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Viktor Orbán regiert hinter einem scheinbar demokratischen Vorhang mit eiserner Faust. Eine zwar schwache, aber funktionierende Demokratie baut er in einen autoritären Staat um. Seine nahezu uneingeschränkte Machtposition verdankt er vor allem seiner persönlichen Ausstrahlung, seiner Unbarmherzigkeit und seinem Machtinstinkt. In den 1990er-Jahren als demokratische Hoffnung gefeiert, gilt Orbáns Bewunderung heute Männern wie Putin und Erdogan. Von den westlichen, liberalen Werten hat er sich abgewendet. Sein rechtskonservativer, populistischer Kurs lässt fremdenfeindlichen und antisemitischen…mehr

Produktbeschreibung
Viktor Orbán regiert hinter einem scheinbar demokratischen Vorhang mit eiserner Faust. Eine zwar schwache, aber funktionierende Demokratie baut er in einen autoritären Staat um. Seine nahezu uneingeschränkte Machtposition verdankt er vor allem seiner persönlichen Ausstrahlung, seiner Unbarmherzigkeit und seinem Machtinstinkt.
In den 1990er-Jahren als demokratische Hoffnung gefeiert, gilt Orbáns Bewunderung heute Männern wie Putin und Erdogan. Von den westlichen, liberalen Werten hat er sich abgewendet. Sein rechtskonservativer, populistischer Kurs lässt fremdenfeindlichen und antisemitischen Tendenzen breiten Raum, seine finanz- und wirtschaftspolitischen Ambitionen führen zu einer Spaltung der Gesellschaft: Einer kleinen Schicht profitierender Neureicher steht ein wachsendes Heer an Armen, Arbeitslosen und Mindestrentnern gegenüber. Die politische Opposition ist schwach und gespalten, die junge urbane Generation wendet sich von der Politik ab oder wandert aus. Ungarn ist zu einem Fremdkörper im demokratischen Europa geworden.
Autorenporträt
Lendvai, Paul
Paul Lendvai, international angesehener Publizist, Autor und Osteuropa-Experte, schrieb viele Jahre als Korrespondent für die Londoner "Financial Times" und angesehene österreichische, Schweizer und deutsche Blätter. Er war ab 1982 Chefredakteur der Osteuropa-Redaktion des ORF und ab 1987 Intendant von Radio Österreich international. Heute ist er weiterhin Mitherausgeber und Chefredakteur der von ihm gegründeten internationalen Zeitschrift Europäische Rundschau, Leiter des Europa-Studios des ORF und Kolumnist des "Standard". Er hat 16 Bücher publiziert, viele davon Bestseller und in mehrere Sprachen übersetzt, und ist Träger zahlreicher Auszeichnungen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.10.2016

Umfassender Machtanspruch
Paul Lendvai schildert Viktor Orbán und seine Herrschaft über Ungarn

Welcher Regierungschef eines mittelgroßen mitteleuropäischen Landes erweckt außerhalb der eigenen Grenzen das größte Interesse? Wenn Erwähnungen in Tageszeitungen als Indikator gelten dürfen, ist das - zumindest in Deutschland - mit großem Abstand Viktor Orbán. Der ungarische Ministerpräsident und Chef der nationalkonservativen Partei Fidesz führt die Liste weit vor den Amtskollegen aus Tschechien oder sogar dem weit größeren Polen an. Umso mehr seit der eskalierenden Flüchtlingskrise, in der Ungarn ein Schlüsselland ist und Orbán sich zu einer Schlüsselfigur gemacht hat. Schon deshalb dürfte Paul Lendvai mit seinem Buch über "Orbáns Ungarn" auf einigen Widerhall stoßen, das nun, zwei Wochen nach dem ungarischen Flüchtlingsreferendum, an diesem Montag in die Buchläden kommt.

Lendvai, ein österreichischer Journalist mit ungarischen Wurzeln, war nach 1956 ins Nachbarland geflohen. Er stellt sich als ein Beobachter ohne eigene Interessen und Vermögen in seiner einstigen Heimat vor, der die Verhältnisse daher aus freundlicher, aber kritischer Distanz beschreiben könne. Das mag für Ungarn insgesamt gelten, in Bezug auf Orbán muss man aber doch eher von einer unfreundlichen kritischen Distanz sprechen. Einen ernsthaften Versuch, seinen Lesern auch Orbáns eigene Perspektive darzustellen, unternimmt er jedenfalls nicht.

