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»Lenin - heute? Die erste quasiautomatische Antwort auf diesen Vorschlag wird ein Lachen sein: Das meinst Du unmöglich ernst! Eine Rückkehr zu Marx, das könnten wir gerade noch verstehen; die ökonomische und technologische Globalisierung scheint Marx' Analysen der kapitalistischen Dynamik in der Tat zu bestätigen, und auch der Beschreibung des 'Fetischcharakters der Ware' können wir noch etwas abgewinnen. Aber Lenin?!« So formulierte Slavoj Zizek in seinem programmatischen Zeit-Artikel »Von Lenin lernen« erste zu erwartende Reaktionen auf seine Beschäftigung mit Lenin. Hierbei handelt es sich…mehr

Produktbeschreibung
»Lenin - heute? Die erste quasiautomatische Antwort auf diesen Vorschlag wird ein Lachen sein: Das meinst Du unmöglich ernst! Eine Rückkehr zu Marx, das könnten wir gerade noch verstehen; die ökonomische und technologische Globalisierung scheint Marx' Analysen der kapitalistischen Dynamik in der Tat zu bestätigen, und auch der Beschreibung des 'Fetischcharakters der Ware' können wir noch etwas abgewinnen. Aber Lenin?!« So formulierte Slavoj Zizek in seinem programmatischen Zeit-Artikel »Von Lenin lernen« erste zu erwartende Reaktionen auf seine Beschäftigung mit Lenin. Hierbei handelt es sich aber um den Versuch, eine kritische Perspektive auf die gegenwärtige politische Situation zu gewinnen. »Die Frage lautet also nicht: 'Was hat Lenin gemeint, und was hat er uns heute zu sagen?' Sie lautet genau andersherum: Wie erscheint uns die gegenwärtige Gesellschaft aus einer leninistischen Perspektive?«
Autorenporträt
Zizek, SlavojSlavoj Zizek wurde am 21. März 1949 in Ljubljana, Slowenien geboren und wuchs auch dort auf. Er studierte Philosophie und Soziologie an der Universität in Ljubljana und Psychoanalyse an der Universität Paris VIII. Seit den achtziger Jahren hat Zizek zahlreiche Gastprofessuren im Ausland inne, unter anderem an der Tulane University, New Orleans (1993), der Cardozo Law School, New York (1994), der Columbia University, New York (1995), in Princeton (1996) und an der New School for Social Research, New York (1997). Von 2000 bis 2002 leitete er eine Forschungsgruppe am kulturwissenschaftlichen Institut in Essen. Er war jahrelanger Herausgeber der Zeitschrift der slowenischen Lacan-Schule Wo Es war und setzte sich unter anderem mit der Philosophie des Deutschen Idealismus, mit Hegel und mit Karl Marx auseinander, sowie mit zeitgenössischen Denkansätzen aus dem Bereich des Poststrukturalismus, der Medientheorie, des Feminismus und der Cultural Studies. Heute lehrt an der Eur

opean Graduate School, am Birkbeck College der University of London und am Institut für Soziologie der Universität von Ljubljana. Seine erste englischsprachige Buchveröffentlichung The Sublime Object of Ideology erschien 1989. Seitdem veröffentlichte Zizek über 20 Monographien, in denen er sich zunächst um eine lacanianische Lesart der Philosophie, der Populärkultur und in den letzten Jahren zunehmend der Politischen Theorie bemühte.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.12.2002

