Produktdetails
Trackliste
CD
1Für Frauen ist das kein Problem00:03:12
2Als ich Dich wollte00:02:48
3Ist doch nur ein Gefühl00:02:45
4Ich bin nur gut wenn keiner guckt00:02:03
5Kleine Lügen00:02:49
6Langsam00:02:32
7Zwischen zwei Lieben00:02:55
8Ich schlaf am besten neben Dir00:03:09
9Keine Liebe für mich00:02:31
10Ich bin schuld00:02:31
11Der Sommer ist vorbei00:02:19
12Mir kann nichts passieren00:03:08
13Am Ende kommt immer der Schluss00:02:37
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.01.2013

Die Ohrwurm-Maschine
Wenn er jetzt noch etwas riskieren würde, wäre alles perfekt: neue Lieder von Max Raabe

Manche Typen hasst einfach niemand. Heinz Erhardt war so einer, Hape Kerkeling ist es. Und ganz sicher auch der Sänger Max Raabe. Die einen verehren ihn, den anderen ist er egal. Aber dagegen ist niemand.

Wie auch! "Mach dir keine Sorgen! Lass die Sonne rein und genieß den Tag, es könnte der letzte sein", singt Raabe auf der neuen Platte einmal. Und wenn man sich dann schon ärgert über diesen Kalenderspruch, kommt ein beschwingter Refrain hinterher, da reimt sich "es kommt immer der Schluss, bis dahin tobt das Leben" auf "den Löffel abgeben". Da wandert die Musik über eine gewitzte Moll-Kadenz, da hämmert ein viel zu mächtiges Klavier. Dazu strahlt ein digitales Streicher-Ensemble, in das die berühmte Solina eingemischt ist, ein warm schnarrendes Keyboard der späten Siebziger, Pink Floyd liebten es und Deep Purple.

Max Raabes neue Platte "Für Frauen ist das kein Problem" erscheint diese Woche. Musikalisch versucht sie das, was die Ben-und-Jerry-Eiswerbung derzeit fröhlich als Geheimrezept ausgibt: von allem zu viel.

Als Raabe kürzlich sein Werk der Presse vorstellte, flüsterten die Journalisten - sonst für Missgunst berühmt - einander nur Gutes zu: Wie der schon dasteht! Fantastisch. In einer Villa bei Berlin lebe er, sei aber, klaro, ganz bodenständig. Und trinkfest auch noch. Nicht einmal eingebildet. Wenn er neben einem am Tisch saß, sagte er Dinge wie: "Ich habe mir gerade meinen ersten Computer gekauft."

Na klar, man kann ihn nur mögen. Traurig sein kann man aber auch, wenn man die Musik hört. Nicht über das, was man da hört - das ist solide und gelungen, jeder Song ein Ohrwurm. Sondern über das, was man da nicht hört. Man hört: das von Witz durchzogene, hochprofessionelle Update der Zwanziger-Jahre-Chansons, für das Raabe weltberühmt wurde. Man hört nicht: etwas Überraschendes, das einen tief bewegen würde. Letztlich ist das Neue mehr vom Alten. "Die Kraniche ziehen und sie wissen genau, wohin. Nur ich bin nicht sicher, warum ich noch hier bin", singt Raabe auf einer Nummer. Streicher begleiten ihn und eine winzige, einprägsame Figur vom Klavier.

Seit zwei Jahren arbeitet Raabe mit Annette Humpe zusammen. Die beiden schienen nichts gemeinsam zu haben, außer dass sie beide zwanzig Jahre jünger aussehen, als sie es wirklich sind. Raabe ist fünfzig, Humpe knapp über sechzig. Mit der Band Ideal stand sie für die Punk- und Dada-Abteilung der Neuen Deutschen Welle. Kaum dreißig Jahre alt, schrieb sie Nummer-eins-Hits ("Codo"), produzierte fortan - selbst Udo Lindenberg hat ihr viel seines späten Ruhms zu verdanken. Das erste mit Max Raabe produzierte Album "Küssen kann man nicht alleine" wurde Anfang 2011 ein Überraschungserfolg - 200000 verkaufte CDs mitten in der Popkrise.

Warum nicht elektro?

Das musste weitergehen - und wurde nur um eine Nuance experimenteller. "Was auch in den Sternen steht, wer auch über uns wacht, hat doch bisher alles richtig gemacht", singt Raabe. Dazu hüpft ein synkopierter E-Bass durch eine langsame Ballade. Fast alle Instrumente dieser CD kommen aus dem Computer - sind aber immer nur sehr teuer gesampelte Sounds kleiner akustischer Ensembles. Man hört also immer Geigen, Trompeten, Pianos und merkt erst beim genauen Lauschen, dass die nicht echt sind. Sondern etwas zu mächtig, etwas zu klar. Popmusik eben. Mehr, als das bisher für ihn üblich war.

Raabe hat die deutsche Popkultur über einen großen Verlust hinweggetröstet: Der Nationalsozialismus hat eine wundervolle Musikszene zuerst erstickt und danach dann alles Deutsche für den Pop auf Jahrzehnte unmöglich gemacht. Raabe tröstet uns darüber hinweg, dass wir nie erfuhren, was aus den phantastischen Comedian Harmonists noch alles geworden wäre. Raabe war in Israel auf Tour und wurde begeistert aufgenommen. Er spielte bei der Hochzeit von Marilyn Manson und Dita von Teese. Und als kürzlich die Schauspielerin Julianna Margulies (aus "Emergency Room") bei David Letterman saß, sprach sie nicht über sich - sondern über Max Raabe. Um den zu hören, war sie gerade extra nach Berlin geflogen.