Dies berücksichtigend, wird man Lendvais Buch, will man erfahren, wo Orbán herkommt, mit Gewinn lesen: wie er sich von einem liberalen Verächter des Establishments zum national-konservativen Machtakkumulator gewandelt hat und sich gleichzeitig im politischen Wesen treu geblieben ist; wie seine - nach schlimmen Niederlagen - demokratisch errungene Herrschaft über Ungarn funktioniert; welche Korruptionsaffären bereits ans Licht gekommen sind; wer seine Günstlinge sind und wer seine Gegner, nein, im unversöhnlichen politischen Klima Ungarns muss man eigentlich sagen: Feinde; und wer vom einen zum anderen geworden ist.

Viktor Orbán kommt aus der Provinz und ist in kleinen, ärmlichen Verhältnissen groß geworden. Lendvai deutet plausibel aus dieser soziologischen Kluft die tiefe gegenseitige Abneigung zwischen ihm sowie den meisten seiner Weggefährten und den großstädtischen, international-liberalen Budapester Bürgerlichen. Was Orbán einmal über seine eigene Devise als junger Rabauke sagte, kann unverändert auch für den Politiker und Machthaber gelten: "Wenn ich eine Ohrfeige bekomme, gebe ich zwei zurück." Seine große Leidenschaft war und ist der Fußball, aktiv wie passiv.

Als Jurastudent in Budapest sammelte er einen Freundeskreis um sich, der in erstaunlich hohem Maß heute die maßgeblichen Posten des ungarischen Staates besetzt - vom Staatsoberhaupt über den Parlamentspräsidenten bis zum Wortführer im Europaparlament. Und natürlich den Regierungschef. Lendvai erläutert auch das Prinzip, das Orbán zur Voraussetzung dafür macht, dass er Freunden die Stange hält: unbedingte Loyalität. Wer seinem umfassenden Machtanspruch im Wege steht, scheidet aus der Mannschaft aus.

Lendvai präsentiert keine großen eigenen Enthüllungen. Er hat mit einer Reihe von Leuten gesprochen, überwiegend ausgewiesenen Gegnern Orbáns, und er schöpft aus den ungarischen Quellen, sie dem deutschen Leser so erschließend. Das gilt vor allem auch für die Biographien von József Debreczeni, einst Mitarbeiter, später Kritiker Orbáns. (Währenddessen war für die zügige Übersetzung der panegyrischen Orbán-Biographie von Igor Janke 2014 rasch Sorge getragen worden.) Lendvai spart auch nicht mit Kritik an den Fehlern und ebenfalls korrupten Machenschaften der sozialistischen Regierungen, vor allem von 2002 bis 2010, also zwischen den beiden Perioden Orbáns an der Regierungsspitze; das bleiben jedoch eher Randbeobachtungen. Dabei hätte man gerne mehr über Ferenc Gyurcsány erfahren, den damaligen Ministerpräsidenten und einzigen linksoppositionellen Gegenspieler, den Orbán ernst nimmt - und mit dem er im Wesen so manches gemeinsam zu haben scheint.

STEPHAN LÖWENSTEIN

Paul Lendvai: Orbáns Ungarn. Verlag Kremayr & Scheriau, Wien 2016. 240 Seiten, 24 Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.10.2016

