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Friederike Mayröcker hat nach dem Tod ihres Schreib- und Lebensgefährten Ernst Jandl Erinnerungen und Träume, Gespräche und Zitate, Eindrücke und Beobachtungen auf Notizzetteln gesammelt, hat ihren Text geschüttelt und den fruchtbaren Augenblick abgepaßt, da Schreiben und Ernten in eins und die Wörter und Sätze wie reife Früchte zu Papier fallen. Entstanden ist eine poetische »Ausschweifung des Gedächtnisses«, die noch die armseligsten und vergänglichsten Dinge in »Magie Partikelchen« verwandelt und sie so bewahrt: »herzhermetisch« geborgen im Innern der Sprache. Und ich schüttelte einen…mehr

Produktbeschreibung
Friederike Mayröcker hat nach dem Tod ihres Schreib- und Lebensgefährten Ernst Jandl Erinnerungen und Träume, Gespräche und Zitate, Eindrücke und Beobachtungen auf Notizzetteln gesammelt, hat ihren Text geschüttelt und den fruchtbaren Augenblick abgepaßt, da Schreiben und Ernten in eins und die Wörter und Sätze wie reife Früchte zu Papier fallen. Entstanden ist eine poetische »Ausschweifung des Gedächtnisses«, die noch die armseligsten und vergänglichsten Dinge in »Magie Partikelchen« verwandelt und sie so bewahrt: »herzhermetisch« geborgen im Innern der Sprache. Und ich schüttelte einen Liebling ist ein bewegendes Buch über die Kraft der Trauer, der Liebe und der Dichtung: Abschied und Wiederkunft in einem.
Autorenporträt
Friederike Mayröcker wurde am 20. Dezember 1924 in Wien geboren und starb am 4. Juni 2021 ebendort. Sie besuchte zunächst die Private Volksschule, ging dann auf die Hauptschule und besuchte schließlich die kaufmännische Wirtschaftsschule. Die Sommermonate verbrachte sie bis zu ihrem 11. Lebensjahr stets in Deinzendorf, welche einen nachhaltigen Eindruck bei ihr hinterließen. Nach der Matura legte sie die Staatsprüfung auf Englisch ab und arbeitete zwischen 1946 bis 1969 als Englischlehrerin an verschiedenen Wiener Hauptschulen. Bereits 1939 begann sie mit ersten literarischen Arbeiten, sieben Jahre später folgten kleinere Veröffentlichungen von Gedichten. Im Jahre 1954 lernte sie Ernst Jandl kennen, mit dem sie zunächst eine enge Freundschaft verbindet, später wird sie zu seiner Lebensgefährtin. Nach ersten Gedichtveröffentlichungen in der Wiener Avantgarde-Zeitschrift "Plan" erfolgte 1956 ihre erste Buchveröffentlichung. Seitdem folgten Lyrik und Prosa, Erzählungen und Hörspiele, Kinderbücher und Bühnentexte.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.09.2005

Machen Sie öfters mal boingg-boingg
Etwas an Glück: Fünf Jahre nach dem Tod ihres Lebensgefährten Ernst Jandl veröffentlicht Friederike Mayröcker ihre Erinnerungen an ihn

Jetzt hat sie es endlich geschrieben und fertig geschrieben. Wie oft wurde sie danach gefragt, wann sie denn schreiben werde über ihren Lebensmenschen, über ihren Dichterfreund, über Ernst Jandl, der im Sommer 2000 gestorben ist. Und sie hat immer gesagt: ja, ja und vielleicht und sicher bald und hat zunächst ein Requiem für ihn geschrieben und einige Gedichte und wahrscheinlich hundert Blätter voller Erinnerung und Schmerz und Abschiedsworte.

So kennt man sie ja immer von den Bildern, eine große schwarze Frisur, vergraben zwischen Manuskriptbergen, die, einer wundersamen Tektonik folgend, nie einzustürzen scheinen. Es gibt, so scheint es manchmal, mehr Fotos von den Manuskripten Friederike Mayröckers als von ihr selbst. Und dann natürlich die Fotos zusammen mit ihm. Mit Ernst Jandl. Die beiden waren das schönste deutschsprachige Dichterpaar der Nachkriegsliteratur, ein Lebensliebespaar, wie es nicht viele gibt. Ihr ganzer Lebenslauf verlief so eigentümlich parallel.

