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Menschen werden nicht als politisches Wesen geboren, aber sie leben immer in politisch bestimmten Räumen. Deshalb ist politisches Urteilsvermögen eine Voraussetzung jeder humanen Gesellschaft. Was aber gibt den Ausschlag für politische Entscheidungen jedes einzelnen - ist es der Charakter, das Wissen, die Erfahrung? Oskar Negt zieht in diesem Buch die Summe seiner denkerischen und praktischen Beschäftigung mit Bewusstseinsbildung und Wissensgesellschaft: Er fragt, wie ein Homo politicus heute aussehen könnte, welche Schlüsselkompetenzen er benötigt und wie seine kritische Urteilskraft geschult…mehr

Produktbeschreibung
Menschen werden nicht als politisches Wesen geboren, aber sie leben immer in politisch bestimmten Räumen. Deshalb ist politisches Urteilsvermögen eine Voraussetzung jeder humanen Gesellschaft. Was aber gibt den Ausschlag für politische Entscheidungen jedes einzelnen - ist es der Charakter, das Wissen, die Erfahrung?
Oskar Negt zieht in diesem Buch die Summe seiner denkerischen und praktischen Beschäftigung mit Bewusstseinsbildung und Wissensgesellschaft: Er fragt, wie ein Homo politicus heute aussehen könnte, welche Schlüsselkompetenzen er benötigt und wie seine kritische Urteilskraft geschult werden kann. Ausgehend von aktuellen geopolitischen Entwicklungen unternimmt Negt einen umfassenden Entwurf von politischer Bildung in einer Zeit der Umbrüche.
Politische Bildung ist lebensnotwendig: Das Schicksal demokratischer Gesellschaftsordnungen hängt davon ab, in welchem Maße die Menschen dafür Sorge tragen, dass das Gemeinwesen nicht beschädigt wird.
Autorenporträt
Oskar Negt, geboren 1934, studierte Rechtswissenschaft, Philosophie und Soziologie, vor allem bei Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, und war Assistent bei Jürgen Habermas. Seit 1970 ist er Professor für Sozialwissenschaften an der Universität Hannover. Zahlreiche Veröffentlichungen. 2011 wurde Oskar Negt mit dem "August-Bebel-Preis" für sein Lebenswerk gewürdigt.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.08.2010

