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Das neue Buch Vamik D. Volkans schlägt die fehlende Brücke zwischen psychoanalytischen Konzepten und der traditionellen Vorstellungswelt von Diplomaten, Historikern, Politologen und Sozialwissenschaftlern.Diese Brücke schafft einen neuen Zugang zum brisanten Thema ethnischer, religiöser und kultureller Unterschiede, die mit der Identität von Großgruppen eng verknüpft sind.Der bekannte Psychoanalytiker Volkan nutzt sein klinisches Wissen und seine Erfahrung aus 25-jähriger Arbeit mit Großgruppen in konfliktgeschüttelten und traumatisierten Gesellschaften, um eine pragmatisch orientierte Studie…mehr

Produktbeschreibung
Das neue Buch Vamik D. Volkans schlägt die fehlende Brücke zwischen psychoanalytischen Konzepten und der traditionellen Vorstellungswelt von Diplomaten, Historikern, Politologen und Sozialwissenschaftlern.Diese Brücke schafft einen neuen Zugang zum brisanten Thema ethnischer, religiöser und kultureller Unterschiede, die mit der Identität von Großgruppen eng verknüpft sind.Der bekannte Psychoanalytiker Volkan nutzt sein klinisches Wissen und seine Erfahrung aus 25-jähriger Arbeit mit Großgruppen in konfliktgeschüttelten und traumatisierten Gesellschaften, um eine pragmatisch orientierte Studie der Dynamik von Großgruppen vorzulegen. Er stellt neue theoretische Konzepte und ihre praktische Anwendung vor. Sie ermöglichen uns ein besseres Verständnis für die Interaktion von Großgruppen im Frieden wie in Krisenzeiten.
Autorenporträt
Vamik D. Volkan ist Professor emer. für Psychiatrie, Begründer des Center for the Study of Mind and Human Interaction an der University Virginia und Senior Erik Erikson Scholar am Austen Riggs Center in Stockbridge, Massachusetts. Er hält Vorträge auf der ganzen Welt; seine zahlreichen Veröffentlichungen wurden bereits in mehr als zwölf Sprachen übersetzt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.03.2000

Jedem sein eigener Wahn
Vamik Volkans psychische Menschenkunde

Vamik Volkan wurde als Kind türkischer Eltern auf Zypern geboren. Nach der medizinischen Ausbildung in der Türkei wanderte er nach Amerika aus. Damit war er von der kollektiven Belastung befreit, sich als Mitglied einer türkischen Minderheit Großmachtsträume einhämmern lassen zu müssen. Seinen psychoanalytischen Überlegungen zu Ethnokonflikten kommt es zugute.

Wer Volkans Buch liest, indem er einen idealen Kosmos psychoanalytischer Forschung ansetzt, in dem die verbindlichen Marken jeweils ein Stück verschoben werden könnten, hätte wenig von seinen Vorschlägen. Viele der Diagnosen, die er stellt, sind ohne psychoanalytisches Vokabular formuliert, und sympathischerweise gehen politologische und psychoanalytische Urteile bei ihm oft durcheinander. Das heißt nicht, dass Volkan nichts von der Psychoanalyse verstünde. Im Gegenteil. Er schreibt jedoch nicht als Dogmatiker oder Theoretiker, sondern wie Buddha als Lebenspraktiker: Vor allem will er sich den Politikern und ihren Ratgebern verständlich machen, die täglich mit den Dynamiken von Großgruppen zu tun haben, und setzt deshalb auseinander, "auf welchen politischen und gesellschaftlichen Wegen Großgruppen konkret ihre Identität wahren und schützen".

Nachdem die amerikanische Politik jahrzehntelang und vor allem in der Zeit des Kalten Krieges ihr Verhalten zur Sowjetunion nach dem sogenannten "rational actor model" konzipiert hatte, einer Strategie, die auch dem Verhalten des Gegners grundsätzlich Rationalität unterstellte, zwangen die ethnischen und nationalen Konflikte nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion dazu, auch bei den agierenden Politikern mit Phänomenen wie narzisstischer Selbstüberschätzung und destruktivem Narzissmus zu rechnen. Die Amerikaner entwickelten ein Modell von Beratungsgruppen, an denen Diplomaten, Militärs, Psychologen, Psychiater und Psychoanalytiker teilnahmen: das Center for the Study of Mind and Human Interaction, an dem Volkan half, "neue Linsen zu schleifen", da die alten die Welt nicht mehr scharf erfassten. Neben seiner psychoanalytischen Einzeltherapieerfahrung schien ihm vor allem die psychoanalytische Gruppenerfahrung ein geeignetes Instrument, um den mörderischen Kollektivprojektionen beizukommen.

