Lesenswert - auch wenn man nicht jede These teilt
Jürgen Roth ist als investigativer Journalist keineswegs unumstritten. Manchen sind seine Thesen zu gewagt, anderen zu wenig durch Fakten belegt. Das wird sicher auch für viele Leser von "Der tiefe Staat" gelten.
Nach eigener Aussage in einem
Interview beschreibt Roth "den "tiefen Staat", so wie er sich heute in Deutschland wie in Europa…mehrLesenswert - auch wenn man nicht jede These teilt
Jürgen Roth ist als investigativer Journalist keineswegs unumstritten. Manchen sind seine Thesen zu gewagt, anderen zu wenig durch Fakten belegt. Das wird sicher auch für viele Leser von "Der tiefe Staat" gelten.
Nach eigener Aussage in einem Interview beschreibt Roth "den "tiefen Staat", so wie er sich heute in Deutschland wie in Europa präsentiert, als eine Struktur jenseits des demokratischen Systems, ohne demokratische Legitimation und ohne parlamentarische Kontrolle. Dazu zähle ich nicht nur Teile von Geheimdiensten oder privaten Sicherheitsunternehmen, sondern auch multinationale Konzerne und Banken. Daher spreche ich auch vom Staat im Staat."
Seine Definition geht also ziemlich weit, selbst die Einflüsse von Lobbyisten auf parlamentarische Entscheidungen zählt er dazu. Ketzerisch könnte man sagen, das von vielen Bürgern geäußerten Empfinden, "die da oben machen doch sowieso was sie wollen", wird von Roth mit Fakten und Thesen unterfüttert. Das ist nicht völlig falsch, wird seinem Aufwand beim Recherchieren und Schreiben aber nicht im Ansatz gerecht.
Mit seiner Behauptung, im "tiefen Staat" würden vor allem nationalkonservative bis rechtsradikale Akteure den Ton angeben, ist Roth ja nicht alleine. Wer "Heimatschutz" von Aust/Laabs gelesen hat, und auch andere Literatur zum NSU-Komplex zur Kenntnis nimmt, wird dieser These oft hören.
Als Erklärung verweist Roth auf die Prägung der zentralen Institutionen des Rechtsstaates in Deutschland durch autoritäre und völkische Persönlichkeiten, die mangels geeigneter Alternativen zum Aufbau von Verwaltung, Justiz und Sicherheitsbehörden nach dem Krieg eingesetzt wurden. Der Autor schildert viele Beispiele, am bekanntesten ist "Gladio", die in Italien aufgeflogene so genannte "Stayy-Behind-Organisation" der CIA. Es gibt viele Dokumentationen zu diesem Thema, und mittlerweile gilt es als gesichert, dass es auch in anderen Staaten solche Organisationen gab.
Der NSU ist nach Auffassung von Roth nicht Teil irgendweiner Geheimarmee gewesen, aber der Autor ist völlig sicher, dass die Mörderbande ohne vioelfältige Unterstützung aus den Reihen der Verfassungssschutzbehörde so nicht hätte agieren können. Dazu mag man sich als Leser sein eigenes Urteil bilden, aber ich finde das Buch von Jürgen Roth sehr lesenswert, auch wenn man vielleicht nicht jede seiner Thesen teilt.