Das schönste Paar

Beide wurden sie in Wien geboren, sie im Dezember 1924, er acht Monate später. Beide arbeiten nach dem Krieg als Lehrer. Zunächst aus Idealismus, dann aus Pflichtgefühl. Beide veröffentlichen 1956 ihr erstes Buch, das bei beiden eher unbeachtet bleibt. So schweigen beide zehn Jahre lang, und dann erscheinen ihre Bücher, die sie berühmt machen. "Tod durch Musen" heißt das von Mayröcker, "Laut und Luise" Jandls Buch. Da kannten sie sich schon zwei Jahre. Jandl erinnerte sich: "Es war ein Glück, daß ich mit der Dichterin Friederike Mayröcker zusammentraf, die schon damals einen guten Namen besaß, und ich schrieb an ihrer Seite viele Gedichte. Wir sind bis heute eng verbunden, aber wir leben nicht mitsammen, denn ich verstand es nicht, etwas an Glück dauerhaft zu machen."

Kurze Zeit nur haben sie eine Wohnung geteilt. Schnell haben sie das wieder aufgegeben. Lebten schön getrennt mitsammen, nicht weit weg voneinander, in Wien, beinahe fünfzig Jahre lang, haben sich besucht, fast jeden Tag, sich immer wieder Gedichte geschrieben und gewidmet. Mayröcker zum Beispiel dieses besonders schöne: "Lassen Sie die Wörter aufjaulen / Machen Sie öfters mal boingg-boingg! / Vergessen Sie die ganze Sprache. / Legen Sie Silben aufs Eis! Wärmen Sie sich an den Deklinationen die Füsze! / Stören Sie die Sprache ein wenig mehr! / Drücken Sie sie gegen die Wand bis sie schreit."

Ein Stück Wiese

Was für ein schönes weltfreundliches, welterfreuendes, wunderbares Paar. Scheinbar ohne Konkurrenz und Neid miteinander, nebeneinander dichtend, ein Leben lang. Voller Bewunderung für den anderen. Jandls Gedichte sind immer viel populärer, volksnäher, erfolgreicher gewesen als die oft schwierige Wortkunst Mayröckers. Er hat das nie als Leistung bewertet. Im Gegenteil: "F. M. schreibt große Literatur, und ich erhalte den deutschen Kleinkunstpreis", hat er gesagt. Und nein, das war keine Ironie. Seine Bewunderung für seine ferne, nahe Lebenspartnerin war grenzenlos. Auch über den Tod hinaus sollte die Liebe gehen: "Begraben möchten wir gemeinsam werden", hat er einmal gedichtet, "und zwar noch lange nicht, und auch nicht unbedingt gleichzeitig."

Jetzt ist er mehr als fünf Jahre schon tot. Und Friederike Mayröcker lebt und hat ihm dieses Buch geschrieben: "Und ich schüttelte einen Liebling". Ein Liebesbuch, ein Abschiedsbuch, das Traumbuch einer Liebe, die besteht, über den Tod hinaus. So fängt es an: "meine Nerven waren sehr aufgeregt, und Gertrude Stein sagt, in dem Gesicht stand, dasz er, wenn er ein Stück Wiese angeschaut hatte, es immer ein Stück Wiese für ihn gewesen wäre, aber dann habe er die getroffen, die er liebte, und wenn er dann auf ein Stück Wiese geschaut hätte, seien auf dem Stück Wiese Vögel und Schmetterlinge gewesen, die vorher nicht da waren, das also ist Liebe."

Und in dem Buch geht es nun also darum, diese Liebe festzuhalten, die Erinnerung an "EJ", wie sie ihn nennt, oder "Ely", die Erinnerung daran, wie alles begann mit diesem Leben zu zweit. Und es geht darum, das Leben festzuhalten, ihr Leben, weiterzuleben, ohne ihn. Ein Leben, das so eng verbunden war mit einem anderen, daß nun die eigene Identität verloren scheint und zweifelhaft, das eigene Leben wertlos scheint, das eigene Dichten nun - für wen? "Und ich in Tränen ausbrach, denn ich mache alles ihm zuliebe, Ely zuliebe, EJ zuliebe, finde mich nicht mehr zurecht in der Welt, und alles belastet mich, und habe mich immer belastet gefühlt von allen möglichen Verpflichtungen, Vorstellungen, Befürchtungen, Selbstschuldzuweisungen und fühle mich verfolgt von krassen Augenblicksbildern und war von Vogelsachen zerfetzt und sinke nieder und wische mir das Blut aus den Haaren, oh es ist schrecklich, kaum wage ich diesen Schritt auf die Straße: eine Seelenkrankheit, frage ich mich, habe ich eine Seelenkrankheit?"