Ohne ihn sind Alexander Marcus oder Christian Steiffen nicht denkbar, aktuelle Schlagersänger, die Können mit Parodie verbinden und sich gern auf Altes beziehen. Und dennoch bleiben sie alle unter ihm, dem Maßstab Raabe - denn keiner traut sich so an die Wurzeln des Schlagers, an die Zwanziger, an die Operette Franz Lehárs oder eben an die Comedian Harmonists.

Es gibt Künstler, von denen sagte man zu ihrer besten Zeit: Sie erfinden sich immer wieder neu. Raabes Weg ist das nicht. Er scheint immer derselbe bleiben zu wollen. Angesichts einer Zusammenarbeit mit der großen Annette Humpe drängt sich die Frage auf: Warum nicht ein wenig elektro, wenigstens mal ein Synthesizer? Dazu wissen übrigens beide sofort etwas zu sagen. Humpe: "Das wollte ich ja! Aber das Orchester war dagegen." Raabe: "Das könnte ich nicht. Das Orchester wäre dagegen." Das Palast-Orchester muss die Songs später live spielen und folgt strikt der Devise: Keine Experimente! So steckt Raabe also inzwischen in der seltsamen Falle, dass sogar sein eigenes Orchester ihn ein wenig bremst in seiner ästhetischen Entwicklung.

"Wir werden es nicht übertreiben, wir wissen ja beide Bescheid", singt er einmal. Dazu parodiert eine Gitarre das Umpapa alter Schlager, Waldhörner fließen genauso weich abwärts wie Raabes Stimme. "Wir machen das Beste daraus."

Für den echten Max-Raabe-Fan bleibt nur ein salomonisches Urteil: Raabe und Humpe haben ein Album gemacht, das ein großer Hit werden wird und das man genießen muss. Jede Nummer bleibt im Gedächtnis. Bloß, keine unternimmt wahre Schritte nach vorn. Raabes Potential ist vielleicht noch viel größer, als er selbst zurzeit glaubt. "Es könnte auch anders sein", dieser große Spruch der systemischen Soziologie, bleibt das schärfste Schwert der Kulturkritik. Max Raabe lässt sich nur kritisieren, wenn man hört, was nicht da ist. Denn es könnte sein, dass diese Stimme Gewitter auslöst. Irgendetwas vermisst man eben doch noch. "Ganz egal was ich tu, ich komme einfach nicht zur Ruh", auch das ist ein Text auf der neuen Platte.

Hört man hin, was Humpe und Raabe da dichteten, bekommt man Schnipsel aus dem aktuellen Zeitgeist. Etwa so: Früher hat der Mann das Geld verdient, die Frau im Haus regiert. Heute hat diese Dialektik von Herrschaft und Knechtschaft die Männer ganz entmannt, Frauen können alles. Sie "sind Schöffen beim Sozialgericht, kenn'n ihr Idealgewicht", und "für alles haben sie eine Creme und sehen immer gut aus". Das ist nicht ganz weit weg vom Dünnsinn des Mario Barth.

Der Raabe Wunderlich

Fast jede Nummer zitiert heimlich einen Popklassiker. Bei der ersten soll man an "Penny Lane" von den Beatles denken, bei der zweiten an den Ukulelen-Popo des Hawaiianers Iz. Einmal zitiert eine Geige aus reinem musikalischem Übermut Tina Turners Song "I Can't Stand the Rain". Dieses Wildern in der Popgeschichte ist möglich und wirkt nicht einmal aufdringlich, weil außerdem alle Nummern ohnehin schon etwas sehr Starkes zitieren: Max Raabe.

Als Raabe, der übrigens auch nur als ein Westfale namens Matthias Otto geboren wurde, Mitte der Neunziger in Berlin das Diplom als Bariton machte, war er schon Raabe geworden. Er hatte sich längst auf die Chansons und Schlager der Zwanziger festgelegt und sein Palast-Orchester gegründet. Die Neunziger empfingen ihn mit offenen Armen. Er sang bei Peter Zadek, dann schon in dem Filmhit "Der bewegte Mann". Und während Wortmann abstieg, ging es für Raabe immer nur bergauf. Jetzt schwebt er, allein und frei, wohl schon über allen Gipfeln.

Denn das Wunder dieser Musik und das, was den Sound zusammenhält, ist immer nur Raabes Stimme. Er knödelt auch in der Höhe nie, wechselt ganz weich die Register, ist deutlich hörbar über die Jahre ein immer besserer Sänger geworden. Wenn bei der Nummer "Mir kann nichts passieren" alles von einem hohen D herabperlt, dann denkt man schon an den Jahrhundert-Tenor Fritz Wunderlich, der Mitte der Sechziger mit nur 35 auf seiner Treppe ausrutschte und starb. Raabes Stimme fließt dann perfekt wie einst seine. Aber er kann auch schnarrende Rauhheit, etwa in den albernen Reimen des Songs "Kleine Lügen". Er kann Sprechgesang. Belcanto. Er scheint alles zu können im lyrischen Fach.

Wünschen würde man sich endlich eine Einspielung von Franz Schuberts "Winterreise". Oder - man denke an Josef Bierbichler, der für ein Projekt des Frankfurter Komponisten Heiner Goebbels Musik von Hanns Eisler sang und seine ganze Seele hineingab - was käme da erst, wenn Raabe solch ein Risiko einginge. Hoffentlich erfahren wir irgendwann, was er will, welche Botschaften aus seinem Herzen kommen, womit er uns erschüttern und erregen will. Denn all das könnte er auch.

THOMAS LINDEMANN

Max Raabe: "Für Frauen ist das kein Problem" (Universal). Tournee von Februar bis April, Details siehe maxraabe.de

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