• Broschiertes Buch

15 Kundenbewertungen

Lilly Lindner ist sechs, als der Nachbar beginnt, sie regelmäßig zu vergewaltigen. Er droht ihr mit dem Schlimmsten, falls sie etwas ihren Eltern erzählen sollte. Und so schweigt das kleine Mädchen. Schließlich zieht der Mann weg - doch Lillys Leben ist längst aus dem Lot. Mit 13 Jahren fängt sie an zu hungern - damit von ihrem geschundenen Körper möglichst wenig übrig bleibt. Doch die Schande macht sie damit nicht ungeschehen. Und so beschließt Lilly als junge Frau, ihren Körper, der ihr schon lange nicht mehr gehört, in einem Edel- Bordell zu verkaufen. Und ausgerechnet hier beginnt sie,…mehr

Produktbeschreibung
Lilly Lindner ist sechs, als der Nachbar beginnt, sie regelmäßig zu vergewaltigen. Er droht ihr mit dem Schlimmsten, falls sie etwas ihren Eltern erzählen sollte. Und so schweigt das kleine Mädchen. Schließlich zieht der Mann weg - doch Lillys Leben ist längst aus dem Lot. Mit 13 Jahren fängt sie an zu hungern - damit von ihrem geschundenen Körper möglichst wenig übrig bleibt. Doch die Schande macht sie damit nicht ungeschehen. Und so beschließt Lilly als junge Frau, ihren Körper, der ihr schon lange nicht mehr gehört, in einem Edel- Bordell zu verkaufen. Und ausgerechnet hier beginnt sie, ihre ungeheuerliche Geschichte aufzuschreiben - und verfasst ein beeindruckendes, provozierendes Buch von großer Sprachgewalt.
Autorenporträt
Lilly Lindner wurde 1985 in Berlin geboren. Bereits mit fünfzehn begann sie autobiographische Texte und Romane zu schreiben. Ihr Debüt "Splitterfasernackt" stand monatelang auf der Bestsellerliste. Zuletzt erschienen von ihr das Jugendbuch "Was fehlt, wenn ich verschwunden bin" und "Winterwassertief".
Rezensionen
"An den Nervenenden einer wahren Geschichte: in "Splitterfasernackt" erzählt Lilly Lindner von Missbrauch, Prostitution und Magersucht. Geschrieben in einer glasklaren und welthaltigen Prosa, leistet diese Geschichte einer Verwandlung Aufklärungsarbeit." -- Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.10.2011

"Beeindruckend!" -- petra, 01.10.2011

"Verletzlich und zart im Ton." -- FOCUS, 01.10.2011

"Ein ungeheuerliches Buch." -- FOCUS online, 27.09.2011

"Ein hochintelligentes, sprachbegabtes, körperlich und seelisch schwer geschädigtes Mädchen hat ein Buch über ein ebensolches Mädchen geschrieben. Es heißt "Splitterfasernackt". Und es ist erschütternd." -- Süddeutsche Zeitung, 24.09.2011

"`Splitterfasernackt` ist keine leichte Lektüre. Trotzdem werden Sie weiterlesen, gefesselt von der Sprache dieser Frau und ihrem Verstand. Und Sie werden verstehen, was Gewalt anrichtet und warum sie oft in Schweigen endet. Gut, dass Lilly ihr Schweigen gebrochen hat." -- Brigitte, 07.09.2011

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.10.2011

Solange keine Männer da sind, ist es im Bordell ganz gemütlich

An den Nervenenden einer wahren Geschichte: In "Splitterfasernackt" erzählt Lilly Lindner von Missbrauch, Prostitution und Magersucht. Geschrieben in einer glasklaren und welthaltigen Prosa, leistet diese Geschichte einer Verwandlung Aufklärungsarbeit.

Lilly Lindners Buch "Splitterfasernackt" kommt ohne Untertitel daher. Ist es ein Tatsachenbericht, ein Tagebuchwerk oder ein Roman?

Legte es jemand darauf an, mit sensationsheischenden Themen zwischen zwei Buchdeckeln zu punkten, er könnte es nicht besser treffen. Denn hier geht es um eine Karriere als Prostituierte, die sich für die Erzählerin mit nicht eben leicht nachzuvollziehender Logik aus zwei unerhört grausamen Missbrauchsdelikten ergibt. Dass sie mit sechs Jahren von einem Nachbarn vergewaltigt wurde, erfährt man zunächst nur aus Andeutungen. Über die ersten neunzig Seiten liefert Lillys sarkastisch-masochistische Erzählung wenig Konkretes. Man erfährt von einem indifferenten Vater, einer aggressiven Mutter, von Lillys Anorexie, einem Selbstmordversuch, einem Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik und ihrer Selbsteinlieferung in ein Jugendheim. Quälend deutlich ist, dass sich hier jemand aus Worten einen Schutzpanzer baut, zu kommunizieren versucht und doch niemanden zu sich hereinlässt.