Und ist doch nur die Erinnerung. Der Schmerz, die Leere. Ein Leben allein.

Das Leben nach ihm

Er beschützt sie nicht mehr. So wie er ihr damals im Kino, wenn die gefährlichen Stellen kamen, die Hände vor die Augen gelegt hat, oder er nahm ihre Hand und sagte: "Jetzt schau nicht hin und als es vorüber war, sagte er jetzt kannst du die Augen wieder aufmachen." Und so war es auch mit seinem Tod, und er wollte sie vor diesem letzten großen Schrecken schützen und konnte es nicht, und so war es, als sie ihn sah, "EJ ein, zwei Jahre vor seinem Tod sich an Freunde wenden, in meiner Abwesenheit, und sagen, ihr müszt ihr beistehen, dann, wenn es soweit ist, weil er darüber mit mir nicht zu sprechen wagte, und sogleich, ich, wenn die Rede darauf kam, zu weinen begann weil ich nicht wollte, dasz er stürbe."

Es ist ein Buch, in dem es um alles geht. Und vor allem darum, am Leben zu bleiben. Schnell nach dem Tod ihres Gefährten ist Friederike Mayröcker klar, daß sie nicht weiterleben möchte ohne ihn, daß sie "Schlusz machen würde" ohne ihn, und es ist nur das Schreiben, das sie am Leben hält, und es ist das Schreiben an diesem letzten Buch, von dem sie sagt, "dasz ich mich tragen lasse von meiner Sprache und da waren wieder die hohen Fittiche nämlich als sei ich ausgestattet mit Schwingen". Und was wird sein, wenn dieses Buch zu Ende ist, wenn die Schwingen nicht mehr tragen, wenn dieser letzte Lebenszweck verfliegt? "Ich wollte in alle Ewigkeit weiterschreiben, denn wenn ich jetzt aufhörte, was sollte ich dann Neues schreiben, ich konnte nichts Neues schreiben, ich konnte es nicht wagen, etwas Neues zu beginnen, nicht wahr."

Und irgendwann ist es doch zu Ende, dieses Buch einer Liebe. Einer Lebensliebe. Der großen Liebe der deutschsprachigen Literatur. Jetzt muß es weitergehen, das Leben. "Das Atemwäldchen tropfte und taute grünes Blut, wir saszen da und hielten uns an der Hand heute morgen hörte ich zwei Gedichte von Reiner Kunze, verzweifelt, die sich verzweigen in meiner Brust, vorher und nachher geweint weil die Welt so verlassen, Sonntag früh, kahler Morgen -"

VOLKER WEIDERMANN

Friederike Mayröcker: "Und ich schüttelte einen Liebling". Suhrkamp-Verlag 2005. 238 Seiten, 19,80 Euro.

Über Ernst Jandl ist soeben im Zsolnay-Verlag in der Reihe Profile das Buch "Ernst Jandl - Musik Rhythmus Radikale Dichtung", herausgegeben von Bernhard Fetz, erschienen. 255 Seiten, 17,90 Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.10.2005

