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Bei dem neuen Buch von Bernhard Waldenfels handelt es sich um den Entwurf einer Phänomenologie der gebrochenen Erfahrung, die auf uneinholbare Widerfahrnisse zurückgeht. In der Fremdheit bricht die Erfahrung auf im Zuge einer Spaltung und Verdoppelung des leiblichen Selbst, einer Über- und Unterschreitung von Ordnungsgrenzen. Herausgefordert wird diese Phänomenologie durch Psychoanalyse und Technologie. Das Unbewußte als Sinn- und Selbstentzug sowie die Eingriffe einer Phänomenotechnik erzeugen produktive Reibungsflächen. Der Doppelsinn von Erfahrungen, die wir machen, droht freilich zu…mehr

Produktbeschreibung
Bei dem neuen Buch von Bernhard Waldenfels handelt es sich um den Entwurf einer Phänomenologie der gebrochenen Erfahrung, die auf uneinholbare Widerfahrnisse zurückgeht. In der Fremdheit bricht die Erfahrung auf im Zuge einer Spaltung und Verdoppelung des leiblichen Selbst, einer Über- und Unterschreitung von Ordnungsgrenzen. Herausgefordert wird diese Phänomenologie durch Psychoanalyse und Technologie. Das Unbewußte als Sinn- und Selbstentzug sowie die Eingriffe einer Phänomenotechnik erzeugen produktive Reibungsflächen. Der Doppelsinn von Erfahrungen, die wir machen, droht freilich zu schwinden, wenn die Technik sich autopoietisch gegen die Brechungen der Erfahrung abschirmt und Pathos in Poiesis aufgeht.

Bernhard Waldenfels ist emeritierter Professor für Philosophie an der Ruhr-Universität Bochum. Er hat im Suhrkamp Verlag zuletzt veröffentlicht: Grundmotive einer Phänomenologie des Fremden (2006); Antwortregister (stw 1838); Schattenrisse der Moral (stw 1813); Phänomenologie der Aufmerksamkeit (stw 1734); Das leibliche Selbst (stw 1472).
Autorenporträt
Bernhard Waldenfels, geboren 1934 in Essen, ist Professor emeritus für Philosophie an der Ruhr-Universität Bochum. Für sein Werk wurde er u. a. mit dem Sigmund-Freud-Kulturpreis und dem Dr.-Leopold-Lucas-Preis ausgezeichnet.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.11.2002