Wer diesen Teil des Buches überstanden hat, taucht verblüfft in eine so glasklare wie welthaltige Prosa ein. Sie geht einher mit Lillys Entschluss, in einem Bordell anzuheuern. Von nun an sitzt sie zwischen zwei Freiern im "Mädchenzimmer" auf dem Bett und hämmert in ihren Laptop. Immer noch ist sie magersüchtig, zerschnitzt sich daheim mit Rasierklingen die Arme und schläft des -Nachts ohne Deckbett. Aber es braucht fast vierhundert Seiten, bis sie dem Leser mit einem Schlag eine Vorstellung davon gibt, was so viel Selbstzerstörung auslösen konnte. Und erst jetzt begreifen wir, dass die Grundabsurdität, die das Buch durchzieht, sehr ernst zu nehmen ist: Denn die mit siebzehn Jahren durch einen Sadistenkreis gemeinsam mit anderen verschleppten Mädchen abermals vergewaltigte junge Frau macht sich zur Prostituierten, um endlich mündig zu werden, um ohne Scham von Dingen sprechen zu können, die ihr Selbstgefühl vernichtet haben und die selbst ein mit den menschlichen Abgründen vertrauter Kriminalbeamter nicht leicht über die Lippen brächte.

In immer neuen Anläufen versucht Lilly zu begreifen, warum sie tut, was sie tut. Die Paradoxie, dass jemand, dem die Sexualität lange vor der Geschlechtsreife als diabolische Gemeinheit ins Fleisch getrieben wurde, gerade sie zu seinem Beruf macht, wird immer neu gewendet und erklärt. Eine Begründung ist so gut wie die andere, doch dass keine der Erzählerin genügt, ist das wohl stärkste Argument dafür, dass es sich hier um die Nervenenden einer wahren Geschichte handelt.

Wie kann es sein, fragt man sich, dass sie so gütig, so ohne Ranküne von den Männern spricht, die sich zu ihr und den anderen fast komödienhaft in Szene gesetzten Mädchen des Berliner Bordells "Passion" stehlen? Woher nimmt dieses psychische Wrack die Seelenruhe und den gerechten Wortschatz, um die Sehnsucht spürbar zu machen, die zur käuflichen Liebe treibt? Einmal trifft sie an einer Bushaltestelle auf eine Leidensgefährtin aus der Sadistenwohnung. Ohne ein Wort zu wechseln, sitzen beide nebeneinander, bis es dunkel wird. Sie sehen sich kaum an, teilen ein paar Weintrauben und gehen wieder auseinander. Was sie vereint, ist die Panik vor den Möglichkeiten, die sich mit ihrer Begegnung eröffnen. Denn die Täter wurden nicht verfolgt, und ihre Opfer sagten nie aus.

Lilly Lindner ist die Tochter koreanisch-deutscher Eltern, die ihrem Kind nicht anmerken, was ihm ein netter Nachbar antat. Auch beim zweiten Überfall überhört der Vater, dass etwas nicht stimmt, als sich die Tochter bei vorgehaltener Pistole telefonisch für das ganze Wochenende abmeldet: "Für einen Moment hatte ich dummes Ding doch tatsächlich geglaubt, dass es meinem Vater auffallen müsste, dass ich ihn sonst nie ,Papi' nenne, oder dass er zumindest wissen würde, dass ich gar keine Freundin namens ,Julia' habe. In Filmen klappt so etwas immer, da reicht eine falsche Sprechpause, ein kaum hörbares Räuspern, ein unpassendes Wort, und schon kommt ein SWAT-Team oder Jack Bauer durch die Tür gestürmt. Die Wirklichkeit aber vollzog sich mit verschwitzten Männern."

Wenn der Kältepol des Buches die Gleichgültigkeit der Mitwelt und ihr Bedürfnis ist, von Unaussprechlichem verschont zu werden, so ist seine Wärmezone das "Passion", eine verkehrte Welt voller Frauen, die herzlich und geradezu zärtlich miteinander umgehen, meist aus Osteuropa stammen und Deutsch nur gebrochen sprechen: "Die anderen Mädchen wuseln die meiste Zeit über einfach in Reizwäsche oder in durchsichtigen Kleidern herum, und eine Gelassenheit und Ruhe liegt in den Räumen, die schwer zu beschreiben ist." Lilly verschafft uns die Innenansicht eines Bordells ohne Prätentionen und moralisches Geschütz. Die Damen schnattern munter vor sich hin, lachen "über die merkwürdigen Anrufer und Kunden, kämmen sich gegenseitig die Haare, suchen nach ihren Strings, tauschen ihre Röcke und Kleider, winken aus dem Fenster neugierigen Männern zu, telefonieren mit eifersüchtigen Ex-Freunden, surfen im Internet, zeigen mir Familienfotos oder schlafen, dicht aneinandergekuschelt, im Mädchenzimmer". Über die Kundenwünsche tauschen sich Lillys Kolleginnen mit der Sachlichkeit von Anthropologen aus: ",Ja', stimmt Marla ein, ,nicht alle wollen Sex. Viele Männer brauchen Nähe von Mädchen. Geborgenheit - so heißt das in Deutsch? Ja? Ein bisschen reden und streicheln und zusammen sein." Verwundert beobachtet Lilly, "wie schnell man sich daran gewöhnt, in Dessous durch ein Bordell zu laufen, unbekannte Männer zu küssen, Kondome überzusteifen".