Das Schreiben ist nur möglich, wenn ich diese Fittiche habe
Friederike Mayröckers Abschiedsbuch für den toten Gefährten Ernst Jandl: „Und ich schüttelte einen Liebling”
Eine flatterhafte Nervosität präludiert dieses Abschiedsbuch einer großen Liebe. Und sofort ist alles da: die rasende Angst vor dem Abgrund, aber auch die selige Leichtfertigkeit, die über ihn hinweg hilft, sobald man weiß, dass es von nun an nichts mehr zu verlieren gibt. „Und ich schüttelte einen Liebling”, dieser Trauergesang über den Verlust des nächsten Menschen, ist zugleich eine sehr diskrete, aber doch kenntliche Feier der eigenen Vitalität. „Er fehlt mir so bitterlich”, dieser Satz, der erst spät fällt, ist das gesamte Buch über wahr und spürbar. Aber auch die unterschwellige Verblüffung, selbst noch am Leben zu sein: „das Alleinsein ist eine kuriose Sache, nicht wahr, eine Mischung aus Angst und Stolz”.
Ernst Jandl, so erfuhr Friederike Mayröcker nach seinem Tod, hat schon zu Lebzeiten die Freunde gebeten, ihr beizustehen, wenn es einmal so weit sein sollte. Diese Fürsorge berührt. Sie besondert diese ungewöhnliche Dichterliebe, und ist doch zugleich charakteristisch für alle wirklich liebenden Paare. Jeder fürchtet, dem anderen den Schmerz des eigenen Todes zuzufügen, und kann sich doch nicht wünschen, ihm den Vortritt zu lassen. Denn das hieße, dem anderen den Tod zu wünschen.
„Und ich schüttelte einen Liebling” ist vieles auf einmal: ein typischer Mayröcker von nicht nachlassender, eher noch gesteigerter Sprachkraft; ein Buch über die Liebe, das Schreiben und die Abwesenheit; eine Symbiographie (das schöne Wort hat man im selben Verlag für Brigitte Maria Mayers Buch über Heiner Müller gefunden) - und schließlich ein Klagelied über das Verlassensein.
Ein Klagelied ohne jedes Kitschbrimborium, ohne Beschwichtigungsversuche, ohne Angebote zur Identifikation. Der assoziationsreiche, flatterhafte Stil Friederike Mayröckers wirkt wie für dieses Thema gemacht. So genau erfasst er den Zustand des Außersich- und Überdrehtseins, die Haltlosigkeit des Verlassenen. Gespräche mit anderen fallen schwer, nur auf die eigene innere Sprache ist Verlass.
Friederike Mayröckers Schreiben kommt ganz aus dem Sprachmaterial, aus Wortfindungen, Klängen, ungewöhnlichen Kombinationen. Dass sie solche Entdeckungen auf Zetteln sammelt, in den zahlreichen Körbchen ihrer überfüllten Wohnung, gehört ebenso zu den sich fortpflanzenden Mayröcker-Legenden wie der Zustand dieser Wohnung in der Wiener Zentagasse selbst: kreatives Chaos, einsturzgefährdet. Inzwischen ist sie in Ernst Jandls Wohnung gezogen. Bis zu Jandls Tod im Juni 2000 haben die beiden ein gemeinsames Leben in getrennten Wohnungen geführt. Tagsüber schrieb jeder allein, abends trafen sie sich in seiner Wohnung.
„Und ich schüttelte einen Liebling” ist nicht chronologisch erzählt. Es ist die Sprache, die geschüttelt wird, bis Bilder, Erinnerungen, gemeinsame Redewendungen und Erlebnisse herunterfallen wie Früchte vom Baum. Vergangenheit und Gegenwart fließen ineinander. Der tote Gefährte wird angesprochen, als wäre er noch da, mit dem Kürzel „EJ” oder „Ely”. Möglichkeiten der Kommunikation werden gesucht: „Und immer wenn die Fax-Glocke ertönt, glaube ich und hoffe ich, du bist es, sage ich zu EJ, und du gibst mir Nachricht aus deiner Welt, wie aufregend wäre es, würde ich deine Stimme hören wenn du mir sagst wie es dir geht, was du tust ob du Musik hörst oder durch welche Feuer du hindurchgehst also von einem Feuer in ein anderes, und ob du noch an mich denkst.”
Dieses Warten auf Zeichen einer wie auch immer gearteten Anwesenheit des Abwesenden kennen vermutlich alle Hinterbliebenen. Der Schriftsteller hat allerdings einen Vorteil. Durchs Schreiben an den Umgang mit der Abwesenheit gewöhnt, kann er gewissermaßen Fallen stellen: den anderen in der Sprache, wenigstens für Augenblicke, zur Präsenz bringen. Das glückt in diesem Buch immer wieder so leicht und schön, als wäre es keine Kunst. Da ist z.B. Jandls regelmäßige Antwort auf den Hinweis der Freundin, es gäbe etwas zu erledigen: „aber nur untertags, am Abend bin ich zu müde, ich kann nichts erledigen wenn ich müde bin, da möchte ich nur still sitzen, ein Glas Wein trinken und verweilen”. „Jetzt”, sagt die Autorin zu ihm, „bin ich auch an diesem Punkt angelangt, ich versuche untertags meine Dinge zu erledigen und am Abend sitze ich da, unter der Lampe lesend oder Briefe schreibend oder einer Musik lauschend, nicht wahr.” So wird das Verhalten des Gestorbenen zur Richtschnur der Überlebenden, eine Handlungshilfe aus dem Jenseits. Auch darüber denkt Friederike Mayröcker nach: „ich habe keinen festen Glauben was das Jenseits angeht, manchmal fürchte ich mich davor es mir auszumalen, manchmal spiele ich mit dem Gedanken, wie es drüben sein könnte, manchmal das Gefühl, es gibt kein Jenseits, ich lese viel, das Schreiben ist nur möglich wenn ich diese Fittiche habe das ist mein Geheimnis, wie lange werde ich noch am Leben sein. (...) Ob ich an Gott glaube, weisz ich nicht, ich bete zu ihm, also glaube ich an ihn.”
Gemeinsame Erlebnisse werden wiederholt evoziert: das Jahr in Berlin, in dem Mayröcker nicht schrieb (nur wenn sie eigens dafür übers Wochenende nach Wien flog), aber jeden Tag mit einem kleinen Hund aus der Nachbarschaft spazieren ging, die Reise in die USA, das wechselseitige Vorlesen des am Tag Geschriebenen (Jandl habe sie für keine gute Kritikerin gehalten, verrät Friederike Mayröcker, weil ihr alles gefiel, was er schrieb), die Gespräche übers Älterwerden und Jandls zunehmenden Ärger über seinen schwergewichtigen Körper.
Halt bieten Freunde, aber auch Lektüren: Gertrude Stein, Jacques Derrida, Roland Barthes, Hölderlin. Und dann gibt es die Spur zur geliebten, vor nicht langer Zeit gestorbenen Mutter. Erst jetzt wird der Tochter klar, wie einsam sie nach dem Tod ihres Mannes gewesen sein muss. Reue stellt sich ein über die eigene Ungeduld und dass ihr das Schreiben immer wichtiger war, als der Mutter Gesellschaft zu leisten. Manchmal wütet sie bitter gegen sich, „Jahre Jahrzehnte eben alles falsch gemacht, Jahre Jahrzehnte alles von mir weggeschoben und anderen überlassen”. Es schadet nicht, dass in diesem Buch, das ein so überzeugendes Beispiel für das Glück des Schreibens ist, auch zur Sprache kommt, was dabei verloren geht. Und dass das für Frauen besonders schmerzlich sein kann, weil Fürsorge und Hingabe noch immer als genuin weibliche Qualitäten gelten. Da sind Anfälle von Selbstzweifel beinahe vorprogrammiert.
Friederike Mayröcker ist letztes Jahr achtzig geworden. Ihr neues Werk ist der lebendige Beweis dafür, dass es zwischen experimenteller Literatur und Rückkehr zum Realismus ein Drittes gibt: eine Literatur, die sich von der Sprache leiten und inspirieren lässt, ohne die Existenz zu vergessen. Man wünscht diesem Buch Leser, die bereit sind, geduldig auf Empfang zu gehen. Sie können sicher sein, dass sie eine Sendung erhalten, mit der sie etwas anfangen können. Selbst dann, wenn sie bisher keine Zeile der großen Lyrikerin und Prosaistin gelesen haben, die vor vier Jahren mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet wurde. MEIKE FESSMANN
FRIEDERIKE MAYRÖCKER: Und ich schüttelte einen Liebling. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2005. 238 Seiten, 19,80 Euro.
Ernst Jandl und Friederike Mayröcker 1995
Foto: Niklaus Stauss / akg / PA
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