Mit Lenin auf der Couch
Ostentative Radikalität oder Wollt ihr den totalen Talk: Die Welt als Wille und Zitat nach Slavoj Zizek
„Intellektuelle sind Scheiße”, pflegte Lenin mehr als einmal zu sagen. Gemeint waren natürlich die anderen, die nicht- bolschewistischen Intellektuellen. Damit stimmte er seine Gefolgsleute auf die „unbarmherzige” Eliminierung ihrer nichtkonformen Artgenossen ein.
Slavoj Zizek, „einer der originellsten und innovativsten Theoretiker der Gegenwart” (Klappentext Suhrkamp) und Fachmann für die „Antinomien der postmodernen Vernunft” (Forschungsprojekt Essen), hat nun ein Bändchen über die Aktualität Lenins geschrieben – und es damit noch einmal geschafft, „der Versuchung zu handeln, direkt einzugreifen ... zu widerstehen”. Ein Akt des heroischen Opportunismus gewissermaßen. Denn der Titel verkündet es ganz unzweideutig, geradezu unbarmherzig: „Die Revolution steht bevor.”
Aber welche Revolution? Noch immer die gegen den alt-bösen Feind, den Kapitalismus. Nur ist das heute der „virtuelle, an sein logisches Ende geführte Kapitalismus”, der „einem Nichts” gleicht und „um die eigene Achse wirbelnd einen Exzess seiner selbst erzeugt”. Was wir auf dem Markt kaufen, „sind immer weniger Produkte (materielle Gegenstände)”, sondern nur noch „Requisiten”, bloße „Bilder von Produkten”. Mit dem Ergebnis, dass „die Marktwirtschaft die ,lebenden‘ organischen Gemeinschaften getötet hat”.
Nicht erst hier spürt man im Exzess der um die eigene Achse wirbelnden Bilder und Requisiten Zizeks einen Impuls oder Affekt, den konservativ zu nennen bei weitem zu kurz griffe. Eher geht es um die Phantasie einer gewaltsamen, universellen Reaktion, die Natürlichkeit und Identität „wiederherstellt” – etwa im beredten Lamento, „dass wir in einer Gesellschaft der freien Wahlmöglichkeiten leben, in der wir selbst unsere ,natürlichsten‘ Merkmale (unsere ethnische oder sexuelle Identität) wählen müssen”. Oder in der schneidenden Feststellung, dass es „immer schwerer fällt, uns ein öffentliches oder universelles Anliegen vorzustellen, für das wir bereit wären, unser Leben zu lassen”.
Kurz: „Wir im Westen sind Nietzsches ,letzte Menschen‘, die sich albernen Alltagsvergnügungen hingeben, während die muslimischen Radikalen bereit sind, alles aufs Spiel zu setzen und bis zur Selbstzerstörung zu kämpfen.” Sie, die radikalen Muslime, sind daher auch schon „die Herren”, und zu Recht, da sie sich „einem transzendenten Anliegen widmen”, wie der 11. September 2001 gezeigt hat, während wir uns sklavisch „an das Leben und seine Genüsse klammern”.
Wo laufen sie denn?
Eingangs des zehnten Kapitels fragt Zizek: „Wo steckt nun Lenin bei alledem?” Eine gute Frage. Fast hätte man den Titelhelden vergessen. Er geistert als reiner Lacanscher „Signifikant” und radikal enthistorisierte Figur nur hier und dort durch den dunklen Textwald seines späten Zeloten. Zizek schildert uns Lenin allen treuherzigen Ernstes als einen Verzweifelten, der wie Hašeks Schwejk zwischen die Schützengräben des Weltkriegs gesprungen sei und gerufen habe: „Nicht schießen! Da sind Leute auf der anderen Seite!” In diesem existenziellen „Moment der Verzweiflung” und „über den Umweg einer gründlichen Lektüre von Hegels Logik” habe Lenin eine „Wette” geschlossen: dass Staat, Kapitalismus und Imperialismus hier und heute zu zerschmettern seien! „Dieses Drängen des Augenblicks ist die wahre Utopie ... der Wahnsinn (im strengen kierkegardschen Sinne).”