Das theoretische Verbindungsglied zwischen Individuum und Gruppe ist die Vorstellung der "Bande", ein "politisches" Organisationsprinzip, das keinesfalls nur auf ein "Stammes"-Prinzip zu reduzieren ist. Die innere "Bande" regiert - legt man Melanie Kleins Struktur der Spaltungsprozesse zugrunde - das Individuum genauso, wie sie unbewußt Gruppenmentalitäten steuern kann. Volkan ging von Bions früher Gruppentheorie aus, derzufolge "Arbeitsgruppen" nur im Zustand der Reife wirklich ihrem Zweck entsprechend strukturiert sein können, in der Regel jedoch durch unbewusste Wahnvorstellungen - die Idee eines idealen Führers, den Teufelskreis von Kampf und Flucht oder die Idee eines Paares, das den Erlöser gebären muss - am rationalen Handeln gehindert werden. Es sind nach Volkan sieben Arten von kollektiv erotischen und aggressiven Wahnkomplexen, die die Großgruppenidentitäten bestimmen.

Was die Lektüre faszinierend macht, ist der völlig unangestrengte Gleichnischarakter seines Schreibens und Erzählens; im Zentrum von Volkans Metaphorik steht das Großgruppenzelt: "Diese Metapher von der Zeltplane ist natürlich kein psychoanalytisches Konstrukt . . . Von psychoanalytischen Konzepten wird verlangt, dass sie die verschiedenen Komponenten der Plane beschreiben - die einzelnen ,Fäden', die zu einem Stoff miteinander verwoben werden." Wer das Buch liest, wird nicht nur an die Großgruppen der Albaner im Kosovo und die Zelte der tschetschenischen Flüchtlinge denken, sondern es wird ihm darüber hinaus aufgehen, daß das Nomadisierende ein Wesensmerkmal der Gattung ist. Für diesen Nomadenstatus der Spezies hat Volkan Sinn. Deshalb wohl seine Vorliebe für die Zeltmetapher. Wir hausen nicht im "Haus des Seins", sondern im Großgruppenzelt. Damit nimmt der Autor den prophetischen Impetus der altisraelischen Tradition auf. Derjenige, dem der Tempel gebaut wird, stellt sich nur dadurch gegen die Tempel der polytheistischen Reiche, dass er sagt: Wichtig ist nicht, dass das mein Haus ist, sondern wichtig ist, ob ich darin zelte oder nicht.

Sozusagen auf Taubenfüßen, das heißt: vermittels des "gewählten Traumas", kommt ein Moment hinzu, das den Existentialismus mit der Psychoanalyse verbindet: die Option für eine "freie Wahl" für das Gute wie das Böse in einer Welt totaler Verflechtung. "Gewählte Traumata", schreibt Volkan, "sind ein entscheidendes Großgruppenmerkmal, ein Faden, der in die Plane des Großgruppenzeltes gewoben wird. Sobald die geistige Repräsentanz eines geteilten traumatischen Ereignisses zu einem gewählten Trauma wird, spielt die tatsächliche Geschichte des Ereignisses keine entscheidende Rolle mehr" - prominentes Beispiel: das Amselfeld - "sofern die äußere Realität die Möglichkeit der Rache nicht zulässt, kann das gewählte Trauma zu einer gruppeninternen Idealisierung des Opferstatus führen."

Das gemeinschaftlich geteilte Trauma muss nicht zum gewählten Trauma werden. In dem Augenblick jedoch, wo es dazu wird, setzt die Mythenbildung ein. Mit diesen "Instrumenten" gelangt Volkan zu einigen sehr realistischen Analysen. Herausragend sind sein Atatürk-Porträt, das vermutlich weder von dessen Anhängern noch von dessen Widersachern akzeptiert wird, sowie die präzise Beschreibung der Koexistenz zu der die Esten im Umgang mit den Russen gefunden haben.

