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Roman. Tagsüber ist er Müllmann, abends Sapeur - ein Mann aus dem Kongo in Dandy-Klamotten. Ihm zur Seite ein depressiver Gewerkschafter und eine asiatische Straßenverkäuferin auf Rollschuhen.

Produktbeschreibung
Roman. Tagsüber ist er Müllmann, abends Sapeur - ein Mann aus dem Kongo in Dandy-Klamotten. Ihm zur Seite ein depressiver Gewerkschafter und eine asiatische Straßenverkäuferin auf Rollschuhen.
Rezensionen
"Der Roman macht verdammt noch Mal Lust, Ciriez in die Tradition von Queneau, Calet und Perec zu stellen." Transfuge

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Von erheblicher Brisanz sei Frédéric Ciriez' zweiter Roman, schreibt Thorsten Glotzmann und verweist darauf, dass die Theaterfassung des Stoffs inzwischen auf vielen Bühnen Frankreichs gespielt werde. Ein Gewerkschafter, eine Straßenverkäuferin und ein kongolesischer Dandy stünden im Zentrum des Buchs, das nach Ansicht des Kritikers von sozialer Kälte erzählt sowie von dem Graben, der sich durch die französische Gesellschaft zieht. Das hier gezeigte Paris mit seinen rauen Banlieues sei gnadenlos, findet Glotzmann, und habe für die Helden vor allem Erniedrigungen übrig. Den Roman selbst hält der Rezensent für ein "poetisches, sprachlich fast überambitioniertes Werk", wobei ihm in der deutschen Übersetzung viele Tipp- und Rechtschreibfehler aufgefallen sind. Letztlich, so Glotzmann, würden diese aber gut zu den "Unvollkommenheiten" passen, die das Paris und die drei Helden dieses Romans in seinen Augen ausmachen.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.11.2015

Müllgrube zum Träumen
Ein Banlieue-Roman von Frédéric Ciriez
Der Ort, an dem sich die Handlungsfäden dieses Romans einen Augenblick lang miteinander verweben, ist hässlich, und er stinkt: Saint-Ouen, in der nördlichen Pariser Banlieue, die Gegend der Docks, wo der rostfarbene Himmel weißen Rauch inhaliert, der aus dem Kamin der Müllverbrennungsanlage aufsteigt, und wo die Sonnenscheibe aussieht wie ein offener Schließmuskel, während sich Müllwagen ihrer Fracht entledigen. „Schon immer kam mir dieser Ort am Tag vor wie ein Gefängnis, in der Nacht wie ein Friedhof“, sagt Parfait, der tagsüber als Müllmann durch die Stadt fährt, um sich am Abend in den Inbegriff der Eleganz zu verwandeln, in einen Sapeur.
  Neben einem namenlosen Gewerkschafter und Barbara, einer Straßenverkäuferin chinesischer Abstammung, zählt der kongolesische Dandy zu den drei Figuren, denen Frédéric Ciriez jeweils einen Teil seines Romans gewidmet hat. Der Aufbau erinnert an ein Triptychon, die drei Teile sind mit den Begriffen „Transfixion“ – „Transformation“ – „Transaktion“ überschrieben. „Auf den Straßen von Paris“ ist Ciriez’ zweiter Roman, und er wurde dafür mit dem deutsch-französischen Franz-Hessel-Preis ausgezeichnet. In Frankreich wird die Theaterfassung mittlerweile auf vielen Bühnen gespielt. Der Stoff ist von großer Brisanz, weil er von sozialer Kälte und dem Riss erzählt, der sich durch die französische Gesellschaft zieht.
  Am deutlichsten wird das an der Geschichte des Gewerkschafters, den Parfait nur den „Lorientiner“ nennt und mit dessen Selbstmord der Roman beginnt. Er sitzt in seinem Citroën Xantia vor dem Hof für abgeschleppte Autos in Saint-Ouen: „Sein Kopf ist auf die Knie gesunken, das Ganze sieht aus wie der Foetus eines jungen Mannes mit kastanienbraunem, gewelltem Haar, der (. . .) am Griff des Messers nuckelt. Das Messer: Eingegraben ins Herz, und nichts wird jemals wieder so hart sein in seinem Leib.“ Es ist natürlich kein Zufall, dass sich der Gewerkschafter ausgerechnet in der Nacht vor dem 1. Mai, dem Tag der Arbeit, ein Messer in die Brust bohrt. Sein Suizid kommt einer Kapitulation gleich, als hätte er nichts mehr auszurichten gegen diese Stadt, die den Reichen gehört und die Armen immer weiter in die Peripherie hinausdrängt, gegen diese Gesellschaft, die ihre Arbeiter ausscheidet wie den Müll, den sie entsorgen.
  Der Gewerkschafter ist eine Randfigur, wie man sie aus den frühen Houellebecq-Romanen kennt, ein Zukurzgekommener, der es endlich wagt, ein Mädchen zum Tanz aufzufordern, aber abgewiesen wird. Unter seinem zweiten Zuhause, dem Gewerkschaftsbüro, befindet sich die Model-Agentur „Elite“, die schon im Namen eine Welt trägt, die ihm immer fern und fremd bleiben wird. „Er treibt in der Stadt wie ein Ertrinkender“, heißt es an einer Stelle.
  Selbst Parfait, der monologisch um sich selbst kreisende Sapeur, wirkt wie eingekapselt in seine Einsamkeit. Wenn er die Flamme seines Feuerzeugs zum Leuchten bringt, erscheint das Bild einer nackten russischen Schönheit. Er nennt sie Anastasia, und sie leistet ihm Gesellschaft, obwohl er ihr „nur eine Müllgrube zeigen kann zum Träumen“. Durch die Transformation in einen extravagant gekleideten Dandy gelingt es ihm immerhin, seinen sozialen Status zeitweise hinter sich zu lassen, doch der Rolls-Royce, mit dem er sich durch die Nacht chauffieren lässt, ist nur gemietet.
  Frédéric Ciriez zeigt uns ein hartes, erbarmungsloses Paris, gegen dessen Erniedrigungen sich seine drei Figuren fortlaufend behaupten müssen. Sein Roman ist ein poetisches, sprachlich fast überambitioniertes Werk. Die Übersetzung strotzt vor Tipp- und Rechtschreibfehlern, was den Lesefluss erheblich stört, zugleich aber zu den Unvollkommenheiten der hier geschilderten Stadt und ihrer Figuren passt. Wenn der Sapeur „Parfait“ eines Buchstabens beraubt und unbeabsichtigt zu „Pafait“ wird, dann kann man darin auch eine Botschaft entdecken: Nichts ist perfekt, alles nur Schein, genauso wie jene Anastasia, die nackte Schönheit auf dem Feuerzeug, deren Bild mit der Flamme erlischt.
THORSTEN GLOTZMANN
Frédéric Ciriez: Auf den Straßen von Paris. Aus dem Französischen von Hansgeorg Hermann. Edition Tiamat, Verlag Klaus Bittermann, Berlin 2015. 288 Seiten, 20 Euro. E-Book 15,99 Euro.
Es ist ein erbarmungsloses
Paris, gegen dessen Härten sich
die Figuren behaupten müssen
Frédéric Ciriez, geboren 1971 in Paimpol, lebt in Paris.
Foto: Verlag
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