Es handelte sich also um eine „leninsche Wette” mit der Geschichte, worin die Revolution „ihr eigener ontologischer Beweis” war. Und wenn sie binnen kurzem mehr Opfer forderte als selbst der Weltkrieg, so war diese exzessive Gewalt gerade ein „Zeichen der Authentizität”, oder mehr noch: „der einzige Beweis der Liebe”. (Erich Mielke winkt mild herüber.) Und wurden im Furor der stalinistischen Kollektivierung oder maoistischen Kulturrevolution Kirchen geschändet, Monumente geschleift, Kulaken, Volksfeinde und Verräter en masse liquidiert, dann „haben wir es effektiv mit einer Art batailleschen , hemmungslosen Verausgabung‘ zu tun”.
So klappert Zizek schamanenhaft mit Zitaten wie Knöchlein. Nichts geht ohne theoretische Referenz: Bataille, Kierkegaard, Nietzsche, Hegel, Marx (Karl und Groucho), Brecht, Lenin, Lacan. Spricht Lenin: „Die Lehre von Marx ist allmächtig, weil sie wahr ist”, so müssen wir mit Hegel eben wieder neu definieren, „was wir hier unter wahr verstehen”. Und wenn Lenin fordert, „dass man bereit ist, sein ,Ich‘ auf das ,Wir‘ der kollektiven Identität der Partei zu gründen”, so ist das ganz im Sinn von Lacan gedacht, wonach erst der „externe Agent (Partei, Gott, Analytiker)” intervenieren und den „Platz der Wahrheit” einnehmen muss, damit das Individuum oder die Arbeiterklasse sich „aus ihrer selbstgefälligen Spontaneität aufrütteln” lässt, um „ihre historische Mission zu verwirklichen”. Also: Lenin, das ist noch stets eine „Politik der Wahrheit” (in bedeutungsvollem Kursiv), die sich dem liberalen Verdikt des „Totalitarismus” (in ironischen Anführungsstrichen) nicht beugt.
Das Unangenehmste an dieser Suada ohne Punkt und Komma ist, dass man ihre ostentative Radikalität nicht eine Sekunde „glaubt”. Der einzige, entfernt politische Vorschlag hat die Qualität eines matten Scherzes: Das „Microsoft-Monopol”, welches ein weiterer schlagender Beweis auf die „leninistische Lehre” sei, „einfach zu verstaatlichen und so frei zugänglich zu machen”. Die Formel des (post-)modernen Leninismus lautet also: „Sozialismus = Freier Zugang zum Internet + Sowjetmacht.”
Slavoj Zizek als der „externe Agent (Partei, Gott, Analytiker)” im World Wide Web: Das wäre dann allerdings die „unbarmherzigste” aller Diktaturen – die des totalen Talk. Hätte er wenigstens den zynischen Humor eines großen Causeurs wie George Bernard Shaw, der nach einer Visite in der UdSSR 1932 die „feste Moralität” der Bolschewiken rühmte, die Sozialparasiten „wie Ungeziefer auszurotten”; und der, um der erhofften Provokation die Krone aufzusetzen, schmunzelnd hinzufügte, „dass ich selbst ohne Zweifel für die Liquidierung nach russischen Prinzipien so ziemlich in Frage komme”.
GERD
KOENEN
SLAVOJ ZIZEK: Die Revolution steht bevor. Dreizehn Versuche über Lenin. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2002. 150 Seiten, 9 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.12.2002