In der Maske
des Liberalen
Paul Lendvai seziert die Verhältnisse in Ungarn
unter Viktor Orbán – mit sorgenvollem Blick
VON CATHRIN KAHLWEIT
Dieser Tage jährt sich der ungarische Volksaufstand zum 60. Mal. Viktor Orbán, Ungarns Ministerpräsident, lässt derzeit kaum eine Gelegenheit ungenutzt, um den Konnex herzustellen zwischen dem Freiheitskampf der Ungarn gegen die sowjetischen Besatzer 1956, dem Freiheitskampf der Osteuropäer im Jahr 1989 – und dem Freiheitskampf der Ungarn heute. Denn: Es sei eben „auch eine Gefahr für die Freiheit, wenn ohne jedwede Kontrolle Fremde auf dem Landesgebiet erscheinen, deren Sitten, deren Vorstellungen vom Leben sich vollkommen von den unsrigen unterscheiden, und sie unsere freie Gesellschaft auf einen Schlag oder langsam, aber gegen unseren Willen umformen“. So Orbán in seinem jüngsten Interview bei Kossuth-Radio.
  Wie sich die Zeiten ändern. Paul Lendvai war durchaus mal ein Fan von Orbán. Aber das ist lange her. Wenn man dem Autor und Ungarn-Kenner folgt, hat sich der zielstrebige Machtpolitiker mehr verändert als sein Land, das er mit einem „Erdbeben“ und dem „Griff nach der absoluten Macht“ eroberte und in eine „Führerdemokratie“ verwandelt hat. Vor mehr als 25 Jahren jedenfalls war der heutige Premier erstmals mit einer aufsehenerregenden Rede anlässlich des Staatsaktes für den 1956 hingerichteten Reformkommunisten Imre Nagy einer größeren Öffentlichkeit auch im Westen positiv aufgefallen.
  Er forderte damals auf dem Heldenplatz in Budapest als 26-jähriger, unbekannter Jungpolitiker freie Wahlen und einen Abzug der russischen Truppen. Was diese „politisch aufsässigen Worte“ auch in den Augen des einstigen Ungarn-Flüchtlings Lendvai so bedeutend machte, war der Zeitpunkt, zu dem sie gesprochen wurden: noch vor der offiziellen Abdankung der kommunistischen Einheitspartei und dem Zerfall der UdSSR. Es gehörte Mut dazu.  
  Und ein zweites Mal sah sich der angesehene Osteuropakenner beeindruckt von dem „zukunftsträchtigen, progressiven Politiker der jüngeren Generation“, als Orbán wenige Jahre später in geschliffenem Englisch in Wien eine Rede für den Liberalismus und gegen die nationalkonservative Regierung der Nachwende-Jahre hielt. Aber der junge Mann aus kleinen Verhältnissen, der sich mit einer Gruppe enger Vertrauter und Studienfreunde daran machte, die Macht in Ungarn zu erobern und sie auf Dauer zu behalten, habe eine „liberale Maske“ aufgesetzt, schreibt Lendvai im Rückblick. Und erläutert auf 240 hervorragend recherchierten, kenntnis- und detailreichen Seiten, warum „Orbáns Ungarn“, so der Titel des neuen Buches, in Gefahr ist.
  Über den Mann selbst, seine Ideologie und seine Politik ist in den vergangenen sechs Jahren in internationalen Medien viel berichtet worden, seit Orbán 2010 zum zweiten Mal Ministerpräsident jenes tief zerstrittenen, korruptionsmüden, hoch verschuldeten Staates wurde, der zuletzt von dem so freundlichen wie glücklosen Technokraten Gordon Bajnai regiert worden war. Politikinteressierte Leser wissen, wie Orbán, mit einer Zweidrittelmehrheit ausgestattet, erst einmal die Medien einschüchterte und die Verfassungsgerichtsbarkeit aushöhlte, wie er mit einer neuen Konstitution und Hunderten von Ausführungsgesetzen die politischen Institutionen auf Linie brachte und seine Leute in allen, wirklich allen strategisch wichtigen Positionen des Staates installierte. Wie er dafür sorgte, dass diese Leute praktisch unkündbar sind, und sich die Regierungspartei auf allen Ebenen des Staates und der Verwaltung auf Dauer festsetzen konnte. Wie er es mit einer Änderung des Wahlrechts schaffte, dass seine Partei Fidesz in Zukunft exzellente Chancen hat, eine verfassungsändernde Mehrheit zu erlangen, selbst wenn die Wahlergebnisse schlechter werden.