" Über weite Strecken mit Genuß ist Rezensent Harald Hartung den seismografischen Ausschlägen dieser "Prosafantasie" über die Beziehung Friederike Mayröckers zu Erich Jandl gefolgt. Allerdings warnt er sehr dezidiert davor, außerhalb des Textes nach den darin verhandelten Figuren zu suchen, etwa um biografische Neugier zu stillen. Schon der Buchtitel schließlich lasse offen, was für ein Liebling hier eigentlich geschüttelt werde. Zwar erscheint Mayröckers "Lebensmensch" Hartung zufolge im Buch unter dem Kürzel EJ, doch werde er "im Flor der Sprache zugleich evoziert wie verborgen". Wie der tote Geliebte der Autorin erscheine Jandls Gestalt in einer Schattenwelt, lebe ausschließlich vom "Sprachblut, das ihm gespendet" wird, wie Hartung mit der vampiristischen Befriedigung des Lyrikers feststellen kann. Nicht anders verfahre die Autorin auch mit den anderen Figuren aus dem gemeinsamen Leben, die Hartung wie auf- und abtauchende Schemen behandelt sieht. Hier hat das Werk aus seiner Sicht auch Schwächen, weil Friederike Mayröcker das große Bild verliere, "um winzige Epiphanien zu erleben".

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