Leibeskraft
Bernhard Waldenfels’ Zwiespälte
„Ich bin stumm.” Wer das sagt, muss sich vorhalten lassen, sprechend widerspreche er sich selbst. „Es gibt keine wahren Aussagen.” Wer das sagt, erhält, ohne Rechtsmittelbelehrung, amtsphilosophisch den Bescheid: „performativer Selbstwiderspruch”. Wenn dem derart Eingeschüchterten dann noch stringent demonstriert wird, was alles an transzendentalen Präsuppositionen, dialogkonstituierenden Universalien und sonstigen Großartigkeiten er, indem er spricht, einschlussweise schon in Anspruch genommen habe, wird er vollends sprachlos.
Solches Verstummen beunruhigt Bernhard Waldenfels. Er hat und weckt das Gespür dafür, dass es mit der rigorosen Eliminierung auftauchender Widersprüche nicht sein Bewenden haben kann. Wieviel es für „die Sache selbst” bedeutet, dass in Bezug auf sie Widersprüchliches behauptet wird, kann man aus Maurice Merleau-Pontys Philosophie lernen. Und Edmund Husserl hat stets daran festgehalten, dass noch das Absurde als Widersinniges einen verstehbaren Sinn enthält. Es gibt somit in der Phänomenologie eine Tradition des distanziert- unaufgeregten Umgangs mit dem Widersprüchlichen und Widerstreitenden, dem Zwiespältigen und Brüchigen. An sie knüpft Waldenfels an. In ihr ist er seit langem besorgt um eine besonnene Aufnahme neuerer französischer Philosophie in Deutschland – nicht zuletzt durch beharrlichen Widerstand gegen gedankliche und sprachliche Überdrehtheiten der Nachahmer. Doch er verleiht dieser Tradition mit seinem bedeutenden Werk auch eine eigene charakteristische Signatur.
Die „Bruchlinien der Erfahrung”, die Waldenfels’ neuem Buch den Titel geben, sind nicht Stellen, an welchen ein gefügtes Ganzes sich entzweit. Vielmehr sind es Zwischen-Orte, an denen so etwas wie Fügung, Verknüpfung, Verwebung erst entspringt. Vor jedem Zusammenhang gibt es einen ursprünglichen Zwiespalt, vor jeder Synthesis eine anfängliche Diastase: „Das Zwischen ist anders zu denken: als Riss ohne etwas, das zerreißt, als Spalt ohne etwas, das sich aufspaltet, als Pause ohne etwas, das aufhört, als Abweichung ohne etwas, das abweicht.” „,Diastase‘ bezeichnet einen Differenzierungsprozess, in dem das, was unterschieden wird, erst entsteht.”
Für das Paradoxe
Mit ihrem großen alten Widerpart, dem absoluten Einen der Neuplatoniker, hat die Diastase gemein, dass sie nur indirekt und mittels paradoxer, negativer oder metaphorischer Ausdrücke angesprochen werden kann. Das, was man Zentrum seiner Philosophie nicht nennen darf, thematisiert Waldenfels denn auch mit Tief- und Hintersinn eher beiläufig in einem „methodischen Zwischenspiel”. Und in der Tat: Man braucht dies nicht zu verstehen, geschweige denn für wahr zu halten, um dennoch sich faszinieren zu lassen von dem, was sich an unschwer Nachvollziehbarem daraus ergibt: von jener Fülle von prägnanten und immer wieder überraschenden Beschreibungen, die Waldenfels’ neues Buch ebenso auszeichnet wie seine früheren. Vieles, was wir nicht kannten, wird uns erstmals gezeigt; und vieles, was wir längst zu kennen glaubten, lernen wir neu zu sehen.
Wenn es des Nachweises noch bedurft hätte, wie unsinnig es ist, die phänomenologische Deskription der „Sachen” auszuspielen gegen die hermeneutische Interpretation von „Texten”: Hier kann man zusehen, wie beide sich ineinander verschränken, wie sich das wechselseitig anregt und führt, konturiert und präzisiert. So sind über das ganze Buch Notizen und Interpretationsfragmente zur klassischen griechischen Philosophie verstreut. Wer sich die Mühe machte, sie – gegen die Intention des Autors – aus ihrem Kontext herauszulösen und zusammenzustellen, hätte zwei eigene kleine Studien zu Platon und Aristoteles vor sich, die es verdienten, auch von der Spezialforschung beachtet zu werden.
Wie nimmt sich das „diastatische Denken” der Erfahrung an? Was uns widerfährt und beeindruckt, was wir spüren, fühlen, leiden: all das wird unter dem Titel „Pathos” beschrieben. Es wird dargetan, wie in einem „pathischen Hintergrund” und aus ihm heraus Bedeuten und Begehren, wie also „Theorie” und „Praxis”, sich ausformen; wie die Gestalten des Berührens, Berührtwerdens und Sich-angerührt-Fühlens, des Tastens, Ertastens und Zugreifens sich sondern; wie Affektion zum Appell wird; wie aus der ursprünglichen Differenz zwischen dem passiven Betroffensein und der aktiven Antwort darauf das Selbst sich bildet: „Das Pathos ist kein Produkt, weder ein Eigen- noch ein Fremdprodukt. Der entscheidende Übergang ist der vom Wem des Pathos zum Wer der Response, vom ,mir geschieht‘ zum ,ich tue‘.”
Im Schlusskapitel lokalisiert Waldenfels aktuelle Kontroversen der Neurobiologie, der Biotechnik und der Bioethik in dem leiblich-pathischen Feld, das er zuvor deskriptiv bestellt hat. Wenn etwa gezeigt wird, wie es der affektive Hintergrund des eigenen Leibes ist, der uns gestattet, das bloß systemisch-funktionale Selbst zu unterscheiden von dem, das sich selbst als Selbst erfährt; und wenn gezeigt wird, was es für unsere Auffassung von Geburt und Tod bedeutet, dass sie als Widerfahrnisse eingebettet sind in eigene oder fremde Erwartungs- und Erinnerungshorizonte: dann geraten feste Frontlinien in Bewegung und vieles erweist sich als des erneuten Nachdenkens bedürftig. MANFRED SOMMER
BERNHARD WALDENFELS: Bruchlinien der Erfahrung. Phänomenologie, Psychoanalyse, Phänomenotechnik. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2002. 479 Seiten, 16 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Eine nicht ganz leicht zu lesende Besprechung von Andreas Cremonini, die einiges an Kenntnis zum Diskussionszusammenhang von Phänomenologie und Psychoanalyse - oder ein sehr genaues Lesen - verlangt: wahrscheinlich ein angemessener Einstieg für das Buch selbst. Gleich zu Anfang lobt Cremonini, dass sich Bernhard Waldenfels mit "'frankfurterisch funkelnder Apodiktik" einen "gedanklichen Fluchtpunkt" schafft, der im Titel eigentlich schon ausgesprochen ist. Der Rezensent zitiert: "Erfahrung, die sich ihrer Brüchigkeit zu entledigen trachtet, verleugnet sich selbst." Einfühlsam zeichnet Cremonini die Wege nach, die der Autor mit seinem Instrument eines "leibhaften Zwischen" durch das Dickicht der Erfahrung und der Wissenschaften von ihr schlägt. Immer wieder besteht er, so Cremonini, auf einer nicht auflösbaren Spannung, einer Kluft, zwischen "Pathos" und "Response". Die Welt, an der sich das Selbst in dieser Spannung erfährt, ist zudem eine der "Technik", das heißt eine höchst Vermittelte und Vermittelnde, die allzu oft Kritikern zum Buhmann gerät. Cremonini hebt hervor, dass und wie Waldenfeld sich in einem "von esoterischem Expertentum, finanziellen Interessen und politischer Nervosität zerklüfteten Terrain" mit Präzision und Eleganz bewegt. Nicht einverstanden ist er, dass Waldenfels sich "ausschließlich Freud als psychoanalytischen Gesprächspartner" zuwendet und auf Lacan verzichten will, obwohl der Autor in seinen Ausführungen um die Lacanschen Kategorien von "Ich, Anderer, Subjektivität und Intersubjektivität" eben doch nicht herumkomme. Aber Cremonini findet das letztlich nicht ausschlaggebend. Am Schluss urteilt er, dass der "substanzielle Beitrag" dieser "bemerkenswerten Studie", in ihrer "ethischen Ausrichtung" besteht.

© Perlentaucher Medien GmbH
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