  Das Verdienst des Buches von Paul Lendvai ist, dass er mit einem kühlen Blick seziert, was das für Ungarn bedeutet. Nämlich im Kern: Demokratische Machtwechsel würden immer unwahrscheinlicher. Das faktische Ende der Gewaltenteilung habe dazu geführt, dass Viktor Orbán „unter dem Deckmantel der Verfassungsmäßigkeit mit verfassungsrechtlichen Mitteln einen verfassungsrechtlichen Staatsstreich“ vollzogen hat. Und das, so die bedrohliche Schlussfolgerung, ist eine Methode, der die EU bisher wenig entgegengesetzt hat und die Schule machen könnte.    Lendvai hält sich einige Kapitel lang mit Herkunft, Sozialisierung und der ersten Amtszeit des Fidesz-Chefs zwischen 1998 und 2002 auf. Und er beschreibt, wie der ob seiner Abwahl erschütterte Politiker die sogenannte Lügenrede des sozialistischen Premiers Ferenc Gyurcsány 2006 mithilfe von Spindoktoren so gegendrehte, dass aus einem Geständnis über den Betrug an den Bürgern eine zynische Abrechnung gemacht wurde. Er schildert, wie Orbán seine Wiederwahl strategisch plante und in einen „kalten Bürgerkrieg“ eintrat.
  Das Ergebnis ist bekannt: jener Erdrutschsieg, den Orbán als nationale Revolution bezeichnet, und die er wohl auch war. Die Wähler hatten ihm viel Macht verliehen. Wie viel, das sagte Orbán schon 2009 bei einer internen Parteiveranstaltung voraus, auf der er ankündigte, ein „zentrales politisches Kräftefeld“ schaffen zu wollen, das für „15 bis 20 Jahre das duale System ablösen“ würde. Nur einmal, so Orbán, „müssen wir siegen. Aber dann richtig“.
  Die Selbsteinschätzung des Premiers war nie geprägt von Selbstzweifeln. Europa, sagte er vor Studenten, brauche starke Führer. Denn die Politik sei eine Schlacht. Man müsse als Nummer eins im Staat Verleumdungen ertragen können und im Falle eines Angriffs die Moral beiseitelassen: „Wenn ich auf einer Wiese stehe und drei mich angreifen, dann kann ich nicht moralisieren oder argumentieren. Dann gibt es nur eine Aufgabe, die drei niederzumetzeln.“ So weit die Metaphorik.
  In der Praxis führte das dazu, dass Kritiker mundtot gemacht und Nichtregierungsorganisationen, die sich für Minderheiten einsetzen, mit Verfahren überzogen wurden. μWie schwach und hilflos die Opposition agiert, die kein adäquater Gegner ist, streift Lendvai nur kurz. Weitaus anschaulicher und mit Dutzenden Beispielen belegt er die Staatskorruption, listet Männerfreunde und graue Eminenzen auf und zeigt auf, dass eine der wenigen, übrig gebliebenen Gefahren für das System Orbán derzeit nur noch der interne Streit um die Futtertröge sein könne.   
  Der Autor, Herausgeber der Europäischen Rundschau, der im hohen Alter noch eine Sendung im ORF moderiert, beendet seine Monografie, wie sollte es anders sein, mit einem Kapitel über Europa. Der Premier teile heftige Schläge gegen die deutsche Kanzlerin aus, er wolle ihre starke Stellung in Europa schwächen, so Lendvai. Seine sorgenvolle Quintessenz: In der zerfallenden EU erlebe der Mann aus Felcsút den „größten Machtzuwachs seines Lebens“.
Paul Lendvai: Orbáns Ungarn. Kremayr & Scheriau, Wien 2016. 240 Seiten, 24 Euro. E-Book: 16,99 Euro.
Einst hielt der Autor
den Politiker für progressiv
und „zukunftsträchtig“
Eine der wenigen Gefahren für
das System Orbán könnte der
interne Streit um Futtertröge sein
Denkzettel: Viktor Orbán scheut sich nie, die EU zu provozieren.
Hier beim – an der zu niedrigen Wahlbeteiligung gescheiterten – Volksvotum gegen Europas Flüchtlingspolitik.
Foto: ATTILA KISBENEDEK/Afp
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Cathrin Kahlweit sorgt sich um Ungarn. Was der einst aus Ungarn geflüchtete Journalist Paul Lendvai ihr pünktlich zum 60. Jahrestag des Volksaufstands über Viktor Orban zu sagen hat, über seine Sozialisation, seine Verwandlung vom liberalen Umstürzler zum Machtpolitiker und über Ungarns Zukunft, kenntnis- und detailreich und mit kühlem Blick, jagt der Rezensentin einen Schrecken ein. Die Vision einer Verfassungsänderung hin zu einem Ende der Gewaltenteilung, einem Ende von demokratischen Wahlen und einem weiter erstarkenden Orban in einem zerfallenden Europa, die der Autor hier eröffnet, hält Kahlweit für eine besorgende Quintessenz.

© Perlentaucher Medien GmbH