Er will Revolutionär werden anstelle des Revolutionärs
Was zum Kuckuck interpretiert er da? Slavoj Zizek erstellt ein Manifest des Schlamper-Kommunismus / Von Dietmar Dath

Dieses kleine rote Buch ist brav gewollt, in vielerlei Hinsicht verdienstvoll und liest sich flink; man hat es fast so schnell gefressen, wie es wohl zusammengeschrieben wurde. Neomarxismus mal andersherum: Statt "die Klassiker" aus heutiger Weltklugheit heraus zu "rekonstruieren", gibt Slavoj Zizek den Bauchredner Lenins und malt sich aus, wie jener wohl unsere Lage diskutiert hätte.

Der Autor macht dabei keine Gefangenen und bringt seine schnittigen Einfälle mit Verve vor; ein paarmal ging im Eifer des Gefechts allerdings auf seiner wie auf Lektorenseite das eine oder andere daneben - die Geschichte der Oktoberrevolution, soweit sie kein Staatsstreich einer "winzigen Gruppe" war, sondern eine der spontan organisierten "Lokalkomitees", ist gewiß nicht, wie Zizek schreibt, "ungeschrieben", sondern von Trotzkis "Geschichte der russischen Revolution" bis zu den einschlägigen Texten von John Reed eine der geschriebensten Geschichten der letzten 150 Jahre; das angeführte "Sachbuch" der ultraliberalen Autorin Ayn Rand - in Wirklichkeit eine Aufsatzsammlung mit diversen Beiträgen anderer - heißt nicht "Capitalism, this unknown Ideal", und die darin gebrauchte Formulierung "America's persecuted minority - Big Business" sollte man eher nicht mit "Topmanager - Amerikas letzte bedrohte Spezies" übersetzen; "Lenins Empiriocriticism", was immer das als deutschsprachige Formulierung bedeuten soll, gibt es nicht, sondern nur ein Buch von Lenin über den sogenannten "Empiriokritizismus" von Bogdanow und Konsorten - immerhin der früher recht berühmte Band 14 der Lenin-Werkausgabe; die "Philosophischen Notizbücher" Lenins heißen korrekt, mit offiziellem, zitierfähigem Titel "Philosophische Hefte"; das "Project Mayhem" im Film "Fight Club" heißt in der geläufigen deutschen Synchronisation "Projekt Chaos" und hätte hier also nicht unübersetzt stehenbleiben müssen; Lenin hat keineswegs je irgend etwas über "Linkspolitik als Kinderkrankheit des Kommunismus" geschrieben - er wäre schön blöd gewesen, seine Politik verstand er durchaus als gediegen links -, sondern nur ein weiland vielgelesenes Werk namens "Der ,linke Radikalismus', die Kinderkrankheit im Kommunismus", bei dessen Titel ihm die Anführungszeichen fast das wichtigste waren; Marxens Krisentheorie wurzelt nicht allein in der "Kluft zwischen Gebrauchs- und Tauschwert", sondern in der Idee der zyklischen Überproduktion und später im tendenziellen Fall der Profitrate sowie der strukturdynamischen Unfähigkeit des Werts, sich zu verwerten; der Satz "Die letzte große Gestalt des Liberalismus war Ernst Cassirer" ist eine zumindest gewagte These; Leo Trotzki hat den Stalinismus gerade nicht als "Produkt von Stalins Persönlichkeit" begriffen, sondern umgekehrt letztere als Resultante eines "stalinistischen" Bürokratisierungsprozesses in der Sowjetunion - Zizek kennt offenbar weder Trotzkis Stalin-Buch noch desselben Schriftstellers großen Traktat "Verratene Revolution"; und so weiter.

Diese Schnitzer sind indes gerade in ihrer Vielzahl und Persistenz sowie im Hinblick darauf, welche Sorte Text- und Sachwissen sie betreffen, spaßigerweise keine reinen Blößen, die der slowenische Lenin-Beleber sich gibt. Sie belegen vielmehr geradezu mit bestechender Zwangsläufigkeit, was er als Befund ernst genommen wissen will: daß unsere Zeit von den da betroffenen Sachen, vor allem aber vom Werk Lenins, viel zuwenig, fast gar nichts mehr weiß. Daß nicht nur um Lenin angeordnete Herzstücke des kommunistischen Klassikerkanons in Zizeks Referat Verzerrungen unterliegen, sondern auch die Schriften einer Fürsprecherin der bürgerlichen Freiheit wie Ayn Rand, würde in diesem von Zizeks meisterhaftem Gehudel unterschwellig provozierten Verständnis seines Textes als eines Beweisstücks seiner eigenen These gerade belegen, daß durch den Sieg der marktliberalen Divisionen im "Weltbürgerkrieg" (Lenin) nicht nur das Wissen und Wollen ihrer entschiedenen Gegner dem Vergessen anheimfielen, sondern auch für die bürgerliche Freiheit selbst nach ihrer falschen, katastrophischen Durchsetzung als globalisierte Entfremdung und Verdinglichung keine ideologische Verwendung mehr besteht.

Lenin hätte all das, Zizeks Schnitzer wie dessen Thesen, inklusive einiger eilends zusammenprophezeiter Extrapolationen anläßlich des 11. September 2001, erheblich knapper und beherzter einfach der "Fäulnis" des Kapitalismus zugeschlagen. Aber auch da kann Zizek locker mehr wissen als der, den er reanimiert: Kürze und Knappheit braucht nur der Politiker, der keine Zeit hat, weil er etwas ausrichten kann und will. Heutige linke Zeitdiagnostik aber kann sich diese Zeit nehmen und steht, so parlando sie die dann auch, wie Zizek in diesem Buch, für arabeske Abschweifungen über Hollywood, Nike, Claudia Schiffers sterile Schönheit, Vaginalkameras im Internet und Lacansches Abrakadabra nutzt, am Ende trotzdem nicht macht- und bedeutungsloser da als je schon.