Ob Volkans orientalische Herkunft ihn zu seiner faszinierenden Metapher von Gewebe und Fäden inspiriert hat? Wo spielen Fäden und Gewebe bei uns eine Rolle? In unseren Mythen und mythologischen Überlegungen gibt es das Schicksalsgewebe, die Schicksalsfäden, in unserer modernen Theoriebildung ist es "das Gewebte", der Text. Die Herstellung eines Großgruppenzeltes sieht Volkan jedoch nicht als ein Produkt von Nornen, Parzen oder dem Gleiten des Signifikanten. Nicht um das mythische Gewebe geht es, sondern um das gesellschaftliche Gewebe der kollektiven Psyche in einem psychischen Großgruppenzelt. Die Fäden spinnen wir selbst, wir selbst sind die Weber, und wenn wir das Geflecht dann im Nachhinein zum Schicksalsgeflecht erklären, dann haben wir schlicht unseren aktiven Anteil daran verdrängt.

CAROLINE NEUBAUR

Vamik D. Volkan: "Das Versagen der Diplomatie". Zur Psychoanalyse nationaler, ethnischer und religiöser Konflikte. Aus dem Amerikanischen von Anni Pott. Bibliothek der Psychoanalyse. Psychosozial-Verlag, Gießen 1999. 279 S., br., 48,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.01.2000