Ohne gute Utopie keine gute Politik
Oskar Negt sinnt auf Auswege aus der desillusionierten Gegenwart
Alle Formen der Indoktrination, des Von-oben-herab-Dozierens sind Oskar Negt fremd, auch und gerade in linken politischen Milieus, denen er sich eigentlich verbunden fühlt. Typisch dafür war seine Distanzierung in den Jahren des RAF-Terrorismus von den „trügerischen Tönen des hohlen revolutionären Pathos, das sich innerhalb der Linken breitmachte“, wie er jetzt in einer autobiographischen Passage seines neuen Buches schreibt.
In Oskar Negts Seminaren waren linker Verbalradikalismus und antiautoritäre Phrasendrescherei verpönt. Negt ist auch konservativ: Er steht zu Lehrern, die vor den Nazis flüchten mussten, zu Alfred Sohn-Rethel, Theodor W. Adorno, Franz Neumann, Ernst Fraenkel. Leute wie sie wurden in den akademischen und politischen Diskurs ja erst von linken Hochschullehrern wieder eingeführt, von Lehrern, gegen die heute gern vom Leder gezogen wird, wenn es darum geht, den allgemeinen Werteverfall „nach ’68“ zu brandmarken.
Ein Revolutionär, der sich auch schon einmal auf der Straße für seine Ideen austobte, war der hannoversche Soziologe nun wirklich nie. Ein geduldiger demokratischer Maulwurf ist er immer gewesen, manchmal radikal, gelegentlich utopisch, aber mit einem Sinn für das aktuell Machbare. Negt steht in der Tradition des reformerischen Optimismus von Willy Brandt. Für dessen „Enkel“ Gerhard Schröder hat er sich wie kein zweiter Intellektueller geschlagen – nicht ohne Blessuren im eigenen Freundeskreis. Man nimmt deshalb erstaunt zur Kenntnis, dass Schröder in diesem der Politik gewidmeten Wälzer überhaupt nicht erwähnt wird. Was mag der Grund sein: Desillusion, Enttäuschung, Resignation? Negts Kritik an dem Zustand der politischen Kultur in Deutschland richtet sich an die Akteure in allen Parteien und ganz besonders an die SPD: „Eine solche Entpolitisierung der professionellen Politiker und Verödung der öffentlichen Räume ist tödlich für die Demokratie.“
Je mehr über Politikmüdigkeit oder Entpolitisierung geklagt wird, desto dringender müsste man überdenken, ob der hinter diesen Lamentos stehende Begriff von Politik überhaupt noch realitätsgerecht ist. In seinem, auch mit vielen biographischen Bezügen verfassten Buch sucht Negt „nach Antworten auf die Frage, warum Menschen unter bestimmten Bedingungen ihren politischen Verstand verlieren und andere, die als politisch Handelnde überhaupt nicht in Erscheinung getreten sind, politische Urteilskraft zeigen und praktizieren – unter Umständen sogar unter Einsatz ihres Lebens“. Beispielhaft werden der Feldwebel Anton Schmid als Retter verfolgter Juden und Georg Elser als eigensinniger Hitler-Attentäter genannt. Wer wissen will, was „politische Menschen“ wie Schmid und Elser zu ihren Taten antrieb, kann in diesem Buch Antworten finden – aber er muss sich auch auf eine lange Reise von der Geopolitik über die Wissensgesellschaft, von der Erwachsenenbildung zur Kindererziehung, von der Globalisierung über Europa zur Heimat, von Aristoteles über Kant zu Max Weber, von einem Plädoyer für eine Renaissance der Rhetorik zu einer Ehrenrettung der sozialistischen Utopie einstellen.
So reich an Ideen und klugen Streifzügen durch die Geistesgeschichte Negts Beobachtungen über die Demokratie auch sind, fallen aber doch Blindstellen auf. Über das Internet als Mittel der Massenkommunikation verliert er kein Wort. Initiativen „gegen die Zerstörung der Lebenswelt“ fordert er; was er damit meint, bleibt ein bisschen vage. Oskar Negt hat die politische Kultur der Deutschen um einige wunderbare Begriffe und Definitionen bereichert. Kultur definiert er an einer Stelle etwa sehr treffend als einen „Rastplatz der Reflektion“. Dann aber verliert er sich in allgemeinen Ausführungen über die „Kulturbedeutung wirtschaftlichen Handelns“. Manchmal wünschte man sich einen aufregenden intellektuellen Galopp, wie Negt ihn in den Werken hingelegt hat, die er zusammen mit Alexander Kluge verfasste. Das Brabant-Pferd, das er auch ist, arbeitet zuverlässig, aber langsam.
Ganz am Ende dieser weit ausholenden Suche nach dem „politischen Menschen“ und dem Plädoyer für die Demokratie als Lebensform steht für Negt das Resümee: „Nur noch die Utopien sind realistisch.“ Realpolitiker wie Gerhard Schröder werden sich mit einem Schulterzucken von soviel professoraler „Naivität“ abwenden. Andere werden nach der Lektüre dieser Abrechnung mit dem verwahrlosten Zustand unserer politischen Kultur besser verstehen, warum sich so viele Bürger mit einem Schulterzucken von Politikern abwenden, die visions- und utopielos von einem Haushaltsloch zum nächsten stolpern. CARL WILHELM MACKE
OSKAR NEGT: Der politische Mensch. Demokratie als Lebensform. Steidl-Verlag, Göttingen 2010. 585 S., 29 Euro.
Der Autor ist Publizist und ein Schüler Oskar Negts.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Oskar Negt gleiche einem "Brabant-Pferd", findet Carl Wilhelm Macke, es arbeite "zuverlässig, aber langsam". In seinem neuen Buch "Der politische Mensch" geht Negt der Frage nach, warum manche Menschen ihren politischen Verstand verlieren, dessen Beruf es ist, sich genau dessen zu bedienen; und andere mit einem Mal politische Urteilskraft entwickeln und sie praktisch umsetzen. Antworten auf diese Frage kann der Leser in Negts Text finden, sagt Macke, er müsse dafür aber einen langatmigen Querschnitt durch sozialpolitische Geschichte und Problematiken in Kauf nehmen. Unscharf schreibe Negt des öfteren, so der Rezensent, dann aber wieder auf den Punkt, wenn er beispielsweise die Kultur als "Rastplatz der Reflektion" bezeichne. Politiker könnten diesen Text als naiv bezeichnen. Manch anderer jedoch finde hier Gründe für die Politikverdrossenheit der Menschen, ist Macke überzeugt.

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