Die Erzählerin scheut weder das Pidgindeutsch noch Dialekte. Lustig wird es immer, wenn Bambie, die Domina, vorbeikommt: "Jetzt quatsch ick schon wieda die janze Zeit, mein arma Kunde! Den hab ick an diesen komischen Balken jefesselt, ick werd ma wieda rüba und weitermachen, dem sind bestimmt schon die Arme abjefallen. Aber wat soll's, da steht a ja druff, wa?"

Ein Kunde hantiert mit Seilen und Haken und schnürt sich vor Lillys Augen "zu einem verknoteten Päckchen zusammen, klemmt sich seine Hoden ab, erwürgt sich fast, hat einen Orgasmus, packt sich wieder aus und setzt sich zu mir aufs Bett. ,Keine Ahnung, warum ich so etwas mag', sagt er verlegen. ,Ich finde es nicht schlimm', erwidere ich. ,Danke", sagt Derek. ,Wofür?', frage ich, denn schließlich habe ich nur dagesessen und nichts gemacht. ,Dass du nicht gelacht hast', meint er." Diese Episode ragt aus den anderen heraus, weil sie illustriert, dass es auch für Lilly darum geht, dem kränkenden Lachen der anderen zu entkommen. Erst wenn sie noch den abwegigsten Lüsten ungerührt zuschauen kann, wird sie niemand ihrer erlittenen und furchtsam verschwiegenen Geschichte wegen beschämen.

Ganz nebenbei ist "Splitterfasernackt" das Dokument einer Hungerkünstlerin, die uns die Kälte der Unterernährung fühlen lässt, die "beißend und rauh tief aus den Knochen" kommt, "und so bitter an jedem Körperteil nagt, dass ich weinen möchte vor Schmerzen". Laufend wird sie von Herzrasen, Ohnmachten, Zittern, Schwindel- und Erschöpfungszuständen heimgesucht. Obwohl Lilly jenseits des Bordells in einem Vakuum lebt und wie eine Fliege unter dem Glassturz gegen die Wände ihrer emotionalen Apathie stößt, ist sie sensibel für die leisen Tragödien und Lebenslügen der Kolleginnen, die sich für den Unterhalt einer fernen Familie prostituieren oder vor einem brutalen Ehemann geflüchtet sind.

Als sie in die Schweiz wechselt, um dort als Callgirl zu arbeiten, hat sie einen Traum. Sie wähnt sich an einem Vortragspult, von wo aus sie dem Auditorium in einer uferlosen Diareihe alle Männer vorführt, mit denen sie je Sex hatte. Am Ende bleibt das Publikum sprachlos zurück, und Lilly verlässt erhobenen Hauptes den Raum. "Splitterfasernackt" hat eben diese Funktion der Katharsis, es befreit seine Erzählerin von der Einsamkeit eines Schicksals, dem die Worte fehlen. Bis zu diesem Punkt hat sich das traumatische Verlangen nach Sicherheit in die erbarmungslose Kontrolle ihres Körpers übersetzt: "Denn wenn wir es schaffen, jeden noch so unwichtigen Teil von uns zu peinigen, wenn wir uns all das antun, was wir gelernt haben zu ertragen und noch mehr, dann dürfen wir sicher sein, dass uns niemand sonst etwas anhaben kann."

Doch gegen Ende deutet sich auch in Lilly jene Verwandlung an, für die das Buch steht. Dabei hilft ihr die Verbindung zu Chase, einem Freund aus glücklicheren Kindheitstagen, zu dem die Verbindung nie ganz abbrach. Schließlich lässt ihre Gefühle für ihn zu und beginnt zu akzeptieren, dass es schön ist, mehr als vierzig Kilo zu wiegen. "Ich habe solchen Hunger", sagt sie in einem unbewachten Moment, und damit platzt ein Knoten, der die Welt in all ihrer Gebrechlichkeit in Lilly Lindners Sprache strömen lässt.

INGEBORG HARMS.

Lilly Lindner: "Splitterfasernackt".

Droemer Verlag, München 2011. 400 S., br., 16,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Ingeborg Harms nimmt sich viel Raum, um die mannigfachen Nuancen in diesem Buch von Lilly Lindner herauszuarbeiten. Was immer es ist, Roman, Tatsachenbericht, Tagebuch - der Rezensentin bietet mehr als die bloße Sensation, die sie anfangs vermutet. Zunächst ist da allerdings nur eine für Harms kaum erträgliche sarkastisch-masochistische Erzählung, in der sich ein Missbrauch andeutet und die quälende Unfähigkeit der Erzählerin, darüber zu sprechen. Was folgt, überrascht Harms mit  klarer wie "welthaltiger Prosa". Angesichts der seelischen Verheerungen der Erzählerin, kaum zu glauben, meint sie. Die von Lindner aufgeschriebenen Innenansichten eines Bordells lobt Harms als angenehm unprätenziös und frei von moralischem Überbau.

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