Einen ganz neuen Zizek hätte "Die Revolution steht bevor" der darüber vermutlich entzückten Welt präsentieren können: den konzis politischen Publizisten anstelle des überdrehten Kampfhahns und analytischen Schamanen. Statt der vollendeten Metamorphose aus den beiden letzteren in die erstere Pose gibt es jedoch von allen dreien ein wohlkalkuliertes bißchen. Politisch wird es in dem Buch vor allem da, wo Zizek das Wohlfeile konkurrierender Modelle der Rückbesinnung auf die sozialistischen Klassiker benennt: Daß etwa Marx in akademischen und akademienahen linken Kreisen heute wieder en vogue ist und Lenin vergessen, liegt wohl wirklich, wie Zizek beobachtet haben will, an einer Vorliebe für den folgenlosen Mahner im Londoner Exil, während man sich mit Sachen, Leuten und Texten, die bekanntlich ordentlich Folgen hatten, eher nicht belasten mag. Versöhnlich aber präsentiert sich Zizek jenen eklektischen Genießern pessimistischer oder wenigstens origineller Zeitkritik, die ja auch seinen eigenen Kundenstamm stellen, weniger durch explizite Zurücknahme solcher Entlarvungsleistungen als durch Tonfall und Gedankenverlauf: Wer so viele Digressionen und Blümchen am Wegesrand anbietet wie dieser Herr, der wird schon nicht allzu schnell auf Fakultätsbesetzungen, Enteignungskampagnen und Barrikaden zusteuern.

Hätte Zizek den von der Kundschaft geschätzten Zinnober weggelassen, die "Kulturdiagnostik" vor allem, wäre man ihm am Ende wirklich böse gewesen, aber auch so gibt es genügend Hinweise, daß mit dem Übergreifen des eigenen Politizitätsanspruchs auf die Bewertung der neuesten Daten aus der Welt der sozialen Entrechtung und globalen Verwüstung, wie sie der Schutzheilige Lenin ja eigentlich verlangen würde, so bald nicht zu rechnen ist: Acht Zehntel der kleinen Schrift gelten dem "Denker" Lenin, die philosophischen Manuskripte bis hin zum Digest und Grenzfall "Staat und Revolution" erfahren breite Exegesen, die genuin realpolitische Schlüsse nahelegenden Schriften Lenins aber, etwa das Imperialismusbüchlein oder "Was tun?", aus deren dümmsten und überholtesten Fehldiagnosen heute noch mehr politische Festlegungen erzwungen werden könnten als aus dreihundert dicken Bänden zum historischen Materialismus, tastet Zizek nicht einmal mit spitzen Fingern an.

Zu allem und jedem weiß er Marginalien einzutragen; daß sie marginal bleiben, dafür trägt er, der bei aller Lenin-Liebe eben doch ein "dezentrierter" und "postmoderner" Kopf ist, dennoch Sorge - und muß das ja auch, er wäre denn bereit, an dem Ast zu sägen, auf dem er so bezaubernd balanciert. Die heißesten, akutesten Texte der hier gelobten Klassiker haben es bei gleicher Länge nie auch nur auf halb so viele Fußnoten gebracht. Wie schrieb doch Lenin? "Lieber weniger, aber besser."

Slavoj Zizek: "Die Revolution steht bevor". Dreizehn Versuche über Lenin. Aus dem Englischen von Nikolaus G. Schneider. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2002. 187 S., br., 9,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Slavoj Zizeks "Versuche über Lenin" stoßen bei Dietmar Dath auf wenig Sympathien. Dieses "schnell zusammengeschriebene" Buch strotze voller handwerklicher und inhaltlicher Fehler. Zizeks Mutmaßungen über Lenins Analyse unserer Gegenwart mangele es zwar nicht an Temperament. Aber der "lange Katalog falscher Zitate und Angaben, nicht zu haltender Thesen und Deutungen" spreche nicht für eine gründliche Auseinandersetzung mit Lenin und schon gar nicht für ein gutes Verlagslektorat. Die der Arbeit zugrunde liegende These, unsere Gegenwart verlange nach einer neuen Auseinandersetzung mit Lenins Werk, lässt sich für Dath auf dieser Grundlage schlecht vortragen. Zizkes Versuch, mit Lenins Augen den 11. September oder aber auch unsere oberflächliche Hollywood-Kultur zu analysieren, sei stereotype "linke Zeitdiagnostik" und lohne die Lektüre nicht.

© Perlentaucher Medien GmbH"