entspricht der Islam einem Fleisch fressenden und der Buddhismus einem Pflanzen fressenden Genkomplex.”
Solch krude Analogien verführen Dawkins dazu, selbst mit seinen ärgsten Feinden, den Kreationisten, gemeinsame Sache zu machen. Gegen all jene Religionsanalytiker, die religiöse Symbolproduktion und wissenschaftliche Theoriebildung strikt unterscheiden und deshalb die Fehden zwischen Schöpfungsgläubigen und Neodarwinisten für sachlich gegenstandslos halten, weiß er sich mit den Kreationisten darin eins, dass Glaube und Wissen denselben Deutungsanspruch erheben. In dieser ganz großen Koalition der platt Gegenständlichen kann die Wissenschaft dann selbst mit reflexionsresistenter Glaubensgewissheit auftreten. Eines von Dawkins’ Lieblingswörtern heißt „unbedingt”. Ob es in Oxford keine Philosophen oder Theologen gibt, die ihrem Kollegen einmal erklären, dass die Differenz von bedingt und unbedingt, relativ und absolut auf genau jene religiösen Imaginationswelten verweist, die für Dawkins Gotteswahn bezeugen?
Ungleich seriöser, witziger, nachdenklicher argumentiert Christopher Hitchens. Wo Dawkins moralisiert und Krankenscheine ausstellt, empfiehlt der New Yorker Weltbürger skeptische Gelassenheit und tolerante Großzügigkeit. Die Religion mag er nicht, weil sie fröhlichen Sex verbietet, und die Frommen sind ihm ein Greuel, weil sie anderen ihre Spießbürgermoral aufzwingen wollen. Die ästhetischen Genüsse der Religionskultur freilich schätzt Hitchens, die wunderbare Liturgie der High Church-Anglikaner ebenso wie die King James Bible. In Moscheen zieht er seine Schuhe aus, und in Synagogen bedeckt er seinen Kopf. Doch die Fundamentalisten aller Glaubenscouleur straft der enge Freund Salman Rushdies mit bildungsbürgerlicher Verachtung.
Hitchens’ dichte Beschreibungen religiös motivierter Gewalt überzeugen, weil er die im deutschen Diskurs dominierende Fixierung auf die Islamisten durchbricht und plastisch auch die hohe Gewaltbereitschaft christlicher Akteure entfaltet. Die Evangelikalen in den USA seien um nichts besser als antiwestliche Hassprediger in islamischen Gesellschaften. In impliziten Koalitionen zwischen Fundamentalisten unterschiedlicher Religionen – etwa in ihrer Homophobie, der Ablehnung moderner Medizin oder ihrer notorischen Frauenfeindlichkeit – sieht der Popper-Schüler die größte Bedrohung freier Gesellschaften. Gut altliberal verteidigt er Presse- und Meinungsfreiheit, und er ist, dank seiner Kenntnis von Aufklärungstraditionen, auch klug genug, selbst Obskuranten das Menschenrecht auf Religionsfreiheit nicht zu versagen. In der Moderne sei Religion optional geworden, und dies bedeute jedenfalls im Westen das Ende klerikaler Sozialkontrolle und Gesinnungssteuerung.
Leider fängt, ähnlich wie Dawkins, auch Hitchens dann an, modernen Glaubensikonen alles mögliche Falsche, Schlechte nachzusagen. Dietrich Bonhoeffer einen „nebulösen Humanismus” zuzuschreiben und Martin Luther Kings Glaubensprotest gegen die Sklaverei durch Aufrechnerei mit dem Rassismus weißer Südstaaten-Christen abzuwerten, lässt wenig Sachkenntnis, aber viel peinliche Kleingeisterei erkennen. Auch Hitchens fehlen die analytischen Mittel, die elementare Ambivalenz aller religiösen Symbolsprachen, ihre hohe Interpretationsoffenheit zu erkennen und Erklärungen dafür anzubieten, warum in Glaubensbildern, paradox genug, Tendenzen der Selbstverabsolutierung durch Gleichschaltung mit Gott ebenso angelegt sind wie heilsame Potentiale demütiger Selbstlimitierung. Die Transzendenzchiffre „Gott” kann eben der heillosen Selbstentgrenzung dienen, aber auch das Wissen um die eigene Endlichkeit fördern. Schade, dass Hitchens hier falsche Eindeutigkeit erzeugt und sich dem Spiel des Mehrdeutigen verweigert. Vielleicht sollte man ihn an das neue Zehnte Gebot des Dawkins-Mose erinnern: „Stelle alles infrage!” – am besten zunächst dich selbst. FRIEDRICH WILHELM GRAF
RICHARD DAWKINS: Der Gotteswahn. Aus dem Englischen von Sebastian Vogel. Ullstein, Berlin 2007. 575 Seiten, 22,90 Euro.
CHRISTOPHER HITCHENS: God is not great. How religion poisons everything. Twelve Books, New York 2007. 307 Seiten, 24,99 US-Dollar. (Die deutsche Ausgabe erscheint am 24. September unter dem Titel „Der Herr ist kein Hirte” im Karl Blessing Verlag, 352 S., 17,95 Euro.)
„Geistige Viren” – bei Dawkins wird Religion zur Krankheit
Dass nicht Gott die Bibel schrieb, weiß man seit dreihundert Jahren
Der Neodarwinist macht mit den Kreationisten gemeinsame Sache
Gott als Architekt – mit diesem Motiv versah William Blake 1794 das Titelblatt von „Europe: A Prophecy”. In der aktuellen Atheismus-Debatte wird alle Religion, alle Gottesvorstellung zu Hirnvergiftung und Glaubensterror. bridgemanart.com
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Uwe Justus Wenzel hat sich mit wachsender Ungeduld durch die "geschwätzigen" 550 Seiten von Richard Dawkins' "Der Gotteswahn" geackert. In einer vergleichenden Besprechung von Dawkins Polemik, Christopher Hitchens' "Der Herr ist kein Hirte" und Sam Harris' "Das Ende des Glaubens" kommt letzterer noch am besten weg, und zwar weil er der Menschheit wenigstens das Bedürfnis nach spirituellen Erfahrungen zugesteht. Dawkins hingegen unterschlage nicht nur dies, sondern vor allem die Tatsache, dass die Religion mit der Theologie ja schon längst eine wissenschaftliche Bearbeitung und hermeneutische Deutung erfährt. Damit läuft für Wenzel ein Großteil dieser "rabiaten" Kritik ins Leere. Allerdings sieht er die Schuld für die derzeitige Schwemme an grob gestrickten antireligiösen Polemiken nicht nur bei deren Urhebern. Wenzel bittet deshalb alle Gläubigen, etwas gelassener mit Kritik umzugehen. Dann könnte diese wiederum gelassener und "intelligenter" daherkommen als es im Augenblick mehrheitlich der Fall ist.

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