Therapie gegen den Zeitkollaps
Politik und Gruppensitzung: Vamik D. Volkans Studie über das „Versagen der Diplomatie”
Dem heutigen Leser ist der Kosovo-Konflikt zeitlich am nächsten – das in der Tiefe dabei wirksame Großgruppen-Szenario liegt 600 Jahre zurück. Dass es nach so langer Zeit angeheizt werden kann, entspricht einem „Zeitkollaps”, wie Vamik D. Volkan es nennt: Im Unbewussten stagniert die Zeit, weil das Ereignis nicht betrauert und anschließend verarbeitet worden ist. Es ist nicht erzählbare oder geschriebene Geschichte geworden, sondern „wirkt” unmittelbar als Geschichte. Sehr viel tiefer als Heldentaten graben sich geschichtliche Traumata in die Seelen der Völker oder Gruppen ein; sie sind vor allem katastrophenträchtiger: „Da es bei dem gewählten Trauma um den Aspekt der Demütigung und des Verlustes sowie der Unfähigkeit zu trauern geht, ist es gleichzeitig auch verbunden mit dem Wunsch, alles das wieder gut zu machen, was den Vorfahren widerfahren ist, und dem Gefühl, ein Recht auf Rache zu haben. Sofern die äußere Realität die Möglichkeit der Rache nicht zulässt, kann das gewählte Trauma zu einer gruppeninternen Idealisierung des Opferstatus führen. ”
Vamik Volkan ist amerikanischer Psychiater und Psychoanalytiker türkisch-cypriotischer Abstammung. Er hat also nicht nur ethnische Konflikte, sondern auch die Brüche der Emigration am eigenen Leibe erlebt. Vielleicht prädestiniert ihn dies, in vielen Ländern der Welt mit seinem Team Station zu machen, um unter Einbeziehung von Diplomaten, Politikern, Vertretern der Konfliktparteien, aber auch Historikern und Soziologen nach Lösungen für stagnierende oder explosive Konflikte zu suchen. Seine im vorigen Jahr erschienene Studie ist so aktuell wie eh und je. Exemplarisch sind die Untersuchungen und Beratungen in Kuwait nach der Okkupation und in Estland nach dem Ausscheiden aus der Sowjetuniondargestellt, neben einem großen Kapitel über die Person von Atatürk und seine bewussten und unbewussten Beziehungen zum türkischen Volk.
Volkan pendelt zwischen dem analytischen Instrumentarium des Psychoanalytikers und dem des Regisseurs und tiefenpsychologisch geschulten Leiters, ja „Dompteurs” von Großgruppen in meist aufgewühltem Zustand. Er beschreibt die Kompetenzen, die verlangt werden, wie den strukturierten Ablauf solcher mehrtägigen Beratungen, von der Diagnose bis zu einem möglichen Ergebnis, das in die Politik zurückvermittelt werden kann. Die immer wieder vorgefundenen Muster in verfeindeten Ethnien sind die der „Externalisierung”, also der Veräußerung ungeliebter eigener Eigenschaften an den „Gegner”, von der Verdächtigung bis zur Verteufelung, ja der Dehumanisierung, die auf reale Vernichtung drängt, und der Projektion.
Dabei spielt die vor allem aus der Holocaust-Forschung bekannte Tatsache eine Rolle, dass Konflikte und Traumata, die von der ersten Generation nicht verarbeitet werden können, an die zweite und sogar die dritte Generation weitergegeben werden. Deshalb fordert Volkan, dass für eine wirksame Vermittlung bei tief in die Volksseele reichenden ethnischen Konflikten der Moderator über eine tiefenpsychologische Schulung verfügen oder Psychoanalytiker oder Großgruppen-Therapeut sein sollte. Vehement allerdings warnt er davor, eine solche psycho-politische Gruppe mit einer therapeutischen zu verwechseln.
Noch ein Wort zum Thema Vergebung und Versöhnung, das gerade im Kosovo von unseren westlichen Politikern mit solche Vehemenz und manchmal erpresserischer Dringlichkeit ins Feld geführt wird: Sie kann nicht befohlen werden, und eine befohlene Friedlichkeit zwischen Gruppen, die sich gerade vertreiben, wenn nicht ausrotten wollten, führt zu neuen Ausbrüchen von Gewalt, weil nichts verarbeitet ist. „Die Vergebung ist ein Konzept, das psychoanalytisch noch nicht untersucht wurde. Klar ist, dass es mit dem Trauerprozess verbunden ist. Ohne einen Abschluss der Trauerarbeit kann es keine aufrichtige Bitte um Vergebung und keine aufrichtige Annahme der Entschuldigung des Anderen geben. ”
Eine allzu rasche Konfrontation im Alltag lässt die Wunden sich nicht schließen, sondern sie heizt das Opfergefühl, die Wut und die Rachsucht immer von neuem an. Wie viele Jahre es braucht, bis die Verletzungen ansprechbar werden, scheint bei jeder Großgruppe wieder anders zu sein: von ein paar Jahren bis zu ein paar Jahrzehnten. Viele Patienten der zweiten Generation in Deutschland wagen sich erst heute, mit therapeutischer Hilfe, an die Wunden von Verfolgung, Krieg, Flucht, aber auch von elterlicher Mittäterschaft heran.
Bei den Israelis und Palästinensern, mit deren Konflikt Volkan über Jahre Erfahrungen sammelte, liegen die Wunden offen: „Der Opferstatus, Anspruchsdenken und Revanchismus sind Ideologien geworden, die untrennbar mit. . . der palästinensischen Identität verbunden sind. Ein Grund, warum der palästinensisch-israelische Konflikt chronisch bleibt, ist, dass die Israelis in ihrer Gruppenkernidentität ebenso Opfer durch den Holocaust sind und das Gefühl, berechtigte Ansprüche zu haben, teilen. ”
In seinem Vorwort bedauert Hans-Jürgen Wirth zu Recht, dass es wenig Brücken zwischen der Gruppenkonflikt-Forschung hier und „drüben” gibt, so dass das Buch zwangsläufig einem amerikanischen Monolog inmitten von fruchtbaren deutschen und europäischen Ansätzen gleicht – auch wenn den Deutschen in ihrer Konzentration auf innergesellschaftliche Felder die souveräne „Globalität” von Volkan fehlt.
TILMANN MOSER
VAMIK D. VOLKAN: Das Versagen der Diplomatie. Zur Psychoanalyse nationaler, ethnischer und religiöser Konflikte. Psychosozial-Verlag, Gießen 1999. 279 Seiten, 48 Mark.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Caroline Neubaur ist geradezu hingerissen von Volkans Untersuchung über Großgruppen und ethnische Konflikte. Volkan "schreibt wie Buddha als Lebenspraktiker", schwärmt sie und macht dafür vor allem den "völlig unangestrengten Gleichnischarakter" und das Fehlen psychoanalytischen Vokabulars verantwortlich. Sie zeichnet Volkans Analyse des Großgruppencharakters nach und beschreibt den Begriff des `gewählten Traumas`, der für das Buch von zentraler Bedeutung sei: Nach Volkan kann eine Großgruppe ein geteiltes Trauma - bei den Serben etwa die verlorene Schlacht auf dem Amselfeld - zum Gruppentrauma erwählen. Dann setzt eine Mythenbildung ein, bei der die tatsächliche Geschichte keine Rolle mehr spielt. Mit diesen Instrumenten, meint Neubaur, gelingen Volkan einige "realistische" Analysen. Besonders hebt sie ein Porträt Atatürks hervor und "die präzise Beschreibung der Koexistenz zu der die Esten im Umgang mit den Russen gefunden haben."

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